GRÄNZSCENEN. — DER LYCURG DER GRÄNZEN. — GRÄNZRECHT. — DIE GEFAHR, EIN PFERD ZU FINDEN. — DER JUNGE OSAGE.

Am folgenden Morgen (11.October) waren wir nach sieben Uhr auf dem Marsch und ritten über niedrige, fruchtbare Gründe von aufgeschwemmtem Land, mit üppiger Vegetation und ungeheuren Bäumen bewachsen. Unser Weg lief parallel mit dem westlichen Ufer des Arkansas, an welchem Flusse, und zwar da wo der Red-Fork in ihn fällt, wir das Hauptcorps der Jäger einzuholen hofften. Ein paar Meilen weit war das Land mit Dörfern und Gehöften der Creekindier besäet, deren Bewohner, wie es schien, sich sehr leicht in die ersten Elemente der Cultur gefügt hatten, wobei sie sich auch ganz gut befanden; ihre Gehöfte waren gut angelegt, und ihre Wohnungen verriethen Wohlstand und Ueberfluß. Wir stießen auf ganze Haufen, welche von den großen Ballspielpartien heimzogen, wodurch dieses Volk berühmt ist. Manche waren zu Fuß, andere zu Pferd, letztere hin und wieder mit festlich geputzten Weibern hinter dem Sattel; lauter gut gebildete Leute, gedrungen, mit gut gebauten Beinen. Auf grelle Farben und bunten Zierrath sind sie erpicht wie Zigeuner, und aus der Ferne in der Prairie gesehen, nehmen sie sich gar hübsch und phantastisch aus. Einer hatte ein rothes Schnupftuch nebst einem schwarzen Federbusche, der aussah wie ein Hahnenschwanz, um den Kopf gebunden; ein anderer trug ein weißes Schnupftuch mit rothen Federn; ein dritter hatte in Ermangelung der Federn einen hübschen Sumachstrauß in seinen Turban gesteckt.
Beim Eintritt in die Wildniß machten wir Halt und erkundigten uns nach dem Weg in einem Blockhause, wo ein weißer Ansiedler hauste, ein langer, hagerer, alter Kerl mit rothem Haar und einem ellenlangen Gesichte, dem es zur Natur geworden war, mit einem Auge zu blinzeln, als wäre jedes Wort, das ihm aus dem Munde kam, höchst bedeutsam. Er war just in gewaltiger Aufregung: eines seiner Pferde war abhanden gekommen; er schwur darauf, es sey in der Nacht von einer Streifpartie Osagen, die in einem Sumpf in der Nähe gelagert, gestohlen worden. Aber er wollte sich schon Genugthuung verschaffen! er wollte an den Schurken ein Exempel statuiren! Dem zufolge hatte er die Büchse von der Wand genommen –– das obligate Instrument, womit auf der Gränze Recht wie Unrecht geübt wird –– hatte sein Pferd gesattelt, und war im Begriff einen Ausfall in den Morast zu machen, während ein Nachbar, die Büchse in der Hand, seiner harrte, um den Zug mitzumachen. Wir suchten den alten Prairiehelden zu beruhigen, und stellten ihm vor, sein Pferd könne sich im benachbarten Gehölze verlaufen haben; aber auf der Gränze müssen einmal die Indier alles verbrochen haben, und so ließ er sich durchaus nicht abhalten, mit Feuer und Schwert in den Morast einzufallen.
Nach einem Ritte von ein paar Meilen verloren wir die Fährte des Jägercorps, indem sich hier eine Menge Spuren von Indiern und Ansiedlern kreuzten. Bei einem Blockhause, wo ein Weißer wohnte, dem alleräußersten an der Gränze, erfuhren wir endlich, daß wir von unserem Weg abgekommen; der Mann führte uns eine Strecke zurück, brachte uns wieder auf die rechte Fährte, und sie verfolgend, betraten wir jetzt eigentlich die weite Wildniß. Die Spur lief, gleich einem gewundenen Fußpfade, über Berg und Thal, durch Holz und Gebüsch, durch verworrenes Dickicht und über offene Prairien. In der Wildniß zieht man immer, sey man nun zu Pferd oder zu Fuß, nach indischer Sitte in einer geraden Linie hinter einander her, wobei die Zugführer den Uebrigen den Weg bahnen und erleichtern; auf diese Weise verbirgt man auch die Stärke des Haufens, denn der Strich, den er genommen, wird nur durch einen schmalen getretenen Pfad bezeichnet.
Nicht lange waren wir wieder auf der Spur, da sahen wir, aus einem Walde tretend, unsern magern, blinzelnden, irrenden Ritter von der Gränze, seinen Waffenbruder hinter ihm, eine Anhöhe herabkommen. Als er näher kam, erinnerte mich die ganze knöcherne, traurige Gestalt an den Helden von La Mancha; hatte er doch gleichfalls ein gewaltiges Abenteuer zu bestehen, im Begriff, sich in das Dickicht des gefährlichen Morastes zu werfen, wo der Feind im Hinterhalte lag. Während wir am Abhange der Anhöhe uns mit ihm besprachen, sahen wir etwa eine halbe Meile weit einen Osagen zu Pferd, ein anderes Pferd an der Hand, aus dem Walde kommen. In letzterem Pferd erkannte unser blinzelnder Freund alsbald dasjenige, das er suchte. Als der Osage näher kam, ward ich von seinem Aeußern in hohem Grad überrascht; er war neunzehn, zwanzig Jahre alt, gut gewachsen, mit den hübschen, römischen Zügen, die seinem Stamm eigenthümlich sind; und wie er, seine Decke um die Lenden gewunden, einhergeritten kam, möchte seine nackte Büste ein gutes Modell für einen Bildhauer abgegeben haben. Er ritt einen hübschen, weiß und braunen Schecken vom wilden Prairieschlag mit einem breiten Brustband, an dem vorn ein Büschel hellroth gefärbten Roßhaars hing. Der Jüngling kam langsam mit offenem, unbefangenem Wesen zu uns heran und gab uns vermittelst unsers Dolmetschers Beatte zu verstehen, das Pferd, das er an der Hand führe, habe sich in ihr Lager verlaufen, und er sey auf dem Weg, es dem Eigner zu bringen. Ich war von Seite unseres unschönen Ritters auf eine Aeußerung des Danks gefaßt, aber zu meiner großen Verwunderung gerieth der alte Kerl in eine unbeschreibliche Wuth. Er behauptete, die Indier hätten ihm in der Nacht sein Pferd entführt, um es ihm am Morgen wieder zu bringen und ein Trinkgeld dafür zu verlangen; dieß, versicherte er, sey ein gewöhnliches Stückchen bei den Indiern. Er meinte also, man solle den jungen Indier an einen Baum binden und ihm eine derbe Tracht Prügel geben, und war ganz verwundert, als der Unwille über solch neue Manier einen Dienst zu vergelten, sich laut unter uns äußerte. Aber so wird auf der Gränze nur zu oft Justiz geübt; der Kläger ist Zeuge, Geschworner, Richter und Büttel in Einer Person, und der Beklagte wird aus bloßer Vermuthung hin für überwiesen erklärt und bestraft; und ich bin überzeugt, dergleichen ist eine Hauptquelle des Mißvergnügens und des Grolles unter den Indiern, welcher grausame Wiedervergeltung und am Ende Krieg zur Folge hat. Verglich ich die offenen edeln Züge, das freie Benehmen des jungen Osagen mit dem fatalen Gesicht und den hochländischen Manieren des Gränzmannes, so konnte bei mir kein Zweifel seyn, wessen Rücken mehr eine Tracht Prügel verdient hätte. Da sich nun der alte Lykurgus oder vielmehr Drako von der Gränze damit zufrieden geben mußte, daß er sein Pferd wieder hatte, ohne den Finder obendrein durchprügeln zu dürfen, so machte er sich mit seinem Gevatter brummend auf den Heimweg.
Der junge Osage aber hatte uns Alle für sich eingenommen; der junge Graf besonders, nach Alter und Charakter geneigt sich rasch anzuschließen, war ganz verliebt in ihn; es nützte nichts, er mußte den jungen Osagen auf dem Zug in die Wildniß zum Begleiter, zum Knappen haben. Der Jüngling ließ sich leicht bereden; die gute Gelegenheit, einen Zug in die Büffelprairien zu machen, eine neue Decke, die man ihm versprach, mehr brauchte es nicht; er wandte sein Pferd, kehrte dem Sumpf und dem Lager der Seinigen den Rücken, und schloß sich dem jungen Grafen zur Verfolgung der indischen Jäger an. Solch herrlicher Unabhängigkeit geniest der Mensch im Naturzustande! Der Jüngling hier mit seiner Büchse, seiner Decke und seinem Rosse war jeden Moment bereit, in die weite Welt zu gehen; Alles, was von Werth für ihn war, führte er mit sich, und unabhängig von künstlichen Bedürfnissen verstand er die große Kunst, persönlich frei zu seyn. Wir in unserer Gesellschaft sind Sklaven, nicht sowohl Anderer als unser selbst; das Ueberflüssige wird für uns zur Fessel, die jede Bewegung unseres Körpers hemmt, jede Regung unsers Geistes niederhält. So philosophirte ich wenigstens damals; leicht mögen allerdings meine Speculationen diese ihre Richtung von dem Enthusiasmus des jungen Grafen erhalten haben, der mehr als je für das wilde Reiterleben in den Prairien schwärmte und davon sprach, so lange er sich unter den Osagen aufhalten werde, indische Tracht und indische Gebräuche annehmen zu wollen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflug auf die Prairien