Paris, Sonnabend den 5ten Junius. Ich weiß nicht, ob ich mich über die Resultate meiner gestrigen Forschung auf der Bibliothek, der Freude, oder der Verzweiflung ergeben soll. ...

Paris, Sonnabend den 5ten Junius. Ich weiß nicht, ob ich mich über die Resultate meiner gestrigen Forschung auf der Bibliothek, der Freude, oder der Verzweiflung ergeben soll. Eine Frage, ob gewisse Sachen den westphälischen Frieden betreffend schon gedruckt wären, veranlaßte die Antwort: es wären darüber ungedruckte Abschriften aus englischen Sammlungen vorhanden. Als sich ergab, sie beträfen nicht den westphälischen, sondern den nimweger Frieden, ward ich noch neugieriger. - - -

Durch Benediktiner, Gesandte, und insbesondere durch Brequigny (den Herausgeber der Regesten Innocenz III) sind allmälig Abschriften alles dessen gefertigt und besorgt worden, was im brittischen Museum und in jeder damit verbundenen Bibliothek für die französische Geschichte interessant, und in Frankreich nicht vorhanden ist. Von der ältesten Zeit, bis zu der Ludwig's XIV liegen diese Schätze in zierlichen Pappkasten wohlverwahrt, aber seit sechzig Jahren völlig unbenutzt da. So sehr ich mich sonst hüte, den Franzosen einen Tadel ihrer Landsleute ins Gesicht zu sagen, konnte ich diesmal doch mein Erstaunen nicht verhehlen, daß seit so vielen Jahren kein Einziger die Neugier gehabt hätte, für die Geschichte seines Vaterlandes diese reichen Bergwerke auch nur anzuschürfen, daß sie (ihrem Talente und ihrer Darstellungsgabe vertrauend) es verschmähten, hundert Schritte weit auf die Bibliothek zu gehen, um sich so große Schätze zuzueignen. Die meisten begnügen sich (antwortete — ), oberflächliche Bücher, ohne Studien und Beweise, zusammenzuschmieren und höhern Ruhms uneingedenk, für den Tag Geld zu verdienen. Nur ihr Deutschen wollt und könnt arbeiten; wir brauchten eine Kolonie von Deutschen. Auf meine Frage: ob sich nicht junge Leute für so dankbare Arbeiten fänden? antwortete er: weder alte, noch junge! — Ich begreife kaum daß die Vaterlandsliebe keinen Franzosen hiehertreibt, der doch in bestimmterem Verhältniß zu seiner Vorzeit steht, als ein Deutscher zu seinem getheilten Vaterlande, und ein Preuße etwa zu den Hohenstaufen. Ich wollte mir innerlich schon etwas auf meinen Fleiß und meine literarische Reise einbilden, aber mir fiel zum Glück ein, was — und — über mich urtheilten, und so hielt ich an der Demuth fest, ohne in Mutlosigkeit zu verfallen.


Nachdem ich den ganzen Tag gearbeitet, um sechs Uhr Mittagbrod gegessen hatte und zur Erholung spazieren gegangen war, begab ich mich in der Hoffnung zu Hrn. v. H., er wisse nicht was ich über ihn habe drucken lassen. Und dies bescheidene Vorurtheil war ein ganz richtiges Urtheil. Der Vorsatz ihn zum Gespräch zu bringen gelang ohne Mühe; indeß will ich euch von meiner Weisheit (die ihr hinreichend kennt) schon der Zeitersparniß halber nichts mittheilen, sondern den Dialog in einen Monolog verwandeln. Er lautete alsdann etwa wie folgt: Wozu wollen Sie den Sitzungen der Kammer beiwohnen? Was würden Sie sehen und hören; nichts als Confusion und Skandal! In Deutschland ist man zu ehrlich und meint, es komme auf Sachen an und man bezwecke Sachliches; in Wahrheit will aber jede Partei nur herrschen, und die Liberalen brauchen die Charte als Deckmantel ihrer revolutionnairen Grundsätze. Es kommt lediglich auf diese Grundsätze, nicht auf Maaß und Art ihrer Anwendung an; und Constant, Lafayette, Perier, Sebastian! sind Jakobiner, welchen, wenn sie die Herrschaft erhielten, bald ein zweiter Nationalconvent folgen würde, den die Jakobiner von 1789 auch nicht wollten, aber keineswegs abhalten konnten. Niemand hat die Charte beeinträchtigt, sie ist aber ein Geschöpf mit monarchischem Kopf und demokratischem Schweif, mulier foemosa superne, mit getheilten Gewalten und einem König ohne Gewalt, der da regieren soll und kaum will, vielweniger kann! Und wiederum ist die Charte noch vorttefflich und billig im Vergleich mit dem Argem, was folgte und wodurch man dem Könige Alles genommen hat! Die Revolutionnaire, Conventionsmänner, Bonapartisten und ihre Vettern und Kinder, herrschen in der Kammer, den Behörden, dem Heere, den Lehranstalten und erheben großes Geschrei, wenn einmal einer ihrer Gegner ein Amt, oder ein armer Emigrirter eine gerechte Entschädigung erhält. So ist Frankreich noch immer revolutionnair und revolutionnirt. Und warum nur Entschädigung den Betheiligten bewilligen? Viel besser und gründlicher wäre das Heilmittel der Wiedereinsetzung in den Besitz und die Entschädigung der neuen Erwerber gewesen. — Die Liberalen sind nie begnügt; warum nahmen sie denn die dargebotene Communalordnung nicht an? Freilich fehlen alle andern Bürgschaften der Freiheit, Rechte der Städte und Einzelnen, Sicherheit der Beamten u. s. w.; aber Hr. v. Bonald hat ein weises Wort gesagt: „wo die Verfassung demokratisch ist, muß die Verwaltung monarchisch und die königliche Gewalt in allen andern Kreisen unbedingt seyn.“ Gebt dem König alle ehemaligen Rechte, dann können in andern Abstufungen alle Freiheiten wiederkehren. Die alte Regierung und Verfassung war gar nicht so schlimm. Hielt sich der König Maitressen, that er nichts als was andere auch thun; gab er viel Geld aus, so war es sein eigenes Geld. Er hat nie eigentliche Auflagen gemacht: denn wenn er z. B. einen Gerichtsstempel forderte, so kam es nur auf mich an, Prozesse zu vermeiden und dadurch der Abgabe zu entgehen; schrieb er Zölle aus so traf dies die Fremden; erhöhte er das Postgeld, so zwang er doch niemand zum Briefeschreiben! Auf jeden Fall sind repräsentative Verfassungen verschwenderischer, als rein monarchische. — Die Charte (jetzt folgt auf mein Sporniren die zweite Hälfte der Rede im höheren Style) taugt nichts und hilft zu nichts. Ihre Abschaffung durch den König würde nicht die geringste Bewegung nach sich ziehen; schon 1814 haben viele sie verwünscht, ja an den Galgen geschlagen. Nach ihrer Abschaffung wird ganz Frankreich unweigerlich Abgaben zahlen, wie vorher; haben doch die Revolutionnaire im ganzen Reiche nur 1400 miserabele Leute aufgetrieben, die schon jetzt nichts zahlen und leicht erklären konnten, sie würden auch künftig nichts zahlen. Ich sagte in einer Gesellschaft: zahlt man denn Abgaben weil sie bewilligt sind, oder weil man will, oder muß? und eine weise alte Dame sprach laut: ich zahle wahrlich nicht deshalb, weil sie bewilligt sind! Und so ist es mit Allen. — Zahlt man aber nicht — desto besser! Dann sagt der König: gut ihr Herren, ich zwinge keinen Einzigen. Aber Straßen und Brücken sind mein, die dürft ihr nicht befahren; die Posten sind mein, mit denen schickt ihr keine Briefe mehr; die Gerichte sind mein, vor denen erhaltet ihr kein Recht mehr. Jedem das Seine, ich lebe von dem Meinen und bin reicher als vorher. Alles ist jetzt freiwillig! mit jedem Einzelnen schließe ich Verträge über Abgaben, Kriegsdienst u. s. w. Will keiner zahlen, dienen; auch gut, so sehet, wo ihr Zinsen, Gehalte, Gerichte, Wege, Brücken, Posten u. s. w. herbekommt. Helft euch selber, mir kann's gleich seyn, wie, wenn ihr mir meine Rechte unangetastet lasset. — So wie Frankreich sich freuen würde die Kammer los zu werden, und in einfache, natürliche Verhältnisse zurückzutreten; so sind auch die Pairs ihrer politischen Stellung überdrüßig und danken Gott, wenn kein Reichstag sie mehr in ihren Geschäften störte und langweilte. — Giebt der König der neuen Kammer nach, so haben wir die Revolution; giebt er nicht nach, vielleicht einen Bürgerkrieg, der ein großes Glück seyn und den rechten Grundsätzen den Sieg verschaffen kann!! —

So im Wesentlichen und ohne irgend einen übertreibenden Zusatz, Hrn. v. H— 's Rede und Ansicht. Ihr verlangt nicht, daß ich hier ein Buch darüber, oder dawider schreibe, sie ist leicht beurtheilt; aber sehr wichtig, sofern sie zeigt, welche Brillen gewissen Leuten auf der Nase sitzen, und wo sie das letzte Ziel suchen. — Nur noch dies: Als ich H, vor fünfzehn Jahren in B. sprach, war in ihm eine gewisse Originalität und Frische der Begeisterung für das, was er eben entdeckt hatte und für weltbeglückend hielt. Die Einseitigkeit der Richtung schien noch nicht gefährlich, da er erst am Anfange des Weges stand, und die Irrthümer zeigten sich in dem Lichte der freundlichen Theilnahme und des ehrlichen Glaubens.— Jetzt ist das frische Grün verschwunden und alles in trockenes Holz verwandelt, der Glaube ward zum Aberglauben, das Dargebotene und Zurückgewiesene wird mit Gewalt aufgedrungen, und das angeblich Antirevolutionnaire fährt wild in bodenlose Anarchie auseinander. Mir war die bornirte Begeisterung, mit welcher H., mit stieren Augen und glühenden Wangen auf mich lossprach, in Wahrheit fürchterlich; sie führt in die glühende Hölle der Bürger- und Religionskriege, und ist das Gegenstück zu der eisigen Kälte, mit welcher die Jakobiner einst Adelige, Priester und Könige, dem Moloch ihres Wahnsinns schlachteten.