Tänzerinnen

Von der Schnapsschenke zum Quartier der tugendlosen tanzenden Schwestern ist nur ein Schritt in Raum und Gedanken. Ihre Inhaber arbeiten sich gegenseitig in die Hände, keiner gedeiht ohne den andern. Der von geistigen Getränken Angestochene vergisst sonstige Rücksichten und Skrupel und fällt der nahen, lockenden Sirene in die Arme; der einmal in der Gewalt seiner Hetäre liegende lässt auf ihr Gebot Flasche über Flasche kommen, und es wird dieser umso leichter, den durch Sinnenlust und Schnaps berauschten Genossen zu überreden, seine Barschaft zu opfern. Diese Tänzerinnen, von jeher in Ägypten, schon zu der Pharaonenzeit, einheimisch, treiben sich, besonders seit sie aus der Hauptstadt verwiesen wurden, in allen Städten und Städtchen Oberägyptens in Menge umher. Sie rühmen sich, von dem bekannten Günstling des Kalifen Harun er Raschid's, Barmek, abzustammen, nach Einigen sollen sie wahrhaftige Zigeuner sein, von irgendeiner Rassenreinheit kann aber bei ihren lockeren Sitten keine Rede sein, auch rekrutieren sie sich aus dem übrigen Volk. Man heißt sie Ghawâsi (Sing. Ghasîe), welcher Namen daher kommen soll, dass sie den Ghus, wie man die alten Mameluken heißt, aufspielten (?). Bei vielen Schriftstellern werden sie als „Alma's“ aufgeführt, das sind aber Sängerinnen von etwas besserem Ruf. Man duldet sie nicht in der Nähe der Häuser ehrsamer Bürger, sondern hat ihnen besondere Straßen oder Viertel angewiesen, die freilich oft gerade die besuchtesten sind. Man legt ihnen nicht ganz das Handwerk, weil man sie braucht, sowohl bei Festlichkeiten zum Vortanzen, als zum ,,Schutz für die Frauen“, wie der weise Araber meint, d. h. sie ziehen die leichtfertigen Männer von der Nachstellung nach den „Verbotenen“, den Harim oder ehrbaren Frauen ab.

Ohne Bedenken durchwandern wir, am besten zur Vesperzeit, dieses Hauptquartier der geduldeten Zuchtlosigkeit, und gönnen uns die seltene Gelegenheit, die Reize der ägyptischen Damenwelt, deren Dasein wir sonst kaum aus einigen vermummten Gestalten vermuten konnten, in ihrer Pracht und ihrem vollen Schmuck zu bewundern. Da begegnen uns denn gleich drei Damen, die Vornehmsten ihres Standes. (Siehe III. Kapitel Fig. 10.) Klassisch weite, freudig farbige seidene Obergewänder umflattern sie, ein eng anliegendes, engärmeliges Kleid von kostbarem Stoff fällt senkrecht von der Hüfte bis einige Zoll über die Fußknöchel herab, so dass die bunten bauschigen Hosen, denen ein glanzledernes Schühchen oder ein gelber Pantoffel folgt, noch zur Ansicht kommen. Der ganze Körper vom Kopf bis zu den Füßen ist mit Goldschmuck überzogen und behangen, so dass eine solche Tänzerin schon dadurch ein sehr wertvoller Gegenstand ist. Noch vor wenigen Jahren kleine arme Mädchen haben sie ihre Vorzüge und Reize in ihrer Weise so gut benutzt, dass sie jetzt in so kostbarem Schmuck prangen können und ihre Schatzkammer vielleicht gefüllter ist, als die manches Großhändlers oder selbst eines türkischen Paschas. Die eine der drei Grazien ist voll, stämmig, stark wie eine Eiche, mit semitisch-arabischem, gezogenem Gesichtsprofil; die zweite, klein, blass und schmächtig, ist in dem berühmten Vollmondstil der arabischen Märchen gebaut, die dritte, fast mohrenhaft brünett, ist nach dem breitwangigen Sphinxtypus (die ägyptischen Sphinxe sollen übrigens männliche Wesen vorstellen) der Fellahinnen, direkter Nachkommen der alten Ägypterinnen, geschnitten.


Wir enteilen, denn schon ertönt ihre Pfauenstimme und gemeine Rede und zerstört die Illusion. Wir arbeiten uns glücklich durch die Lockstimmen all der Schönen, deren Haut vom tiefsten Pechschwarz, durch's Kaffee- und in's hell Bleifarbene sich zieht, einem weiteren Pigmentmangel aber, der blauäugige rosenwangige Blondinen hervorbringt, nicht Nussbraune bis mehr unterworfen ist, hindurch. Wir bewundern mehr ihre Purpurmäntel, ihre dotterfarbigen Pumphosen und smaragdenen Jäckchen, als dass wir von der Feinheit ihrer Züge gefesselt wären. Von der Hässlichkeit der großen Mehrzahl überzeugt, suchen wir dem Schauplatz ihrer Tätigkeit zu entrinnen.

Da hält uns plötzlich eine scheußliche Furie ihr Medusenhaupt entgegen; in starrer haarsträubender Betrachtung gefangen stehen wir vor ihr. Das Weib, derselben Zunft angehörig, schon im Spätherbst ihrer Jahre, aber unvermögend, an den Verlust ihrer Reize zu glauben, hat ihren vergilbten Wangen mit zinnoberroter Farbe eine zweite Jugend aufzustreichen gesucht; an Nase, Stirn, Wangen, Lippen und Kinn hebt sich eine große Anzahl schwarzer runder Farbpunkte hervor. Das spärliche glatt angelegte oder fremde Haar zeigt da und dort einige Klümpchen noch unverstrichenen Schmeers; der ranzige Geruch ist verhüllt durch den Qualm eines moschusartigen Parfüms, das aus ihrer Hautoberfläche aufsteigt. Und so kauert sie an der Schwelle ihrer Haustüre, aus einer langen Pfeife dichte Wolken stoßend, in Gesellschaft ihrer grauhaarigen Mutter, die an der Wasserpfeife saugt.

Mit Abscheu ringen wir uns aus ihren Schlingen und schauen auf die andere Seite der Straße. Da begegnen unsere Blicke einem niedlichen Kindergesichtchen, das uns entgegenlächelt. Wähnend, die reine Unschuld gefunden zu haben, nicken wir freundlich. Das braune Mädchen springt auf uns zu und schmiegt sich an uns an; wir erfahren bald, dass es eine abyssinische, vor kurzem von einer Ghawasimutter erkaufte Sklavin ist. Wie erstaunen wir aber, wenn wir sehen und hören müssen, wie diese liebliche, kaum neunjährige Knospe von vier Fuß Höhe auf ihr Kämmerchen weist und schmunzelnd keck ihren Wunsch zu erkennen gibt, uns dort zu empfangen! Überhaupt rekrutiert sich der Stand der Tänzerinnen jetzt, zur Zeit der Aufhebung der Sklaverei, mehr als je aus solchen jung angekauften Gallamädchen.