DAS LAGER IN DER SCHLUCHT. — LAGER-GEPLAUDER. — PAWNEES UND IHRE SITTEN. — EINES JÄGERS ABENTHEUER. — PFERDE GEFUNDEN UND LEUTE VERLOREN.

Mit dem Capitän und einigen Jägern marschirten wir etwa eine halbe Meile weit durch den Wald und kamen dann in eine wilde Felsenschlucht, von zwei hohen Kalksteinwänden begränzt, die sich, je weiter wir kamen, immer mehr näherten und endlich fast unter einem Winkel zusammenliefen. Hier entsprang eine liebliche Quelle dem Gestein und bildete ein klares Bächlein, das durch die ganze Schlucht lief und ihren Rosenteppich wässerte. In diesem Felsenwinkel lagerten wir uns unter hohen Bäumen. Nach und nach stießen die Jäger zu uns, einzeln oder haufenweise, die einen zu Pferd, die andern zu Fuß, die schwer beladenen Pferde vor sich her treibend; manche triefend, weil sie in den Fluß gefallen; die Länge der Furth, die Tiefe und Schnelligkeit des Stroms hatten ihnen viel zu schaffen gemacht. Sie sahen aus wie Banditen, die mit ihrem Raub heimkommen, und die wilde Schlucht paßte vollkommen dazu. Noch frappanter ward der Effect in der Nacht, als der Schein der Feuer Gruppen von Leuten beleuchtete, die zerlumptem Gesindel gleichsahen, Pferde, Gepäck, unordentlich herumgeworfen, Büchsen, an die Bäume gelehnt, Sättel, Zäume, Pulverhörner, an den Stämmen aufgehangen.
Der junge Graf und sein Begleiter, nebst ihrem Mestizen Antoine, rückten ins Lager ein; sie hatten glücklich den Fluß passirt. Aber zu meinem großen Verdruß hörte ich, meine beiden Pferde würden vermißt. Ich hatte geglaubt, Antoine habe sie unter seiner Obhut; der aber hatte, sorglos, wie diese Menschen sind, nicht Achtung auf sie gegeben, und sie waren wahrscheinlich am jenseitigen Ufer aus der Linie gebrochen. Es ward ausgemacht, Beatte und Antoine sollten morgen in aller Frühe wieder über den Fluß und sie aufsuchen. Ein fetter Bock und eine Anzahl wilder Truthühner waren eingebracht worden, und so konnten wir uns, nebst unserm Kaffee, ein ganz ordentliches Nachtmahl anrichten, worauf ich mich in des Capitäns Quartier begab, das eine Art Rathsfeuer und Schwatzwinkel für die Veteranen des Lagers war.
Während wir so zusammen sprachen, bemerkten wir, wie in frühern Nächten, über den Felswänden einen dunkelrothen Schein gegen Abend; man schrieb ihn wieder angesteckten Prairien zu, und meinte, der Brand sey an der Westseite des Arkansas; war dem so, so mußte er von Pawnees herrühren, da sich die Osagejäger nur selten in diesen Strich wagen; unsere Mestizen aber thaten den Ausspruch, es seyen Feuer der Osagen und zwar drüben über dem Arkansas. So kam das Gespräch auf die Pawnees, deren Jagdgebiet wir nun betraten. Immer und überall gibt es einen wilden unbändigen Stamm von Eingebornen, der der Schrecken der Gränze ist und von dem man sich gräßliche Geschichten aller Art erzählt. Diese Rolle spielen gegenwärtig die Pawnees, welche auf dem Landstriche zwischen dem Arkansas und dem Red-River, und auf den Prairien von Texas streifen. Man beschreibt sie als treffliche Reiter, stets im Sattel, auf kräftigen, flüchtigen Rossen vom wilden Prairieschlag. So schweifen sie über die weiten Ebenen am Arkansas und dem Red-River, durch Texas bis zu den Rocky-Mountains, bald auf der Hirsch- und Büffeljagd, bald auf Kriegs- und Raubzügen. Manche haben gar keine festen Wohnsitze, sondern leben unter Zelten aus Thierhäuten, die sie leicht mit sich führen, und so sind sie heute hier und morgen auf und davon, niemand weiß wohin. Ein alter Jäger erzählte uns mancherlei von ihrer Art zu fechten. Wehe dem Trupp müder Handelsleute oder Jäger, dessen sie auf einer Prairie ansichtig werden! Zuweilen schleichen sie sich listig herbei, und zwar so, daß sie sich mit einem Bein an den Sattel hängen, und den Körper hinter dem Pferd verstecken, so daß der Trupp in der Ferne aussieht wie ein Rudel wilder Pferde. Haben sie auf diese Weise dem Feind gehörig Terrain abgewonnen, so richten sie sich mit einemmal im Sattel auf und stürzen einher wie der Sturmwind, wobei sie Alle Federn schwingen, mit den Mänteln flattern, die Waffen schwenken und ein gräßliches Geschrei erheben. Alles, um die Pferde scheu zu machen und sie zum Ausreißen zu bringen, wo sie ihnen dann nachjagen und sie im Triumph davon führen.
Die beste Vertheidigungsweise besteht nach dem alten Jäger darin, daß man sich in einem Holz oder Dickicht zu decken sucht; oder, falls keines in der Nähe ist, absitzt, die Pferde an den Köpfen fest in einen Kreis zusammenbindet, damit sie nicht ausreißen können, und sich selbst in eine Schlucht wirft oder ein Loch in den Sand gräbt, um sich gegen die Geschosse der Pawnees zu decken. Die Hauptwaffen derselben sind Pfeile und Bogen; sie sind äußerst gewandte Schützen, umschwärmen den Feind und schießen ihre Pfeile im vollen Lauf ab. Sie sind hauptsächlich auf den Prairien furchtbar, wo ihre Rosse freien Spielraum haben und man sich vor ihren Pfeilen nicht im Gehölz decken kann. Selten verfolgen sie einen fliehenden Feind in den Wald.
Mancherlei Geschichten wurden erzählt, wie heimlich und vorsichtig sie einem feindlichen Lager nachgehen und es umschleichen, bis sich gute Gelegenheit zum Raub oder Angriff darbietet.
„Wir müssen nun nachgerade scharf auf der Hut seyn,“ sagte der Capitän. „Ich muß schriftliche Ordre erlassen, daß hinfort kein Mann ohne Erlaubniß jagt oder ein Gewehr abfeuert; wer dawider handelt, muß auf dem hölzernen Pferde mit scharfem Rücken reiten. Ich habe da einen wilden Haufen junger Bursche, die vom Gränzdienst verdammt wenig wissen. Es wird schwer halten, sie zur Vorsicht zu gewöhnen. Wir sind jetzt im Gebiet eines schleichenden, wachsamen, verschlagenen Volks, das, wenn wir es uns am wenigsten versehen, uns umzingelt hat, alle unsere Bewegungen belauert, und Jeden, der sich verläuft, abfängt.“ — „Wie wollt Ihr aber,“ fragte einer der Jäger, „Euren Leuten das Schießen verbieten, wenn sie ums Lager herumstreichen und ein Wild sehen?“ „Sie dürfen ihre Gewehre nicht mit sich nehmen, wenn sie nicht auf dem Posten sind oder Erlaubniß haben.“ — „O Capitän!“ rief der Jäger, „das hilft bei mir nichts! Wo ich hingehe, geht meine Büchse mit, und ich will sie nimmermehr dahinten lassen; ’s ist, als wäre sie ein Stück von mir selber. Keiner hält sie so wie ich, und nichts in der Welt thut so viel für mich als meine Büchse.“ — „Das alles ist schon wahr,“ sagte der Capitän in ächt waidmännischem Gefühl; „meine Büchse ist so lang und so nah um mich gewesen als mein Weib, und stets war sie mir ein treuer Freund.“ — „Ich habe,“ sprach der Doctor, „einen Nachbar, der sagt: ich wollte Euch eben so gern mein Weib leihen als meine Büchse.“
Jetzt kam die Meldung, vier Jäger nebst dem alten Ryan würden vermißt. Sie hatten sich drüben über dem Fluß beim Aufsuchen einer Furth vom Hauptcorps entfernt und sich verlaufen, niemand wußte wohin. Mancherlei Vermuthungen wurden laut, und hin und wieder auch Besorgnisse ihrethalben geäußert. „Ich würde Leute nach ihnen ausschicken,“ sagte der Capitän, „aber der alte Ryan ist bei ihnen, und der weiß sich schon zu helfen, und ihnen auch. Wäre er nicht, so möchte es den andern nicht gut gehen; er aber ist in den Wäldern und auf der Prairie zu Hause wie in seinem Hof. Es sind ihrer so Viele, daß sie einander gut beistehen können; viere wachen, einer besorgt das Feuer.“ — „Es ist halt doch schlimm,“ äußerte ein junger Jäger, „wenn man sich bei Nacht im wilden fremden Lande verirrt.“ — „Hat man,“ sagte ein älterer, „nur noch einen oder zwei bei sich, hat’s nichts zu sagen. Mir für meinen Theil wäre in dieser Schlucht so wohl als zu Hause, hätt’ ich nur einen Cameraden, der abwechselnd mit mir wachte und das Feuer unterhält. Stunden lang könnte ich hier liegen und den hellen Stern dort betrachten, der ins Lager herabblickt, als wollte er es bewachen.“ — „Ja, wenn man so allein wacht, hat man an den Sternen Gesellschaft; und wahr ist’s, das ist ein gar freundlicher Stern; ’s ist der Abendstern, der Planet Venus, heißt man ihn, glaub’ ich.“ — „Ist das der Planet Venus,“ sagte einer im Rath, ich glaube der Psalmsänger und Schulmeister, „so deutet er uns nichts Gutes; denn ich habe einmal gelesen, die Pawnees beten diesen Stern an und opfern ihm ihre Gefangenen; und so ist wir nicht wohl dabei zu Muth, daß sich der Stern hier zu Land blicken läßt.“ — „Ja doch,“ sagte der Sergeant, ein Waidmann von ächter Race, „Stern hin, Stern her! ich habe manche Nacht an wildern Orten, als der hier, allein zugebracht und gut geschlafen, das versichere ich euch. Doch einmal war mir verflucht schlecht zu Muth dabei. In einem Wald am Tombigbeflusse hatte mich die Nacht überfallen; ich schlug Licht, machte Feuer, ließ mein Pferd laufen, und legte mich zum Schlaf nieder. Nicht lange, so hörte ich die Wölfe heulen; mein Pferd kam ganz nahe an mich heran, es suchte Schutz bei mir, denn es hatte grausame Angst. Ich jagte es weg, aber es kam wieder, und immer näher zu mir her, sah mich an und das Feuer, nickte, machte die Augen zu, wackelte mit den Vorderfüßen, denn es war arg müde. Nach einer Weile hörte ich ein wunderliches, garstiges Geschrei; ich dachte erst, es sey eine Eule; es kam wieder, und jetzt merkte ich, es war keine Eule, es mußte ein Panther seyn. Da ward mir doch curios, denn ich hatte nichts, mich zu wehren, als ein Federmesser mit zwei Klingen. Indeß machte ich mich fertig, so gut ich konnte, und rüstete kleine Feuerbränder, um ihn zu pfeffern, wenn er nahe käme. Jetzt war es mir ordentlich ein Trost, daß mein Pferd um mich war; der arme Narr streckte sich bei mir nieder und schlief bald ein, denn er war gar müde. Ich blieb wach, nickte, schlummerte ein, fuhr wieder auf, guckte herum; ich meinte jeden Augenblick, ich müsse die funkelnden Augen des Panthers neben mir sehen; aber es half nichts, ich war zu müde und schlief fest ein. Am Morgen fand ich sechzig Schritte von mir die Spuren eines Panthers; sie waren so groß als meine zwei Fäuste. Man sah, er war hin und hergelaufen, und hatte sich lang besonnen, ob er mich anpacken solle; zum Glück hatte er nicht die Courage!“

— 16.October. — Ich erwachte vor Tages Anbruch. Der Mond schien schwach in die Schlucht durch leichte, treibende Wolken, die Lagerfeuer waren fast ausgebrannt, und die Leute lagen darum her, in Decken gewickelt. Mit dem ersten Tageslichte brach unser Jäger Beatte mit Antoine, dem jungen Mestizen, auf, um über dem Fluß die verlaufenen Pferde zu suchen; mehrere Jäger, welche Büchse und Bagage drüben gelassen, begleiteten sie. Da die Furth tief war und sie bei starker Strömung schief überzusetzen hatten, so mußten sie mit den größten und stärksten Pferden versehen werden. Um acht Uhr war Beatte wieder da: er hatte beide Pferde gefunden, aber Antoine verloren. Der junge einfältige Kerl, sagte er, wisse im Wald gar keinen Bescheid. Er war ihm aus dem Gesicht gekommen und hatte sich verlaufen. Indessen konnte es ihm nicht fehlen, sich an Andere anzuschließen, da sich auch einige Jäger verirrt hatten und der alte Ryan mit den Seinigen auch noch nicht da war.
Wir warteten bis spät am Vormittag, in der Hoffnung, die Verirrten ankommen zu sehen, es zeigte sich aber keiner. Der Capitän bemerkte, die Indier drüben über dem Flusse stehen alle in gutem Vernehmen mit Weißen, so daß man hinsichtlich der Vermißten eben keine ernstliche Besorgniß zu hegen brauche; am meisten sey zu fürchten, daß ihnen in der Nacht von herumziehenden Osagen die Pferde gestohlen werden möchten. Er entschloß sich also, weiter zu marschiren und ein Commando, das sie erwarten sollte, im Lager zurückzulassen.
Ich setzte mich auf einen Felsen, der sich über der Quelle oben in der Schlucht erhob und ergötzte mich an den wechselnden Scenen, die sich vor mir bewegten. Einmal die Rüstungen zum Abmarsch: die Pferde werden aus der Umgebung des Lagers eingebracht, Jäger reiten durch Felsen und Gebüsch, um andere, die sich weiter verlaufen, zu suchen; geschäftig wird das Lagergeräthe gepackt, man ruft laut nach Kesseln und Bratpfannen, die eine Menage von der andern entlehnt, dazwischen tönen Flüche auf stärische Pferde oder solche, die schon bepackt wegliefen, um zu grasen, und unter allen hört man die Stimme unseres kleinen Franzosen Toni heraus.
Das Horn gab das Zeichen zum Aufsitzen und zum Aufbruch. Die Truppe defilirte in unregelmäßiger Linie die Schlucht hinab und durch den offenen Wald, und verschwand allgemach hinter den Bäumen; aber noch lange tönten Geschrei und Horntöne herüber. Das zurückgelassene Commando blieb unter den Bäumen im untern Theile der Schlucht; manche waren zu Pferd, die Büchsen über der Schulter, andere saßen am Feuer oder lagen am Boden, matte, langweilige Gespräche führend, ringsherum ihre ungesattelten Pferde mit schläfrigen, halbgeschlossenen Augen, während einer der Jäger, den Augenblick der Muße benützend, sich vor einem an einen Baumstamm gesteckten Taschenspiegel rasirte.
Endlich erstarben in der Ferne Lärm und Horntöne; Ruhe und Stille lag auf der Schlucht, hin und wieder unterbrochen vom leisen Gemurmel der Leute am Feuer, vom melancholischen Pfeifen eines unter den Bäumen Herumschlendernden, oder vom Rauschen der gelben Blätter, welche der leiseste Luftzug in wogenden Schauern nieder wehte, ein Zeichen, daß die Herrlichkeit des Jahres im Scheiden war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien