Abschnitt 8

Hamburg (Mecklenburg)


Struensee und alle Leute von Einsicht behaupteten immer, die besten Maßregeln, welche der dänische Hof ergreifen könnte, wären, daß er die nach dem Verhältnis seiner Einkünfte unmäßigen Ausgaben für die auswärtigen Geschäfte einschränkte, sich in die Angelegenheiten der übrigen Mächte gar nicht einmischte, seinen Kriegsetat bloß zur Handhabung der innern Ruhe seiner Staaten und der Polizei reduzierte und alle Kräfte zum Anbau seiner wüsten Länder und zur Beförderung der Industrie verwendete. Dies ist gewiß auch alles, was Klugheit und Vaterlandsliebe raten können. Von Schwedens Seite hat Dänemark in der jetzigen gegenseitigen Lage beider Reiche nichts zu befürchten, und ein Wink des russischen oder preußischen Hofes würde hier auch bald Ruhe schaffen. Auf der andern Seite würde der erste Kurfürst des deutschen Reichs, welcher der dänischen Heeresmacht in den Weg käme, sie in die äußerste Verlegenheit setzen. Der Verlust eines Hauptmagazins oder einer Kriegskasse würde den ganzen Feldzug krebsgängig machen. Wenn aber auch fremde Subsidien Subsidien - Zahlungen an ein kriegführendes Land die Seele ihrer Operationen wären, so könnte sie es doch nie gegen eine mittelmäßige deutsche Armee lange aushalten. Die inländische Miliz, welche die Hauptsache ausmacht, ist äußerst roh und ungebildet, und die mit so vielen Kniffen und Pfiffen geworbenen deutschen Truppen laufen beim ersten Schritt, den sie über die dänischen Grenzen tun, davon. Sie verwünschen ein Land, wo sie wegen der ungesunden Luft, den ungewohnten und schlechten Nahrungsmitteln und verschiedenen Vernachlässigungen dahinsterben wie die Fliegen. Ich sprach mit verschiedenen Deutschen in dänischen Diensten, und manchen flossen die Tränen über die Wangen, als sie mir die Art, wie sie von den Werbern gekapert wurden, und ihre gegenwärtige Lage schilderten. Man hat fast unglaubliche Beispiele von Verzweiflungsmitteln, die sie ergriffen haben, um aus dem gehässigen Lande zu entfliehn. Nebst dem fehlt es an einer hinlänglichen Reuterei, die heutzutage so entscheidend ist und von den deutschen Armeen beinahe den vierten Teil ausmacht. Es müßten ungeheure Subsidien sein, wodurch diese auf einen respektablen Fuß gesetzt werden könnte. Sie läßt sich nicht beim Ausbruch eines Krieges aus nichts schaffen. Ihre Bildung erfodert in Friedenszeiten einen Aufwand, wozu die Einkünfte des Staats mit allen Subsidien, die sich der Wahrscheinlichkeit gemäß voraussetzen lassen, nicht hinreichend sind. Die Zeiten sind vorbei, wo man mit einer Handvoll undisziplinierter und ungeübter Truppen Wunder tun und sie auf Feindeskosten unterhalten konnte. Die heutige Kriegsmethode erfodert Vorbereitungen und einen Vorrat an so mancherlei Bedürfnissen, daß dem dänischen Finanzminister die Haare würden zu Berge stehn, wenn man ihm die Berechnungen davon vorlegte. Wenn auch der dänische Hof zwei Millionen Taler jährliche Subsidien bekäme, so reichten doch dieselbe mit den sämtlichen Einkünften des Hofes kaum zu, einen einzigen Feldzug mit einer Armee von 40.000 Mann, von der man sich heutzutage etwas versprechen könnte, ohne Gefahr, durch irgendeinen beträchtlichen Verlust auf einen Schlag untätig zu werden, und mit Nachdruck zu betreiben. Der kurze Feldzug im Bayrischen Krieg vor einigen Jahren hat den Wiener Hof gegen zweiundsiebzig Millionen rheinische Gulden gekostet, obschon gar nichts von Bedeutung vorgefallen ist, und das, was zu jedem Feldzug vorrätig dasein muß, nicht mitgerechnet. Seine Armee war ohngefähr 300.000 Mann stark. Man mache nach dem Verhältnis den Anschlag für 40.000 Mann. Und was wären dann auch 40.000 Mann, wenn sie der dänische Hof, welches ihm doch platterdings unmöglich ist, auf eine etwas beträchtliche Zeit außer Landes in Tätigkeit setzen wollte? Dem König von Preußen, wenn er auch noch so beschäftigt wäre, kämen sie sehr willkommen. Es ist überhaupt eine gute Maxime, daß, wenn man einmal mit mächtigen Feinden beschäftigt ist, man die benachbarten Kleinen auch noch dazunehmen müsse. Man kann bei diesen mit einem Coup gewinnen, was auf der andern Seite allenfalls verlorengeht. Was wurde aus den armen Schweden, die sich im letzten Schlesischen Krieg durch französische Subsidien in Pommern sprengen ließen? Und doch hatte der König von Preußen damals mit dem größten Teil von Europa zu schaffen. Was wurde aus den armen Sachsen? Aus der armen Reichsarmee? Und doch waren die sächsischen und die Reichstruppen besser unterhalten und wenigstens so gut diszipliniert, als die dänischen wirklich sind. Dänemark kann auch nicht, wie Sachsen, in irgendeinem Fall gezwungen werden, die Neutralität zu Land zu brechen, und hat also nicht nötig, deswegen sich immer in einem respektablen Stand zu erhalten. Von Schweden hat es aus mehr als einer Ursache nicht das geringste zu befürchten, und seine Lage setzt es auf allen andern Seiten sicher. - So sicher, wie Dänemark durch seine Lage ist, hätte es sich immer doch nur ungewisse Vorteile von seiner Landmacht zu versprechen, wenn es sie auch auf einen respektablen Fuß setzen könnte und bei irgendeiner Gelegenheit der angreifende Teil sein wollte. Dagegen wären die Vorteile gewiß, die es durch die Verwendung der Kosten seiner Landtruppen zum Anbau wüster Ländereien und zur Beförderung der Industrie erhalten könnte.


Ich war über diesen Punkt so umständlich, um dir und deinen Bekannten begreiflich zu machen, daß unser Hof zu den vielen Torheiten, die er in neuern Zeiten begangen hat, noch eine neue häufte, wenn er in gewissen Absichten dem dänischen Hof Subsidien bewilligte, wozu er Neigung zu haben scheint. Das Geld wäre in jedem Betracht weggeworfen. Die Hälfte davon bliebe den dänischen Ministern und Kommissärs an den Fingern kleben, und die andre Hälfte wäre sehr übel angewendet.

So überwiegend nun auch die Gründe gegen die dänische Landarmee sind, so macht man doch täglich dänische Projekte, um sie zu verstärken. Das eitle Ministerium, welches Struensee in seiner bekannten Rechtfertigung so getreu geschildert hat, will die Welt nicht vergessen lassen, daß ein Königreich Dänemark da ist. Es gibt sich ein unbeschreibliches Air von Wichtigkeit. Verschiedene kleine Neckereien großer Höfe, in die man es immer zu ziehen beliebt, machen es wähnend, daß es wirklich einigen Einfluß habe. Unterdessen wird ihm von allen Seiten eingeflößt. Ein Wort des russischen Ministers bringt die ganze Politik desselben außer Fassung und hat zu Kopenhagen wenigstens zwanzigmal soviel Gewicht als zu Wien oder Berlin.

Ratsamer wäre es noch, die Kräfte des Reichs bloß auf eine Seemacht zu verwenden. Es wäre der Lage des Landes und den Beschäftigungen seiner Einwohner gemäß. Mit einiger Unterstützung könnte sich dieses Reich auf diese Art doch in gewissen Fällen gefürchtet machen und wenigstens zur Kriegszeit seine Kauffahrt decken. Allein das dänische Ministerium will zu Wasser und zu Lande glänzen. Es hat zwanzig Linienschiffe, die von fünfzig Kanonen mitgerechnet, wovon aber nicht sechs imstand sind, in Zeit von sechs bis acht Wochen unter Segel zu gehen, ob man schon seit der Geburt der bewaffneten Neutralität an einigen Fahrzeugen rüstet. An verschiedenen Schiffen wird schon seit acht bis zehn Jahren repariert, und andre sind gar nicht mehr zu reparieren.

Die Leichtigkeit, womit sich Aventuriers Abenteurer, Glücksritter von der ersten Klasse von jeher in die dänischen Ratskollegien und bis ins Ministerium schwingen konnten, ist kein günstiges Vorurteil für die Staatsverwaltung dieses Hofes. Zu Hamburg hat man ein Sprüchwort, daß, wenn einer zu gar nichts mehr tüchtig ist, er doch wenigstens noch zu einem dänischen Rat zu gebrauchen wäre und sein Glück noch zu Kopenhagen durch Projekte machen könnte. In diesen Umständen kann es um den Patriotismus nicht gut stehen. Überhaupt ist die dänische Wirtschaft ein Beweis, daß die despotische Regierungsart bei all ihrer anmaßlichen Allmacht doch die schwächste unter allen Regierungsarten ist, wenn das Haupt nicht sehr gesund und stark ist. Die Minister reiten auf den Räten, diese auf den Sekretären, die Sekretären auf den Schreibern und die Weiber auf ihnen allen nach Belieben herum. Gar oft wird auch der Minister vom Rat und dieser vorn Schreiber geritten, und so herrscht eine stille Anarchie, in welcher die Ruhe und das Wohl des Landes oft bloß noch von einem Hosenknopf abhängt, und man hat sich dann nicht zu wundern, wenn an einem Hofe dieser Art manchmal solche Katastrophen ausbrechen, wie die vor zehn Jahren war. Prinz Friedrich, Stiefbruder des Königs, ist eine große Hoffnung für das Land und scheint mehr für die gute Sache als für die Kabalen und Intrigen des Hofes zu sein. Sein Einfluß ist aber jetzt noch eingeschränkt.

Auf meiner Rückreise aus Jütland nahm ich einen Umweg über Lübeck hieher. Diese Stadt, die ehedem an der Spitze des Hansebundes eine so große Rolle spielte und Königen auf den Thron half, ist nun, sowohl in Rücksicht auf Bevölkerung als auch auf Reichtum und Handlung, kaum die Hälfte von Hamburg. Gegen diese ohnmächtige Reichsstadt zeigt sich das dänische Ministerium in seiner ganzen Größe. Sie und Hamburg sind die einzigen Mächte, denen es wirklich fürchterlich ist. Besonders ist Lübeck der Gegenstand seiner Operationen. Wo es nur möglich ist, die arme Stadt zu bedrängen, läßt es dieselbe seine Überlegenheit mit allem Nachdruck empfinden. Geradezu und hart auf den Leib darf es ihr doch nicht gehn. Kaiser und Reich stehn für sie. Es muß seine Unternehmungen gegen dieselbe bloß auf eine Art von Blockade einschränken. - Das Band der deutschen Reichsstände ist in Rücksicht auf auswärtige Mächte viel fester, als manche glauben, und der Artikel in den kaiserlichen Wahlkapitulationen, „die Grenzen des Reichs nicht schwinden zu lassen“, hat, besonders unter Joseph dem Zweiten, seine gute Wirkung. Sogar unser Hof muß benachbarte kleine Fürsten Deutschlands so sehr und oft noch mehr menagieren menagieren - eigentlich: Essen in Empfang nehmen (beim Militär), hier: unterstützen als andre angrenzende souveräne Staaten. Er dürfte sich gegen die Reichsstadt Speyer das nicht erlauben, was er sich soeben gegen Genf 1782 besetzten französische Truppen die Republik Genf erlaubt hat, wo er mit gewaffneter Hand den Vermittler machte, nachdem er doch die Garantie dieses Staats förmlich und feierlich niedergelegt und also gar keine Verbindung mehr mit demselben hatte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.