Vierte Fortsetzung

Von den übrigen „Punkten" wollen wir noch einige charakteristische herausheben. Der Fuhrmann soll, sobald er die Pferde in den Stall führt, in der Krippe nachsehen und diese eventuell reinigen; — wenn er in die Stube kommt, hat er sich sauber zu waschen. Er darf als ein jüngerer sich nicht zuerst an den Tisch setzen, auch soll er aus der Schüssel nur dasjenige Stück Fleisch etc. herausnehmen, welches seinem Sitze zunächst liegt. Der jüngere Fuhrmann darf vor dem älteren weder in die Schüssel fahren, noch ein Glas ergreifen. Jeder Fuhrmann hat vor dem Essen still sein Gebet zu verrichten. Wenn die Pferde auf der Straße nicht mehr ziehen wollen, so sind sie zu dreien Malen anzuregen; kommt das Geschirr trotzdem nicht in Zug, so hat der Fuhrmann nach Hilfe zu gehen und die Pferde nicht wie ein Schinderknecht zu behandeln. Wenn Fuhrleute auf der Straße einander begegnen oder im Wirtshause zusammentreffen, so sollen sie gegen einander freundlich sein und einander die Hände reichen. Die Alten sind mit „Ihr", die Jüngeren aber mir „Du" anzureden. Wenn der Fuhrmann an einen Hohlweg kommt, so hat er zwei bis drei Mal zu klatschen; hört er hierauf aus der Hohle nicht wieder klatschen, so hat er zwei bis drei Mal in dieselbe hineinzurufen; „denn sonst hat er kein Recht!" etc. Ordnung und feste Sitte sind in diesen Satzungen gewiss nicht zu verkennen.

Schon nach der ersten Peitschenentfaltung wurden die Gläser gefüllt. Auch Punsch und Pfefferkuchen durften bei einer solchen Veranlassung nicht fehlen. War die Zeremonie zu Ende, so stimmte ein junger Fuhrmannsbursche ein allgemein bekanntes Fuhrmannslied an, und unter gemütlichem Geplauder verstrich der Abend. Zuweilen wurde auch noch ein Hackebrett herbeigeschafft, welches die Stelle unserer heutigen Orchester vertrat.


Die Kosten eines solchen Abends anlangend, so ist zu berichten, dass der Wirt keine spezifizierte Rechnung aufstellte, dass aber auch eine solche nicht verlangt wurde. Jedem Fuhrmann, der an selbigem Abende anwesend war, schrieb der Wirt beim Abfahren, wenn die Zeche gemacht wurde, eine oder mehrere Nullen mehr an, aber — wohlverstanden! — nicht hinten, sondern vorn. Haben denn oder vielmehr halten denn die Nullen, vorn hingeschrieben, auch Bedeutung? fragt staunend der Leser — Das wird uns weiter unten klar werden; vorläufig aber wollen wir diese Frage zum Schrecken aller Arithmetiker mit einem entschiedenen „Ja" beantworten.

Als man im zweiten Dezennium dieses Jahrhunderts endlich anfing, den Wegen auf den großen Handelsstraßen hier und da einige Aufmerksamkeit zu schenken, konnte der Kärrner natürlich sich stärker befrachten. Wie sich aber die Physiognomie der Landstraßen änderte, so war naturgemäß auch das auf denselben sich bewegende Fuhrmannswesen einer Wandlung unterworfen: der Karren ging jetzt in den sogenannten Stiefelknecht, d. h. in einen vierrädrigen, mit einer Barre versehenen Wagen über, vor welchem die Pferde ebenfalls einzeln in langer Reihe im Zuge gingen. Das sogenannte „ordinäre", d. h. regelmäßige Botenfuhrwerk behielt indessen noch längere Zeit die Karren bei, und die Salzkärrner hat erst der Zollverein verdrängt. In unserer Zeit sieht man noch einzelne Karren, welche aus Frankreich, Belgien und dem Bergischen kommen. Namentlich gibt es jetzt noch viele Kärrner in Montjoie bei Aachen, welche zum Teil auch gegenwärtig noch nach Leipzig und Breslau fahren.

Aus der Periode der Stiefelknechte verdienen die Popendieker besonderer Erwähnung. Das Fuhrmannsdorf Popendiek liegt zwischen Lüneburg und Celle. Die Fuhrleute dieses Ortes hießen schlechthin „Langspänner" oder auch „Kuttenklepper". Den ersten Namen führten sie davon, dass sie bloß eigene Pferde (sogenannte Hauspferde) in langer Reihe im Zuge hatten, so dass sie niemals einer Vorspanne bedurften; der zweite Name aber galt mehr als Spottname, weil die Popendieker die einzigen Fuhrleute in Deutschland waren, welche ihren eigenen Hafer fütterten und sogar ihren eigenen Proviant bei sich führten. Man erzählt, dass die Popendieker in alter Zeit deshalb bei den Wirten und den übrigen Fuhrleuten nicht in vollem Ansehen gestanden hätten.

Ehe wir zum eigentlichen großen Frachtfuhrwesen übergehen, wie es die Chausseen und in Folge davon verschiedene Regierungsverordnungen hervorriefen, sei hier nur noch der sogenannten Hudel- oder Baumwagen gedacht, die vierrädrig und mit einer Deichsel versehen waren, aber keine Leitern führten. Diese Wagen bildeten den Übergang zum späteren großen Frachtwagen, der seit der Mitte der zwanziger Jahre immer mehr in Aufnahme kam. —

Der große Frachtfuhrwagen nimmt im Fuhrmannswesen dieselbe Stelle ein, wie das Dampfschiff im Seewesen. Ein großer Frachtfuhrwagen wog gegen sechzig Zentner und hatte sechs Zoll breite Räder; eine zweite Klasse von Wagen, welche bestehenden Verordnungen gemäß im Interesse der Chausseen nur 100 Zentner Fracht aufnehmen durften, musste vier Zoll breite Räder führen. Die preußische und die bayrische Regierung haben die ersten dahin einschlagenden Verordnungen erlassen. Außer dem großen schweren Hemmschuhe dienten zwei Schleifzeuge als Hemmungsapparate. Im „Schiff", welches unter dem Wagen hing, lag der aus starkem Eisenblech verfertigte und mit zwei bis drei guten Schlossern versehene Kober, in welchem der Fuhrherr Geld und Papiere verwahrte und welcher Abends dem Wirte zum Aufheben übergeben wurde. Die Sonneberger Kober waren wegen ihrer guten Schlösser am meisten gesucht. — Über hohe, starke Reifen spannte sich das große, weiße Plantuch, in welchem Namen und Jahreszahl, häufig auch ein auf das Fuhrmannswesen sich beziehendes Bild eingenäht war. In Fuhrmannsgegenden nahmen die Schneiderinnungen die Anfertigung eines guten Plantuches unter die Meisterstücke auf, so dass Plantuch und Priesterrock hier in unmittelbare Nachbarschaft kamen. — Auch die „Alfelder" verwandelte sich jetzt in die lange stolze Fuhrmannspeitsche; das Nürnberger Geschirr mit seinen vielen messingenen Ringen und Scheiben, sogenannten Rosen, kam jetzt in Flor. Ein Dachsfell prangte auf dem Handgaul, ein rotes, wollenes Tuch auf dem Sattelgaul. — Selbstverständlich wurde auch die Tracht des Fuhrmanns jetzt eine andere. An die Stelle des ehemaligen weißen Kittels trat jetzt der fein gesteppte kurze blaue Brabanter Kittel; den Kopf bedeckte ein niedriger runder Hut mit silberner oder goldener Troddel; den Hals umgab ein buntes rotes Halstuch; anstatt der Schuhe kamen die langen Fuhrmannsstiefeln, welche über die Knie reichten, während lange gelbe Gamaschen, unter den Knien mit roten Bändern verziert, im Winter die Beine hoch hinauf umschlossen.

Auf der Straße selbst bildete sich nach und nach eine förmliche Fahrordnung aus, an deren Beobachtung oft bei hoher Strafe der Fuhrmann gewiesen war. In Preußen z. B. durfte der Wagen einschließlich der Ausladungen nach beiden Seiten hin bei zehn Thalern Strafe nur neun Fuß breit sein; in einem und demselben Geleis hinter einander zu fahren, war verboten; die Griffe der Hufeisen sollten nur drei Achtel Zoll stark sein etc. Da die Chausseen in ebenen Gegenden große Lasten aufzuladen gestatteten, so sah man nur noch in Gebirgsgegenden auf steil in die Höhe führenden Straßen lange Reihen von Ochsengespannen als sogenannte Vorreiter vor dem Frachtwagen im Zuge. Wer Gelegenheit gehabt hat, im Thüringer Walde einen schwer beladenen Frachtwagen, vielleicht aus dem Zoptegrunde am Wespensteine vorüber nach Reichmannsdorf bei Saalfeld, die steile Höhe hinauf arbeiten zu sehen, der wird solch malerischen und zugleich imponierenden Anblick nie vergessen, sich aber auch erinnern, dass zu einer derartigen Expedition vier bis sechs Paar Pferde und achtzehn Paar Ochsen notwendig sind.