DAS LAGER DER WILDEN PFERDE. — JÄGERGESCHICHTEN. — SITTEN DER WILDEN PFERDE. — DER MESTIZE UND SEINE BEUTE. — EINE PFERDEJAGD. — EIN WILDER GEIST GEZÄHMT.

Wir hatten in einer wildrauhen Gegend gelagert, wie man bald am Krachen der Büchsen ringsum merkte. Bald war einer unserer Jäger wieder da mit dem Fleisch einer Geiß, das er in die Haut gepackt über der Schulter trug; ein anderer brachte einen fetten Bock auf dem Pferde; ferner kamen zwei weitere Stücke Rothwild und eine Anzahl Truthühner. Alles Wild wurde vor des Capitäns Feuer niedergelegt, um sofort unter die verschiedenen Menagen vertheilt zu werden. Bratspieße und Feldkessel waren bald voll, und den ganzen Abend ward auf Waidmannsweise getafelt und geschlemmt.
In unserer Hoffnung, auf Büffel zu stoßen, hatten wir uns heute getäuscht gesehen; aber das wilde Pferd war etwas absonderlich Neues gewesen, und so lieferte es denn auch Abends im Lager den Stoff zur Unterhaltung. So wurden mehrere Anekdoten von dem berühmten Grauschimmel erzählt, der sechs, sieben Jahre lang hier herum in der Prairie sich aufgehalten und alle Nachstellungen der Jäger zu Schanden gemacht hatte; es hieß, er könne im Schritt und Paß so rasch gehen als das flüchtigste Roß im schnellsten Laufe. Gleich wunderbare Geschichten hörte man von einem Rappen am Brassis, der einst auf den Prairien am Ufer dieses Flusses in Texas lief. Jahre lang hatte ihm niemand zu Leibe kommen können; sein Ruf verbreitete sich überall hin, man bot für ihn bis auf tausend Dollars; die kühnsten Jäger, die tüchtigsten Reiter stellten ihm unaufhörlich nach, aber vergebens. Endlich wurde er ein Opfer seiner Galanterie; er ward von einer zahmen Stute unter einen Baum gelockt, und hier warf ihm ein in den Aesten versteckter Junge die Schlinge über den Kopf.
Der Fang des wilden Pferdes ist eines der Lieblingsgeschäfte der Volksstämme um die Prairie, und die indischen Jäger remoutiren sich hauptsächlich auf diesem Wege. Die wilden Pferde, welche auf diesen ungeheuern, grasbewachsenen Ebenen zwischen dem Arkansas und den spanischen Niederlassungen leben, sind aber nach Farbe und Bau bedeutend verschieden und verrathen dadurch verschiedene Abkunft. Manche gleichen dem gemeinen englischen Schlag und stammen wohl von Pferden, die aus unsern Niederlassungen entlaufen. Andere sind klein, aber stark gebaut und man glaubt, sie seyen von der mit den spanischen Eroberern herübergekommenen andalusischen Race. Manche mit reicher Phantasie begabte Forscher erblickten in ihnen die Abkömmlinge des arabischen, aus Afrika nach Spanien und von dort hieher verpflanzten Schlags, und gefielen sich im Gedanken, ihre Urväter möchten von jenen reinen Rennern der Wüste gewesen seyn, die hereinst Muhammed und seine kriegerischen Jünger durch den Sand Arabiens trugen.
Allerdings ist es, als ob mit dem Roß auch die Sitten des Arabers herübergekommen wären. Mit Einführung des Pferdes in die ungeheuern Ebenen des Westen erlitt die Lebensweise der Eingebornen eine völlige Umkehrung. Statt in den Tiefen düsterer Wälder zu lauern und sich langweilig zu Fuß durch das verworrene Labyrinth der Wildniß zu winden, wie sein Bruder im Norden, schweift der Indier des Westen über die Ebene hin; fast beständig zu Pferde, führt er ein heiteres, sonnenhelleres Leben auf weiten blumigen Prairien und unter wolkenlosem Himmel.
Ich lag noch spät Abends an des Capitäns Feuer, horchte den Geschichten von den Rennern der Prairien und gab meinen eigenen Gedanken Audienz, da entstand Geschrei und Jubel am anderen Ende des Lagers, und es kam die Meldung, Beatte der Mestize habe ein wildes Pferd eingebracht. Im Nu waren alle Feuer leer; das ganze Lager strömte dem Indier und seiner Beute zu. Es war ein etwa zweijähriges Füllen, sehr hübsch gebaut, zart von Gliedern, mit hübschen vorspringenden Augen, feurig und doch sanft. Mit Blicken des Staunens und der Ueberraschung sah es die Leute, die Pferde, die Wachfeuer an, während der Indier, das Ende der Schlinge in der Hand, mit übereinandergeschlagenen Armen vor ihm stand und es, ohne eine Miene zu verziehen, betrachtete. Beatte, wie ich schon früher bemerkt, war von grünlicher Olivenfarbe, und mit seinen scharf ausgeprägten Zügen erinnerte er stark an die Bronzebilder Napoleons, und wie er so mit verschränkten Armen und unverwandtem Blick vor seinem gefangenen Rosse stand, glich er wirklich mehr einer Statue als einem lebenden Menschen. Zeigte sich aber das Pferd im mindesten ungebärdig, sogleich würgte es Beatte mit dem Lariat und zerrte es herüber und hinüber, daß es fast zu Boden fiel; hatte er es so auf eine Weile zur Raison gebracht, so stand er wieder so statuenähnlich wie zuvor und sah es schweigend an. Der ganze Auftritt war wild im höchsten Grade: das dicke Gehölz, stellenweise von den flackernden Feuern beleuchtet, hier und dort die Pferde an die Bäume gebunden, ringsum Wildpret aufgehängt, und in der Mitte der wilde Jäger und sein wildes Roß in einem staunenden Haufen nicht viel weniger wilder Milizen.
Mehrere junge Jäger, leidenschaftlich aufgeregt, suchten das Pferd durch Kauf oder Tausch an sich zu bringen, und boten sogar übermäßige Summen; aber Beatte schlug alle Anerbietungen aus. „Jetzt bietet ihr viel,“ sagte er, „morgen wollt ihr nicht mehr und sagt: Verdammter Indier!“ –– Die jungen Leute bestürmten ihn mit Fragen, wie er das Pferd gefangen, aber seine Antworten waren trocken und einsylbig; man sah wohl, es wurmte ihm noch, daß er von den jungen Burschen geringgeschätzt und gehöhnt worden, und zugleich sah er verächtlich auf sie herab, als auf Gelbschnäbel, die vom edlen Waidwerk blutwenig verstanden. Später aber, als er sich bei unserm Feuer niedergelassen, vermochte ich ihn leicht zu einem Bericht über seine Großthat; denn so verschlossen gegen Fremde und so wenig aufgelegt er war, von sich selbst viele Worte zu machen, so hatte er doch, wie alle Indier, seine Zeiten, wo das Eis seiner Schweigsamkeit schmolz.
Er erzählte mir, vom Lager aus sey er an den Platz zurückgekehrt, wo wir das wilde Pferd aus dem Gesicht verloren. Er fand bald seine Spur und verfolgte sie bis zum Flußufer. Hier, wo die Fußstapfen im Sande deutlicher waren, bemerkte er, daß ein Huf zerbrochen und schadhaft war, und so gab er die weitere Verfolgung auf. Auf dem Rückwege zum Lager stieß er auf ein Rudel von sechs Pferden, die sogleich dem Flusse zurannten. Er verfolgte sie über das Wasser, ließ seine Büchse am Ufer zurück, setzte sein Pferd in vollen Lauf und holte die Flüchtigen bald ein. Er versuchte, einem die Schlinge überzuwerfen, aber der Lariat hing sich an ein Ohr und das Pferd schüttelte ihn ab. Die Pferde liefen einen Hügel hinan, er hart hinter ihnen her; da sah er auf Einmal ihre Schweife hoch in der Luft flattern, ein Zeichen, daß sie sich in einen Abgrund hinabwarfen. Zum Anhalten war es zu spät, er machte die Augen zu, hielt den Athem an, und stürzte sich, auf die Gefahr, den Hals zu brechen, mit ihnen hinunter. Es ging zwischen zwanzig und dreißig Fuß tief hinunter, sie langten aber alle glücklich auf Sandboden an.
Es gelang ihm jetzt, einem hübschen jungen Pferde die Schlinge überzuwerfen. Während er so neben ihm her gallopirte, kamen die beiden Pferde links und rechts vor einem jungen Baume vorüber, und das Ende des Lariats ward ihm aus der Hand gerissen. Er faßte es wieder, mußte es aber, da wieder ein Baum im Wege lag, noch einmal fahren lassen. Er wurde desselben auch dießmal wieder habhaft, und da er jetzt auf offeneres Land kam, so konnte er das junge Roß an der Leine zerren, allgemach bändigen, und dahin bringen, wo er seine Büchse gelassen. –– –– Ein weiteres schweres Stück Arbeit war nun, es über den Fluß zu bringen. Beide Pferde blieben eine Weile im Schlamme stecken, und Beatte kam durch die heftige Strömung und das Sträuben seines Gefangenen beinahe aus dem Sattel. Mit großer Mühe und Anstrengung kam er endlich doch über den Fluß und brachte seine Beute glücklich ins Lager.
Den ganzen Abend herrschte vollends große Aufregung im Lager: man sprach von nichts als vom Pferdefang; unsere ganze Jugend war für diese edle Jagd höchlich eingenommen, und Jeder gedachte im Triumph, auf einem edeln Renner der Prairien vom Feldzuge heimzukehren. Auf Einmal war Beatte ein Mann von großem Gewichte geworden, der vornehmste Jäger, der Held des Tages; die bestberittenen Jäger boten ihm ihre Pferde zur Jagd an, wenn er ihnen Theil am Fange geben wollte. Beatte nahm diese Huldigungen schweigend hin; aber unser plappernder, aufschneiderischer Franzose entschädigte für sein Schweigen, indem er von der Sache so viel Großes zu sagen wußte, als hätte er das Pferd gefangen. Er hielt einen so gelehrten Vortrag über den Gegenstand und schwadronirte so gewaltig über die vielen Pferde, die er schon gefangen, daß man ihn nachgerade als ein Orakel betrachtete, und manche junge Bursche nicht recht wußten, ob sie ihn nicht sogar über den einsylbigen Beatte stellen sollten.
Die Aufregung hielt das Lager länger wach als sonst; an allen Feuern war ein Gesumme, hin und wieder von schallendem Gelächter unterbrochen, und es mußte tief in der Nacht seyn, bevor alles eingeschlafen war.
Mit dem grauenden Morgen ging es von Neuem los, und Beatte und sein wildes Pferd waren wieder Lagergespräch und Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Das gefangene Pferd war die Nacht über unter die andern an einen Baum gebunden worden; jetzt führte es Beatte wieder vor an einer langen Halfter oder Lariat, und wenn es sich im mindesten unartig zeigte, ward es durch Zerren mürbe gemacht. Es schien gutartig und gelehrig, und sein Auge hatte einen wohlgefälligen Ausdruck von Sanftmuth. Es war, als ob das arme Thier in dem völlig ungewohnten, hülflosen Zustande sich sogar bei dem Pferde, das es hatte fangen helfen nach Schutz und Freundschaft umsähe.
Da Beatte sah, wie sanft und gutartig es war, band er ihm, just da wir aufbrechen wollten, einen leichten Pack auf den Rücken, als erste Unterweisung im Sklavendienste. Ob diesem Schimpf aber empörte sich der natürliche Stolz und das Freiheitsgefühl des Thiers; es bäumte sich, schlug hinten und vorn aus, und suchte auf jede Weise der schmälichen Bürde loß zu werden. Es vermochte nichts gegen die Uebermacht des Indiers; bei jedem neuen Ausbruche wiederholte er das Spiel mit der Halfter, bis endlich das arme Thier, zur Verzweiflung getrieben sich platt auf den Boden niederwarf und regungslos liegen blieb, als gäbe es sich überwunden. Ein Bühnenheld, der die Verzweiflung eines gefangenen Prinzen darzustellen hätte, könnte seine Rolle nicht dramatischer spielen; der Auftritt hatte moralisch wirklich etwas Großartiges.
Der eiskalte Beatte schlug die Arme übereinander und blickte eine Zeit lang schweigend auf das Pferd nieder; als er aber sah, daß es vollkommen gebändigt war, nickte er sachte mit dem Kopfe, verzog seinen Mund zu einem triumphirenden Lächeln, und gab ihm mit einem Zug an der Halfter das Zeichen zum Aufstehen. Es gehorchte, und setzte sich von nun an nicht wieder zur Wehre. Im Laufe dieses Tages trug es geduldig seinen Pack und ward an der Halfter geführt; aber nach zwei Tagen schon lief es frei mit den überzähligen Pferden in unserem Zuge,
Ich konnte das hübsche junge Thier, dessen ganzer Lebenslauf eine so plötzliche Umkehr erlitten, nicht ohne Mitleid betrachten: kaum noch ein freier Bürger dieser ungeheuren Weiden, der ungebunden von Ebene zu Ebene, von Anger zu Anger schweift, von jedem Kraute, von jeder Blume kostet, aus allen Strömen trinkt, und jetzt auf Einmal zu ewiger harter Sklaverei, zu Zaum und Geschirr verurteilt, vielleicht gar in Lärm und Staub und Frohndienst unserer Städte! Der Wechsel seines Schicksals war gerade, wie es ja auch im Menschenleben geht, wo das Glück solcher, die sich hoch dünken, so oft plötzlich umschlägt: heute ein Fürst der Prairien, morgen ein Packpferd.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien