DIE JAGD NACH EINEM VERIRRTEN GEFÄHRTEN.

Der Morgen graute, und ein paar Stunden verflossen ohne Nachricht vom Grafen. Wir fingen nun an, zu fürchten, er möchte, da er keinen Compaß bei sich hatte, irregeworden seyn und in einer falschen Richtung fortreiten. Auf diese Weise verirren sich Nachzügler oft Tage lang; und er hatte gar keinen Mundvorrath bei sich, verstand lediglich nichts vom Waldleben, und konnte leicht einem lauernden oder streifenden Haufen von Wilden in die Hände fallen. Sobald daher unsre Leute gefrühstückt hatten, riefen wir Freiwillige zu einem Streifzuge nach dem Grafen auf. Nicht lange, so war ein Dutzend Jäger auf den besten, frischesten Rossen, mit Büchsen bewaffnet, gerüstet; unsere Mestizen, Beatte und Antoine, so wie unser kleiner Franzose, schlossen sich voll Eifer an. Der Dilettant und ich stellten uns an die Spitze, um den Weg an den Platz zu zeigen, wo wir zuletzt mit dem Grafen gejagt, und man brach in die Prairie auf. Ein Ritt von ein paar Meilen brachte uns zu den zwei Büffeln, die wir geschossen. Ein Heer räuberischer Wölfe erlustigte sich bereits daran; als wir herbeikamen, schlichen sie sich mit sichtbarem Widerstreben und schuftigen Blicken ein paar hundert Yards zur Seite und harrten unseres Abzugs, um ihr Mahl fortzusetzen.
Ich führte Beatte und Antoine zu der Stelle, von wo der Graf die Jagd allein fortgesetzt. Es war, als brächte man Hunde auf die Fährte; sogleich fanden sie die Spur seines Pferdes aus den Fußstapfen der Büffel heraus, und ritten in starkem Schritt, immer die Spur im Auge, fast ganz gerade aus, über eine Meile weit fort, da kamen sie zu einer Stelle, wo die Heerde aus einander gelaufen und auf einer Wiese hin und hergerannt war. Hier war die Spur des Pferdes zerworfen und kreuzte sich mannichfach; unsere Mestizen gebärdeten sich wie Hunde, welche die Spur verloren. Während wir alle hielten und warteten, bis sie das Labyrinth entwirrt hätten, ließ Beatte einen kurzen, indischen Ruf, oder vielmehr ein Bellen hören, und wies auf eine Anhöhe in der Ferne. Als wir scharf hinblickten, gewahrten wir oben einen Reiter. „Es ist der Graf!“ rief Beatte und sprengte im Galopp davon, der ganze Haufe ihm nach. Aber nach wenigen Augenblicken hielt er sein Pferd an; eine zweite Gestalt zu Pferde war oben auf dem Hügel erschienen. Dieß änderte die Sache ganz: der Graf hatte sich allein verirrt, niemand wurde sonst im Lager vermißt. War einer der Reiter wirklich der Graf, so mußte der andere ein Indier seyn, und dann, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Pawnee. Vielleicht waren Beide Indier, Lauerposten eines in der Nähe versteckten Trupps. Während diese und andere Vermuthungen hastig besprochen wurden, glitten die Reiter über das Profil des Hügels hinunter und kamen uns aus dem Gesicht. Einer der Jäger äußerte, hinter dem Hügel stecke wohl eine Streifpartie von Pawnees, und der Graf werde ihnen in die Hände gefallen seyn. Diese Vorstellung wirkte elektrisch auf den kleinen Haufen; im Nu waren alle Pferde angesprengt, die Mestizen jagten voraus, die jungen Jäger jauchzten laut vor Freude, mit Indiern handgemein zu werden. Ein rasender Galopp brachte uns auf die Anhöhe und zeigte uns unsern Irrthum: in einer Schlucht sahen wir die beiden Reiter bei einem Büffel stehen, den sie geschossen: es waren zwei Jäger, die, ohne daß wir es wußten, etwas früher als wir das Lager verlassen; sie waren geradeswegs hiehergekommen, während wir einen Umweg über die Prairie gemacht hatten.
Als diese Episode mit der dadurch hervorgebrachten augenblicklichen Aufregung vorüber war, traten wir langsam abgekühlt, unsern Rückweg zu der Wiese an, es währte aber eine Weile, bis unsere Mestizen wieder auf die Fährte des Grafen kamen. Sie fanden sie endlich und verfolgten sie durch alle ihre Windungen bis zu einer Stelle, wo sie nicht mehr mit Büffelspuren vermischt war, sondern einzeln über die Prairien hin und her, beständig aber in einer vom Lager abgekehrten Richtung dahinlief. Man sah, hier hatte der Graf die Verfolgung der Heerde aufgegeben, hatte versucht, sich ins Lager zurückzufinden, aber bei einbrechender Dunkelheit den Weg verloren und sich in der Lage der Himmelsgegenden völlig geirrt.
Auf diesem ganzen Streifzuge zeigten unsere Mestizen jene Scharfsichtigkeit in Verfolgung einer Spur, wofür die Indier so berühmt sind. Beatte namentlich war fast wie ein ausgelernter Spürhund. Zuweilen trabte er leicht dahin, die Augen an den Boden geheftet, und sah dabei deutlich Eindrücke auf dem Grase, welche ich kaum bei der genauesten Untersuchung bemerkte; zuweilen ritt er ganz sachte und blickte unverwandt zur Erde, wo ich rein nichts mehr sah. Dann stieg er ab, nahm sein Pferd am Zügel, ging, das Gesicht niedergebeugt, Schritt vor Schritt vorsichtig dahin und erhaschte hier und dort eine ganz zufällige, fast ganz unmerkliche Spur, die ihn weiterleitete. Einigemale, wo der Boden fest und Gras dürr war, verlor er die Spur völlig und lief vorwärts und rückwärts, rechts und links, sie wieder zu bekommen, kehrte auch wohl zur Stelle zurück, wo er sie zum letztenmal bemerkt, um eine andere Richtung zu versuchen. Gelang dieß nicht, so sah er am Ufer eines Wassers in der Nähe oder auf dem sandigen Grunde der Schluchten nach, in der Hoffnung, die Stelle zu finden, wo der Graf übergesetzt. Kam er wieder auf die Spur, so stieg er zu Pferd und verfolgte sie weiter. Endlich, nachdem wir über ein Wasser gegangen, in dessen losem Ufer sich die Hufe des Pferdes tief eingedrückt hatten, kamen wir auf eine hohe, dürre Prairie, und hier wurden unsere Mestizen völlig irre. Keine Spur war zu entdecken, obgleich sie ringsum suchten, und Beatte ließ endlich ab und schüttelte sehr bedenklich den Kopf.
In diesem Augenblick brach ein kleiner Rudel Rehe aus einer Schlucht in der Nähe hervor und sprengte auf uns zu. Beatte sprang vom Pferde, schlug seine Büchse an und schoß eines an, aber nur leicht, so daß es nicht stürzte. Gleich nach dem Knall der Büchse hörten wir ein lautes Halloh in einiger Entfernung. Wir blickten umher, sahen aber nichts; ein zweites lautes Halloh, und nicht lange, so kam ein Reiter aus einem Walde hervor. Auf den ersten Blick erkannten wir in ihm den jungen Grafen; der ganze Trupp brach in ein lautes Freudengeschrei aus, und alle sprengten vorwärts, ihn zu begrüßen. Es war für beide Theile ein frohes Wiedersehen, denn wir hatten in Betracht seiner Jugend und Unerfahrenheit sehr bange um ihn gehabt, und er war bei aller seiner Liebe zu Abenteuern herzlich froh, da er sich wieder bei den Seinigen sah.
Wie wir gedacht, hatte er sich am Abend in der Richtung völlig geirrt und war fortgeritten, bis es finster wurde, worauf er sich entschloß, zu bivouakiren. Die Nacht war kühl, er getraute sich aber nicht, Feuer anzumachen, aus Furcht, es möchte ihn umherstreifenden Indiern verrathen. Er fesselte sein Pferd mit seinem Schnupftuch, ließ es am Rande der Prairie weiden, kletterte auf einen Baum, befestigte seinen Sattel zwischen den Aesten, setzte sich darauf, den Rücken gegen den Stamm und machte sich, zumal ihm die Wölfe hie und da ein Stückchen vorheulten, auf eine bange schauerliche Nacht gefaßt. Er sah sich angenehm getäuscht, in Folge der gehabten Anstrengung verfiel er bald in gesunden Schlaf, träumte angenehm von seinem Heimwesen in der Schweiz und wachte nicht eher auf, als bis es heller Tag war. Er kletterte nun von seiner Hühnerstange herab, bestieg sein Pferd und ritt auf eine kahle Anhöhe, von wo er eine pfadlose Wildniß überblickte, aber nicht sehr weit den Grand-Canadian sich zwischen bewaldeten Ufern hinschlängeln sah. Der Anblick des Flusses tröstete ihn mit dem Gedanken, daß, sollte er sich nicht ins Lager zurückfinden können oder nicht von einer Abtheilung der Seinigen aufgefunden werden, er dem Laufe des Stroms folgen und sich so zu einem Gränzposten oder einem indischen Dorfe durchschlagen könne. Damit waren die Abenteuer unserer mißlichen Büffeljagd zu Ende.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien