Vierzehnter Brief. - Paris, Mittwoch, den 17. November 1830. - Gestern bin ich in mein neues Logis gezogen. ...Es ist alles so voll von Möbeln, daß ich kaum Platz zu wohnen habe....

Vierzehnter Brief. - Paris, Mittwoch, den 17. November 1830

Gestern bin ich in mein neues Logis gezogen. Ich wohne – o der Schande! – wie eine Operntänzerin, die einen reichen Liebhaber hat. Alle Möbel von Mahagoni, Marmor und Bronze; prächtige Pendule; fünf große Vasen, voll der schönsten Blumen; stolze allerhöchste Flambeaus, die sich der bürgerlichen Talglichter schämen, die ich ihnen aufgesteckt; Stühle und Sofa, mit braunem gelbgeblümten Samt überzogen; die zärtlichsten Bergères, in die man eine halbe Minute einsinkt, ehe man den Grund erreicht; scharlachrote Fußdecken und die Wände mit Spiegeln bedeckt. Es ist alles so voll von Möbeln, daß ich kaum Platz zu wohnen habe. Unter den vielen Kostbarkeiten wage ich micht nicht zu bewegen, wage ich nicht, was sonst meine Lust ist, gedankenlos oder gedankenvoll im Zimmer auf und ab zu gehen; denn da steht überall umher so viel herabzuwerfen, so viel Zerbrechliches, daß die kleinste Zerstreuung mich zugrunde richten könnte. Einige Schlingels von Deutschen, welche mich besuchen, machen mir die größten Sorgen. Sie rauchen Zigarren, und die heiße Asche, welche herabfällt, brennt Löcher in die Fußdecke. Dann schaukeln sie sich mit vaterländischer Ungezogenheit und ausländischer Lebhaftigkeit auf den Stühlen und halten mich in beständiger Angst, daß sie einmal das Gleichgewicht verlieren und auf eine teure Vase oder einen, selbst vereinigtem Patriotismus unbezahlbaren Spiegel fallen möchten. Mein Schlafzimmer – das ist über alle Beschreibung. Die darin befindlichen Möbels und Toilettengerätschaften sind nach den schönsten herkulanischen Mustern, teils im hetrurischen, teils im griechischen Stile geformt. Ich wasche mich aus einem delphischen Weihkessel und knüpfe mein Halstuch vor einem Altare der Venus. Mein Bett ist das Lager der Aurora. Morgenrote Wolken, von weißen und grünen Sonnenstreifen durchzogen, schmücken seinen Himmel. Die Wand, an welcher es steht, ist ein großer Spiegel; darin muß ich mich beschauen – da ist keine Rettung. Das Kopfkissen ist mit Spitzen garniert, die mir wie Spinnen im Gesicht herumkrabbeln und mich schon einige Male auf eine schauerliche Weise aus dem Schlafe geweckt haben. Kurz, es gibt nichts Schöneres, Anmutigeres, Adligeres als meine neue Wohnung; sie ist ein kostbares Etui, das nur viel zu zierlich ist für den unzierlichen Schmuck, den es einschließt.


– Sie werden gelesen haben, daß die französische Regierung die Juden auf gleichen Fuß mit den christlichen Staatsbürgern setzen und die Besoldung ihres Kultus übernehmen will. Es ist doch wieder ein Schritt vorwärts. Wie lange wird es noch dauern, bis man bei uns an so etwas nur denkt – von der Ausführung gar nicht zu sprechen. Die gefoppten Theologen des adligen Tugendbundes haben in ihrer Weisheit und Menschenliebe die Lehre zu verbreiten gesucht: die bürgerliche Gesellschaft sei eine Taufanstalt, und es könne daher ein Jude kein Staatsbürger sein. Diese frommen Herren haben schwere Köpfe und noch schwerere Füße. Erst dauert es Jahrhunderte, bis sie fortschreiten wollen, und dann andere Jahrhunderte, bis sie fortschreiten können. Es ist zum Erbarmen!

Aber die französische Regierung, wie jede andere, sieht ihre Entwickelung zur Freiheit als eine auferlegte Buße an, und gleich jenen Wallfahrern nach Rom macht sie einen Schritt zurück, sooft sie zwei Schritte vorwärts getan. Den Juden hat sie etwas gegeben, und dafür hat sie der Preßfreiheit viel genommen. Die Kautionen für die Journale, eine Tyrannei der vorigen Regierung, sollen beibehalten werden. Es ist dieses so sehr gegen den Geist der Freiheit, daß man die letzte Revolution als ganz fruchtlos ansehen kann. Wie merkwürdig! Diese Juliregierung, die kaum aus dem Ei gekrochen und noch ganz dottrig ist, kräht schon wie ein alter Hahn und tut stolz und fest wie ein unbestrittener Hofkönig! Die Majorität der Kammer unterstützt sie nicht bloß in ihren unbedachten Schritten, sondern sie verleitet sie noch dazu. Das sind die Gutsbesitzer, die reichen Bankiers, die Krämer, die sich mit einem vornehmen Worte die Industriellen nennen. Diese Menschen, die funfzehn Jahre lang gegen alle Aristokratie gekämpft – kaum haben sie gesiegt, noch haben sie ihren Schweiß nicht abgetrocknet und schon wollen sie für sich selbst eine neue Aristokratie bilden: eine Geldaristokratie, einen Glücksritterstand. Wehe den verblendeten Toren, wenn ihr Bestreben gelingt; wehe ihnen, wenn der Himmel nicht gnädig ist und sie aufhält, ehe sie ihr Ziel erreichen. Die Aristokratie des Adels und der Geistlichkeit war doch nur ein Prinzip, ein Glaube; man konnte sie bekämpfen und besiegen, ohne den Edelleuten und den Geistlichen in ihrer sinnlichen Lebenssphäre wehe zu tun. War dieses in der Französischen Revolution doch geschehen, so war dieses nur Mittel, nicht Zweck, war eine zwar schwer zu vermeidende, doch keineswegs notwendige Folge des Kampfes. Werden aber Vorrechte an den Besitz gebunden, wird das französische Volk, dessen höchste Leidenschaft die Gleichheit ist, früher oder später das zu erschüttern suchen, worauf die neue Aristokratie gegründet worden – den Besitz, und dieses wird zur Güterverteilung, zur Plünderung und zu Greueln führen, gegen welche die der frühern Revolution nur Scherz und Spiel werden gewesen sein. Was mich aber an diesen Journalkautionen am meisten betrübt, sind die üblen Folgen, welche sie, wie ich sicher erwarte, für Deutschland haben werden. Unsere Regierungen werden gewiß, wenn sie den Forderungen der Preßfreiheit nicht länger ausweichen können, jene französische Erfindung der Kautionen benutzen, und dann ist Preßfreiheit nur ein trügerisches Wort. Wir haben keine reichen Schriftsteller, wie es deren so viele in Frankreich gibt; sie sind alle arm oder dem Staate dienstbar. Keiner wird daher imstande sein, die Kaution aus seinem eigenen Vermögen zu leisten, und man wird, um ein Journal zu gründen, sich in den Sold eines Buchhändlers geben müssen, der nur auf seinen merkantilischen Vorteil sieht und daher leicht durch Hoffnung des Gewinns bestochen oder durch Furcht vor Verlust eingeschüchtert werden kann.

– Das Gebet um Preßsklaverei in der Münchener Flora hat mich erquickt wie bayrisch Bier. Ich danke Ihnen dafür. Gerät diese holde Flora einmal in meine Gewalt, o wie will ich sie zerblättern und zerknittern! Sie können mir keine größere Freude machen, als wenn Sie mir deutsche Dummheiten mitteilen. Gestern las ich wieder etwas sehr Schönes von dem Berliner Korrespondenten in der Allgemeinen Zeitung, meinem Schätzchen. Er sagt unter andern: der Volksauflauf neulich in Berlin hätte gar nichts zu bedeuten gehabt, das wären bloß „Neugierigkeitsaufläufe“ gewesen. So wird doch immer auf das beste dafür ge sorgt, daß ich in Frankreich mein Deutsch nicht verlerne!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Paris.