Wien den 6. November 1805. - Es sind nun drei Tage lieber Freund, daß ich hier in dieser schönen Kaiserstadt bin, wo ich aber die ungünstigste, traurigste Stimmung, und alles zwischen Furcht und Hoffnung getheilt, finde. ...

Wien den 6. November 1805.
Es sind nun drei Tage lieber Freund, daß ich hier in dieser schönen Kaiserstadt bin, wo ich aber die ungünstigste, traurigste Stimmung, und alles zwischen Furcht und Hoffnung getheilt, finde. Die Französische Armee rückt unaufhaltsam vor; das erste Russische Corps unter Kutusow, welches zu schwach war, hat nach der tapfersten Gegenwehr den Inn verlassen müssen, und zieht sich immer mehr zurück, in der Hoffnung, daß ihnen die Haupte Armee unter Alexander schnell zu Hülfe kommen wird. Doch genau unterrichtete Personen zweifeln, ob die Rusissche Haupt - Armee so schnell ankommen könne, zumal da die Franzosen in dieser Campagne alles durch Eilmärsche zu erzwingen suchen, und man fürchtet selbst vor Wien. Allein der Wiener ist größtentheils sorglos darüber, er hat seinen Kaiser noch in der Mitte, den er mit einer unbestechlichen Anhänglichkeit liebt; man erwartet als zweiten Schützer, täglich den Kaiser Alexander, mit der Russischen Haupt- Armee, und so steht das Volk selbst in dem Wahn, die Franzosen würden es nichs wagen, das volkreiche Wien anzugreifen, und überläßt sich wie vorher seinem fröhlichen, sinnlich -genußreichen Leben.

Doch ehe ich Ihnen weiter etwas über Wien mittheile, sollen Sie kurz hören, wie ich meine Reise von Linz bis hieher auf der Donau zurücklegte. Ich fasse mich kurz, da Sie diese herrliche Wasserfahrt in mehreren Reisebeschreibungen genau geschildert finden.


Nur vermisse ich ein pittoreskes Werkchen, mit Abbildungen darüber, etwa wie das bei Willmanns über die Rheinfahrt herausgekommene. - Mehrere gestochene Ansichten der schönsten Puncte an der Donau, die hier felsichte Ufer, alte Schlösser, Klöster, kurz die reichste Mannichfaltigkeit für den Landschaftsmaler darbietet, sah ich zwar, doch befriedigten sie meine Erwartungen nicht.

Jetzt zu meiner Fahrt. - Ich fand den 25. October in Linz am Donau- Ufer mehrere nach Wien abgehende Schiffe, und wählte der bunten Mannichfaltigkeit wegen, das ordinäre Marktschiff, welches diesmal reichlich mit Waaren befrachtet, zur Wiener Messe bestimmt war. Das Personale bestand außer den Schiffern aus 50 Köpfen, meistens Linzer Kaufleuten, aus Soldaten, Handwerkspurschen, Landleuten, (Männer und Weiber, Juden und Griechen, die in den ersten Stunden ziemlich unruhig waren, bis sich jeder seinen Fleck zum Stehen, Sitzen oder Liegen errungen hatte. Das Wetter war kalt, der und schneidend, und alles suchte daher in der Cajüte einen Platz zu erobern. Hier war aber die Menschenmasse so aufeinander gepfropft, daß die Luft bald verpestet wurde. Ich hüllte mich daher in meinen Mantel ein, und legte mich zu einigen Polnischen Soldaten auf das Verdeck; auch ruderten wir oft zur Erwärmung.

Doch bald erheiterten mich die romantischen Gegenden des Strudels und Wirbels, wo sich zu beiden Seiten des mächtigen Stroms herrliche Felsenmasen aufthürmen, die ihn in ein enges Bett pressen. Ich hatte mich in Linz mit kalten Speisen und Wein hinlänglich versehen, welches ich jedem Reisenden bei der Donaufahrt anrathe, denn die Wirthshäuser wo man landet, sind nicht besonders. Während mir also den so verschrienen Strudel und Wirbel passirten, verzehrte ich dem guten Geiste zu Ehren ein gebratenes Huhn, und schauete, am Vordertheil des Schiffs liegend, mit großem Wohlbehagen in die brausenben Fluthen. Wie in Schiller’s Taucher konnte man hier singen:

,,Und es wallet und siedet und brauset und zischt
,,Wie wenn Wasser und Feuer sich mengt.“

Neben mir knieten in fromme Andacht versunken mehrere Weiber, beteten den Rosenkranz und baten den heil. Nikolaus, den Schutz- Patron der Schiffer um Errettung aus der Gefahr.

Da die Schiffer nüchtern waren und gut steuerten, so gleitete unser schwer belastetes Schiff leicht über das Strudel- Bett hin, wo sich der Strom über die, hoch unter dem Wasser heraufstehenden Felsenspitzen brausend wälzt. Eben so sicher fuhren wir auch an dem Wirbel vorbei, ohne in seine Verderben bringenden Kreise gezogen zu werden. Dieser Wirbel wird auf folgende Weise gebildet. Der vom Strudel kommende Wasserstrom stößt auf einen, mitten aus der Donau hervorragenden Felsen, der Hausstein genannt, und wird hierdurch zurückgeworfen, von dem Strom aber von neuem gefaßt, und nun in einem gefährlichen Wirbel herumgeführt, der äußerst heftig ist, und in dem sonst nicht selten Schiffe in den Abgrund gezogen wurden. Dieses war besonders im Jahre 1777 der Fall, weswegen die Kaiserin Maria Theresia den Befehl gab, die unteren Felsen zu sprengen. und so die Gefahr zu vermindern. Dieses wurde auch bis zum Jahre 1781 geendigt, so daß jetzt bei aufmerksamen Schiffleuten die Gefahr leicht zu vermeiden ist.

Als wir die Schreckensfahrt glücklich überstanden hatten, und die verzogenen Gesichter der Reisegesellschaft sich wieder aufheiterten, gewahrte ich am felsigten Ufer eine kleine, artige Capelle des St. Nikolaus. So wie wir vorbeifuhren, ruderte schnell ein Kahn von dort auf uns zu. In Holz geschnitzt, hatte man den Heiligen darin aufgestellt, und die Schiffer baten um eine Gabe für den Schutz, den er uns bewiesen hätte, die sie auch reichlich erhielten. Um 7 Uhr in dunkler Nacht, wo der Sturm hohe Wellen schlug, und wir rüstig am Ruder gearbeitet hatten, wurde bei Marbach, einem kleinen Oesterreichischen Städtchen, gelandet. Hier brachten wir sämmtlich, fünfzig an der Zahl, in einem schlechten Gasthofe zu, - ziemlich unruhig wie Sie wohl denken können.

Sonnabend den 26. October fuhren die Schiffer in Wind und Regen, wo bei der Kälte, die Wasserfahrt nichts angenehmes hatte, nur bis zum Städtchen Stein, welches hart an dem hohen Ufer der Donau liegt, wo sich die Weinberge Terrassenförmig Höhe bauen. Unfern von Stein, sieht man die romantische Ruine des Schlosses Dürenstein, in der Geschichte durch die Gefangenschaft Richard I.*), genannt Löwenherz, berühmt. - Einige hundert Schritte von Steine liegt das Städtchen Krems, und zwischen beiden das Kloster Und, welches also spaßhaft Stein und Krems verbindet. In Krems war Jahrmarkt, und in einem - von außen noch in seiner ganzen ehemaligen Form erhaltenen Kloster, welches unter Joseph aufgehoben wurde, war - Oper. Die Gesellschaft von Baden bei Wien, glänzte jetzt hier in der Provinz vorzüglich durch kleine Farcen, wie sie auf dem Leopoldstädter - Theater in Wien gegeben werden. -

Sonntag den 27. October verließen wir nach der Früh- Messe Stein. Die Luft war mild, der Himmel heiter, und schnell führte uns der rasche Strom an den schönen Donau-Ufern hinunter. Unsere Schiffer, die so aufmerksam bei den Gefahren des Strudels und Wirbels gewesen waren, verließen aus Sorglosigkeit das Steuer- Ruder; als wir daher in die Gegend von Dulln kamen, wo die Fluth zwischen zwei Inseln reissender wurden trieb das Schiff mit Gewalt gegen das eine Insel-Ufer. Die todesbleichen Schiffer konnten es jetzt nicht mehr herumsteuern, und das Schiff fuhr hoch an das Ufer hinauf, so daß in der Cajüte Kisten, Ballen und Passagiere durcheinanderstürzten. Zum Glücke bestand das Ufer aus weichem Sande, sonst wäre das Schiff durch die Heftigkeit des Stoßes unfehlbar geborsten, und der größte Theil der Reisenden, die in der Cajüte unbehülflich übereinander lagen, ertrunken. Ich stand auf dem Vordertheile des Schiffs mit einem Oesterreichischen Offizier; wir sahen die Gefahr kommen, und waren zum gewagten Sprunge auf die Insel bereit, als uns der eine Schiffer zurief: Bleiben Sie, es hat keine Gefahr! In dem Augenblick fuhr auch das Schiff wieder in den Strom zurück, und wir hätten den Spaß gehabt, wie Robinsone auf einer, freilich nur kleinen, aber doch unwirthbaren Donauinsel zu bleiben. So kamen wir mit dem Schrecken davon, und belustigten uns nun an den komischen Gruppen der aus der Cajüte unter Waaren - Ballen hervorkriechenden Unglücksgefährten, wovon glücklicherweise keiner beschädigt war.

Um 3 Uhr erschien in der Ferne die hohe Spitze des Stephans- Thurms; wir stiegen in Nusdorf, eine Stunde von Wien aus, ließen unser Schiff mit dem Gepäcke weiter fahren, und ich wanderte zu Fuß gemächlich, ohne gefragt zu werden, in Wien ein, wo ich den ersten besten Gasthof als einstweiliges Logis nahm.

Meine Adressen an hiesige gute Häuser sind mir jetzt von keinem Nutzen. Man ist sehr niedergeschlagen über die Kriegs- Ereignisse, und wenig gestimmt, Fremde zu sehen und Gesellschaften zu geben. Selbst wir Fremden sind heute alle aufgeschreckt worden. Diesen Mittag wurde nämlich in allen Strassen ein gedruckter Befehl angeheftet, wornach binnen 6 Tagen alle Fremden, - Russen, Preußen, Dänen, Schweden, Engländer, Sachsen und Chur- Hessen ausgenommen - bei Strafe der Verhaftung, Wien verlassen sollen. Das war ein Donnerschlag für mehrere Tausende, und ich fürchte der Zweck, alles Spioniren zu verhüten, wird in einer so colossalen Stadt wie Wien, dennoch nicht erreicht werden. Die von den eben angeführten begünstigten Nationen, anwesenden Fremden mußten sich schnell Schutzscheine ihrer Gesandten verschaffen. Ich komme so eben mit einem solchen Talisman von dem gefälligen Legations - Rath G. zurück, und werde nun die Ereignisse hier ruhig abwarten.

Schon habe ich mir ein Logis in einem Privat- Hause am Graben, welches eine Art von Marktplatz in der Mitte der Stadt ist, gemiethet. Solche Privatlogis nimmt jeder Fremde, der längere Zeit in Wien bleibt. Man wohnt besser, ruhiger und viel wohlfeiler, als im Gasthofe, und kann gewöhnlich die Aufwartung, und manchmal selbst Frühstück im Hause haben. Die Anzeige solcher meublirter Logis in Privathäusern, findet man entweder in der Wiener Zeitung, oder man geht durch die Straßen, und findet sie an den Häusern durch ausgehängte Tafeln und Zettel angezeigt.

Zum Schlusse meines heutigen Briefs muß ich Ihnen noch den Eindruck schildern, den der 2te November, der Tag aller Seelen, auf mich hier machte. Am Vorabend schon wurde die Kaiserliche Begräbniß-Gruft in der Jesuiterkirche geöffnet. Mit der wogenden Menge stieg ich die Stufen hinab, wo von Kerzen schauerlich erleuchtet, mehrere Reihen Särge die irdischen Reste der Oesterreichischen Herrscher bargen. Nachdenkend weilte ich an den Särgen der Maria Theresia und Josephs II., und wunderbar ergriff mich die Vergangenheit und Gegenwart. - Rührend war es am darauf folgenden Aller Seelen-Tage, den Schmerz des guten gläubigen Volks zu sehen. Die Nachrichten von den in den letzten Schlachten Gebliebenen, hatten zahllose Familien in die tiefste Trauer verfetzt. Sie kamen heute, um nach dem Gebrauch ihrer Kirche den Seelen der Gebliebenen in den Kirchen brennende Kerzen zur Sühnung zu weihen. In zahlloser Menge brannten am Abend diese letzten Todenopfer auf den Stufen der Altäre. Gebeugte Mütter, trostlose Bräute, weinende Schwestern knieten in den rührendsten Gruppen umher. Sie beteten zu ihren Heiligen; milder lößte sich in Thränen der Schmerz, und ruhiger verließen sie die heilige Stätte.

Welche ein magischer Balsam ruhet doch tn dem Glauben!




*) Als Richard I., König von England, aus dem gelobten Lande zurückkehrte, nahm ihn Herzog Leopold von Oesterreich in Wien gefangen, und setzte 1192 den unglücklichen König unter strengsten Gewahrsam auf das Schloß Dürenstein. – Durch Gretrys geistvolle Oper: Richard, coeur de Lion, ist diese ganze Begebenheit in neuern Zeiten wieder in frisches Andenken gekommen. – Denon, als er im Winter 1805 hier war, zeichnete die ganze Gegend mit dem Schlosse genau, und darnach wurde in Paris bei der Oper eine neue originelle Decoration zum Richard Löwenherz gemalt.