DAS ELENTHIER-LAGER. — DIE SPUR DES ELENTHIERS. — PAWNEE-GESCHICHTEN.

Mit dem frühesten Morgen waren die vornehmsten Jäger im Lager munter und brachen in verschiedenen Richtungen auf, um das Land nach Wild zu durchstreifen. Des Capitäns Bruder, Sergeant Bean, war unter den ersten und kehrte vor dem Frühstück zurück; er hatte eine fette Geiß ganz in der Nähe des Lagers geschossen. Nach dem Frühstück stieg der Capitän zu Pferde, um das Elen zu suchen, das er Abends zuvor angeschossen. Ich schloß mich ihm an, nebst seinem Bruder und einem Lieutenant. Wir gingen sanft aufsteigenden Höhen entlang, durch Dickicht und zerstreute Waldbäume, bis wir zu einem Platze kamen, wo das lange Gras durch die Elenthiere, die hier gelagert, an vielen Orten niedergedrückt war. Hier hatte der Capitän den Rudel zuerst aufgetrieben, und nachdem er sich eine Weile genau umgesehen, zeigte er uns ihre Fährten, die so groß waren wie von Hornvieh. Er ging nun auf der Spur langsam vorwärts, wir Andern in indischer Linie hinter ihm her. Endlich hielt er am Platze, wo er auf den Rudel Feuer gegeben; Blutspuren im Grase verriethen, daß der Schuß gut gesessen. Das angeschossene Thier war noch eine Zeit lang mit der Heerde fortgelaufen; dieß sah man an den Blutstropfen auf Büschen und Gewächsen neben der Fährte. Endlich aber hörten diese Spuren auf Einmal auf. „Hier herum,“ sagte der Capitän, „muß das Elen den Rudel verlassen haben, wenn sie sich zum Tode wund fühlen, gehen sie bei Seite und suchen einen einsamen Platz, um allein zu verenden.“
Dieses Bild der letzten Augenblicke eines verwundeten Thiers konnte einen, der im edeln Waidwerk nicht abgehärtet war, schon zum Mitleid rühren; aber solche Regungen sind nur vorübergehend. Der Mensch ist von Natur ein Raubthier, und wie ihn auch die Cultur verändert haben mag, gar bald erwacht in ihm wieder der Zerstörungstrieb. Ich fühlte es, mit jedem Tag in den Prairien wurde die Raubsucht und der Blutdurst in meinem Wesen mächtiger.

Nachdem sich der Capitän eine Weile umgesehen, fand er wirklich die einzelne Fährte des angeschossenen Elens, welche fast in rechtem Winkel von dem der Heerde abging und in einen offenen Hochwald lief. Die Blutspuren wurden schwächer, sparsamer und lagen weiter auseinander; am Ende hörten sie ganz auf, und der Boden war so fest, das Gras so dürr und welk, daß die Fußstapfen des Thiers nicht mehr zu bemerken waren. „Das Elen muß hier herum seyn,“ sagte der Capitän, „das sieht man an den Weihen dort oben; so schweben sie immer über einem Aas. Doch das todte Elen kann nicht weiter, laßt uns also die Spur der lebendigen verfolgen; sie haben vielleicht nicht weit Halt gemacht; wir finden sie auf der Weide, und können noch einmal auf sie krachen lassen.“
Wir kehrten also um und begaben uns wieder auf die Fährte der Elenthiere, die uns hin und her, über Berg und Thal, unter zerstreuten Eichen durchführte. Hie und da sahen wir ein Reh flüchtig über eine lichte Stelle im Gehölz setzen; aber der Capitän ließ sich durch solch untergeordnetes Wild von seiner Elenjagd nicht abbringen. Auch ein starker Flug wilder Truthühner ward vom Getrappel unserer Pferde aufgescheucht; einige liefen so schnell davon, als ihre langen Beine sie tragen wollten, andere flatterten auf die Bäume, von wo sie mit langgestreckten Hälsen uns anguckten. Der Capitän erlaubte nicht, daß Einer Feuer auf sie gab, damit die Elenthiere nicht aufgescheucht würden. Endlich kamen wir an das Ende des Waldes und an ein steiles Ufer, wo sich unter uns der Red-Fork in breitem, sandigem Bette hinschlängelte. Die Fährte lief ans Ufer hinab, und wir konnten sie mit dem Auge über den ebenen Sandboden bis an den Fluß selbst verfolgen, über den der Rudel offenbar Abends zuvor gesetzt hatte. „Da hilft’s Weitergehen nicht,“ sagte der Capitän; „die Elenthiere müssen große Angst gehabt haben, und mögen über dem Flusse leicht noch zwanzig Meilen fortgelaufen seyn, ohne anzuhalten.“
Unser kleiner Haufe theilte sich jetzt; der Sergeant und der Lieutenant machten einen Umweg, um zu jagen, der Capitän und ich gingen dem Lager zu. Unterwegs kamen wir auf einen über ein Jahr alten Büffelpfad, er war nicht breiter als ein gewöhnlicher Fußpfad, und tief ausgetreten, denn die Thiere ziehen in einer Linie hinter einander her. Bald darauf trafen wir zwei Jäger zu Fuß, die jagten; sie hatten ein Elen angeschossen, es war aber entsprungen, und auf der Verfolgung desselben waren sie auf das gestoßen, welches der Kapitän Tags zuvor verwundet. Sie kehrten um und führten uns hin. Es war ein herrliches Thier, so groß wie eine jährige Kuh, und lag auf einer offenen Stelle des Waldes, etwa anderthalb Meilen von der Stelle, wo es war geschossen worden. Die Weihen, die wir vorhin bemerkt, schwebten über ihm in der Luft. Die Bemerkung des Capitäns war wohl ganz richtig: offenbar hatte das arme Thier, als es sein Leben schwinden fühlte, sich von seinen unverletzten Cameraden weg auf die Seite gemacht, um allein zu sterben. Der Capitän und die zwei Jäger machten sich mit ihren Jagdmessern sogleich ans Werk, das Thier abzustreifen und zu zerlegen. Innen war es bereits angegangen; aber von Rippen und Lenden wurden tüchtige Stücke abgeschnitten und auf die ausgebreitete Haut gelegt. Sodann schnitt man Löcher in den Rand der Haut, zog Riemen von rohem Leder durch, schnürte alles wie einen Sack zusammen und befestigte es hinten an des Capitäns Sattel. Allermittelst kreisten über uns die Weihen und harrten unsers Abzugs, um über die Reste herzufallen.


Im Lager angelangt, fand ich da unsern jungen Mestizen Antoine. Nachdem er beim Aufsuchen der verlaufenen Pferde drüben überm Arkansas sich von Beatte verloren, kam er auf eine unrechte Spur, verfolgte sie mehrere Meilen und traf da auf den alten Ryan und die Seinigen; es waren ihre Spuren gewesen. Sie gingen zusammen über den Arkansas etwa acht Meilen weiter oben als wir, und fanden den Weg zu unserm letzten Lagerplatz in der Schlucht, wo wir ein Commando zurückgelassen, um ihrer zu warten. Antoine war gut beritten, ihn mochte auch nach uns verlangen; so machte er sich allein auf unserer Spur nach in unser jetziges Lager und brachte einen jungen Bären mit, den er geschossen.

Die Lagerscenen im Reste des Tages waren gemischt aus Geschäftigkeit und Ruhe. Mehrere der Leute waren an den Feuern beschäftigt, klopften und rösteten Wildpret und Bärenfleisch, das als Vorrath eingepackt werden sollte; andere streckten und rüsteten die Häute der Thiere, die sie geschossen; noch andere wuschen ihre Kleider im Bach und hingen sie an den Büschen zum Trocknen auf, während manche im Grase lagen und behaglich im Schatten plauderten. Hin und wieder kam ein Jäger heim, zu Fuß oder zu Pferd mit Wildpret oder mit leerer Hand. Wer etwas heimbrachte, legte es vor des Capitäns Feuer nieder, und begab sich dann in sein Quartier, um die Abenteuer des Tags den Cameraden zu berichten. An diesem Lagerplatze wurden im Ganzen sechs Rehe und Elenthiere, zwei Bären und sechs bis acht Truthühner geschossen.
In den letzten zwei, drei Tagen, seit ihrem wilden indischen Kunststück auf dem Flusse, hatten unsere Diener in den Augen der Jäger an Bedeutsamkeit gewonnen, und jetzt fand ich, daß Toni einigen rohen, unerfahrnen Recruten gegenüber, die niemals in der Wildniß gewesen, förmlich das Orakel machte. Stets war ein Haufe um ihn her, und horchte seinen abenteuerlichen Historien von den Pawnees, mit welchen er gar oft tüchtig handgemein gewesen seyn wollte, und seine Schilderungen waren allerdings darauf berechnet, den Zuhörern einen furchtbaren Begriff von dem Feinde beizubringen, dessen Gebiet sie jetzt betreten. Hörte man ihn, so richtete die Büchse des Weißen gegen Bogen und Pfeil des Pawnees nicht viel aus. Ist die Büchse abgeschossen, hieß es, so braucht es Zeit und Umstände, sie wieder zu laden, und allermittelst kommt der Feind herbei und sendet seine Geschosse eins ums andere ab, weil er bloß den Bogen anzuziehen braucht: ferner sollten die Pawnees auf dreihundert Yards unfehlbar sicher treffen und mit dem Pfeil einen Büffel durch und durch schießen; ja er wußte sogar zu erzählen, wie der Pfeil eines Pawnee durch einen Büffel durchgefahren und noch einen zweiten verwundet. Und dann die Weise, wie sich die Pawnees gegen das feindliche Geschoß decken: sie hängen sich mit einem Bein über den Sattel, verbergen den Körper hinter dem Pferd und senden ihre Pfeile im vollen Lauf unter seinem Halse durch. Wollte man Toni glauben, so war jeder Schritt auf diesem gemeinsamen Tummelplatze der indischen Stämme mit Gefahr verbunden. Unsichtbar kauerten Pawnee’s in Dickicht und in Schluchten. Sie haben ihre Wachen und Vorposten auf den Bergen, wo man die Aussicht über die Prairien beherrscht, und da liegen sie versteckt im hohen Gras, und heben nur zuweilen den Kopf auf, um die Bewegungen einer Kriegs- oder Jagdmannschaft zu beobachten, die in gestreckter Linie unten dahinzieht. Um bei Nacht ein Lager zu belauern, kriechen sie durch das Gras, und machen dabei die Bewegungen des Wolfs nach, so daß die Schildwache auf dem Vorposten getäuscht wird, bis sie nahe genug heran sind, wo sie ihr dann einen Pfeil durchs Herz schicken und sich unbemerkt wieder zurückziehen. Während Toni so erzählte, forderte er hin und wieder Beatte zum Zeugen auf, daß er Wahrheit spreche; die einzige Antwort war dann ein Nicken mit dem Kopf oder ein Zucken mit der Achsel; letzteres sprach ein doppeltes Gefühl aus, Verdruß über die Aufschneidereien seines Cameraden und unaussprechliche Verachtung der jungen Jäger, welche von allem, was ihm allein für ächte Wissenschaft galt, sogar nichts wußten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien