Mittwoch, den 10. November.

Mittwoch, den 10. November

Neulich bin ich bei Férussac eingeführt worden, der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Journal heraus, das in Deutschland bekannt ist. Er ist jetzt Deputierter geworden. Man findet in seinem Salon alle fremden und einheimischen Blätter und Journale, alle interessanten Bücher und Kupferwerke und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt sich die Zeit mit Lesen und Kupferstiche-Betrachten. Er fragte mich, was mein literarisches Fach wäre. Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es selbst nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon wissen, teilen Sie mir es mit. – Ich habe in diesen Tagen gelesen: Contes d'Espagne et d'Italie par Alfred de Musset. Ein junger Dichter. Es ist merkwürdig, was der Ähnlichkeit mit Heine hat. Sollte man das von einem Franzosen für möglich halten? – Die Memoiren von St.-Simon machen mir erstaunlich viel Freude. Vom Hofe Ludwigs XIV. bekommt man die klarste Vorstellung. Es ist mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt ist gar keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube, das Buch hat zwölf Bände.


– Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen nicht, und ich frage mich, ob es ein Traum ist. Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch je eine solche Lebensart vertragen könnte. Aber nicht allein, daß mir das nichts schadet, ich fühle mich noch wohler dabei. Ich war seit Jahren nicht so heiter, so nervenfroh, als seit ich hier bin. Die Einsamkeit scheint nichts für mich zu taugen, Zerstreuung mir zuträglich zu sein. Die langen Krankheiten der letzten Jahre haben mich noch mehr entmutigt als geschwächt, und hier erst bekam ich wieder Herz zu leben. Die geistige Atmosphäre, die freie Luft, in der man hier auch im Zimmer lebt, die Lebhaftigkeit der Unterhaltung und der ewig wechselnde Stoff wirken vorteilhaft auf mich. Ich esse zweimal soviel wie in Deutschland und kann es vertragen. Es kömmt aber daher, daß ich mich beim Tische unterhalte, selbst wenn ich allein beim Restaurateur esse; die ewig wechselnden Umgebungen, die Kaumanieren aller europäischen Mäuler, das würzt die Speisen und macht sie verdaulicher. Und die Ferien, die schönen Ferien! Das Ausruhen von der Logik – das ist's vor allem, was meine Nerven liebkost. Aber dem Sauerkraute bleibe ich treu, das eine Band zerreiße ich nie, nie.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Paris.