REHJAGD. — LEBEN AUF DEN PRAIRIEN. — SCHÖNES LAGER. — JÄGERGLÜCK. — ANEKDOTEN VON DEN DELAWAREN UND IHREM ABERGLAUBEN.

Nachdem wir den waldigen Strich längs des Flusses im Rücken hatten, ging es die Anhöhen hinauf, in westlicher Richtung, durch einen wellenförmigen, dünn mit Eichen besetzten Landstrich, wo man zuweilen eine weite Aussicht über lange Höhenzüge und Thäler, mit Wald, Gebüsche und Baumgruppen, gewann. Indem wir langsam dahin zogen, sah man an der Spitze der Colonne vier Stücke Rothwild an einem grasigen Abhang, etwa eine halbe Meile entfernt, weiden. Sie mußten noch keine Witterung von uns bekommen haben, denn sie grasten ganz ruhig fort. Ein junger Jäger erhielt vom Capitän die Erlaubniß, sich an sie zu machen, und die Truppe hielt in gestreckter Linie und sah schweigend zu. Er ritt sachte, vorsichtig auf einem Umwege hin, bis er einen Strich Wald zwischen sich und das Wild bekam. Nun stieg er ab, ließ sein Pferd unter den Bäumen, schlich sich um eine Anhöhe und verschwand uns aus den Augen. Wir sahen jetzt scharf auf das Wild hinüber, das, keine Gefahr ahnend, fortweidete. Ein Büchsenschuß fiel, ein hübscher Bock machte einen heftigen Satz und fiel zu Boden; die andern suchten das Weite. Im Augenblick war unsere ganze Marschlinie im Aufruhr; über Hals und Kopf sprengten die Jungen in der Truppe fort, um den flüchtigen ihre Kugeln nachzujagen, und unter den Vordersten befand sich unser kleiner Franzmann auf seinem Silbergrauen, der, sobald man des Wildes ansichtig geworden, seine Packpferde im Stich gelassen hatte. Es dauerte eine Weile, bis unsere zerstreuten Streitkräfte vom Horn wieder zusammengerufen waren und wir unsern Marsch fortsetzten.

Noch zwei, dreimal im Laufe des Tags hatten wir Aufenthalt durch dergleichen Lärm. Unsere jungen Leute waren voll Feuer und Flamme, da man jetzt in einen unbetretenen, sehr wildreichen Landstrich kam, und zu wenig an Zwang und Mannszucht gewöhnt, als daß sie sich hätten in Ordnung halten lassen. Keiner aber war schwerer zu bändigen als unser Toni. Er hatte einmal eine hohe Meinung von seiner Geschicklichkeit als Jäger und eine unüberwindliche Sucht sich zu zeigen, und so fuhr er, wie ein schlecht dressirter Hund, immer hinaus, so oft ein Wild aufging, und mußte eben so oft zurückgepeitscht werden. Endlich erhielt seine Eitelkeit eine tüchtige Schlappe. Ein fettes Damthier jagte im Angesicht der ganzen Linie vorüber. Toni stieg ab, legte seine Büchse an und kam gut zum Schuß; das Wild lief seiner Wege; er sprang auf sein Pferd, stellte sich auf den Sattel wie ein Tanzmeister, und sah dem Thier nach, als wüßte er gewiß, daß es stürzen müsse. Aber das Thier lief lustig fort, und die ganze Linie brach in lautes Gelächter aus; der kleine Franzose gleitete still in seinen Sattel, begann die ausbrechenden Packpferde zu bearbeiten und auf sie zu fluchen, als ob sie Schuld wären, und auf eine Weile waren wir seines Prahlens und Schwadronirens quitt.
In Verfolgung unseres Marsches kamen wir zu den Ueberbleibseln eines alten indischen Lagers, am Ufer eines hübschen Wassers; ringsumher lagen die bemoosten Gerippe von Wild. Da wir im Gebiete der Pawnees waren, so hielt man es natürlich für ein Lager dieser gefürchteten Räuber. Der Doctor aber, nachdem er Bau und Stellung der Hütten betrachtet, erklärte es für eine Lagerstätte kühner Delawaren, welche ohne Zweifel einen kurzen, raschen Ausflug auf dieses gefahrvolle Jagdgebiet gewagt.
Eine kleine Strecke weiter bemerkten wir ein paar Figuren zu Pferd, die sich langsam in gleicher Richtung wie wir längs des Grats einer kahlen Anhöhe, etwa zwei Meilen weit weg, bewegten und uns sichtbar beobachteten. Man machte Halt, sah eifrig hinüber und sprach über die Sache hin und her. Waren es Indier? und wenn es sich so verhielt, waren es Pawnees? Es spricht mächtig zu der Einbildungskraft und dem Gefühle, wenn man so auf dem Zuge durch diese feindlichen Ebenen einen Reiter am Horizont hinstreifen sieht. Es ist gerade, wie wenn man in Kriegszeiten zur See ein Segel gewahrt, das leicht ein Kaper oder ein Pirat seyn kann. Indessen ward unsern Vermuthungen bald ein Ende gemacht, als wir die zwei Reiter durch ein kleines Fernglas betrachteten: es ergab sich, daß es zwei von den Leuten waren, die wir im Lager zurückgelassen; sie wollten zu uns stoßen, und waren von unserer Spur abgekommen.


Unser heutiger Marsch war sehr aufregend und ergötzlich. Wir befanden uns in einem abenteuerlichen Lande; wir brachen uns Bahn durch einen Strich, den bis jetzt noch kein Weißer betreten, etwa einen einzelnen Streifer ausgenommen. Das Wetter war herrlich; temperirt, heiter, belebend; der Himmel tief blau, mit wenigen leichten, gekräuselten Wolken, die Luft vollkommen durchsichtig, rein und mild; eine herrliche, im goldenen Sonnenschein eines Herbsttages weit ausgebreitete Landschaft; aber ringsum alles todtenstill, wie ausgestorben, keine menschliche Behausung, kein Mensch weit und breit. Es war, als läge ein Bann auf diesem schönen, aber verwünschten Lande. Selbst die Indier wagten es nicht, hier Wohnsitze aufzuschlagen; es ist nur der Schauplatz ihrer gefahrvollen Züge; sie jagen hier ein paar Tage, und dann wieder auf und davon.
Nach einem Marsche von etwa fünfzehn Meilen westwärts lagerten wir auf einer freundlichen Halbinsel, gebildet von den Windungen und Schlingen eines tiefen, klaren, beinahe stehenden Baches, mit hohen, prachtvollen Bäumen bewachsen. Sogleich machten sich mehrere Jäger nach Wild auf, bevor es der Lärm des Lagers verscheuchte. Auch unser Diener Beatte nahm seine Flinte und schlug seinen eigenen Weg ein.
Ich meines Theils legte mich ins Gras unter den Bäumen, baute Luftschlösser und gab mich dem vollen Genusse ländlicher Ruhe hin. Ich kann mir wirklich kaum eine Lebensart denken, die Geist wie Körper in so kräftige Spannung versetzte. Ein Morgenritt von ein paar Stunden, durch Jagdabenteuer erheitert, Nachmittags gelagert im herrlichen Wald, am Wasser, Abends ein Mahl von frisch geschossenem Wildpret, gebraten oder auf Kohlen geröstet, Truthühner, frisch aus dem Dickicht, und wilder Honig aus den Bäumen, und alles dieß durch eine Eßlust gewürzt, von der die Feinschmecker in den Städten keinen Begriff haben; und dann Nachts der süße Schlaf in freier Luft, oder wenn man wacht, der Ausblick zu Mond und Sternen, die durch die Baumzweige schimmern!
Dießmal aber war es mit unserm Proviant eben nicht glänzend bestellt. Im Laufe des Tags war nur Ein Stück Wild geschossen worden, und von dem war nichts an unser Feuer gekommen. Wohl oder übel mußten wir daher unsern derben Hunger mit den aus dem gestrigen Lager mitgebrachten Resten eines Truthahns nebst ein paar Schnitten gesalzenen Schweinefleisches stillen. Dieser Mangel dauerte indessen nicht lange. Ehe es dunkel wurde, kam ein junger Jäger, tüchtig mit Beute beladen. Er hatte ein Reh geschossen, dasselbe kunstgerecht zerlegt, das Fleisch in die zu einem Sack zugerichtete Haut gesteckt, sie auf die Schulter genommen, und damit den Weg ins Lager eingeschlagen. Nicht lange, so erschien auch Beatte mit einem fetten Stück Damwild quer über dem Pferde. Es war das erste Wildpret, das er brachte, und ich war vergnügt, ihn mit einer Trophäe zu sehen, über der man die Geschichte mit dem Stinkthier vergessen konnte. Er legte das Stück Wild bei unserm Feuer nieder, ohne ein Wort zu sagen, und sattelte dann sein Pferd ab; auf alle unsere Fragen hinsichtlich seiner Jagd erhielten wir von ihm nichts als einsylbige Antworten. Wenn Beatte so nach indischer Weise von dem schwieg, was er gethan, so machte es Toni wieder gut, der gewaltig viel davon zu sagen wußte, was er alles zu thun gedachte. Jetzt, da wir auf gutem Jagdgebiete waren, jetzt mußte er hinaus; und wollte man ihm aufs Wort glauben, so sollte man hinfort im Quartier gar nicht wissen, wohin mit dem Wildpret. Zum Glück feierten seine Hände so wenig als seine Zunge; das Wild wurde gewandt zerlegt, mehrere fette Rippen brieten am Feuer, der Kaffeekessel wurde wieder gefüllt, und bald konnten wir uns reichlich für unser kärgliches Mahl entschädigen.
Der Capitän kam erst spät und mit leerer Hand zurück. Er war wie gewöhnlich Rehen nachgegangen, da kam er auf die Fährten eines Rudels von etwa sechzig Elenthieren. Da er noch nie ein solches Thier erlegt, und dieß just für alle alten Jäger im Lager ein Ehrenpunkt geworden war, so ließ er die Rehe im Stich und folgte der neuen Fährte. Nicht lange, so wurde er der Elenthiere ansichtig, und hätte mehr als Einmal gut zum Schusse kommen können; er hätte aber gern einen starken Bock gehabt, der den Rudel führte. Da er aber am Ende sah, daß ihm so leicht die ganze Heerde entschlüpfen konnte, so gab er Feuer auf ein Thier. Er traf, aber das Wild behielt noch Kraft genug, mit den andern eine Zeit lang zu laufen. Nach den Blutspuren überzeugte er sich, daß es todtwund war; aber der Abend brach an, er konnte die Spur nicht verfolgen, und mußte weitere Nachsuchung auf morgen verschieben.
Der alte Ryan und sein kleiner Haufe waren immer noch nicht zu uns gestoßen, eben so wenig ließ sich unser junger Mestize Antoine blicken. Man beschloß daher, bis zum folgenden Tage gelagert zu bleiben, damit alle Nachzügler Zeit hätten, sich anzuschließen.
Die alten Jäger unterhielten sich am Abend vom Stamme der Delawaren, von denen wir im Laufe des Tages ein Lager gesehen hatten; man erzählte sich Geschichten von ihrer Tapferkeit im Krieg und ihrer Fertigkeit auf der Jagd. Sie sind gewöhnlich tödtliche Feinde der Osagen, welche großen Respect haben vor ihrer verzweifelten Tapferkeit, dieselbe aber einem wunderlichen Grunde zuschreiben. „Seht die Delawaren an,“ sagen sie, „ihre Beine sind kurz, sie können nicht laufen, müssen stehen bleiben und dreinschlagen.“ Und wirklich haben die Delawaren erwas kurze Beine, während die Osagen mit auffallend langen versehen sind.
Die Kriegs- wie die Jagdzüge der Delawaren sind weit und kühn. Ein kleiner Haufe dringt tief in diese feindlichen, gefahrvollen Wildnisse, ja gelangt von Lager zu Lager sogar bis zu den Rocky-Mountains. Zu diesem furchtlosen Sinne mag in gewissem Grad einer ihrer Glaubensartikel beitragen. Sie glauben nämlich, ein Schutzgeist in Gestalt eines mächtigen Adlers, der unsichtbar im Himmel schwebe, wache über ihnen. Zuweilen, wenn er ihnen wohlwill, kommt er herab in die niedrigern Regionen, und dann kann man ihn mit weit gespreizten Schwingen unter dem weißen Gewölke Kreise ziehen sehen. In diesem Fall ist gute Zeit: das Korn gedeiht, und sie haben viel Glück auf der Jagd. Andere Male aber ist er böse, und dann macht er seinem Zorn im Donner Luft, der ist seine Stimme, und im Blitze der kommt vom Leuchten seiner Augen, und er erschlägt den Gegenstand seines Mißfallens. Die Delawaren opfern diesem Geiste, der zuweilen, zum Beweise seiner Zufriedenheit, eine Feder aus seiner Schwinge fallen läßt. Diese Federn machen den, der sie trägt, unbesieglich und unverwundbar. Ueberhaupt schreiben die Indier den Adlerfedern mächtige, geheime Kräfte zu. Einmal wurde ein Haufe Delawaren bei einem kühnen Streifzug auf das Jagdgebiet der Pawnees auf einer der großen Ebenen umzingelt und beinahe aufgerieben. Der Ueberrest flüchtete sich auf eine der freistehenden kegelförmigen Anhöhen, die sich wie künstliche Hügel mitten in den Prairien erheben. Hier brachte der vornehmste Krieger, aufs Aeußerste getrieben, dem Schutzgeiste sein Pferd zum Opfer. Auf Einmal stürzte ein ungeheurer Adler vom Himmel herab, faßte das Opfer mit seinen Krallen, schwang sich wieder auf und ließ eine Federspule aus seinem Flügel fallen. Freudig nahm der Anführer diese auf, band sie sich vorn an das Haupt, führte die Seinigen den Hügel hinab, und schlug sich unter großem Gemetzel, und ohne daß einer eine Wunde erhalten hätte, mitten durch den Feind.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien