AUFBRUCH DES LAGERS. — MALERISCHER MARSCH. — WILD. — LAGERSCENEN. — TRIUMPH EINES JUNGEN JÄGERS. — UNFALL EINES ALTEN JÄGERS. — MORD AN EINEM STINKTHIER.

14. October. Auf das Signal mit dem Horn rückten Schildwachen und Patrouillen von ihren Posten ringsum das Lager ein und wurden entlassen. Die Jäger wurden munter, und nicht lange so herrschte das rührigste Leben. Während die Einen Holz hieben, Feuer machten und das Frühmahl bereiteten, klopften Andere die schmutzigen Decken aus, unter denen sie geschlafen, und rüsteten alles zum Abmarsch; noch Andere brachen durchs Dickicht, fingen die Pferde ein und führten oder trieben sie ins Lager. Während dieses Durcheinanders erscholl der Wald von Geschrei, Jubel und lautem Gelächter. Als alles gefrühstückt hatte, sämmtliches Geräthe und Lagerzeug zusammengemacht und auf die Packpferde geladen war, gab das Horn das Zeichen zum Satteln und Aufsitzen. Um acht Uhr setzte sich der ganze Trupp in einer langgestreckten Linie in Bewegung, unter Geschrei und Halloh und manchem Fluch auf die langsamen Packpferde, und über ein Kleines war der Wald, den ein paar Tage lang so ungewohnter Lärm erfüllt, seiner alten Stille und Einsamkeit wiedergegeben.
Es war ein herrlicher, sonnenheller Morgen, jene köstliche durchsichtige Luft, in der sich das Herz ordentlich in Wonne badet. Unser Weg lief dem Arkansas entlang durch eine üppige, wechselnde Landschaft. Bald ging es mühsam über aufgeschwemmten Boden, mit wucherndem Pflanzenwuchse bedeckt, wo sich die wilden Reben um die riesigen Bäume schlangen und wie Tackelwerk von den Aesten niederhingen; bald an langsamen Bächen hin, deren schwacher Wasserfaden kaum eine Reihe glatter Tümpel verband, welche gleich Spiegeln, in den ernsten Rahmen des Waldes gefaßt, dalagen und sein herbstliches Laub und Stücke des blauen Himmels abmalten; bald zerrissene, felsige Hügel hinan, von deren Höhen wir weiter Aussichten genossen, hier über ferne Prairien, von Gebüsch und Wäldern durchschnitten, dort über einen Strich blauer, dunkelnder Höhen, jenseits der Wasser des Arkansas.
Unser ganzer Aufzug paßte vollkommen zu der Landschaft: die Marschlinie über eine halbe Meile lang durch Holz und Gebüsch, durch die Defileen der Hügel auf und ab hingestreckt; die Leute in buntscheckiger, seltsamer Tracht, lange Büchsen über der Schulter und auf Rossen von allen möglichen Farben. Jeden Augenblick wollten die Packpferde aus der Reihe brechen, um rechts und links das Gras abzuweiden, und wurden von Toni und seinen farbigen Cameraden unter vollen Ladungen kauderwälscher Flüche wieder zurechtgeprügelt. Hie und da erscholl an der Spitze der Colonne das Jagdhorn, und hallte durch Wälder und Schluchten, Nachzügler zurückzurufen und die Marschlinie anzudeuten. Die ganze Scene erinnerte mich lebhaft an die Beschreibungen von den Raubzügen der Buccaniers in den Wildnissen von Südamerica gegen die Niederlassungen der Spanier.
Einmal kamen wir durch einen herrlichen, von Dickicht umgebenen Wiesgrund, wo das hohe Gras an vielen Stellen niedergedrückt war, lauter Wildlager, wo das Wild die vergangene Nacht zugebracht. Auch bemerkte man an manchen Eichen Spuren, daß Bären hinaufgeklettert, um Eicheln zu fressen; man sah deutlich die Ritzen von ihren Krallen in der Rinde. Als wir auf eine lichte Stelle dieser beschatteten Wiese herauskamen, sahen wir mehrere Rehe aufgescheucht davon rennen; aber in einiger Entfernung machten sie Halt, und sahen sich, neugierig wie das Thier ist, nach den seltsamen Gästen in ihrer Wildniß um. Alsbald ließen die jungen Jäger da und dort ihre Büchsen krachen; sie waren aber zu hitzig, um sicher zu zielen, und ungetroffen verschwanden die Rehe im tiefen Wald.
Im Lauf unseres heutigen Marsches kamen wir an den Arkansas, aber noch unter dem Red-Fork, und da der Fluß starke Krümmungen machte, verließen wir ihn wieder, und zogen durch die Wälder bis gegen drei Uhr, wo wir in einem lieblichen Grunde, unter Gruppen hochstämmiger Eichen, neben einem hübschen, fließenden Wasser lagerten. Die Pferde wurden nun gespannt, das heißt, ihnen die Vorderfüße mit Stricken oder Riemen lose gebunden, daß sie sich nicht frei bewegen und vom Lager entfernen konnten, worauf man sie grasen ließ. Ein Haufen Jäger, die besten Schützen, zerstreute sich nun nach allen Seiten nach Wildpret. Kein Geschrei, kein Gelächter im Lager, wie am Morgen; alles war entweder an den Feuern mit dem Abendmahle beschäftigt, oder ruhte im Gras aus. Nicht lange, so hörte man da und dort Schüsse fallen, und bald kam ein Jäger mit einem hübschen Rehbock quer über dem Pferd ins Lager geritten. Ein paar ganz junge Bursche kamen zu Fuß, einer davon ein Reh auf den Schultern. Man sah, er war ganz stolz auf seine Beute, es mochte eine seiner ersten Heldenthaten seyn; aber er und sein Camerad wurden von den andern, als junge Anfänger, die in Compagnie jagten, tüchtig durchgezogen.
Eben als die Nacht anbrach, entstand gewaltiger Jubel am einen Ende des Lagers, und alsbald erschien ein Trupp junger Bursche, die einen Cameraden auf den Schultern trugen, und mit ihm im Triumph an den Feuern umherzogen. Er hatte ein Elenthier geschossen, das erste in seinem Leben, und gleichfalls das erste, dessen man bisher habhaft geworden. Der junge Jäger war für den Abend der Held des Lagers und der Festgeber dazu, denn bald wurden an allen Feuern Stücke von seinem Elen gebraten.
Die andern Jäger kamen mit leeren Händen. Der Capitän hatte die Spur eines Büffels gesehen, der erst vor wenigen Tagen hier gewesen seyn mußte, und eine Weile die Fährte eines Bären verfolgt, bis die Spur verschwand. Er hatte auch ein Elen am Ufer des Arkansas gesehen; ehe er sich aber durchs Gebüsch schleichen konnte, um zum Schuß zu kommen, war es wieder im Wald. Unser eigener Jäger, Beatte, kam still und verdrießlich von einer unglücklichen Jagd heim. Bis jetzt hatte er uns überhaupt nichts gebracht, und wir waren von des Capitäns Quartier mit Wildpret versorgt worden. Beatte fühlte sich sichtbar gedemüthigt, denn er sah auf die Milizen, als auf rohe, unerfahrene, im edlen Waidwerk schlecht bewanderte Jäger verächtlich herab; sie ihrerseits sahen Beatte, seiner fatalen Herkunft wegen, auch nicht mit freundlichem Auge an, und nannten ihn nicht anders als „den Indier.“
Auch unser kleiner Franzmann Toni war durch sein ewiges Plappern, Prahlen und Aufschneiden in seinem Kauderwälsch für die Spaßvögel in der Truppe zur Zielscheibe ihrer eben nicht feinen Witze geworden; aber der kleine Kerl war so fest verschanzt hinter Eitelkeit und Eigenliebe, daß ihm kein Spott etwas anhaben konnte. Ich gestehe indessen, es war mir etwas ärgerlich, daß unsere Dienerschaft unter diesen Gränzburschen eine so traurige Figur machte. Ja sogar unsere Equipage litt unter dieser Impopularität, und ich hörte manches geringschätzige Wort über die Doppelflinten, welche wir für kleineres Wildpret führten; die Bursche im Westen verachten die „Schrotbüchsen“, wie sie sie nennen, von ganzem Herzen, denn Rebhühner, Birkhühner, sogar wilde Truthühner sind ihnen zu gering, um sich ernstlich damit abzugeben, und die Büchse dünkt ihnen das einzige, des Jägersmanns würdige Gewehr.
Am andern Morgen erwachte ich vor Tagesanbruch am kläglichen Geheul eines Wolfs, der, angelockt vom Geruche des Wildprets, um das Lager herstrich. Kaum zeigte sich der erste graue Lichtstreif am Morgenhimmel, so fing ein junger Bursche in einem der entlegenen Quartiere an, wie der Hahn zu krähen, so kräftig und klar, so schön ausgehalten, daß es dem ältesten Meister des Hühnerhofes Ehre gemacht hätte. Alsbald ließ sich an einem andern Fleck, wie wetteifernd, ein zweiter hören, und jetzt wurde es laut von Quartier zu Quartier: Hennen gackerten, Enten schnatterten, Truthühner glucksten, Schweine grunzten, und es ward uns nicht anders, als wären wir mitten in einen Bauernhof versetzt, und alle seine Bewohner stimmten ihr vielstimmiges Concert an.
Nach kurzem Morgenritte kamen wir auf eine stark betretene Spur von Indiern; wir verfolgten sie und erstiegen einen Hügel, von dessen Gipfel wir eine weite Aussicht über eine Landschaft hatten, von felsigen Höhen und wellenförmigen Bergzügen durchschnitten, bedeckt mit Gebüsch und Baumgruppen von mancherlei Colorit und Laub. In der Ferne, gegen West, sahen wir zu unserer großen Freude den Red-Fork seine röthlichen Gewässer mit dem Arkansas mischen, und sahen, daß wir uns bereits über dem Zusammenflusse befanden. Jetzt ging es hinab, und mit großer Beschwerde durch die Niederungen am Arkansas. Hier waren die Bäume mit riesigen, wilden Reben bestrickt, die sich wie Tackelwerk von Stamm zu Stamm, von Ast zu Ast herüber und hinüber zogen. Auch das Unterholz war dick und verworren, und der wilde Hopfen, gerade zur Ernte reif, wuchs hier in solcher Menge, daß sich unsere Pferde nur mit Mühe Bahn brachen. Vieler Orten bemerkte man Fährten von Wild, und mancher Baum zeigte Spuren von Bärenklauen. Jedermann war auf der Hut, in der Erwartung, es werde ein Wild aufgehen; da erscholl plötzlich auf einem entfernten Punkte der Linie lautes Geschrei: „ein Bär! ein Bär!“ Wir sprengten alle vorwärts, an der Jagd Theil zu nehmen; da hatte ich den unaussprechlichen, freilich spaßhaften Aerger, zu entdecken, daß es weiter nichts war, als daß sich unsere beiden Ehrenmänner, Beatte und Toni, elendiglich an einem Stinkthier vergriffen. Das Thier hatte sich unter einen umgestürzten Baumstamm geflüchtet, und vertheidigte sich von hier aus in seiner eigenthümlichen Weise so kräftig, daß in Kurzem der Duft den ganzen Wald erfüllte.
Von allen Seiten regneten nun Witze und Spöttereien auf den indischen Jäger, und man rieth ihm, den Scalp des Stinkthiers als seine einzige Trophäe zu tragen. Als man aber sah, daß er und Toni es sich durchaus nicht nehmen ließen, das Thier selbst als einen besondern Leckerbissen haben zu wollen, ward von allen Seiten der Ekel laut, und man sah sie fast wie Kannibalen an.
Aergerlich, daß unsere zwei Jäger auf so schmähliche Weise ihr Probestück abgelegt, bestand ich darauf, sie sollten ihre Beute fahren lassen, und ihres Wegs gehen. Beatte gehorchte mit verdrießlichem, finsterem Gesicht, und zog brummend hinterher. Toni aber entschädigte sich in seiner gewohnten, rednerischen Weise durch eine lärmende Lobrede auf ein gebratenes Stinkthier; er betheuerte, es gelte bei allen ausgelernten, indischen Leckermäulern für das Allerdelicateste. Nur durch wiederholten, gemessenen Befehl konnte ich endlich dem Geschwätz ein Ende machen. Aber französische Lebendigkeit macht sich, wenn man ihr einen Weg verschließt, auf einem andern Luft, und so ließ denn Toni seinen Aerger durch Ladungen von Flüchen und Prügeln an den Packpferden aus. Meine Opposition gegen den Geschmack der Bursche sollte mich aber am Ende erst nichts helfen; denn nach einer Weile ritt Beatte, der zurückgeblieben war, wieder vor an die Spitze des Zugs, wo er als Führer diente, und zu meinem Verdrusse sah ich sein erlegtes Wild, das, abgezogen, einem fetten Spanferkel gleichsah, hinter seinem Sattel baumeln. Ich schwor aber bei mir einen theuern Eid, unser Feuer solle durch die Zurichtung des Stinkthiers nicht verunehrt werden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien