Mittwoch, den 9ten Junius. - Meine Arbeiten ketten mich so sehr an Paris, daß ich zur Betrachtung der reichen Umgend nicht vors Thor komme. ...

Mittwoch, den 9ten Junius. - Meine Arbeiten ketten mich so sehr an Paris, daß ich zur Betrachtung der reichen Umgend nicht vors Thor komme. Doch schien es nützlich und billig, diese Beschränkung einmal zu durchbrechen, und - ich fuhr vorigen Sonntag in einem Kabriolet mit Hrn. L. nach Meudon. Das Schloß liegt auf einer der Anhöhen, die das weite Seinethal umkränzen, und hat vor sich eine horizontale große Terrasse, die künstlich aufgehöht und durch Mauern von ungemeiner Höhe und Stärke gestützt ist. Sie muß ungeheure Summen gekostet haben, und doch ist Schloß und Garten jetzt unbewohnt, so reizend und mannigfaltig auch hier und aus allen benachbarten Punkten die Aussichten sind. Waldbewachsene Hügel, gekrümmte enge Thäler, Dörfer und einzelne Landhäuser, weiterhin die Seine mit ihren Brücken und Inseln, im Hintergrunde endlich Paris, der Mont Calvaire und Montmartre. Es ist eine reiche, fruchtbare, schöne Landschaft, die wir im mannigfachsten Sonnenlichte und Wolkenschatten von vielen Punkten aus mit großem Genusse betrachteten. — Unser Muth, dem zweideutigen Wetter Trotz zu bieten, ward diesmal belohnt, sonst regnet es fast jeden Tag, und die Temperatur wechselt binnen wenig Stunden von zehn bis zwanzig Grad, so daß man kaum weiß, welche Kleidungsstücke man anziehen soll.

Montag ging ich in das Theatre fran?ais, gestern in das Theatre des Variétes. Dort gab man Merope, und ob ich gleich von früherer Zeit her wußte, wie man diese tragédies classiques darstelle, wollte ich doch zusehen ob vielleicht eine Änderung eingetreten sey, oder ein neues Talent sich hervorthue. Ich sah aber nichts Neues. Die Männer füllen nur den Hintergrund und spielten für Franzosen gemäßigt genug; der Nachdruck liegt ganz auf Merope und ihrer Mutterliebe. Obgleich nun Madam Paradol nichts hinweg ließ, was diese Liebe betrifft, konnte ich mich doch bei ihrem tollen Paradespiel des Gedankens nicht erwehren, sie habe ihr „Egisteken“, so lange er zu Hause gewesen, täglich einige Male abgewammset. Ich muß immer wieder auf meinen Grundsatz zurückkommen: daß die Kunst und künstlerische Darstellung zu Grunde und ins Verderben geht, sobald man die Schönheit nicht als Mittel und Zweck festhält und darstellt, sobald man sie andern Mitteln, Begriffen, Ansichten, Zwecken unterordnet, ober endlich gar nicht weiß: wo und was sie wahrhaft sey. Die Parabol hat, nach der gewöhnlichen Sprechweise, große Mittel (und noch weit mehr Fleisch), aber diese Weise des Dehnens und Eilens, Wüthens und Seufzens, Erstarrens und Zappelns bringt höchstens für einzelne Augenblicke eine Verwunderung, aber keine Bewunderung und noch weniger wahre Begeisterung hervor, wie sie auch keineswegs aus dieser entspringt. — Unsere Freundinn kann noch mehrere Jahre warten, dann aber wird sie so als Merope, wie jetzt als Phädra Lorbern einernten und den Franzosen zeigen können, was eine ächte Künstlerinn aus den Werken und Rollen machen kann, die sie jetzt selbst nicht mehr verstehen, und welchen der Haufe den Bürgermeister von Saardam und selbst die Sündfluth vorzieht! — Gewiß lohnt es sich eher, Phädra und Merope, als die Herzoginn von Guise zu spielen; wenn auch von jener bis zu Iphigenia und Julia noch ein gewaltiger Zwischenraum bleibt. — Ich verließ aus Langerweile das Haus, ehe die Paradol ausgetollt hatte, und werde wieder hineingehen, sobald die Crel. an ihrer Statt spielt.


Im Theatre des Varietés eroberte ich zufällig wieder meinen bequemen Winkel, verlor aber fast den Muth die dazu gehörige bequeme Stellung anzunehmen, als ein Mann neben mir einen zierlichen Fächer aus der Tasche zog und sich damit sehr anmuthig fächelte. Man gab zuerst Thibaut et Justine, und das Spiel war verhältnißmäßig viel besser als das Stück. Sylvestre als Thibaut, Lefevre als père Remy, Cazot als bottier Polotoski verdienen Lob, mehr noch als die beiden auftretenden Frauen. Jetzt folgte zum ersten Male: les brioches (Butterstollen) à la mode, eine Satyre und Parodie der neuern Romantik, mit einigen longueurs und Geschmacklosigkeiten, aber auch mit guten Einfällen ausgestattet. Der Beifall überwog die wenigen Pfeifer. Theobald, le jeune romantique exalté (Dandel), der patissier Walter Scott (Vernet), welcher für den ächten gehalten wird, Matthieu bourgeois gai (Bosquier), ein Vertheidiger der alten Schule, ergötzten so sehr daß die Müdigkeit, welche mich bei Justinchen ergriff, ganz verschwand. Doch wollte ich, des frühen Aufstehens halber, nach Hause gehen, als ich überlegte und bedachte daß es gleichsam eine Pflicht für mich sey, auch das nächste und letzte Stück zu sehen, dem weiblichen Geschlechte die gebührende Ehre zu erzeigen und meine Kenntnisse eines gewissen Fachs zu berichtigen und zu vermehren! Kurz, das nächste Stück hieß: Les cuisinières, und ich blieb ! — Was ist aber dies Stück im Vergleich mit dem reichen Stoffe, der mir zur Hand liegt, wenn ich ihn dramatisiren wollte! Zwar erschienen vier, oder vier und eine halbe Köchinn; aber es war dieselbe vier Mal. Und wie falsch aristokratisch, und doch zum Schaden der Aristokratie oder der Herrschaft, war alles gehalten: das heißt, alles lief darauf hinaus, daß die Köchinnen das Essen verderben, die Herrschaft betrügen und die Herrschaft selbst spielen, wenn diese nicht zu Hause ist. Gedachte ich der Mannigfaltigkeit stiller und vorlauter, verliebter und der Liebe entsagender, ehrlicher und pfiffiger, kinderloser und mit Kindern begabter, naiver und sentimentaler, klassischer und romantischer Köchinnen, welche Deutschland seinen vielen Söhnen im Guckkasten der Wahrheit und Dichtung zeigt; wie kam mir dagegen Frankreich in dieser Heerschau seiner Köchinnen so einseitig und ärmlich vor. Mein deutscher Patriotismus ward in einer neuen Richtung so begründet und befestigt, daß ich wie ein zweiter Hüon jetzt gefaßt den Angriff französischer Köchinnen erwarten kann; obgleich bei dem bloßen Warten nichts herauskommt, und ich auch sonst mehr Lebensart besitze als der besagte, grobe Hüon. —

Ich finde, man trinkt hier Wein auf mannigfache, nur nicht auf die rechte Weise. Zuerst den ordinairen, mit Wasser vermischt, lediglich um den Durst zu löschen; auch ist er kaum dazu tauglich. Ferner geben vornehme Leute bessern Wein, weil sie mehr Geld haben, aber er spielt nur eine Nebenrolle, wird weder gelobt noch besprochen, sondern überall sehr prosaisch dem Essen untergeordnet. Die großen Wahrheiten: daß der ein Narr sey, der den Wein nicht liebe, und daß er des Menschen Herz erfreue, scheinen den Franzosen fremd zu seyn, und ich selbst bin schon so französirt, daß es mir unrecht erscheint einen halben Franken daran zu wenden, um etwas besseres Getränk zu erhalten. Und in der That allein trinken und bloß in Beziehung auf die nothwendige Verdauung, ist doch gar zu philisterig.