Abschnitt 4

Hamburg (Mecklenburg)


Der ganz uneingeschränkte Kredit der hiesigen Bank ist ein Beweis, wie vermögend die Stadt im ganzen ist und wie richtig man hier über alles denkt, was Bezug auf die Handlung hat. Die Grundsätze, wornach diese Bank eingerichtet ist, sind die einfachsten, die sich denken lassen. Kein Papier, keine gewisse Münzsorte, kein eingebildeter Wert, sondern das wirklich bar daliegende und nach dem Pfund abgewogene Silber ist die Grundfeste dieser Bank, die sich bei allen Fremden in so großes Ansehen gesetzt hat und gewiß auch unter allen, die man nur kennt, die solideste ist.


Die Regierungsverfassung von Hamburg ist vortrefflich. Ich kenne keine Republik, die das Mittel zwischen Aristokratie und Demokratie so glücklich traf und sich gegen die Inkonvenienzen Übelstände beider Regierungsarten so sicherzusetzen wußte als diese. Die gesetzgebende Macht ist in den Händen der gesamten Bürgerschaft. Sie ist nach den fünf Kirchspielen der Stadt eingeteilt. Das erste Kollegium oder der erste Ausschuß derselben besteht aus den Oberalten, deren aus jedem Kirchspiele drei von den verschiedenen Gemeinden dazu erwählt werden. Zu dem zweiten Ausschuß wählt jedes Kirchspiel noch neun Personen, so daß er mit den Oberalten ein Kollegium von sechzig ausmacht. Zu dem dritten Ausschuß gibt jedes Kirchspiel noch vierundzwanzig, so daß er mit den beiden erstern aus 180 Personen besteht. Gewisse Dinge werden vom Rat stufenweis bloß vor diese drei Ausschüsse der Bürgerschaft gebracht; wenn aber ein neues Gesetz oder eine Auflage zu machen ist, so muß es, wenn es vor diesen Ausschüssen war, auch noch der gesamten Bürgerschaft vorgetragen werden. Bei dieser Bürgerversammlung müssen die 180 und aus jedem Kirchspiele noch sechs sogenannte Adjunkten Adjunkt - Assistent eines Beamten notwendig erscheinen. Von den übrigen Bürgern darf jeder, der ein eigenes Haus oder unbewegliches Gut schuldenfrei oder eine bestimmte Summe bares Geld über den Wert besitzt, um welchen das Haus oder das Gut verhypothesiert hier: im Wert eingeschätzt ist, bei dieser Versammlung erscheinen und seine Stimme geben.

Das elende Zunftsystem, welches in andern Republiken, die sich der Demokratie nähern, oft zu so lächerlichen und oft auch zu so abscheulichen Auftritten Anlaß gibt, hat also hier keinen Einfluß auf den Staat. Kein Handwerk kann hier, wie in manchen andern republikanischen Städten, das ganze Volk tyrannisieren, und der Schusterleist kann nicht der Maßstab vom Wohl des gemeinen Wesens werden. Es ist auch dafür gesorgt, daß die Volksluft, welche in Staaten, die der demokratischen Verfassung so nahe als Hamburg sind, oft die weisesten Verordnungen und die gemeinnützigsten Entwürfe verweht, dem hiesigen Staat nicht so leicht nachteilig sein kann. Ehe ein Gesetz vor die gesamte Bürgerschaft kommt, ist es schon von dem bessern Teil derselben geprüft worden, und es ist dann nicht schwer, das Volk für die gute Sache zu gewinnen, da es zu seinen von ihm selbst gewählten Ausschüssen Zutrauen haben muß. Der Hauptausschuß ist auch zu zahlreich, als daß sich eine besondre Partei durch die bekannten demokratischen Künste leicht überwichtig machen könnte. Da die Ausschüsse für eine lange Zeit gewählt sind und nicht leicht abgeändert werden, so sind ihre Mitglieder mit dem wahren Zustand des gemeinen Wesens bekannt genug, um ihren Gemeinden und der gesamten Bürgerschaft einen genauen und deutlichen Begriff von dem Sinn der Gesetze, Verordnungen und öffentlichen Anstalten geben zu können. Die Verteilung der Bürgerschaft nach den Kirchspielen hat auch noch den Vorteil, daß die Familienverbindungen nicht so leicht ein schädliches Übergewicht bekommen als in den Republiken, wo dieselbe in Zünfte oder beliebige gewählte Gesellschaften verteilt ist. Wenn du dir die Mühe nimmst, diese Verfassung mit andern republikanischen Formen zu vergleichen, so wirst du leicht noch mehr Vorteile herausrechnen können.

Der Rat, welcher die vollziehende Gewalt in Händen hat, besteht aus sechsunddreißig Personen, nämlich vier Bürgermeister, vier Syndiks, Syndikus - Bevollmächtigter einer Körperschaft vierundzwanzig Ratsherren und vier Sekretärs: Aber bloß die Stimmen der Bürgermeister und Ratsherren werden gezählt. Er wählt seine Glieder selbst nach vorläufigem Vorschlage durch das Los. Seine Gewalt, die sich nämlich bloß auf Vollziehung der Gesetze bezieht, ist uneingeschränkt, und die Gerechtigkeit und Polizei haben deswegen hier eine Kraft, die sie in wenigen so demokratischen Republiken haben. Er besteht nicht aus Leuten, die gar keinen Beruf zum Regieren haben können, wie in andern Republiken. Drei von den Bürgermeistern, elf Ratsherren und alle Syndiks und Sekretärs müssen Gelehrte und sogar Graduierte sein und Beweise von ihren erfoderlichen Kenntnissen abgelegt haben. Ein Bürgermeister und dreizehn Ratsherren müssen, der Natur der Republik gemäß, Kaufleute sein. Die Einkünfte von den Ratsstellen selbst sind unbeträchtlich genug, um den Geiz von der allgemeinen Staatsverwaltung entfernt zu halten. Ehre, Tugend und Geschicklichkeit sind die vorzüglichsten Beweggründe zur Bewerbung. Wenn einer die Ratsstelle, wozu er gewählt wird, ausschlägt, muß er sogleich die Stadt räumen. Die Anzahl der Ratsglieder ist zu gering, als daß die Familienparteilichkeiten der Gerechtigkeit und Polizei öfters hinderlich sein könnten. Kurz, die gesetzgebende Macht ist so sanft und populär, als sie sein kann, und die vollziehende Macht ist, wie sie sein muß, monarchisch strenge, und Hamburg ist wirklich das Muster einer wohleingerichteten Republik.

Malversationen Veruntreuungen mit den Staatsgeldern sind hier höchst selten und fast unmöglich, weil die Leute, welche sie verwalten, keine Glieder des Rats sind, sondern unter der strengen Aufsicht desselben und der Bürgerschaft stehen und zur pünktlichsten Rechenschaft gezogen werden. Sie sind eine besondere Deputation der Bürgerschaft, die aus zehn Personen besteht, wozu jedes Kirchspiel zwei teils durch Wahl, teils durchs Los deputiert. Alle sechs Jahre legt jeder dieser Deputierten sein Amt nieder, und sein Kirchspiel wählt einen andern an seine Stelle. Dies geschieht nicht, um, wie in andern Republiken, mehrere am gemeinen Besten teilnehmen zu lassen, sondern um die Deputierten von einer wirklichen Last zu befreien.

Die Einkünfte der Stadt sind sehr beträchtlich und fließen teils aus alten beständigen Quellen, teils aus unbeständigen Auflagen, die von der Bürgerschaft bewilligt werden. Gewisse Kontributionen hier: Beitrag zu einer gemeinsamen Sache hat der Bürger das Recht in einem verschlossenen Beutel den Deputierten einzuhändigen, den sie in seiner Gegenwart nicht öffnen dürfen. Die Stadt hat auch ungeheure Ausgaben. Um den Ausfluß der Elbe, worauf das ganze Wohl der Republik beruht, nicht versanden zu lassen und ihren bei der Mündung des Flusses gelegenen Hafen im Stand zu erhalten, hat sie Anstalten treffen müssen, die dem Anschein nach ihre Kräfte übersteigen sollten. Ihre sämtlichen Einkünfte sollen sich auf beinahe vier Millionen Mark belaufen und reichen kaum zum nötigen Aufwand zu.

Die schnellen und beständigen Revolutionen hier: Schwankungen, Veränderungen in dem Vermögen der einzeln Bürger setzen diesen Staat vielleicht noch wirksamer als seine Verfassung gegen Oligarchie und Familienkomplotte sicher. Hier weiß man nichts von herrschenden oder gefährlichen Häusern, von welchen keine unserer heutigen Republiken frei ist. Ein Beweis von der guten Einrichtung und der vortrefflichen Verwaltung dieser Republik ist, daß sie vielleicht die einzige deutsche Reichsstadt ist, die keine Prozesse mit sich selbst bei den Reichsgerichten führt. Zu Wien nennte man mir verschiedene Reichsstädte, deren manche Prozesse zu Dutzenden gegen sich selbst beim Reichshofrat anhängig gemacht hat. Zu Anfang dieses Jahrhunderts war Hamburg auch in einer starken Gärung, die aber 1708 durch die wohltätige Verwendung des kaiserlichen Hofes und die Klugheit verschiedener Patrioten so gänzlich unterdrückt wurde, daß die Ruhe des Staats seitdem nicht die geringste Erschütterung mehr erlitten. Die Bande der Gesellschaft sind wirklich zu fest, als daß einige Zerrüttung in Zukunft zu befürchten stünde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.