Wien den 11. November 1805. - Die drohende Gefahr nahet sich immer mehr. Der Hof, die Gesandten, die meisten der Wiener Großen, haben sich schnell von hier wegbegeben, und die Französischen Vorposten stehen nur noch eine Stunde von Wien. ...

Wien den 11. November 1805.
Die drohende Gefahr nahet sich immer mehr. Der Hof, die Gesandten, die meisten der Wiener Großen, haben sich schnell von hier wegbegeben, und die Französischen Vorposten stehen nur noch eine Stunde von Wien. Das Russische Corps, welches sich von dem Inn zurückzog ist bei Stein über die Donau gegangen, um sich auf dem kürzesten Wege an die Haupt -Armee in Mähren anzuschließen. Bei Dürenstein und Stein hatte es noch mit dem Armee -Corps des Marschalls Mortier ein hartnäckiges Gefecht, wo mit beispielloser Wuth und Erbitterung gefochten wurde. Einen unersetzlichen Verlust brachte hier der Tod des Oesterreichischen Generals Schmid, welcher den Russen als General- Quartiermeister zugegeben war, und bei Dürenstein fiel. Er wird als einer der ausgezeichnetsten Offiziere der Oesterreichischen Armee allgemein betrauert.

Wien ist also durch das Seitwärtsziehen der Russen, gegen eine Retirade gesichert. Entblößt von Truppen, wäre ein allgemeines Aufgebot der Bürger zur Selbstvertheidigung, wovon man dieser Tage noch sprach, geradezu Tollheit. Die zahlreichen Vorstädte, die schöner und ansehnlicher als die Stadt selbst sind, machen eine haltbare Vertheidigung, selbst auf kurze Zeit, unmöglich, und würden Wien, vielleicht mit Sturm eingenommen, unfehlbar der Plünderung und allen damit verbundenen Schrecknissen preißgeben.


Blos unter dem bekannten Baron von Geramb hatte sich vor einigen Tagen noch ein kleines Frei-Corps von 300 Mann gebildet, welches mit Musik durch die Straßen zog, und von dem Baron in Husaren- Uniform angeführt wurde. Auch dieses ist bereits auf Schiffen nach Ungarn transportirt worden.

Für die möglichste Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit hat der Kaiser Franz noch vor seiner Abreise die besten Maßregeln getroffen. Die oberste Leitung aller Geschäfte hat eine errichtete Hof- Commission erhalten, an deren Spitze der bisherige Hof- Kammer- Vice- Präsident Graf von Wrbna , als Landesfürstl. Hof – Commissair von Nieder - Oesterreich steht. Jedermann ist mit dieser Wahl zufrieden, und setzt volles Vertrauen in die Talente und den erprobten Patriotismus dieses würdigen Staatsmannes. Fast täglich erscheinen von ihm gedruckte Kundmachungen an allen Straßen angeheftet, worinn er in einer einfachen, kräftigen Sprache zur Ruhe und Ordnung ermahn, und das Volk stets von der Lage der Sachen unterrichtet, - das beste Mittel, unzeitigen Aufläufen und Tumulten vorzubeugen, zumal bei einem patriotischen Volkes wie die Oesterreicher sind. So erschien noch heute in aller Frühe eine Kundmachung, worinn Graf Wrbna das Volk vorbereitet, es dürften wohl Kaiserlich-Französische Truppen in die Hauptstadt einrücken. Sie würden aber strenge Mannszucht halten; er fordere daher auch von den Wienern Ruhe, Ordnung und bescheidenes Betragen. „Hierzu“, fährt er fort, „ermahne ich demnach jedermann, und weit entfernt, daß Sr. Majestät, unser Landesherr, an einem dermalen unzeitigen Eifer Wohlgefallen finden sollten. wodurch so leicht das Leben und das Eigenthum ihrer Mitbürger gefährdet werden könnte, so würden Se. Majestät selbst, jede solche Unordnung streng ahnden, nachdem Sie nur aus gnädigster Fürsorge für die hiesigen Einwohner auf die Vertheidigung ihrer Residenz, Verzicht leisteten.“
Wien, am 11. Nov. 1805.
Rudolph Graf von Wrbna,
Landesfürstl. Hof- Commissair.

Das hiesige zahlreiche Bürger-Militair, aus mehreren Abtheilungen bestehend, versieht bereits die Wachen.

Seit gestern lebe ich ambulirend auf den Straßen, um alle Ereignisse zu beobachten. Zuerst wanderte ich nach der Taborbrücke, welche von Wien über die Donau nach Mähren führt. Hier traf ich eine ununterbrochene Reihe vom Fuhrwesen, einzelne Trupps von Sclavoniern, Uhlanen, Husaren vom Meerveldischen Corps, welche um Wien herum sich rückgezogen hatten, und zur Russisch-Oesterreichischen Armee eilten. Die hölzerne Tadorbrücke war mit brennbaren Materialien umlegt, um sie auf den ersten Wink abzubrennen.

In der Leopold - Vorstadt wurden in Eil auf der Donau noch viele Güter auf die Schiffe geladen, um sie nach Ungarn in Sicherheit zu bringen. Die zahlreiche Artillerie aus den Zeughäusern muß aber bleiben, und wird den Siegern wohl zur Beute werden. Heute ist eine Deputation an deren Spitze sich der Graf Wrbna, der Erzbischof von Wien und der wohlverdiente, erste Bürgermeister v. Wohlleben befindet, an den Kaiser Napoleon abgegangen.

In Abwesenheit des Grafen Wrbna, besorgt der Vice- Bürgermeister Weber einstweilen die Geschäfte. Hier sind viele Schwierigkeiten zu bekämpfen. Seit einigen Tagen ist fast alles baare Geld, selbst die Kupfer- Münze verschwunden. Man hatte daher zu gewöhnlichen Ausgaben nichts als Bankozettel, deren geringster den Werth eines Gulden hat. Hatte man daher eine kleinere Ausgabe zu bestreiten, so war es unmöglich, sich mit dem Kaufmann auseinander zu setzen. - Sie können daher leicht begreifen, daß die ganze ärmere, arbeitsame Classe des Publikums, denen weder Fleischer noch Bäcker die ersten Lebensbedürfnisse kreditiren wollte, in einer fatalen Lage war, und die gefährlichsten Auftritte aus dieser verzweifelnden Stockung zu befürchten waren. Deswegen sah man sich genöthigt, in der größten Eile für eine Million Gulden Zettel zu 12 und 24 Kreuzer drucken zu lassen, wodurch dem Mangel an Scheide- Münze abgeholfen wurde. Die preßhafte Noth entschuldigt es, daß diese Zettel ohne die geringste Abzeichnung im Papier, oder durch Stempel gefertigt sind. Deswegen fürchte ich, wird man bei einstmaliger Eincassirung derselben, die Summe sehr vermehrt finden, da die Verfälschung so leicht ist.

Heute war alles hier in der gespanntesten Erwartung. Man wußte die Franzosen ganz in der Nähe, die Deputation mar noch im Lager, und jedermann schwebte zwischen Furcht und Hoffnung. - In der Stadt war Ruhe. Das Bürger-Militair von 10,000 Mann, aus mehreren uniformirten Corps bestehend, that unverdrossen, und mit der strengsten Ordnung seine Wachen in der Stadt und in den zahlreichen Vorstädten. Jedem Corps war ein bestimmter Sammelplatz bestimmt, wohin es sich bei unerwarteten Vorfällen, auf den ersten Trompetenstoß versammeln sollte. - Nur die Weiber waren trostlos, und fürchteten die Umarmungen der französischen Krieger. Doch auch hier tröstete wieder der Glaube.

- So begegnete mir diesen Nachmittag auf dem Kohlmarkte, unter Anführung der Geistlichen und unter Voraustragung des Kreuzes, eine unabsehbare Reihe weiblicher Geschöpfe, vom zarten Mädchen von 7 und 8 Jahren, bis zum gekrümmten alten Mütterchen. Sie wallfahrteten zu der Mutter Gottes in der Maria -Hülfer -Kirche, um ihren Schutz anzuflehen. -

Mir einigen Freunden versuchte ich es, gegen Abend durch die Maria- Hülfer-Vorstadt bis vor die Linie oder Barriere zu kommen, welches die Passage nach Schönbrunn ist, in welcher Gegend die Franzosen lagen. Hier änderte sich auf einmal die Scene. So wie vor einigen Stunden Furcht die Weiber in der Stadt beherrschte, so trat hier die noch mächtigere Neugierde an ihre Stelle. - Die Furcht gegen die Französischen Krieger, hatte sich durch einige Wiener, welche man im Lager gut behandelt hatte, und die von dort zurückkamen, sehr vermindert. Jetzt wollte man doch die Gefürchteten, die so lange zögerten, wenigstens sehen. Die Neugierde überwog den Patriotismus der einen, und die Furcht der anderen Parthei - und so zog eine ununterbrochene Reihe Schaulustiger, von der Mariahülfer- Linie an bis zu den Wirthshäusern vor Schönbrunn, wo die ersten Franzosen lagen. Hier schmaußten etliche Chasseurs à cheval und Dragoner, die mit vollen Börsen klingelten und baar bezahlten. Ein dichter Kreis von Zuschauern umgab sie. Den Männern gefiel der Anblick des lang entbehrten baaren Geldes; die Weiber ließen den kräftigen militairischen Figuren, nach detaillirter Musterung, Gerechtigkeit widerfahren, und leise flüsterten sich nun die gutmüthigen Wiener zu: Schau! ich hätte mir sie doch schlimmer gedacht! Das unerwartete Schauspiel belustigte beide Theile, und obgleich es Nacht wurde, und durch die allenthalben angezündeten Wachtfeuer, um welche sich die Franzosen lagerten, die Scene noch schauerlicher wurde, so blieben doch die Zuschauer ruhig da. Die Hälfte davon waren Weiber, selbst mehrere jugendliche Gestalten in seidnen Kleidern bemerkte ich. Ob dieses nicht leichtfertige Töchter der Freude waren, will ich dahin gestellt seyn lassen.

An den äußersten Französischen Vorposten nach Wien zu, kaum hundert Schritte von ihnen, lag an einem Wachtfeuer das letzte Piquet Ungarischer Husaren. Vermöge einer Convention ziehen sie morgen ab. Mit Wohlgefallen stand ich lange Zeit bei ihnen. Obgleich zurückgedrängt und von den Siegern umgeben, bemerkte ich unter den zwanzig Husaren - Gesichtern keins, welches Muthlosigkeit oder Abspannung verrieth. Die meisten rauchten mit ruhigem Ernst ohne zu sprechen, oder bereiteten sich am Feuer ihr Abendessen zu. Einige andere blickten mit bitterm Trotz umher, als wollten sie sagen: wir sind zwar gebeugt, aber nicht überwunden! Mehrere Zuschauer wollten ihnen Geschenke an Geld machen, aber die stolzen Krieger nahmen es durchaus nicht an.

Um acht Uhr verließ ich diese kräftigen Männer, und kehrte hieher zurück. Die ganze Gebirgskette um Wien bildete einen Lichtkranz von Wachtfeuern, die zumal bei den Bivouaqs, von ungewöhnlicher Größe sind, so daß der ganze Horizont davon erhellt war.

Ich endige diesen Brief, um ihn noch auf die Post zu bringen, da es leicht seyn kann, daß der Postenlauf auf einige Zeit ganz gehemmt wird.