Marktgestalten

Die lauteste Stimme im Chor der Marktgestalten erhebt der Mäkler oder Versteigerer. Unermüdlich rennt er marktauf, marktab, rechts und links, zeigt auf hoch erhobenem Arm seine Ware, z. B. einen Teppich, einen Bernsteinknopf für die Pfeife, eine Pistole, früher auch wohl einen Sklaven, die er im Auftrag eines unsichtbaren Eigentümers zu verkaufen hat. Ein Liebhaber an einem Ende des Markts bietet 100 Piaster. ,,Hundert Piaster!“ ruft er, abwärts laufend zur unteren Grenze der Marktgasse, wo ein Liebhaber vorher 99 3/4 Piaster geboten hatte, um diesem die Steigerung anzuzeigen. Einer in der Mitte wagt jetzt 100 2/4, wieder rennt er auf- und abwärts, den neuen Preis zu verkündigen. Für seine Bemühung bekommt er für je 1 Piaster 1 Mejti oder 1 Para, d. h. 1/40 des Verkaufswerts. Er ist der Löwe des Marktes, Alles hört auf ihn, er kennt Alles und Alle. Ein nicht geringer Teil des Handels geht durch seine Hände. Der Kaufmann selbst, der seine Ware schnell losschlagen möchte, benutzt ihn, oder er kauft die um einen Spottpreis angebotene Ware eines Geldbedürftigen, um sie später bei Gelegenheit mit Gewinn zu verkaufen. Bei wichtigeren Käufen durchschneidet dieser Mann die ganze Stadt, wo sich Kaffeeschenken, Waren- und Gasthäuser und andere Öffentliche Versammlungsorte finden, klopft an den Privathäusern an und dringt zuweilen bis in die geheiligten Räume der Harim. Ein so wichtiges Geschäft hat seine Konkurrenten, den Vorrang behauptet aber die stärkste Stimme und die feinste Kenntnis der Schliche.

Im zweiten Rang hört man die Rufe der Hausierer, die einige Kleinigkeiten auf eigene Rechnung verkaufen, besonders Kinder mit Zündhölzchen, Zigarettenpapier, Früchten und Süßigkeiten. Auch finden es die ständigen Krämer und selbst die würdigen Kaufleute für nötig, von Zeit zu Zeit der vorüberwallenden Menge das Vorhandensein und die Vortrefflichkeit ihrer Waren mündlich und öffentlich bekannt zu machen, und sie tun das in stereotypen, lakonischen, häufig gereimten und oft wahrhaft poetischen Redensarten, in einer für jede Ware bestimmten Melodie, die freilich übersetzt ihren Reiz verlieren, z. B. ja tin, ja akl es salatin, d. h. Feigen , die Speise der Sultane! Der Verkäufer von Süßholzsirup ruft: O Laber des Leibs! u. s. w. In einer Ecke sitzen Geldwechsler an einer Kasse und lassen ihre Thaler klirren. Allerorten sind Schreiber, meist christliche Kopten, und suchen den Mangel des Volksunterrichts auszubeuten; selbst die größeren Kaufleute bedienen sich ihrer für ihre Rechnungen, teils weil sie sich nicht stark genug fühlen, teils weil es zum guten Tone gehört, einen Schreiber zu halten.


Mundschenken, den tönernen Wasserkrug auf dem Rücken, sind stets bereit, den reinen Labetrank aus messingenen Trinkschalen, wie sie schon die alten Ägypter brauchten, zu kredenzen, häufig sogar umsonst, im Auftrag einer frommen Stiftung. Das Klappen dieser Schalen ist ein wesentlicher Bestandteil des Marktgetöses. Ein anderer Wasserträger trägt auf seinem Rücken einen gewaltigen Lederschlauch (auch altägyptisch), dessen vorragende Stummeln noch lebhaft an den einstigen Besitzer, einen Bock, erinnern. Aus der Kragenöffnung sprengt er das kühlende Nass auf den staubigen Straßenboden. Für leichtere Besprengungen, z. B. eines Stubenbodens, wird das Wasser wohl auch aus dem damit vollgefüllten Munde ausgespritzt, wie von den Figuren einer Fontäne.

Ein Lastträger hüpft mit einer großen zentnerschweren Kiste auf dem Rücken stöhnend den Markt entlang; er glaubt sich durch Springen seine Arbeit zu erleichtern. Größere Lasten werden zuweilen auf zwei durch Querstricke verbundene Längsstäbe von vier Mann springend und im Takt singend getragen. Alles wird getragen, und zwar meist auf dem Rücken, teils durch Menschen, teils durch Lasttiere; Wagen und Karren fangen erst bei der Hauptstadt an. Bei den Alten waren Wagen sehr im Gebrauch, aber, wie es scheint, nur für Jagd und Krieg. Leichtere Lasten, wie Wassereimer, wurden bei ihnen an einer über Nacken und Schultern gelegten Stange beiderseits im Gleichgewichte aufgehängt, statt, wie jetzt, auf Kopf oder Schultern getragen zu werden.

Zahlreiche meist blinde Bettler steuern kühn und sicher durch die Stoßwogen des Marktes und der Straße, mit dem Stocke tastend, und fordern in fast gebieterischem, nur indirekt an das Volk gerichteten Worten den Lohn ihrer Armut: ,,Ich fordere von Gott den Preis eines Laibes Brod“, oder: ,,Ich bin der Gast Gottes und des Propheten, o reicher Geber Gott!“ Andere singen von einem festen Standort aus vom Morgen bis zum Abend einen gewissen auswendig gelernten Koranspruch in ausdruckvoller altarabischer Schriftsprache melodisch ab. Einige Wahn- oder Blödsinnige, schmutzig, mit nur wenigen über die Blöße geschlagenen Fetzen, irren rastlos auf und ab. Niemand stört sie in ihrer zwecklosen Geschäftigkeit, und wer einen wohlwollenden Blick von ihnen erhascht, fühlt sich beglückt. Denn es sind Heilige, Günstlinge Gottes, deren Segen Wunder wirkt.