Dienstag, den 22sten Junius. - Manche Bemerkungen L — s über die Franzosen waren scharf und streng, viele gewiß auf genaue Kenntniß der Verhältnisse gegründet; ...

Dienstag, den 22sten Junius. Manche Bemerkungen L — s über die Franzosen waren scharf und streng, viele gewiß auf genaue Kenntniß der Verhältnisse gegründet; doch folgt daraus nicht: eine allmälige Erziehung bleibe unmöglich, oder das, was ich wohl eine Verbesserung nennen möchte, sey hier ohne Zweifel das Gegentheil. Die Unabsetzbarkeit der Beamten z. B. kann und soll ja nirgends für Ungehorsame und Rebellische geltend gemacht werden; vielmehr handelt es sich nur von Absetzungen aus bloßen Vorurtheilen, um bloßer Willkür willen oder zur Strafe für politische Meinungen; wie man sonst wohl die Tüchtigsten absetzte, wenn ihre theologischen Meinungen nicht mit denen der Machthaber stimmten. Jesuiten und Frömmler behaupten freilich, es sey höchst bedauernswürdig daß dies Verfahren abgekommen sey, und möchten es gern wieder herstellen; man kann sich aber nicht oft und laut genug gegen eine Ansicht erklären, welche hinter künstelnden Worten nur tyrannischen Hochmuth verbirgt. Was ferner le contentieux administratif anbetrifft, so läßt sich dies den Gerichten überweisen, ohne ihnen damit das Recht willkürlicher Gesetzauslegung einzuräumen. Angemessene Vorschriften über die Art der Instruktion, den Werth des Urtheils von Sachverständigen und dergl. müssen die Prozeßordnung, sofern sie früher darauf nicht Bezug nahm, vervollständigen. Auf keinen Fall sind die französischen Einrichtungen tadelfrei, wie meine Anzeige von Macarel's Werk darthut. — Allerdings bedürfen die Franzosen einer starken Regierung, ja sie haben sich weit öfter knechtisch einer despotischen gefügt, als mit einer schwachen Geduld gehabt. Die jetzige ist aber eben schwach, und etwanige coups d’états, welche Stärke zeigen sollten, würden nur eine Krankheitskrise seyn, welche völliger Erschöpfung vorhergeht. Es ist keine Aussicht vorhanden, auf dem bisher betretenen Wege die königliche Macht zu verstärken, es ist (als zum alten rgime führend) auch nicht einmal zu wünschen. Eben so wenig hat die Aristokratie ein vorwaltendes Ansehen oder Hoffnung, dasselbe bald zu erhöhen; das größte Gewicht, die größte Macht liegt offenbar auf der demokratischen Seite. Die Art und Weise, wie man diese mit unkräftigen oder ungesetzlichen Mitteln schwächen oder sie um ihre Macht listig betrügen will, werden nicht zum Ziele führen: man muß, meiner Meinung nach, ganz andere Wege einschlagen, um die ohne Zweifel vorhandene Gefahr übertriebenen Einflusses der Demokratie zurückzuweisen und die Möglichkeit ihres Umschlagens in Pöbelherrschaft zu vermeiden. Die Sache ist die: nach dem völligen Mißlingen des Versuches, alle Unterthanen in Herrscher oder doch in Mitherrscher zu verwandeln, bemächtigte sich die Furcht vor einer Pöbeltyrannei so sehr der Gemüther, daß man sich lieber einer militärischen Tyrannei unterwarf, obgleich der ungerechte, blutige Lorber die Haupter nicht besser schmückte und verklärte, als vorher die rothe Freiheitsmütze. Nach dem Sturze Napoleons sollte nun die wahrhaft constitutionelle Regierung folgen, und ohne Zweifel ist die Charte ein großer Fortschritt im Vergleich mit all den seit 1789 versuchten Formen. Ja es kam bis zu dem Aberglauben, daß dieser Constitution gegenüber alles Staatsrecht der ganzen Gegenwart und Vergangenheit als nichtig zu bezeichnen sey. Abgesehen aber von dem großen Unrecht, was hiermit anderen Völkern angethan wird, ist der Aberglaube selbst für Frankreich nicht zu läugnen. Als ich vor drei Jahren die Nothwendigkeit einer Gemeineordnung darzuthun suchte, widersprachen dieselben Leute, welche sie jetzt fordern, und behaupteten, nur durch die Centralisation sey Frankreich groß und mächtig. Sie haben zugelernt, und sollte ich nach drei Jahren noch einmal hieherkommen, würden sich die Reden über die nothwendige Absetzbarkeit der Beamten auch wohl verloren haben. Kreisschreiben, wie sie jetzt die Minister über die Wahlrechte und Wahlpflichten der Beamten erlassen, sind ein gutes Mittel, das Übel an das Tageslicht zu ziehen und die Notwendigkeit einer bessernden Veränderung darzuthun.

Ich kehre zu dem zurück, wovon ich ausging. Die Furcht vor der Pöbelherrschaft und die Vorliebe für die Demokratie bekämpften sich wechselseitig und führten zu dem Vergleiche, die Deputirtenkammer zu gründen. In vieler Beziehung ein guter und billiger, aber kein erschöpfend genügender Vergleich. Jene Kammer nämlich sollte die Demokratie, das Volk darstellen, und ist doch formell, der Wahlart nach, nur eine Repräsentation des Reichthums. Stellen wir aber diese Bemerkung oder diesen Einwand zur Seite, sofern wenigstens der industrielle Reichthum in Frankreich jetzo liberal ist; concentrirt sich doch jene Darstellung des Volkes lediglich auf Reich und Reichstag. So wenig man aber sagen kann, man habe eine gute Constitution weil einem der Kopf nicht weh thut, indem ja alle anderen Theile des Leibes krank und in schlechten Umständen seyn können; so wenig ist die Constitution eines Landes gut, wenn sie nur Kopfschmerzen heilen kann oder will. Die Folge jener Einrichtungen ist, daß sich alles zum Haupte hindrängt, immerdar Entzündungen daselbst befürchtet werden und Eisumschläge, durch die Minister angelegt, das Übel vertilgen sollen. Vergeblich! Die Hitze, der Andrang des Blutes, die Entzündung erneut sich immer wieder am Haupte, während die andern dern Theile, eigener organischer Funktionen ermangelnd, durch Rückwirkung auch an jener Krankheit mitleiden. Ich glaube also: das falsche Übergewicht, die übermäßige Reizbarkeit und Thätigkeit des demokratischen Elements auf dem Reichstage läßt sich nur dadurch mindern und heilen, daß man der Demokratie in den niedern Kreisen, wo sie hingehört, eine größere Einwirkung gesetzlich verstattet. Communalordnungen, Landstände und dergl. ziehen das Blut vom Haupte hinweg, und bereiten es wiederum vor, in gemäßigtem Umlaufe dahin zurückzukehren. So thöricht es klingt, ich bin davon überzeugt, daß nur die Verstärkung der rechten Demokratie eine heilsame Schwächung der gefährlichen und krankhaften, in Frankreich herbeiführen wird, alle andern Quacksalbereien aber nicht zum Ziele führen. Viel schwerer ist die Aufgabe, dem falschen Einflusse der Geistlichkeit zu steuern, weil die katholische einen Boden außerhalb des Staates hat, und von diesem archimedischen Punkte aus die Welt (zum Heile oder zum Verderben) bewegen kann.


Gestern erschien der König und die Königinn von Neapel, um die Sammlung der Handschriften zu besehen, oder doch wenigstens diejenigen Merkwürdigkeiten, welche in der Regel den Fremden gezeigt werden. Beide haben überhaupt eine löbliche Neigung, mancherlei Dinge kennen zu lernen, um welche sich die hier regierende Linie in ihrer beschränkten Einsamkeit nicht bekümmert. Vielleicht geht diese Neigung mehr von Mutter und Tochter als vom Vater aus, der sehr gebückt und hinfällig einhergeht.