BERATHUNG IM LAGER. — GRÜNDE ZUR RÜCKKEHR. — VERLORENE PFERDE. — RÜCKREISE MIT EINER ABTHEILUNG. — SUMPF. — WILDE PFERDE. — LAGERSCENE BEI NACHT. — DIE EULE, VORBOTE DER DÄMMERUNG.

Während man das Frühstück rüstete, ward hinsichtlich unserer weiteren Bewegungen Rath gepflogen. Seit ein paar Tagen gaben die Jäger Zeichen von Mißvergnügen zu erkennen. Die meisten, des Lebens in den Prairien ungewohnt, waren der Entbehrungen desselben, so wie des Zwangs im Lager müde. Das Brod wurde schmerzlich vermißt, und man fühlte sich erschöpft vom beständigen Marschiren. Der Reiz der Neuheit, den die Expedition gehabt, war einmal vorüber; sie hatten das Reh, den Bären, das Elen, den Büffel und das wilde Pferd gejagt, und es gab nichts mehr, dem sie mit besonderem Interesse entgegensehen konnten. So gab sich denn der Wunsch, daß man umkehren möchte, allgemein zu erkennen.

Sehr triftige Gründe bestimmten den Capitän und seine Officiere, diesen Entschluß wirklich zu fassen. Unsere Pferde waren von den Strapazen auf dem Marsch und der Jagd fast durchgängig äußerst abgemattet, und der Mangel an gutem Futter war der Umstand, daß man sie zum Schutze vor den räuberischen Indiern bei Nacht anbinden müssen, hatten sie schrecklich heruntergebracht. Es war überdies, als ob die letzten Regen aus dem wenigen noch übrigen Gras allen Nahrungsstoff weggeschwemmt hätten, und seit wie damals im Gewitter gelagert gewesen, hatten die Rosse an Fleisch und Kraft rasch abgenommen. Trotz aller möglichen Sorgfalt verlieren Pferde, welche an Getreide und an das regelmäßige, reichliche Futter im Stalle gewohnt sind, auf dem Marsche durch die Prairien Muth und Gesundheit. Bei allen Expeditionen, wie die unsrige, sind die starken indischen Pferde, die meistens Mustangs sind, das heißt halb vom wilden Schlag abstammen, vorzuziehen. Sie trotzen allen Strapazen und Entbehrungen und gedeihen bei dem Gras und den wilden Kräutern der Ebenen. Ueberdieß waren unsere Leute sehr unvorsichtig gewesen, und hatten, so oft sich die Gelegenheit bot, dem Wilde, das auf dem Marsche vor uns aufging, im Galopp nachgesetzt. So hatten sie ihre Pferde abgehetzt, statt ihre Kraft und ihren Muth zu sparen. Auf einem Zuge der Art sollten die Pferde so selten als möglich aus dem ruhigen Schritte gebracht werden, und die Tagmärsche dürfen im Durchschnitt nicht über zehn Meilen stark seyn.
Wir hatten gehofft, bei weiterem Vordringen die Ufergründe des Red-River zu erreichen, wo es junges Rohr, ein für das Vieh in dieser Jahreszeit äußerst nahrhaftes Futter, in Menge gibt. Es war just die Zeit, wo die indischen Jagdgesellschaften die Prairien in Brand stecken; das Gras in diesem ganzen Landstriche war dürr und leicht verbrennlich; mit jedem Tage war mehr zu fürchten, daß die Prairien zwischen uns und dem Fork von einem heimziehenden Haufen Osagen angezündet werden, und wir eine verbrannte Wüste zu durchwandern haben möchten. Kurz, wir waren zu spät im Jahr aufgebrochen, oder hatten uns Anfangs auf dem Marsche zu lang aufgehalten, als daß wir unsern ursprünglichen Plan ganz hätten ausführen können; wir mußten, wenn wir weiter zogen, sehr fürchten, größtentheils um unsere Pferde zu kommen und, abgesehen von andern Uebelständen, zu Fuß heimziehen zu müssen. Man beschloß also, das weitere Vorrücken aufzugeben, das Gesicht gegen Südost zu kehren und so rasch als möglich nach Fort Gibson zurückzumarschiren.
Kaum war der Entschluß gefaßt, so legte man auch rüstig die Hand ans Werk, ihn zu vollziehen. Indessen wurden mehrere Pferde vermißt, unter andern die des Capitäns und des Chirurgen. Es waren Einige hinausgegangen, sie zu suchen, aber der Morgen verstrich, ohne daß man etwas von ihnen hörte. Da wir uns allermittelst völlig marschfertig gemacht, beschloß der Commissär, mit seiner ursprünglichen Bedeckung von vierzehn Mann nebst einem Lieutenant vorauszugehen und den Capitän mit dem Hauptcorps nach Bequemlichkeit nachrücken zu lassen. Um zehn Uhr brachen wir demzufolge auf, unter Beatte’s Führung, der schon früher in diesem Landstriche gejagt hatte und den geraden Weg zur Garnison kannte. Eine Weile zogen wir am Saume der Prairien in südöstlicher Richtung hin und sahen im Laufe des Marsches wilde Thiere aller Art, Rehe, weiße und schwarze Wölfe, Büffel und wilde Pferde. Letztern jagten unsere Mestizen und Toni vergeblich nach und machten damit ihre bereits abgetriebenen Rosse nur noch müder. Ueberhaupt werden bei diesen Hetzjagden meistens nur die schwächern und minder flüchtigen Pferde gefangen, während das Pferd des Jägers leicht zu Schanden geritten wird. Letzterer setzt wirklich ein gutes Pferd daran, um ein schlechtes zu fangen. Toni, der zu Pferd ein wahrer Satan und dafür bekannt war, daß er jedes Thier, das er bestieg, zu Grunde richtete, ritt bei dieser Gelegenheit den kräftigen Grauschimmel, mit dem wir ihn beim Ausmarschiren beritten gemacht, lahm und machte ihn fast unbrauchbar. Nach wenigen Meilen verließen wir die Prairie und wandten uns ostwärts auf einem alten Kriegspfade der Osagen, wie Beatte versicherte. Er führte uns durch einen rauhen, mit verkrüppelten Wäldern und verworrenem Dickicht bewachsenen, von tiefen Schluchten und fließenden Wassern, den Quellen des Little-River, durchschnittenen Landstrich. Gegen drei Uhr lagerten wir bei einigen Wasserpfützen in einem Thälchen, nachdem wir gegen vierzehn Meilen zurückgelegt. Wir hatten aus dem letzten Lager Mundvorrath mitgebracht, und unser Abendessen, das uns trefflich schmeckte, bestand aus geschmortem Büffelfleisch, geröstetem Wildpret, Kuchen aus Mehl, mit Bärenfett gebacken, und Thee von einer Art Goldruthe, die überall auf unserm Wege wuchs, ein Getränk, das fast so gut schmeckte als Kaffee; unser Kaffee, der, so lange er vorhielt, nach dem Brauch im Westen, bei jeglichem Mahle figurirt hatte, war freilich nichts weniger als ein preiswürdiges Getränk. Er wurde in einer Bratpfanne, eben nicht sehr sorgfältig geröstet, in einem ledernen Sacke mit einem runden Steine zerstampft und in unserm vornehmsten und so ziemlich einzigen Küchengeschirr, dem Feldkessel, mit Bachwasser gekocht, das in den Prairien durch die in ihm aufgelösten und suspendirten Erdtheile immer stark gefärbt ist. Wir hatten wirklich auf unserer Reise alle möglichen Bodenarten gekostet, und die Wasser alle, die wir getrunken, waren in der Farbe, wenn auch nicht im Geschmacke so verschieden als die Tincturen in einer Apotheke. Reines, klares Wasser ist ein seltener Genuß in den Prairien, wenigstens zu dieser Jahreszeit.
Nach dem Essen stellten wir Posten um unser kleines, gewaltig geschmolzenes Lager, breiteten unsere Häute und Decken unter die jetzt fast völlig entlaubten Bäume und schliefen gesund bis zum Morgen.
Der Tag brach herrlich an, und im Lager erschollen wieder einmal muntere Stimmen: jedermann fühlte sich belebt beim Gedanken, bald wieder im Fort zu seyn und sich an Brod und Pflanzenkost zu laben. Selbst unser grämlicher Bursche, Beatte, schien dießmal lebendig zu werden, und ich hörte ihn, als er die Pferde zum Ausbruch eintrieb, ein höchst trübseliges indisches Lied durch die Nase singen. Doch diese Munterkeit hatte nicht lange Bestand vor den Beschwerden unseres Marsches, der uns, gerade wie gestern, durch ein rauhes, unebenes, verwachsenes Land führte. Im Laufe des Morgens gelangten wir ins Thal des Little-River, wo er sich durch einen breiten Grund von aufgeschwemmtem Lande windet. Er war aus seinen Ufern getreten und hatte das Thal großentheils überschwemmt. Schwer ließ sich der eigentliche Strom von den seichten Wasserflächen unterscheiden, die er gebildet, und ein Platz finden, wo man übersetzen konnte; denn er war größtentheils tief und schlammig, mit abschüssigen, losen Ufern. Unter Beatte’s Anführung zogen wir daher eine Zeit lang an dem vielfach gewundenen Ufer hin, für uns ein pfadloses Labyrinth von Sumpf, Dickicht und stehenden Wassern. Zuweilen schleppten sich unsere müden Rosse nur mit der größten Anstrengung vorwärts, denn lange Strecken ging das Wasser bis zu den Steigbügeln, und auf dem Boden befanden sich Wurzeln und kriechende Gewächse. Ein andermal mußten wir uns durch dickes Gestrüpp von Dornen und wilden Reben, welche uns beinahe aus den Sätteln zogen, Bahn brechen. Einmal sank eines der Packpferde in den Schlamm, fiel auf die Seite und wurde nur mit der größten Anstrengung wieder herausgezogen. Wo der Boden nackt war und auf allen Sandbänken sah man zahllose Spuren von Bären, Wölfen, Büffeln, wilden Pferden, Truthühnern und Wasservögeln, ein Beweis, welch treffliche Wildbahn dieses Thal abgeben mußte; aber unsere Leute hatten das Jagen satt und waren zu müde, um durch Anzeichen angeregt zu werden, durch welche sie zu Anfang unseres Marsches in fieberhafte Aufregung versetzt worden wären. Sie hatten jetzt für nichts Sinn, als ihres Wegs zur Festung zu ziehen. Endlich entdeckten wir eine Furth und setzten sämmtlich über den Little-River, wobei uns Wasser und Schlamm bis zum Sattelgurt gingen, und machten dann anderthalb Stunden lang Halt, um das nasse Gepäck auszubreiten und den Pferden Ruhe zu gönnen.
Nachdem wir wieder aufgebrochen, gelangten wir auf eine liebliche kleine, mit Gehölz von Ulmen und Baumwollenbäumen eingefaßte Wiese, auf welcher ein hübscher Rappe weidete. Beatte, der vorausritt, winkte uns zu halten; sein Pferd war eine Stute, er ritt sachte, Schritt vor Schritt vorwärts und ahmte das Wiehern seines Pferdes zum Verwundern trefflich nach. Der edle Renner der Prairien sah eine Weile herüber, schnopperte, wieherte, spitzte die Ohren und stieg zierlich rings um die Stute her, doch zu weit weg, als daß Beatte seinen Lariat hätte werfen können. Es war ein prächtiges Thier im Stolz und Adel seiner Natur. Es war herrlich anzusehen, wie hoch und leicht es den Kopf trug, wie frei es in allen Bewegungen war, wie elastisch es sich über die Wiese hinbewegte. Da Beatte nicht nahe genug kommen konnte, um ihm die Schlinge überzuwerfen, und er sah, daß das Roß zurückwich und nachgerade scheu wurde, so glitt er vom Sattel herab, schlug die Büchse auf dem Rücken seiner Stute an, und zielte, offenbar in der Absicht, das Pferd anzuschießen. Das Herz pochte mir vor Angst um das edle Thier, und ich rief Beatte zu, abzusetzen; es war zu spät, eben da ich den Mund aufthat, drückte er ab. Zum Glück schoß er nicht so sicher wie sonst, und zu meiner Freude sah ich das kohlschwarze Roß unverletzt in den Wald setzen.
Von diesem Thal aus ging es wieder über zerklüftete Höhen und durch rauhe Wälder, ein Marsch, für Roß und Reiter gleich anstrengend. Die Wände der Schluchten bestanden überdieß aus rothem Thon und waren oft so steil, daß die Pferde abwärts die Füße zusammenthaten und sachte hinabglitten, die andere Wand dagegen wie Katzen hinaufklimmten. In den Thälern fanden wir hie und da ein Gebüsch Schlehen und die Früchte des Persimmen, und die Gier, mit der unsere Leute aus Reih und Glied eilten, und diesen armseligen Früchten nachliefen, zeigte, wie sehr ihnen vegetabilische Nahrung Bedürfniß war, nachdem sie so lange bloß von thierischer Kost gelebt.
Nach drei Uhr lagerten wir uns an einem Bach auf einer Wiese, wo es etwas Gras für unsere halbausgemerzten Pferde gab. Da Beatte im Laufe des Tages einen fetten Bock geschossen, und einer von uns einen hübschen Truthahn, so fehlte es nicht an Mundvorrath.
Es war ein herrlicher Herbstabend; der Horizont war nach Sonnenuntergang hell apfelgrün, was allmählich in tiefes Purpurblau verlief. Ein schmaler, mahagonifarbiger, mit Gold gesäumter Wolkenstreif schwamm im Westen, und just darunter stand der Abendstern, im reinen Lichte des Diamanten schimmernd. Im Einklang mit dieser Scene stand das Abendconcert mannichfacher Insecten, deren vermischte Laute zu einem ernsten, fast melancholischen Tone zusammenflossen, der, wie ich immer erfahren, sänftigend auf den Geist wirkt und ihn zu ruhigem Hinbrüten stimmt.
Auch die Nacht war sehr schön. Nachdem sich die müden Jäger noch eine kleine Weile murmelnd an ihren Feuern unterhalten, überließen sie sich dem Schlaf. Es war schwacher Mondschein, und als der Mond, der im zweiten Viertel stand, untergegangen war, schönes Sternlicht mit vielen Sternschnuppen. Es ist ein wahrer Genuß, wenn man so in den Prairien bivouakirt, ausgestreckt zu den Sternen aufzublicken: es ist, als betrachte man sie auf dem Verdeck zur See. Man schließt in solch einsamen Momenten mit der herrlichen Lichtwelt dort oben jenen Bund, der die Schäfer des Orients auf der nächtlichen Weide zu Sternenkundigen machte. Wie oft, wenn ich der herrlichen Textesworte bei Hiob: „Kannst du die Bande der sieben Sterne zusammenbinden, oder das Band des Orion auflösen?“ Ich weiß nicht, wie es kam, aber die feierliche Pracht des Firmaments machte diese Nacht einen ungewöhnlichen Eindruck auf mich, und wie ich so unter dem unermeßlichen Gewölbe des Himmels lag, war mir, als ob mit der reinen Luft erheiternd eine geistige Spannkraft, ja eine köstliche Seelenruhe in mich überströmte. Ich schlummerte und wachte abwechselnd, und wenn ich schlummerte, so kleideten sich auch meine Träume in das freundliche Gewand meiner wachen Gedanken. Gegen Morgen kam eine der Schildwachen, der älteste Mann in der Truppe, und ließ sich bei mir nieder; er war müde und schläfrig, und sah ungeduldig der Ablösung entgegen. Er hatte auch gen Himmel gesehen, aber mit ganz andern Empfindungen; er sagte: „wenn ich in den Sternen recht sehe, so bricht der Tag bald an.“ –– „Ganz gewiß,“ sagte Beatte, der ganz in der Nähe lag, „eben habe ich eine Eule gehört.“ –– „Schreit denn die Eule um Tagesanbruch?“ fragte ich. –– „Ja, Herr, just wie der Hahn kräht.“ So wurde ich denn von Seite des Vogels der Weisheit mit einer gemeinnützigen Gewohnheit bekannt. Weder Sterne, noch Eule straften den Glauben Lügen, denn nicht lange, so zeigte sich ein schwacher Lichtstreif am Morgenhimmel.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien