Paris, Sonnabend den 12ten Junius. - Aus Deinem lieben Briefe will ich zuvörderst zwei Bemerkungen hervorheben und beantworten, weil ich ganz damit einverstanden bin. ...

Paris, Sonnabend den 12ten Junius. - Aus Deinem lieben Briefe will ich zuvörderst zwei Bemerkungen hervorheben und beantworten, weil ich ganz damit einverstanden bin. Die erste bezog sich auf jene schlechte Methode des Kritisirens, welche nur zu mäkeln, nicht zu genießen weiß. Sie beruht in der Regel auf bloßer Eitelkeit, die sich wichtig machen und Schärfe des Unheils zeigen will, sich aber jedes Mal selbst bestraft. Anstatt den Gesichtskreis zu erweitern (der Zweck aller Bildung), wird er auf diesem Wege immer enger und inhaltsloser, und schließt mit einem steten, so dummen als gemüthlosen Verneinen. Die wahrhaft lebendige, fruchtbare Kritik erwächst nur aus der Begeisterung, und insbesondere soll die Jugend mit dieser, nicht mit jener, beginnen. Allmälig verklärt sich die Begeisterung, lernt Erfinder von Nachahmern, Styl von Manier, innere Lebensgluth von erkünstelter Wärme, ächten Gemüthsreichthum von leichterlernten Formeln, Kern von Schale, ewiges Licht von augenblicklichen Feuerwerken u. s. w. u. s. w. unterscheiden, und jedem seine Stelle anweisen. Dieser Fortschritt macht nicht unbillig, verkümmert keinen Genuß, drängt aber allerdings die höchste Bewunderung, Liebe und Thätigkeit hin zu den Edelsten unter den Lebendigen und den Todten. Vor allem soll man gegen sich und andere nicht unwahr seyn, seine Gedanken und Gefühle nicht verhehlen, nichts darin setzen der Mode zu folgen, oder ihr zu widersprechen.

Die Möglichkeit, zugleich ultraliberal und ultranapoleonisch zu seyn, beruht auf dem gleichen Elemente und Maaße, das beiden Ansichten zum Grunde liegt. Sie sind gleich, sofern sie ultra sind, und beide in letzter Stelle die Willkür mit der Freiheit verwechseln. Erscheinungen der bloßen Kraft fallen am leichtesten in die Augen, sind am leichtesten begriffen und imponiren die Meisten; C. sollte aber doch von seiner Frau lernen, daß es in der Politik wie in der Kunst etwas giebt, was über diesen zerstörenden Effekt unendlich weit erhaben ist. In unsern größern europäischen Staaten muß jeder ächte Liberale Royalist, und jeder ächte Royalist liberal seyn; es ist zwischen beiden gar kein wahrer Gegensatz. Lösen sich die Parteien von diesem mittlern Leben, so erscheinen allerdings unvereinbare Gegensätze, die sich aber im Wahnsinn unter einander aufreiben, und darin, so wie im Tode, gleich sind und zusammenfallen. Der Jakobinismus und der Napoleonismus waren gewaltig, imponirend, betäubend; aber doch nur vom Übel und arge Krankheitszustände, nicht Erscheinungen von gesunder Mäßigung, Schönheit und Adel, nicht erzeugend, befruchtend, bildend; denn was den Schein dieser Eigenschaften trug, war nur täuschend oder im Widerspruche mit dem Grundprincipe.


Einer dritten Deiner Bemerkungen über das Protestantischwerden der mochte ich hinzusetzen, daß es an der Zeit ist, nicht die Verschiedenheiten der drei christlichen Bekenntnisse, sondern ihre Übereinstimmung in den Hauptsachen hervorzuheben. Jede Confession hat übrigens ihre eigenen Ultras, Jesuiten z. B. und Puritaner, für welche das gilt, was ich oben von den politischen Ultras behauptete. —