Abschnitt 3

Hamburg (Mecklenburg)


Zuckerrohr ist der Hauptartikel, den Hamburg aus Spanien zieht und womit es ungeheure Summen gewinnt. Keine Nation hat es bisher den Hamburgern im Zuckersieden zuvortun können, und der Handel mit diesem Artikel erstreckt sich durch ganz Deutschland, Polen und einen großen Teil der Nordländer. Weine, Salz, Baumwolle, Früchte usw. sind ebenfalls sehr wichtige Artikel, die Hamburg den Spaniern abnimmt und womit es einen sehr ausgebreiteten Handel in Norden treibt. Nebst dem machen die Kattun-, Strümpf- und Bandfabriken, die Spezereien und der Fischfang einen großen Teil des soliden Handels dieser Stadt aus. Nirgends gibt es auch feinere und kühnere Spekulanten als hier. Kein Umstand, kein Augenblick, der einem gewissen Artikel günstig ist, entgeht ihnen. Der jetzige Krieg hat hier erstaunliches Geld aufgehäuft.


Die aufgeklärten und patriotischen Regenten dieser Stadt unterlassen nichts, was zur Ausbreitung der Handlung beitragen kann. Vor mehrern Jahren suchten sie wegen dem Anschein großer Vorteile ihren Mitbürgern den Handel nach den Küsten der Barbarei zu eröffnen. Die Holländer wurden eifersüchtig darauf und machten den König von Spanien glaubend, die Hamburger führten zu seinem Nachteil den Sarazenen Kriegsvorrat zu. Der König ergriff diesem Wahn gemäße Maßregeln, welche den hiesigen Kaufleuten diesen neuen Kanal verstopfen, dem sie den ungleich wichtigern Handel mit den Untertanen desselben nicht aufopfern konnten.

Auf allen Seiten ist diese Stadt im Gedränge mächtiger Rivalen, über deren Bedrückungen aber allzeit ihre Industrie, Klugheit und Freiheit siegen. Die dänische Regierung unterläßt nichts, was dieser Stadt schaden kann. Oft sucht sie dieselbe ohne einen abzusehenden Vorteil bloß zu necken. Die dänischen Minister glauben, der Kanal, wodurch sie die Ostsee mit dem deutschen Meere Nordsee vermittelst des Eiderflusses wirklich verbinden wollen, werde der Handlung von Hamburg und Lübeck unheilbare Wunden versetzen; allein die Regierung und der kluge Teil der hiesigen Bürgerschaft sind so ruhig darüber, als wenn Seine dänische Majestät einen Kanal in Grönland graben ließe. Auf der andern Seite erschwerte der König von Preußen durch seine fürchterlichen Zölle die Kommunikation dieser Stadt mit Sachsen vermittelst der Elbe, die für beide Teile ungemein wichtig ist. Der weise Rat von Hamburg trat hierauf in Unterhandlung mit den Regierungen von Hannover und Braunschweig und entwarf den Plan zu einer Straße, welche den Handel zwischen Sachsen und dieser Stadt erleichtern sollte. Der König von Preußen sah, daß nun seine Elbzölle eher ruiniert würden als die Handlung zwischen Hamburg und Sachsen, und setzte sie demzufolge herab. Sie sind immer noch sehr lästig für die Sachsen und Hamburger, allein sie müssen doch in gewissen Schranken bleiben.

Aller Bedrängnisse ungeachtet, hat die Handlung dieser Stadt in diesem Jahrhundert immer zugenommen. Die durch den stärkern Anbau, die wachsende Bevölkerung und den Luxus der Nordländer vermehrte Konsumtion hat ohne Zweifel das meiste hiezu beigetragen. Allein bloß die Freiheit würde imstand gewesen sein, eine Menge Hindernisse zu besiegen, welche feindselige Nachbarn der hiesigen Handlung in den Weg zu legen suchten. Während daß die benachbarten Regierungen ihre mannigfaltigen Akzis- und Mautsysteme einführten und dadurch ihren Untertanen so viele Handlungskanäle verstopften, eröffnete man hier der Aus- und Einfuhr der Waren ohne den geringsten Unterschied alle mögliche Türen und suchte die Zölle eher zu verringern als zu erhöhen. Diese uneingeschränkte Handlungsfreiheit entspricht vollkommen der Verfassung und der Lage der Stadt, und sie war das einzige Mittel, welches die kluge Regierung derselben ergreifen konnte, um die Republik aufrechtzuerhalten. Wenn aber die Stadt nicht eine besondere selbständige Republik ausmachte, so würde diese eingeschränkte Handlungsfreiheit dem Staat, welchem die Stadt zugehörte, sehr nachteilig sein, indem sie zum Teil auf dem Luxus und der Verschwendung des benachbarten platten Landes beruht und nur auf Kosten andrer Teile dieses Staates bestehen könnte. Die hiesigen Politiker haben recht, wenn sie behaupten, die uneingeschränkteste Handlungsfreiheit sei die Grundfeste des Wohls ihrer Vaterstadt; allein sie haben sehr unrecht, wenn sie, wie sie allgemein tun, das preußische Akzissystem für ein wahnsinniges und land- und leutverderbliches Unternehmen hatten. Mit einer einzeln unabhängigen Stadt verhält es sich ganz anders als mit einem großen Staat. Die Handlung, welche die Herren Hamburger bereichert, macht viele Holsteiner und Mecklenburger arm, denen sie soviel Geld für Kaffee, Zucker, Wein und dergleichen mehr abzapft, und sie könnte des Königs von Preußen beste Provinz in kurzer Zeit zugrunde richten, so wie die blühende Handlung von Danzig sehr viel zur Verarmung des ganzen weiten polnischen Reiches beigetragen hat. Wenn Hamburg ein beträchtliches Gebiet hätte, so würden seine Regenten bald die schlimmen Folgen einer unbedingten Handlungsfreiheit empfinden, wenigstens wenn sie nicht, wie die Regenten einiger andern Republiken, das Landvolk den Bürgern der Stadt gänzlich aufopfern wollten. Unterdessen hat bloß das Geschrei der aus- und inländischen Kaufleute, von denen der König von Preußen seine Bauren nicht will plündern lassen, ihn bei den Leuten von Herrn Wraxalls Art in den Ruf der Tyrannei gebracht.

Das Vermögen der hiesigen Einwohner ist einer beständigen Ebbe und Flut gleich. Die kostbare Lebensart ist die Ursache, daß wenige sehr reiche Häuser hier sind und vielleicht keines aufzufinden ist, das sich über sechzig Jahre lang in einem gewissen Glanz erhalten hat. Das ungeheure Vermögen dieser so mächtigen Handelsstadt ist so sehr verteilt, daß nicht über fünf Millionärs hier zu finden sind, aber die Zahl der Häuser von 300- bis 600.000 Gulden ist sehr groß. Sobald es ein Kaufmann auf die 100.000 Gulden gebracht hat, muß er seine Equipage und seinen Garten haben. Sein Aufwand steigt mit seinem Vermögen, und dann ist der kleinste Schlag imstand, ihn wieder in den Kot zurückzuwerfen, aus dem er sich freilich wieder sehr leicht herausarbeiten kann. Hamburg ist darin wirklich einzig, daß man hier viele Leute findet, die zwei-, drei- und viermal bankrutt geworden und doch wieder bei Kräften sind. Der Mann, der seine 200 bis 300.000 Gulden Vermögen hatte und sowohl in seiner Wirtschaft als auch in seinen Handelsgeschäften mehr Lärmen damit machte als mancher Amsterdamer mit vielen Millionen, verliert augenblicklich sein Comptoir, sein Haus, seine Magazine, seinen Garten, seine Kutschen und Pferde, läuft des andern Tages wieder als Mäkler in der Stadt herum, und kaum ist sein altes Hab und Fahrt vom Gerichte verkauft, so hat er schon wieder sein Comptoir, kauft sich wieder ein Haus, fährt gar bald wieder mit zwei prächtigen Holsteinern herum, hat wieder seinen Garten, seinen Koch, seine Spieltische, und, husch! ist er wieder ein Mäkler. Die unbeschreibliche Leichtigkeit, das Geld umzusetzen, macht die Kaufleute hier zu kühn, und ein Hamburger macht mit 50.000 Gulden gewiß mehr Geschäfte als ein Holländer mit 200.000; allein dagegen ist er auch den schlimmen Zufällen mehr ausgesetzt als dieser. Die Sicherheit, in seinem Alter nicht darben zu müssen, macht ihn vollends sorglos. Nirgends hat man für die Bankruttiers so günstige Einrichtungen als hier. Sie erhalten, wenn sie nicht wieder mäklen und ihr Glück von neuem versuchen wollen, Stadtdienste, von welchen sie gemächlich leben können, und man hat auch besondre Fonds, um arme Bürger, unter denen man hier nichts als Bankruttiers versteht, zu unterstützen. Überhaupt findet man nirgends so vortreffliche Armenanstalten als hier. Man sieht überall, daß Bankruttiers von jeher Teil an der Gesetzgebung und Staatsverwaltung gehabt haben und sich und ihre Nachkommenschaft auf alle Fälle sichersetzen wollten.

Die schnellen und beständigen Revolutionen in den Handelshäusern geben hier dem Kaufmannsgeist einen Schwung, den er nirgends in der Welt hat. Nirgends tut das kaufmännische Genie so viele Wunder als hier. In richtigen Beurteilungen, Kalkulationen, Spekulationen und glücklichen Coups übertreffen die Hamburger weit die Holländer, und unter den hiesigen Mäklern findet man mehr echte Handlungstheorie als in manchen dicken Büchern, die hierüber geschrieben worden. Nur muß man dieselbe nicht statistisch betrachten wollen, denn für Zölle, Akzise und alles, was dem modernen Judaismus im Weg steht, haben sie keinen Sinn. Der Schliff und die Biegsamkeit, welche die häufigen und mannigfaltigen Zufälle dem hiesigen Handlungsgeist geben, sind in Rücksicht auf das Ganze ein größeres Kapital als die Millionen der Holländer, die geschickter sind, das Geld zu behalten als zu erwerben. Mit der nämlichen Leichtigkeit, womit der Hamburger fällt, arbeitet er sich auch wieder empor, dahingegen der Holländer ohne die äußerste Kärglichkeit und angestrengten Bemühungen sein Glück nicht machen kann und, überhaupt genommen, bloß durch den Fleiß und Sparsamkeit seiner Ahnen vermögend ist. Reiche Erben sind hier, nach dem Verhältnis der ganzen Geldmasse, sehr selten, weil dieselbe zu sehr verteilt und ihre Ebbe und Flut zu schnell ist. Verstand und Industrie sind hier das Hauptkapital des einzeln Kaufmannes.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.