Dienstag, den 21. Dezember.

Dienstag, den 21. Dezember

Gestern war wieder ein unglückschwangerer Tag für Paris, Frankreich, die Welt, und heute, morgen kann das Gewitter losbrechen. Die Regierung hat schon seit acht Tagen eine Verschwörung entdeckt, und viele Menschen sind arretiert worden. Man fordert das Leben der Minister, deren Prozeß sich wahrscheinlich morgen entscheidet. Gestern versammelten sich einige tausend Menschen vor der Pairskammer mit drohenden Äußerungen, und heute fürchtet man größern Aufruhr. Ich bin doch ein rechter Unglücksvogel! Ich mußte mir gestern einen Zahn herausnehmen lassen und kann noch heute wegen meines dicken Gesichts nicht ausgehen. Ganz Paris kann heute in Flammen stehen, und ich werde nichts erfahren, bis heute Abend die Zeitung kommt. Sie freuen sich vielleicht darüber und wünschen mir meine Zahnschmerzen von ganzem Herzen. Ich ärgere mich, und dazu habe ich noch 20 Franken für das Zahnherausziehen bezahlen müssen. Was man hier geprellt wird! Wie die Blutsauger hängen sich die Pariser an den Fremden und ziehen ihm das Geld aus. Ich hoffe, daß die Regierung Kraft genug haben wird, die Unruhen zu dämpfen; es bleibt aber immer eine bedenkliche Sache. Man kann auf die Nationalgarde nicht fest zählen; ein großer Teil derselben ist rachedurstig gegen die Minister und würde einem Volksaufstande keinen ernstlichen Widerstand leisten. Dazu gesellen sich noch 1. überspannte Köpfe, die eine Republik haben wollen. 2. Mäßigere, die mit dem Gange der Regierung nicht zufrieden sind und eine liberalere Kammer und ein liberaleres Ministerium wünschen. 3. Die Anhänger Karls X. 4. Endlich die Emigrierten aus allen Ländern, Italiener, Spanier, Polen, Belgier, die Frankreich in einen Krieg verwickeln wollen, damit es in ihrem eignen Lande auch endlich einmal zur Entscheidung komme. Diese letztern sollen besonders großen Teil an der Aufhetzung haben. Heute wird die Pairskammer von dreiunddreißigtausend Mann Nationalgarden und Linientruppen beschützt sein. Wenn es nur zu keiner neuen Revolution kömmt, mir täte das bitter leid; denn es könnte alles wieder darüber zugrunde gehen. Sie werden die Verteidigungsrede der Minister wohl im Constitutionnel lesen. Am besten nach meiner Ansicht hat Peyronnet gesprochen, der doch gewiß der schuldigste ist. Aber er ist ein Mann von festem Willen, und darum hat er auch am meisten gerührt; er hat geweint und weinen gemacht. Polignac zeigt sich als ein solcher Schwachkopf und seelenloser Höfling, daß man ihn bemitleiden muß. Er verdient es gar nicht, geköpft zu werden. Der Advokat und Verteidiger des Guernon Ranville, namens Crémieux, der gestern gesprochen, ist aus Gemütsbewegung in Ohnmacht gefallen und mußte weggebracht werden. In welcher schrecklichen Lage sind doch die vier unglücklichen Minister! Und ihre armen Weiber und Kinder! Gewöhnliche VerbreCher dürfen doch hoffen, die Richter würden ihnen das Leben schenken; aber die Minister müssen vor ihrer Freisprechung zittern, weil sie dann schrecklicher als durch das Schwert des Henkers, durch die Hände des Volks, ihr Leben verlören. Am meisten dauert mich der Guernon Ranville. Dieser ist der schuldloseste von allen; er hat an den Ordonnanzen den wenigsten Teil genommen, er war nur schwach und ließ sich verführen. Und dieser ist krank und hat eine Krankheit, die ich kenne, die ich vor zwei Jahren in Wiesbaden hatte, kann ohne Schmerzen kein Glied bewegen, und so, bleich, leidend, fast ohne Kraft der Aufmerksamkeit, muß er täglich sieben Stunden lang in der Pariskammer schmachten und zuhören, wie man sich um sein Leben zankt! Dagegen war doch mein Rheumatismus, von Ihnen gepflegt, gewiß eine Seligkeit. Und doch stähle ich mich wieder und mache mir meine Weichherzigkeit zum Vorwurfe, wenn ich mich frage: aber jene Könige und ihre Henkersknechte, wenn wir aus dem Volke ihnen in die Hände fallen, haben sie Mitleiden mit uns? Diese Minister, die dem Volke zur Rede stehen, werden doch wenigstens öffentlich gerichtet. Sie sehen sich von ihren Freunden umringt, sie lernen ihre Feinde, ihre Ankläger kennen, sie dürfen sich verteidigen, und das Gesetz verurteilt sie, nicht die Rache. Und wenn sie auch als Opfer der Volkswut fallen, weiß man doch, daß sie unschuldig gemordet. Wer aber in Mailand, Wien, Madrid, Neapel, Petersburg wegen eines politischen Vergehens gerichtet wird, der geht aus der Dämmerung des Kerkers in die Nacht des Grabes über, und ob schuldig oder unschuldig, das weiß nur Gott.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Paris.