Abschnitt 6

Hamburg (Mecklenburg)


Die Dänen sind noch wenigstens um ein Jahrhundert hinter den meisten protestantischen Völkern Deutschlands zurück und um kein Haar besser als die Bayern und Portugiesen. Sie sind das finsterste, schwerfälligste und trägste Volk, das ich noch gesehen. Liederlichkeit, Bigotterie und Unverträglichkeit zeichnen es von den meisten Protestanten Deutschlands so stark aus, daß man auf einen Blick von der Unwirksamkeit der Religion auf die Besserung der Menschen, wenn ihr nicht oft zufällige Nebenumstände zu Hülfe kommen, überzeugt wird. Es gibt wohl unter den Geistlichen dieses Landes aufgeklärte und wackere Männer; allein im ganzen sind sie ebenso stolz, so intolerant und unwissend als die Pfaffen in Spanien. Ich sah Pastors, die auch im Äußerlichen den spanischen Priestern vollkommen gleich waren. Sie trugen die Brillen geradeso hoch über der Nase, trugen den Hals ebenso steif, warfen geradeso den Kopf zurück, sprachen vollkommen so durch die Gurgel und die Nase und schritten ebenso aufgeblasen daher wie die Priester von Barcelona oder Saragossa. Wenn sie über einer Predigt sitzen, so tun sie, als wenn sie mit der Erlösung des Menschengeschlechts schwanger gingen. Ich besuchte einen, den man für einen großen Botaniker ausgab, der aber nicht viel mehr als die Heidekräuter seines Vaterlandes kennt. Er brütete eben seine Sonntagspredigt aus. Es blieb lang unentschieden, ob er mir Audienz geben wollte. Nachdem ich mit seinen zwei Töchtern, den dümmsten und unartigsten Kreaturen, welche ich noch gesehen habe, die mir, aus Ungezogenheit oder falschen Keuschheitsbegriffen, nie ins Gesicht zu sehen getrauten, eine halbe Stunde von Wind, Wetter und Sonnenschein verplaudert hatte, kam ihre hohlaugichte, dunkelgelbe Mutter aus dem Studierzimmer ihres Herrn Gemahls und kündigte mir an, daß der Herr Pastor entsetzlich viel mit seiner Sonntagspredigt zu schaffen habe, daß er aber jetzt ein Stündchen verschnaufen wolle und ich die Ehre haben könne, mit ihm eine Pfeife Tobak zu rauchen. Ich stand wirklich an, ob ich diese Ehre annehmen wollte; denn daß ich einem groben Pastor zum Vehikulum seines Verschnaufens dienen sollte, brachte meine Eigenliebe wirklich in einen kleinen Aufruhr. Ich überwand mich aus Achtung für die Landessitten, die ich auch den Hottentotten schuldig wäre, und wie ich zur Tür hineingetreten war, erhob sich der Herr Pastor sehr langsam von seinem großen gepolsterten Stuhl und ließ mir Zeit genug, über den Hinterteil seiner zottichten Perücke, den Contour seiner breiten Schultern und die Draperie seines langen, in der Mitte zusammengebundenen Schlafrocks Betrachtungen anzustellen. Endlich kam er durch den Labyrinth seiner unzähligen Bücher, die teils auf Stühlen, teils auf Pulten um ihn her lagen und ohne Zweifel alle auf seine Sonntagspredigt Einfluß hatten, zu mir hervorgekrochen. In vier bis fünf Minuten waren wir schon am Ende alles Gespräches. Ich zwickte an allen möglichen Saiten, aber kein Ton wollte auf dem dicken Pastor einen Widerhall hervorbringen. Als er endlich selbst bemerkte, daß er mir durch sein Verschnaufen Langeweile machte, nahm er seine Predigt zur Hand und las mir einige Perioden vor, um mich zu „desennuyieren“. die Langeweile vertreiben Ich hörte kein Wörtchen, denn der Tobaksdampf, den er mir während des Lesens unter die Nase blies, brachte mich vollends aus der Fassung. Hierauf hatte er noch den grausamen Einfall, mir seinen „Schatz“, wie er es nennte, zu eröffnen. Das war ein Schrank, welcher die Handschriften aller seiner Predigten, in acht bis zehn dicken Folianten, enthielt. Wie er den ersten herauszog, lief mir ein kalter Schauder über den Rücken, der mir einen Katarrh befürchtend machte. Er sah, daß es mir nicht wohl bei der Sache ward, und tröstete mich damit, daß er mir nur die Texte seiner Predigten in dem Register vorlesen wollte. Ich hielt ein Register aus; wie er aber zum zweiten Folianten griff, nahm ich Stock und Hut und eilte zur Türe.


In keinem protestantischen Land, das ich sah, selbst Holland nicht ausgenommen, stehen die Pfaffen noch in einer so dalai-lamaischen Achtung bei dem Volk als in Dänemark. Der Stolz und das eigenmächtige Ansehen der Diener der Religion sind ein sicherer Maßstab, die Aufklärung des Volkes und den Wert der Landesregierung zu berechnen. Die geistliche und weltliche Macht sind von Natur so eifersüchtig aufeinander, daß man allzeit Indolenz auf seiten der Landesregierung voraussetzen muß, wenn das Priestertum ein gewisses Übergewicht hat. Man weiß, wieviel Einfluß auch die dänische Geistlichkeit auf Struensees Struensee, Leibarzt des Königs und Geliebter der Königin, wurde Minister und führte Reformen durch, vom reaktionären Adel gestürzt und 1772 hingerichtet Sturz gehabt hat.

Überall, sogar auch in den Städten Dänemarks, in denen man doch ziemlich viele Ausländer antrifft, findet man Spuren von dem übermächtigen Einfluß und der Intoleranz der Geistlichkeit. An einigen Orten empfand ich eine beleidigende Verschlossenheit auch von angesehenen Leuten gegen mich, als ich ihnen erklärt hatte, daß ich ein Katholik wäre. In Horsens schien die Frau eines der besten Häuser nicht begreifen zu können, daß die Katholiken Christen wären. Man setzt uns wirklich mit den Heiden und Juden parallel. Ich glaube auch wirklich, daß Seine dänische Majestät, so uneingeschränkt auch ihre Gewalt im übrigen ist, den Schritt zur Toleranz ohne Gefahr nicht tun könnte, den der Hof zu Wien getan hat, welchem man doch noch vor wenig Jahren so bittere Vorwürfe wegen der Intoleranz und dem Ansehn seiner Geistlichkeit gemacht hat. Ein offenbarer Beweis, daß es in den österreichischen Staaten schon vor langer Zeit heller war, als es jetzt noch in Dänemark ist.

Man lebt in Dänemark beständig wie auf einem Schiffe, das eine Reise um die Welt macht. Gesalzener Speck, Hülsenfrüchte und Branntewein sind die hauptsächlichsten Nahrungsmittel der groben und trägen Einwohner, die bei ihren Nachbarn auch als tückisch und betrügerisch verschrien sind. Der unmäßige Gebrauch des Brannteweins trägt ohne Zweifel viel zu ihrer Indolenz, ihrer Dummheit und Verwilderung bei. Wenigstens legte der König von Schweden in einer den Branntewein betreffenden Verordnung diese Wirkungen demselben zur Last. Die Verwilderung ist besonders auf dem Lande sichtbar. Sie schreckte mich ab, meine Reise bis nach Ålborg und von da zurück durch Seeland und die übrigen Provinzen des dänischen Reiches fortzusetzen, wie ich mir vorgenommen hatte und welche Tour man, wenn man auch hie und da die Winkel besichtigen will, in acht bis zehn Tagen gemächlich vollenden kann. Der Schlamm des Meeres und der Flüsse in ihrer Mündung, den die Frösche den Einwohnern beständig streitig machen und welcher durch das Salz bis zur Geilheit fruchtbar gemacht wird, ist noch ziemlich gut angebaut. Sobald man sich aber einige Schritte weit von den Ufern entfernt, gerät man in Wüsteneien. Zwischen Arhus und Ringkøbing, welche Städte an den beiden entgegengesetzten Ufern der Halbinsel Jütland vierzehn deutsche Meilen voneinander entfernt liegen und das Nonplusultra meiner dänischen Expedition waren, erstreckt sich auf viele Meilen in die Länge und Breite hin eine Wildnis, die den tatarischen Steppen nicht unähnlich sein mag. Dieser Boden ist nicht unfruchtbar, sondern besteht aus einer grauen, etwas schweren und hie und da mit Sand untermischten Erde, die für ein so enges Reich, als das dänische ist, unschätzbar sein sollte. In Preußen hat man Erdreich angebaut, das nicht halb soviel natürlichen Wert hat als dieses. Die Natur selbst macht durch die starken Gesträuche und die fetten Gras- und Kräuterarten, welche diese Wildnis bedecken, den fühllosen Einwohnern Vorwürfe wegen ihrer Trägheit. Die Regierung machte einige Versuche, ihre Untertanen zum Anbau dieser Wildnis aufzumuntern; allein es fehlt allen dänischen Regierungsanstalten an Nachdruck, und die Trägheit des Volks läßt sich auch nicht in einem einzigen Fall besiegen, wenn sie zur Natur geworden ist. Die benachbarten Gemeinden fanden es für ihre hottentottische Wirtschaft zu gemächlich, daß sie ihr Vieh auf dieser Steppe konnten weiden lassen, als daß sie nicht gegen die Vorkehrungen der Regierung hätten protestieren sollen. Unterdessen zeigten diese Versuche der Regierung, daß man aus diesem Erdreich alles machen könnte, was man wollte. In Jütland weiß man noch nichts von den glücklichen Entdeckungen, die man in England, Frankreich, Deutschland und Schweden zum Behuf der Landwirtschaft gemacht hat. Wenigstens haben sie auf dieses Land noch keinen Einfluß, wenn sie vielleicht auch in die Studierzimmer einiger Gelehrten gekrochen sind. Der dummstolze Adel des Landes verwendet lieber sein Geld auf prächtige Gebäude, französische und englische Möbeln und kostbare Kleider als auf den Anbau von Ländereien und lebt größtenteils in der Hauptstadt. Die Landpfarrer, unter denen man in Norddeutschland, besonders in den preußischen Staaten, so viele Kenner und Beförderer der Landwirtschaft findet, haben in Jütland mehr mit Moses' Anstalten in der Wüste, die in der Bibel berichteten Wunder Moses‘ in der Wüste Sinai mit Ägypten, mit dem Bach Cedron der Bach Kidron, der am Garten Gethsemane vorbeifließt und Bileams Esel ein sprechender Esel, der auch Gespenster sehen kann, vgl. 4. Moses, 22 als mit ihrem Vaterlande zu schaffen. Die Kronbedienten haben alle die Nachlässigkeit und die Begierde, ihren Eigennutz zu befriedigen, welche von einer despotischen und schwachen Regierung unzertrennlich sind. Und wer sollte dann das Übel heben? - Die gute Zucht der dänischen und holsteinischen Pferde, welche dem Land beträchtliche Summen einträgt, beruht zum Teil auf Vernachlässigung des Ackerbaues. Die Marschländer an der See und den Flüssen erfodern keine mühsame Bearbeitung und sind größtenteils zu Weiden angelegt. Die Bauern sind daher nicht, wie in den Ländern, wo man mehr Mühe auf den Feldbau verwendet, gezwungen, ihre Pferde sehr frühe zu den schwersten Arbeiten zu gebrauchen und sie in den kritischesten Jugendjahren zugrunde zu richten. Die höhern Gegenden sind beinahe durchaus ungebaut. In den Städten, wo sich Fremde wegen der vorteilhaften Lage niederlassen, sieht es besser aus als auf dem Lande, und in den meisten fand ich einige blühende Manufakturen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.