Bamberg den 5ten October 1805. - Meine Reise nach Wien, lieber Freund, wird wegen des zwischen Oesterreich und Frankreich unvermeidlichen Kriegs vielleicht manche Unannehmlichkeiten haben. ...

Bamberg den 5ten October 1805.
Meine Reise nach Wien, lieber Freund, wird wegen des zwischen Oesterreich und Frankreich unvermeidlichen Kriegs vielleicht manche Unannehmlichkeiten haben. Schon hier, wo ich gestern Abend um 9 Uhr ankam, sieht es ganz kriegerisch aus. Die ganze Nacht zogen Baierische Truppen durch die Stadt, und da in dem Gasthofe, wo ich logiere, ein General sein Quartier hat, so hielt uns das Ab- und Zugehen der Ordonnanzen ziemlich munter. Da Baiern sich bereits für Frankreich erklärt hat, so zieht es auch in den hiesigen Gegenden seine Truppen schnell zusammen, die den linken Flügel von Bernadotte’s Armeecorps bilden werden.

Ich versprach Ihnen bei meinem Scheiden Bemerkungen über meine Reise mitzuteilen. Sie sollen sie haben, doch können diese nur flüchtig und fragmentarisch seyn, da ich mich nirgends lange aufhalten werde, und Gegenden durchreife, die seit des gelehrten Nikolai und seiner schreibenden Nachfolger Zeiten von allen Seiten erschöpft wurden.


Am dritten October verließ ich um 5 Uhr das freundliche, gesellige Rudolstadt. Es war ein kalter finsterer Morgen. Alles lag noch in dichten Nebel verhüllt, und nur die hoch auflodernde Flamme des Brennofens der Porzellanfabrik zu Volkstedt glänzte wie ein Meteor durch die düstere Gegend. Als es hell wurden befand ich mich in Saatfeld, das mit seinem Schlosse malerisch schön an der Saale liegt. Hier sah ich einen Theil der Vorberge des Thüringer Waldes vor mir ausgebreitet.

Dieses durch die Betriebsamkeit und der mannichfachen Industrie-Fleiß seiner Bewohner äußerst merkwürdige Gebirge, ist noch lange nicht so bekannt, als es wohl verdiente. Blos in geologischer Hinsicht haben wir das treffliche Werk des Geheimenraths Heim in Meinungen darüber, wo auch die schwer zu bestimmenden Gränzen näher ausgemittelt werden. Noch fehlt uns aber eine allgemeine topographisch - technologische Beschreibung. *) so wie eine gute Specialcharte desselben, die den Naturforschern und Technologen als Wegweiser dienen könnte. - Ich muß doch hier einer trefflichen Idee des leider für so manches Gute und Schöne zu früh verstorbenen letzten Herzogs Georg von Sachsen - Meinungen gedenken. Er wollte nämlich ein Modell en relief des ganzen Thüringer Waldgebirges nach Art des Pfyfferschen von den Gebirgscantonen der Schweiz, oder dem des Riesengebirges von Kahl, (welches in Berlin war) entwerfen lassen. Allein es unterblieb, vorzüglich glaube ich, aus Mangel an guten Charten und genauen Aufnahmen. - Ich fand bei meinem Aufenthalt in der Schweiz, wie wichtig ein solches gut gearbeitetes Modell einer größeren Gebirgsgegend für den wissenschaftlich Reisenden, dem es um die genauere Kunde des Landes zu thun ist, gerade an Ort und Stelle selbst wird. Er kann sich, ehe er die Wanderung antritt, auf dem Modell, welches natürlich so detaillirt seyn muß, daß man auch jedes einzelne Fabrikgebäude, jeden Fußpfad durch das Gebirge hier wieder findet, seine ganze Reise im Voraus planmäßig entwerfen, oder die bereits gemachte darnach noch einmal wiederholen.

Verbände man dann mit solchem Modelle jedesmal noch ein vollständiges naturhistorisches und Produkten- Cabinet der abgebildeten Gegend, mit steter Hinweisung des Finde- oder Erzeugungs-Ortes auf dem Relief, so würde dadurch die Kenntniß der merkwürdigsten Gebirgs- Gegenden seht erleichtert werden.

Von Saalfeld, wohin ich Sie nach dieser Digression zurückführe, gieng es aufwärts in das Gebirge. Ein dichter Herbstnebel umzog aber plötzlich die ganze Gegend, und raubte mir jede Aussicht. Doch gerade bei der hohen Eiche, dem höchsten Puncte des Gebirges von dieser Seite, wo eine Kirche nebst einigen Häusern ganz verlassen daliegen, brach die Sonne durch den Nebel und öffnete mir die schönsten Einsichten in die durch das herbstliche Colorit bunt gefärbten Berge und Thäler.

Um 12 Uhr kamen wir in Gräfenthal, einem Coburg-Saalfeldischen Städtchen an.

Es liegt mit seinem Schlosse Wespenstein sehr romantisch in einem Kessel von schroffen Felsen und bewachsenen Bergen. Das Städtchen ist nicht groß, aber gut gebaut, und die Einwohner verrathen durch die Reinlichkeit ihrer Kleidung und durch ihre fröhlichen Gesichter einen gewissen Wohlstand, den sie in diesen Gebirgsthälern blos ihrer rastlosen Emsigkeit und ihrem Fleiße verdanken.

Allenthalben fieng man hier im Gebirge jetzt erst die Gersten - Aerndte an. Der Roggen wird dieses Jahr, wie es meistentheils in feuchten kalten Sommern hier der Fall ist, schwerlich reif werden. Die ganze ärmere Classe des zum Theil sehr bevölkerten Thüringer Waldes, die kein Getraide aus benachbarten Ländern kaufen kann, würde daher bald auswandern müssen, wenn sie nicht die wohlthätige Kartoffel, die im Durchschnitt fast immer hier geräth, hätte. Sie macht fast das ganze Jahr das Mittags- und Abendbrod dieser frugalen Bergbewohner aus.

Die nächste Station war Judenbach, ein großes, nahrhaftes Dorf von 700 Einwohnern, das zum Herzogt. Sachsen - Meinungischen Antheile von Coburg gehört. Ich will hier nur einige statistische Notizen über dieses kleine Stück des Thüringer - Waldes anführen, um zu beweisen, welche Industrie und Wohlstand in dieser Gebirgsgegend herrscht, und wie interessant eine vollständige Beschreibung des Ganzen seyn müßte. Der Herzogt. Sachsen-Meinungische Antheit vom Fürstenthum Coburg ist vier teutsche Quadratmeilen groß, wovon über zwei Drittheile mit Wald bedeckt sind. Und doch hat dieser kleine Gebirgsstrich zwei Städte (Sonneberg und Schalkau), 4 Marktflecken, 70 Dörfer und 13,000 Bewohner. Sonach kommen auf die Quadratmeile über 3000 Bewohner, eine für eine Gebirgsgegend fast unerhörte Bevölkerung. Der Ackerbau ist hier unbeträchtlich, und der größte Theil dieser Menschenmenge nährt sich von Viehzucht, von Fabriken und vorzüglich von Verfertigung der Holzarbeiten, die unter dem Namen der Sonneberger Waare überallbekannt sind, und nach allen Theilen der Erde verschickt werden. Diese Sonneberger Waaren, die in und um das Städtchen Sonneberg vorzüglich verfertigt werden, bestehen meistens aus Spielzeug für Kinder, die eine unglaubliche Menge einzelner Artikel in sich fassen, und häufig auch als Nürnberger Spielzeug verkauft werden. - Sollten Sie wohl glauben, daß von dieser Sonneberger Waare, wenn der Handel gut geht, jährlich gegen 14,000 Centner ausgeführt werden, deren Betrag über 200,000 fl. rheinisch ausmacht? -

Noch muß ich eine Eigenheit der Bauart der Häuser in und um Judenbach erwähnen. Sie sind nicht blos mit schwarzem Schiefer gedeckte sondern meistens sind auch alle Seitenwände damit beschlagen. An den Häusern reicherer Einwohner sind dann häufig auf dem schwarzen Schiefer Verzierungen aus Stanniol-Streifen aufgekittet, und der Silberschein dieser Schnörkel auf der schwarzen Grundfläche machte bei der untergehenden Sonne einen gar artigen eigenen Effect.

Spät am Abend kam ich in Coburg an und verließ es am andern Morgen so früh, daß ich nichts darüber sagen kann. Schnell durchfuhren wir den herrlichen Wiesengrund, der sich längs der Itz ausbreitet, und schon nahte der Abend, als ich in nebeliger Ferne die Thürme von Bamberg gewahr wurde. Die ganze Gegend glich hier einem Kriegstheater. Allenthalben in den Dörfern traf ich Baierische Truppen an, die ankamen und abmarschirten. Größtentheils kamen sie in Eilmärschen durch die Oberpfalz aus Baiern. -

Hier in Bamberg verlebte ich zwei angenehme Tage. Schon die Lage der Stadt mit dem dominirenden Kloster Michelsberg nimmt ein, und ob ich gleich nicht Mediciner bin, so müssen doch jeden, dem das Herz noch etwas warm für das Wohl und Wehe seiner Mitbürger schlägt, Anstalten, wie das Krankenhaus und das Versorgungshaus auf dem Michelsberg, mit Freude und Ehrfurcht erfüllen. Ich sah es mit zwei Freunden, dem Medicinalrath Hagmeier aus München und Dr. Popp aus Nürnberg, mit denen mich der glückliche Zufall, hier in Bamberg wieder auf kurze Zeit vereinte. **)

Der um diese Anstalten sehr verdiente Director, Hofrath Markus, trug viel zu meinem angenehmen Aufenthalte in Bamberg bei. Wir wanderten auch nach seinem Babenberg, die Ruine eines alten berühmten Schlosses,***) um welches M. einen artigen Park angelegt hat, von dem man die entzückendsten Aussichten auf Bamberg und die umliegenden Gegenden hat. Die Abende verschwanden schnell in der geistreichen Familie v. St. - , wo bildende Kunst und Musik ein harmonisches Band der Geselligkeit bilden, wodurch der Fremde, der da eingeführt wird, zwei Annäherungspuncte findet, die schnell alles steife Ceremoniel verbannen, und ihm die Rechte längerer Bekanntschaft geben.

Noch muß ich eines achtungswerthen Gelehrten erwähnen, dessen Bekanntschaft ich heute hier im Gasthofe, wo er mit mir wohnt, machte. Dieses ist der Professor Schieg aus München, Astronom und Geograph. Ihm ist von der Baierischen Regierung die Vermessung von Würzburg und Bamberg übertragen worden. Da er diese Vermessung höchst sorgfältig, und selbst nach einem größeren Maßstab, als der von der bekannten Cassinischen Charte ist, fertig, (damit das Ganze als Cataster- Charte dienen könne), so wird er wohl unter 4 Jahren das Ganze nicht endigen. Künftiges Frühjahr wird Professor S. mit Würzburg anfangen, welches sich leichter als Bamberg in mehrere große Dreiecke zerlegen läßt. Im Fürstenthum Bamberg hingegen muß man wegen des coupirten Terrains, wohl um die Hälfte mehr Dreiecke nehmen. Er bearbeitet mit einigen Gehülfen den trigonometrischen Theil und läßt, so wie seine Arbeit etwas vorgerückt ist, die Geodäten gleich mit Verzeichnung der Situation anfangen.

Die Oberpfalz ist schon von dem Franösischen Ingenieur - Obristen Bonne triangulirt, so auch Baiern. Das Anspachische und Baireuth wird, wie ich höre, von Preußischen Ingenieurs bearbeitet, so daß also in einigen Jahren, wenn der Krieg die Unternehmungen nicht stört, mit dem schon vorhandenen eine trigonometrische Charte von Teutschland von Süden bis zur Ost- und Nordsee, schon ziemlich vorgerückt seyn könnte.

Morgen früh fahre ich mit Dr. Popp nach Nürnberg. Von da aus ein Weiteres.




*) Mit Vergnügen hole ich nach, daß binnen Kurzem von dem Legationsrath v. Hoff in Gotha ein interessantes Werk über das Thüringer Wald-Gebirge erscheint, welches diese Lücke auszufüllen suchen wird.




**) Sie sind beide leider nicht mehr. Ein früher Tod entriß diese thätihen Männer ihren Freunden und den Wissenschaften. Der brave Dr. Popp wurde in seiner Vaterstadt Nürnberg ein Opfer seines Edelmuthes, womit er sich der Pflege der Pflege der kranken kriegsgefangenen Oesterreicher und Russen widmete.




***) Sie erhalten hier eine Ansicht, die ich für Sie flüchtig skizzirte. – Heinrich, Herzog der Ostfranken und Lothringer (†886) nannte das Schloß seiner Gemalin Baba zu Ehren, Bababerg oder Babenberg. Den am Fuße des Berges gelegenen Flecken Volkseln erweiterte er zu einer Stadt, und nannte sie nach seinem Bergaschlosse auch Babenberg, woraus Bamberg entstanden ist. (S. v. Murr’s Merkwürdigkeiten der Residenzstadt Bamberg. 1799.) Auf diesem Schlosse, welches jetzt gewöhlich die alte Burg genannt wird, wurde 1208 Kaiser Phillipp vom Pfalzgrafen Otto von Mittelsbach ermordet.