Dienstag, den 16. November.

Dienstag, den 16. November

Mit Belgien, denke ich, wird sich alles friedlich beilegen. Die großen Mächte haben seine Unabhängigkeit bereits anerkannt und dem Gedanken entsagt, ihm den Prinzen von Oranien aufzudringen. Nur das eine wird verlangt, daß es sich zu keiner Republik mache. Die meisten, wenigstens die einflußreichsten Belgier sollen freilich für die republikanische Regierungsform gestimmt sein; sie werden aber nachgeben müssen. Ich wollte, sie gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik weder Belgien noch einem andern Lande unsers entnervten Weltteils zuträglich; doch wäre das an deutscher Grenze von großem Vorteile; es würde unsern Absolutismus etwas geschmeidiger machen. Die Furcht ist die beste Gouvernante der Fürsten, die einzige, der sie gehorchen. Die Furcht muß Deutschlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung ist aufzugeben. Auf Talleyrand in London setze ich großes Zutrauen, und ich lasse mich hierin von den Pariser Manieristen nicht irremachen. Er setzt bestimmt alles durch; denn er ist der einzige Staatsmann, der keine Leidenschaften und kein System hat und darum die Verhältnisse klar erkennt, wie sie sind. Er wußte die Fehler der andern immer sehr gut zu benutzen, und an Fehlern wird es auch diesmal nicht fehlen. Ich muß lachen, sooft ich den Jammer in den liberalen Zeitungen lese, Talleyrand werde als ein Mitarbeiter an dem Wiener Frieden die Beschlüsse und Verträge der heiligen Allianz verteidigen. Das ist der rechte Mann, dem etwas heilig ist!


Ich will es wohl gern glauben, wie es auch hier von vielen behauptet wird, daß die Katastrophe von Antwerpen von den Insurgenten übermütig herbeigezogen worden; daß Chassé zum Bombardieren gezwungen worden ist; aber was ändert das? Man muß sich nur immer fragen: wem gehört Belgien oder jedes andere Land? Gehört es dem Volke, oder gehört es dem Fürsten? Die Belgier mögen vielleicht unrecht haben mit ihrem Könige – ich habe selbst nie deutlich eingesehen, worüber sie zu klagen hatten – aber es ist jeder Herr in seinem Hause, und ein König, den man nicht leiden kann, und wäre es auch bloß wegen der Form seiner Nase, den wirft man mit Grund zur Türe hinaus. Ich finde das ganz einfach. Der französische Gesandte in Holland, der nach dem Bombardement dem Könige Vorstellungen machte wegen des Schadens, den die französischen und andern Kaufleute in Antwerpen erlitten, erhielt vom Könige zur Antwort: Mr. l'Ambassadeur, je ne sacrifierai jamais les droits de ma couronne aux intérêts particuliers. Das soll erhaben sein! Ich finde es sehr lächerlich. Man macht noch viel zu viel Umstände mit den Königen, man heuchelt zu viel. Man sollte ihnen allen einen Termin von vier Wochen setzen, binnen welchen sie eine bessere Regierung einzuführen hätten, oder – fort mit ihnen.

– Das Buch der Lady Morgan habe ich noch nicht gelesen; ich will es mir aber heute noch holen lassen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Begeisterung, mit der sie von ihr spricht. Es ist eine Straße einzig in der Welt, die schönste Symphonie von Kunst, Natur, Geist und Leben. Es ist ein Anblick, das kurzsichtigste Auge, die engste Brust zu erweitern. Ich wollte, unsere Philister wohnten alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, statt nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein sie, sondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen werden. Mich ärgert es, sooft ich hierher komme, daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumieten. Den ganzen Tag stände ich am Fenster und blätterte in dem großen Buche mit den schönen Zeichnungen. Ich hätte gar nicht nötig, aus dem Hause zu gehen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber Geld, Geld! nervus rerum gerendarum – das heißt auf Deutsch: ich habe schwache Nerven. – Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andachtstunden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Paris.