Donnerstag, den 10ten Junius. - Ich habe vorgestern auf dem Louvre einmal wieder die alten Bildsäulen u. s. w. angesehen. Obgleich keine den schönsten in Rom und Florenz gleichkömmt, ...

Donnerstag, den 10ten Junius. - Ich habe vorgestern auf dem Louvre einmal wieder die alten Bildsäulen u. s. w. angesehen. Obgleich keine den schönsten in Rom und Florenz gleichkömmt, sind doch sehr lobenswerthe Werke darunter, z. B. die schlanke Diana mit der Hirschkuh, die Venus von Melos u. a. Ich mußte mir, wie schon öfter, die Frage vorlegen: warum Werke der Bildhauerei heutiges Tages weniger anziehen, gesucht und bewundert werden, als Werke der Malerei, während bei den Griechen beide Künste auf derselben Höhe standen? Die unläugbare Thatsache als eine Thorheit verurtheilen, ist übereilt und hilft nicht zum Ziele, weil alsdann doch immer zu untersuchen bleibt, wie man zu der Verkehrtheit gekommen sey? Eben so wenig führt die Tautologie weiter: das Alterthum war plastisch u. s. w., sobald man dreist genug ist, nach dem warum zu fragen. Am nächsten liegt, behufs weiteren Erklärens, die Bemerkung: daß uns die Kenntniß und Würdigung der nackten Formen fast fremd ist und höchstens den Künstlern verstattet wird. Daher wissen die Meisten kaum wie Kopf und Hand, nicht aber wie andere Theile des Leibes aussehen oder aussehen sollen. So gewiß einerseits Verwirrung darüber obwaltet, wie der Mensch zugleich das Schöne und Gute sich aneignen solle, und jenes oft sehr thöricht für den Feind von diesem ausgegeben wird, läßt sich doch andererseits nicht läugnen, daß in unserem Norden das Studium nackter Formen nicht von selbst gegeben ist, wie Licht und Luft, sondern leicht in zweideutige Abwege hineinführt. An sich ists zwar nicht sittlicher oder unsittlicher, ein nacktes Bein, als einen nackten Arm zu zeigen; wohl aber gehört es zur wahren Sitte, der Landessitte nicht frech entgegen zu treten, fremdes Urtheil zu achten und sich um Anderer willen einen Zwang aufzulegen. Wenn daher in einigen Ländern Asiens die Frauen Hals und Brust sorgfältig verhüllen, den Leib aber bloß tragen, und in Europa das Gegentheil geschieht, so folgt daraus nichts für unbedingte Sittlichkeit an sich; wohl aber soll sich jede Frau ihrer Landessitte anschließen. Ich kann nicht bloß begreifen, sondern mitfühlen, wie der Anblick eines vollkommen schönen Körpers bis zur Andacht und Anbetung steigern kann; doch wird keiner meinen, die vornehmen oder geringen Berliner könnten dadurch für die Schönheit erzogen werden, wenn sich eine moderne Phryne in der großen Schale im Lustgarten öffentlich badete. Diese ganze Betrachtung über das Nackte, verliert aber hinsichtlich obiger Frage über das Verhältniß der Bildhauerei und Malerei großentheils ihre Wichtigkeit, sobald man bedenkt, daß es ungemein viel bekleidete Statuen und nackte Gemälde giebt, und es dürften vielmehr zwei andere Hauptpunkte zu erörtern seyn: 1) daß die richtige Würdigung der bloßen Form ohne Farbenreiz schwer ist, und die Bildsäule weniger reizt als das Gemälde. 2) Daß die Maler, die ganze Sinnesart der neueen Zeit, insbesondere die Religion mehr ergriffen haben als die Bildhauer. Doch ist dies nicht geschehen, weil dieser Weg der Bildhauerei nothwendig ganz verschlossen ist, vielmehr könnte man aus dem bisherigen Zurückbleiben einen desto glänzenderen Entwickelungsgang weissagen. Doch fehlt es heut an allem Raum, darüber mehr zu sagen, auch habe ich wohl anderwärts schon einmal darüber gesprochen. —