DAS LÄRM-LAGER. — FEUER. — DIE WILDEN INDIANER.

Wir machten endlich Halt und mußten uns mit einem mittelmäßigen Lagerplatze begnügen, in einem Walde von verkrüppelten Eichen, am Rand einer tiefen Schlucht, in welcher unten einige Wasserlachen standen, hart am Fuß eines sanft aufsteigenden Hügels, mit halbverdorrtem Grase bedeckt, das eine magere Weide bot. Am Fleck, wo wir zunächst gelagert, zeigte sich das Gras hoch und dürr. Die Aussicht war beinahe ringsum durch sanfte Anhöhen beschränkt.
Eben da wir lagerten, kam Toni voll Jubel von seiner Jagdpartie zurück; sein Schimmel war rings mit Büffelfleisch behängt. Seinem Berichte nach hatte er zwei mächtige Ochsen ins Gras gelegt; wie gewöhnlich zogen wir von seinen Großsprechereien die Hälfte ab; jetzt aber, da er sich in Wahrheit auf etwas zu gut thun konnte, war seiner fertigen Zunge vollends gar kein Einhalt zu thun.
Nachdem er durch Ausmalen seiner Großthat seine Eitelkeit einigermaßen befriedigt, sagte er uns, er habe frische Pferdespuren bemerkt, die er, mehreren Umständen nach, einer Streifbande von Pawnees zuschreiben möchte. Dieß verbreitete einige Unruhe; die jungen Leute, welche den zwei Büffeln nachgesetzt hatten, waren noch nicht zurück, man äußerte die Besorgniß, sie könnten angegriffen worden seyn. Auch unser Veteran, der alte Ryan, war, sobald wir zum Lagern Halt gemacht, mit einem jungen Lehrling zu Fuß fortgegangen. „Der alte Mann,“ sagte Beatte, „ruhe nicht, bis ihm die Pawnees das Hirn einschlagen; er will alles verstehen, aber die Pawnees kennt er nicht.“
Der Capitän machte sich mit seiner Büchse auf, um von der freien Höhe eines benachbarten Hügels die Gegend zu übersehen. Zugleich fesselte man die Pferde und ließ sie im Felde daneben grasen, man hieb Holz, machte Feuer an und rüstete das Abendessen.
Auf Einmal entstand Feuerlärm im Lager. Eines der hell lodernden Feuer hatte das hohe dürre Gras in Brand gesteckt, es ging ein Wind, und in kurzer Zeit konnte das ganze Lager in lichten Flammen aufgehen. „Seht nach den Pferden!“ schrie der Eine; „das Gepäcke weg!“ ein Anderer; „lauft nach Büchsen und Pulverhörnern!“ ein Dritter; alles war in größtem Aufruhr. Die Pferde rannten wild umher, hier flüchtete man eilends Büchsen und Pulver, dort schleppte man Sättel und Satteltaschen weg; ans Löschen dachte kein Mensch, und niemand wußte auch, wie dieß anfangen. Da machten sich Beatte und seine Cameraden auf indische Manier ans Werk; sie warfen Tücher und Pferdedecken auf die Ränder des Feuers, um zu verhindern, daß es im Grase nicht weiter greife; die Jäger folgten ihrem Beispiel, und so war in Kurzem die Brunst glücklich gedämpft. Die Feuer wurden nun vorsichtig auf Stellen angezündet, wo man das dürre Gras zuvor weggeschafft. Toni machte sich daran, uns von seinem Büffelfleisch ein treffliches Abendessen zu bereiten; er versprach uns eine kräftige Suppe und ein köstliches Stück Roastbeef, wir sollten aber einen zweiten, ernstlichern Schreck erleben.

Auf dem Hügel oben hörte man ein verworrenes Geschrei von mehrern Jägern, wovon wir nur die Worte verstanden: „Die Pferde! Die Pferde! thut die Pferde ein!“ Jetzt schrie alles durcheinander, Fragen, Antworten kreuzten sich verworren, so daß man gar nicht wußte, was es gab und jeder auf seine Faust Schlüsse machte.
„Der Capitän hat Büffel aufgejagt,“ rief der Eine, „und hat keine Pferde, sie zu jagen.“ Im Augenblick griff ein Trupp Jäger zu den Büchsen und eilte der Spitze des Hügels zu. „Die Prairie hinter dem Berge steht im Feuer!“ schrie ein Anderer; „ich sehe den Rauch. Der Capitän meint, wir sollen die Pferde über den Bach treiben.“
Allermittelst kam ein Jäger den Hügel herab ins Lager gelaufen. Er war fast athemlos und brachte nur heraus, der Capitän habe in der Entfernung Indier bemerkt.
„Pawnees! Pawnees!“ schrie jetzt unsere ganz tolle Jugend zusammen. „Treibt die Pferde ins Lager!“ hieß es hier; „sattelt die Pferde!“ hieß es dort; „angetreten!“ befahl ein Dritter. Der Lärm, die Verwirrung geht über alle Beschreibung. Die Jäger liefen auf dem Feld herum, die Pferde einzufangen; da sah man den Einen sein Pferd an der Halfter vorwärts zerren, ein Anderer sprengte im bloßen Kopf auf dem nackten Pferd einher, ein Dritter trieb ein Pferd, das noch die Fesseln an den Beinen hatte und unbehülfliche Sprünge machte wie ein Känguruh.
Die Verwirrung wurde immer toller. Vom untern Ende des Lagers kam die Nachricht, in einem Thal in der Nähe stecke eine Bande Pawnees. „Den alten Ryan haben sie durch den Kopf geschossen; dem, der bei ihm war, sind sie auf den Fersen!“ –– „Nicht der alte Ryan ist todt, sondern einer der Jäger, die den zwei Büffeln nachgegangen sind.“ –– „Dreihundert Pawnees stehen gerade hinter dem Berge!“ erscholl eine Stimme; „mehr! mehr!“ rief eine andere.
Rings von Hügeln eingeschlossen, konnten wir gar nicht weit hinaussehen, und so blieben wir allen diesen Gerüchten preisgegeben. Man glaubte einen grausamen Feind in nächster Nähe, und mußte jeden Augenblick eines Angriffs gewärtig seyn. Allermittelst waren die Pferde ins Lager getrieben, liefen unter den Feuern herum und traten das Gepäcke mit Füßen. Alles dachte darauf, sich zum Kampfe zu rüsten; aber das war keine leichte Sache. Beim Feuerlärm vorhin waren Sättel, Zäume, Büchsen, Pulverhörner und andere Waffenstücke von ihren Plätzen gerissen und in der Eile unter die Bäume zusammengeworfen worden. „Wo ist mein Sattel?“ hörte man hier einen fragen; „hat niemand meine Büchse gesehen?“ rief ein Anderer; „wer leiht mir eine Kugel?“ ein Dritter, der sein Gewehr lud; „ich habe meinen Kugelbeutel verloren.“ –– „Um Gottes willen!“ klagte dort Einer, „helft mir das Pferd gürten! es ist so stärisch; ich kann nicht mit ihm fertig werden!“ In der Hast hatte er den Sattel verkehrt aufgelegt.
Manche schwadronirten und machten große Worte, Andere sprachen nichts, rüsteten aber besonnen ihre Pferde und Waffen, und diese flößten mir am meisten Vertrauen ein. Auf Mehrere wirkte der Gedanke, mit Indiern handgemein zu werden, sichtbar erhebend und begeisternd, und auf keinen so sehr als auf meinen jungen Reisegefährten, den Schweizer, der einmal leidenschaftlich für wilde Abenteuer eingenommen war. Unser Diener Beatte führte seine Pferde hinten ins Lager, lehnte seine Büchse an einen Baum und setzte sich dann schweigend ans Feuer. Der kleine Toni dagegen, der emsig kochte, unterbrach sein Geschäft jeden Augenblick, um den Fanfaron zu spielen; er sang, er fluchte, und war ganz auffallend lustig, was mich gar sehr argwohnen ließ, bei dieser Beweglichkeit möchte ein klein wenig Angst im Spiele seyn.
Etwa ein Duzend Jäger machte sich, nachdem sie so rasch als möglich ihre Pferde gesattelt, auf, der Gegend zu, wo die Pawnees die Jäger sollten angegriffen haben. Es ward nun beschlossen, falls unser Lager angegriffen werden sollte, die Pferde hinten in die Schlucht zu bringen, wo sie außerhalb des Bereichs von Pfeilen oder Kugeln waren, und uns selbst am Rande der Schlucht aufzustellen. Diese diente als Graben, und im Dickicht und hinter den Bäumen, die sie einsäumten, konnten wir uns gehörig gegen die Geschosse des Feindes decken. Zudem hüten sich die Pawnees wohl, eine solche Stellung anzugreifen; ihr eigentliches Schlachtfeld ist, wie ich schon oben bemerkt, die offene Prairie, wo sie auf ihren flüchtigen Rossen, gleich Geyern über ihre Feinde herfallen, oder sie umschwärmen und ihre Pfeile auf sie abschießen können. Trotz dem konnte ich mir nicht verbergen, daß, war wirklich ein so starker Haufe dieser gut berittenen, kriegerischen Wilden in der Nähe, und wurden wir von ihnen angegriffen, die Unerfahrenheit unserer neugeworbenen Mannschaft, ihr Mangel an Kriegszucht, ja selbst der Muth mancher jüngern unter ihnen, deren Sinn auf Abenteuer und Kriegsthaten stand, uns keiner geringen Gefahr aussetzten.
Allermittelst langte der Capitän im Lager an, und alles drängte sich neugierig um ihn her. Er erzählte, er sey auf seinem Streifzuge ziemlich weit gekommen, und habe langsam längs des Grats einer kahlen Anhöhe seinen Rückweg ins Lager eingeschlagen, da sey ihm oben auf einem Hügel gegenüber etwas aufgefallen, das ausgesehen wie ein Mensch. Er blieb stehen und sah scharf hinüber; das Ding stand aber so regungslos, daß er es für einen Busch oder den Wipfel eines Baums an der andern Seite der Anhöhe hielt. Er ging weiter, da rückte es gleichfalls in derselben Richtung fort. Jetzt tauchte noch eine zweite Gestalt daneben auf, als wenn einer bisher am Boden gelegen, oder eben über die Anhöhe herübergekommen wäre. Der Capitän hielt an und sah hinüber; sie blieben gleichfalls stehen. Er legte sich sodann ins Gras; da gingen sie weiter; als er wieder aufstand, blieben sie wieder stehen, wie wenn sie ihn beobachteten. Er wußte, daß die Indier ihre Lauerposten auf diese Weise auf kahlen Anhöhen aufstellen, wo man eine weite Aussicht beherrscht, und die verdächtigen Bewegungen der Leute mußten ihn vollends stutzig machen. Er steckte jetzt seine Mütze auf die Büchse und schwenkte sie in der Luft; sie achteten nicht auf das Signal. Er schritt nun zu und betrat ein Gehölz, das ihn jenen aus dem Gesicht brachte. Nach einer Weile sah er wieder hinüber, und jetzt bemerkte er, daß die beiden Leute rasch vorwärts eilten. Da die Anhöhe, auf der sie gingen, in einem Bogen auf diejenige zulief, wo er selbst sich befand, so war es, als ob sie ihm den Rückweg ins Lager abschneiden wollten. Er muthmaßte jetzt, sie könnten zu einem starken Haufen Indier gehören, die entweder im Hinterhalt lägen, oder im Thale hinter der Anhöhe hinzögen; er eilte daher nach Hause zu kommen, und da er auf einer Anhöhe zwischen sich und dem Lager ein paar Jäger gewahrte, so rief er ihnen zu, sie sollten ins Lager eilen und die Pferde eintreiben lassen, weil nach diesen die Indier in der Regel zu allererst zu greifen pflegen.
So war der Lärm entstanden, der das ganze Lager in Aufruhr gebracht. Viele, die des Capitäns Erzählung hörten, zweifelten nicht daran, daß die Leute auf dem Hügel Vorposten der Bande von Pawnees gewesen, die unsere Jäger niedergeworfen. Von Zeit zu Zeit hörte man in der Ferne Schüsse fallen; man dachte nicht anders, als sie rührten von dem Detaschement her, das fortgeeilt, die Cameraden zu befreien. Noch mehrere Jäger, die jetzt mit ihrer Rüstung fertig waren, sprengten in der Richtung des Feuers davon, andere sahen ängstlich und verlegen aus. Einer meinte: „Sind ihrer so viele, als man sagt, und so gut beritten, wie sie immer sind, so wird es uns auf unsern müden Rossen schlecht ergehen.“ –– „Ei,“ erwiderte der Capitän, „unser Lager ist fest, wir können schon eine Belagerung aushalten.“ –– „Ja doch, aber bei Nacht stecken sie die Prairie in Brand, und brennen uns aus unserem Lager heraus.“ –– „Dann zünden wir Gegenfeuer an.“
Jetzt ward gemeldet, ein Reiter komme auf das Lager zu. –– „Es ist einer von den Jägern! –– Es ist Clemens! –– Er bringt Büffelfleisch!“ so hieß es durcheinander, während der Reiter näher kam. Und es war wirklich einer der Jäger, die am Morgen den zwei Büffeln nachgesetzt. Er ritt ins Lager, sein Pferd rings behängt mit Jagdbeute, hinter ihm her seine Cameraden, alle frisch und gesund und gleichfalls tüchtig beladen. Sie erzählten nun wie lange sie hinter den zwei Büffeln her gewesen, und wie viele Schüsse es sie gekostet, bis sie einen erlegt.
„Gut, aber die Pawnees –– wo sind die Pawnees?“ –– „Was für Pawnees?“ –– „Die euch angefallen!“ –– „Uns hat kein Mensch angefallen.“ –– „Ihr habt aber doch Indier gesehen unterwegs?“ –– “Ja, ja, zwei von uns stiegen auf eine Anhöhe, um nach dem Lager auszuschauen, und sahen auf einem Hügel gegenüber einen Kerl, der närrische Fratzen machte, allem nach war das ein Indier.“ –– „Pah, das war ich!“ rief der Capitän.
Jetzt war alles am Tage: der ganze Lärm rührte vom beiderseitigen Irrthum des Capitäns und der Jäger. Die Geschichte von den dreihundert Pawnees und ihrem Angriff auf unsere Jäger erwies sich als eine muthwillige Erdichtung, von der man weiter keine Notiz mehr nahm, obgleich der Urheber wohl verdient hätte ausgemittelt und streng bestraft zu werden.
Da es jetzt lediglich keinen Anschein hatte, als ob es zum Gefechte kommen sollte, so dachte jedermann ans Essen, und in diesem Punkte wirkten alle Magen im Lager einträchtig zusammen. Toni trug uns seine versprochenen Leckerbissen, Büffelsuppe und Braten auf. Die Suppe war furchtbar gepfeffert, und was den Roastbeef betrifft, so mußte der Ochs ein Patriarch der Prairie gewesen seyn; in meinem Leben habe ich keine zähern Bissen gekaut. Indessen war es unsere erste Schüssel Büffelfleisch, und so aßen wir mit lebendigem Glauben; auch ließ uns unser kleiner Franzmann keine Ruhe, bis wir ausdrücklich die Trefflichkeit seiner Kocherei anerkannt, obgleich der Pfeffer uns in den Hals hinein Lügen strafte.
Die Nacht brach an, ohne daß der alte Ryan und sein Begleiter zurückkamen. Wir hatten uns indessen an das Herumstreifen dieses alten Waldhahns gewöhnt, und so ward seinetwegen keine Besorgniß geäußert. Nach dem beschwerlichen Marsch und der Aufregung den Tag über sank bald das Lager in tiefen Schlaf, die Schildwachen ausgenommen, die schärfer auf der Hut waren als gewöhnlich; denn die neuerlich wahrgenommenen Spuren von Pawnees und der Umstand, daß wir uns jetzt mitten in ihrem Jagdgebiete befanden, machten strenge Wachsamkeit zur Pflicht. Gegen halb eilf Uhr wurden wir alle durch einen neuen Alarm aus dem Schlaf aufgeschreckt. Eine Schildwache hatte ihr Gewehr losgeschossen und war ins Lager gerannt, mit dem lauten Geschrei, es seyen Indier um den Weg.
Im Nu war alles auf den Beinen; der Eine griff nach der Büchse, der Andere machte sich auf, sein Pferd zu satteln; viele eilten zu des Capitäns Quartier, wurden aber zu ihren Feuern zurückgewiesen. Man befragte die Schildwache: der Mann versicherte, er habe einen Indier auf allen Vieren auf sich zukriechen sehen, daher er Feuer auf ihn gegeben und ins Lager gelaufen. Der Capitän meinte, der vermeintliche Indier werde ein Wolf gewesen seyn; er gab dem Mann einen Verweis, daß er seinen Posten verlassen, und schickte ihn wieder hinaus. Manche schienen gar sehr geneigt, dem Berichte der Wache Glauben zu schenken; denn die Vorfälle den Tag über hatten sie für die Furcht vor lauernden Feinden und plötzlichem Ueberfall in finsterer Nacht empfänglich gemacht. Lange noch saßen sie um ihre Feuer, die Büchse in der Hand, leise mit einander wispernd und hinhorchend, ob es nicht wieder etwas gebe. Es fiel indessen nichts weiter vor; allgemach erstarben die Stimmen, die Plauderer nickten, schlummerten, entschliefen, und nach und nach sanken Schlaf und Stille wiederum auf das ganze Lager herab.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien