Weinheim

Weinheim, 21. Aug.

Jetzt, mein Freund, kenne ich auch den Garten von Deutschland, die über alle meine Erwartung schöne anmuthige Bergstraße, welche aber, nebenher gesagt, die ebenste ist, die sich denken läßt. Zu lange schon hatte ich mich auf ihren Anblick gefreut, um nicht jede Vorsicht anzuwenden, damit ich sie nicht im Regen sehen müßte, ich verließ deshalb Darmstadt nicht eher, bis der Stand des Barometers mir gutes Wetter zusicherte, und hatte wirklich das Glück, einen zwar heißen, aber sonst wunderschönen Tag zu wählen.


Meine Pläne waren sehr weitaussehend. Ochsen sollten mich auf den Gipfel des Melibocus schleppen, alle Ruinen wollte ich besteigen, auch die seit kurzem berühmte Granitsäule des Feldbergs besuchen, welche aus dem Odenwald nach Leipzigs Ebenen geführt werden sollte, um dort als Denkmal unserer Befreiung zu prangen. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich alles wollte; aber es ging mit meinen Plänen wie mit allen andern, die wir in diesem Leben machen. Sie werden in der Ausführung immer einfacher, weil niemand den Aufwand von Zeit und Kraft vorher gehörig berechnete dessen er bedarf, um sie ganz ins Werk zu stellen.

Da ich in Auerbach zu verweilen gedachte, so hatte ich Pferde bis Heppenheim, der ersten Poststazion, gemiethet, um mich, so lange ich wollte, unterwegs aufhalten zu können. Die erste Meile. von Darmstadt aus gab uns noch keine Ahnung von dem, was weiterhin unsrer wartete. Zwar ist das Land in der Nähe der Stadt mit Sorgfalt angebaut, und schöne Gärten dienen ihm zum Schmuck, aber weiterhin wächst fast nur dunkles Nadelholz im unfruchtbaren Sande. Erst bei Bickebach, wo wir aus dem Tannenwalde hervortraten, erblickten wir die eigentliche Bergstraße im vollen Glanz des heitern Morgenlichts. Vom Gipfel des mächtigen Melibocus schimmerte uns das oben erbaute weiße Häuschen wie ein leuchtender Punkt entgegen, und erinnerte mich an die Bastiden bei Marseille. Auf einem andern nahen hohen Berge erhoben sich die prächtigen Ruinen des Auerbacher Schlosses; ähnliche Ueberreste alter Burgen erblickten wir rings umher auf Höhen, zu deren Füßen freundliche Dörfchen in stillem Frieden ruhten. Riesengroße Walnußbäume, Mandelbäume, Obstbäume aller Art streuten dichte Schatten auf unsern Weg, und ihre Zweige bogen sich schon jetzt unter der Last der noch bei weitem nicht zum völligen Wachsthum gediehenen Früchte.

Alle Bauerhäuser sind hier dicht mit Rebenlaub umzogen, schöne blühende Kinderköpfchen gucken dazwischen aus allen Fenstern heraus, liebliche Bilderchen, wie so oft Mieris sie malte. Ueberall am Wege winken blühende Gärtchen mit schattigen Lauben; es ist das Land der Fülle und des reichsten Segens der Natur. So wie die dunkeln Ruinen mit dem blühenden Leben an ihrem Fuß, so kontrastiren die links sich erhebenden pittoresken Felsen des Odenwaldes mit der Ebne zur Rechten, in welcher hie und da fern kaum sichtbare Thurmspitzen das Daseyn bedeutender Städte am Ufer des mächtigen Rheines verkünden.

In Auerbach hielten wir im Gasthof zur Rose an, und fanden freundliche sachkundige Wirthsleute, die uns über alles Auskunft zu geben wußten, was wir zu wissen verlangten. Des beschwerlichen weiten Wegs halber riethen sie uns vom Besteigen des Melibocus ab, besonders da wir vor der Mittagsstunde nicht hinaufkommen würden, und man in dieser auf hohen Bergen fast gar nichts sieht, der ungünstigsten Beleuchtung. Dagegen priesen sie uns die Aussicht von dem in weit kürzerer Zeit zu reichenden nahen Schloßberge an, auf welchem die Ruine steht, die ich ohnehin in der Nähe zu sehen wünschte. Dieser Berg ist viel niedriger, als der Melibocus, gewährt aber, nach aller Versicherung, dieselbe, nur etwas weniger ausgebreitete Aussicht Auf eine Meile mehr oder weniger kommt es mir bei sehr weiten Aussichten nicht an; ich habe wenig Freude davon, wenn ich mit angestrengtester Sehkraft am fernen Horizont ein schwarzes Mückenfäschen erblicke oder zu erblicken glaube, und der Führer mir dabei sagt, das ist der Strasburger Münster. Ich lobe mir die Nähe, in der ich wenigstens das deutlich sehe, worüber ich mich freuen soll, deshalb nahm ich guten Rath an und wanderte rasch vorwärts, von einem ganz vernünftigen Führer begleitet, der unsre Shawls und unser Frühstück trug.

Unterwegs dachte ich mit wahrer Sehnsucht an meine Schwalbacher Esel, da wir auf ziemlich beschwerlichem Wege über eine Stunde, fast immer aufwärts stiegen, aber mit dem letzten Schritt, der den Gipfel des Berges erreichte, war jede Mühseligkeit des Hinaufkommens völlig vergessen. Die Ruine des uralten, von den Franzosen im dreißigjährigen Kriege zerstörten Schlosses ist eine der herrlichsten in dieser ganzen, an kostbaren Ueberbleibseln des Alterhums so reichen Gegend. Epheu von einer Größe, wie ich ihn nie sah, umschlingt mit mächtigen Zweigen die dunkeln Mauern, die gewaltigen Türme, und schmückt die Vergangenheit mit frischem jugendlichen Leben. Gebahnte Wege erleichtern und sichern den Zugang zu allem, was Zeit und feindliche Gewalt von dem weitläufigen, einst prächtigen Gebäude übrig ließen, ohne das Auge durch moderne Kunst in diesem Heiligthum der Vorzeit zu beleidigen. Ueberall ist nur das zur Erhaltung des noch Vorhandnen Nöthigste gethan und nirgend eine, hier übel angebrachte Verzierung gewagt, wie wohl bei andern Ruinen, namentlich bei der in Tharant, geschehen ist.

Da saßen wir nun, bald auf der hohen Ringmauer, bald im Bogen eines ehemaligen Fensters, bald oben auf der Zinne des Thurms, geblendet von der Pracht der uns umgebenden Natur. Von der einen Seite der Ruine blickten wir tief in die schauerlichen Klüfte und Wildnisse des Odenwaldes und des Spessarts, an der andern lagen die Pfalz, die ganze, vom Rhein durchströmte reiche Ebene im Morgenstrahl vor uns, bis zu den fernen Vogesen, dem Taunus und dem Donnerberg. Ein großer Theil der Bergstraße lag wie ein blühendes Paradies, fast senkrecht unter uns. Ganz in der Nähe das freundliche Dörfchen Auerbach, etwas weiter das Städtchen Benzheim, unfern davon das Städtchen Heppenheim mitten in seinen Reben, über welches die Ruine der einst mächtigen Starkenburg auf einem bis hinauf zum Gipfel mit Wein bepflanzten hohen Berge ihre dunkeln Türme erhebt. Ich glaube nicht, daß in der ganzen Gebend ein schönerer Punkt zu finden sey, als dieser, selbst nicht auf dem Meli-bocus. Der Kontrast zwischen dem wilden Gebirge und der unabsehbar weiten Ebne, die große Anmute der nahen Gegend dicht unter uns, wo man fast in die Straßen von Auerbach, Benzheim und Heppenheim blickt, die gegenüberstehende Starkenburg, welche uns so nahe schien, daß wir glaubten, ein Ruf müsse bis zu ihr dringen; alles dies bildet ein entzückendes unbeschreibliches Ganze, welches ich nie vergessen werde.

Auf einem sehr beschwerlichen Wege, mitunter durch Sumpf und Moor, hatten wir in Zeit von drei Stunden von diesem Berge zum Feldberge gelangen können, wo die Riesen-Säule noch so daliegt, wie die Römer sie bei ihrer Bearbeitung verließen. Diese Säule ist indessen nach Aller Aussage nur dreißig Fuß lang, und verdient also nicht ihren großen Namen. Ihretwegen that es mir auch nicht leid, daß wir unsern Kräften diesen weiten Weg nicht zumuthen konnten, wohl aber wegen des nahe daran liegenden Felsenmeeres. So nennen die Umwohner dieser Gegend ein mit, wie von Geisterhänden hingeschleuderten, großen Felsenmassen dicht besäetes wildem Thal des Odenwaldes. Aller Beschreibung nach muß es den Felsen bei Alexandersbad im Voigtlande ähnlich seyn, welche man sonst die Luxburg nannte, und der verewigten Königin von Preußen zu Ehren zur Luisenburg umgetauft hat.

Da wir in Ermangelung hülfreicher Esel den Gedanken aufgeben mußten, den Feldberg zu besuchen, so wählten wir wenigstens den etwas weitern angenehmeren Weg zurück nach Auerbach. Wir wanderten erst im frischen Waldschatten gemächlich den Berg hinab, und befanden uns bald darauf in den schönen Anlagen, welche die im Rosbacher Thal entspringende Heilquelle umgeben. So sahen wir uns in weniger als einer Stunde aus der gewaltigen Vorzeit in die jetzige versetzt. Vor uns im Thal lag das elegante kleine Schloß mit artigen Nebengebäuden, welches der Darmstädter Hof zuweilen im Sommer einige Wochen bewohnt, nicht weit davon ein ziemlich großer Gasthof und einige für Brunnengäste eingerichtete artige Häuser. Schattige Gänge, Grasplätze, Blumenstücke, kleine Pavillons schmücken hier die Höhen und das Thal, während von ihren Bergen die Ruinen des Auerbacher Schlosses und der Starkenburg dunkel und ernst über die Gipfel der hohen Bäume herüber blicken auf diese ihnen so fremdartigen neuern Erscheinungen. Wenige berühmte Brunnenorte haben eine reizendere Lage, als die fast unbekannte Quelle, welche hier, von einem artigen kleinen Tempel umgeben, einsam sprudelt. Nur die Einwohner der zunächst liegenden Orte benutzen zuweilen ihre heilende Kraft; desto häufiger aber besuchen sie an Sonn- und Festtagen die Einwohner von Darmstadt und andern nahen Städten als geselligen Erholungsort. Dann erschallt das sonst so stille Thal von lautem, fröhlichen Leben, und Gläser erklingen zum Takt des raschen Walzern in welchem das junge Volk sich lustig dreht.

Je weiter wir nun auf der Bergstraße fortschritten, je herrlicher ward alles um uns her. Immer üppiger wachsen die Reben an den Bergen, die Obstbäume am Wege und in den Gärten. Ueber das helle Grün der Reben in beträchtlicher Höhe erheben sich dunkle Kastanienhaine, über diese strecken höhere Felsen die waldigen Gipfel gen Himmel. Die weite Ebne bleibt stets zur rechten Hand, zur linken die hohen Berge des Odenwaldes, und doch wechseln die Ansichten aufs mannigfal tigste. Bald steigen die Felsen drohender empor, bald senken sie sich zu sanftern Anhöhen; hier starren zackige Felsen aus dem frischen Grün hervor, dort geben schöne Ruinen alter Burgen der Gegend einen eignen romantischen Reiz. Am Abhang der Berge ist jedes urbar zu machende Fleckchen auf das sorgfältigste angebaut, und alles gedeiht, Menschen und Thiere, Pflanzen und Bäume. Städtchen reihen sich an Städtchen, Dorf an Dorf, in diesem kleinen Bezirk. So gelangten wir gegen Abend hieher nach Weinheim, dem schönsten Teil der Bergstraße, wie er auch der ärmste ist. Die kleine uralte Bergstadt mit ihre epheubewachsenen zackigen Mauern und grauen Thürmen hat eine paradiesische Lage; gern vergesse ich darüber die winkligen, bergauf bergab führenden .engen Straßen und den steil abhängenden Marktplatz, an welchem wir für die Nacht unsre Wohnung nahmen. Die, Weinheim umgebenden, mit Reben und Kastanien bepflanzten Berge steigen am Ufer der Wischnitz, eines dicht an der Stadtmauer hinfließenden Bergstroms, fast senkrecht empor, und hoch über der altertümlichen Stadt thront die mächtige Ruine der Burg Windeck auf einem Weinberge, und gewährt, mit ihr vereint, einen höchst pittoresken Anblick. Rings umher gedeihen die edelsten Obstbäume, noch üppiger als im übrigen Teil der Bergstraße. Es wird hier viel Gärtnerei getrieben, daher blühen die schönsten fremden Blumen und Sträuche in allen Fenstern und Gärten, und keine Pflanze trauert unter diesem schönen Himmel um ihr südliches Vaterland. Die Stadt selbst hat, bei aller ihrer Alterhümlichkeit, einige hübsche freundliche Häuser; auch liegt hier der elegante Landsitz einer adeligen Familie, von schönen Gartenanlagen umgeben.

Sie kennen meine Art, mich wenigstens in Gedanken überall anzusiedeln, wo es mir gefällt; so habe ich auch hier ein kleines hübsches Landhaus gefunden, welches jetzt nicht bewohnt wird, und von dem ich mir einbilde, daß ich einmal einen Sommer darin verleben könnte. Ein ländlicher Garten voll Reben und Pfirsichen und Mandeln und Feigen umgiebt es, und die schönsten Blumen blitzen wie farbige Juwelen aus ihrem Schatten hervor. Auch hat der obere Stock meines Hauses einen Balkon, von dem man weit und breit die himmlische Gegend überschaut, den Rheingau in der Ferne, näher die Ebne, auf welcher Mannheim und die uralte Stadt Ladenburg liegen, bis zu den fernen Vogesen. Die näm-liche Aussicht, nur noch ausgebreiteter, bietet ebenfalls die Ruine der Windeck, von welcher auch die alten Mauern der Stadt mit ihren zackigen Zinnen und den beiden Herren Türmen sich recht malerisch ausnehmen. Dicht an der Stadt öffnet sich das Birkenauer Thal. Zwei in den Felsen gehauene uralte Thorpfosten, an welchen man noch Spuren der An- erblickt, woran die Thorflügel hingen, bilden hier den Eingang in die düstern Klüfte des Odenwaldes. Wahrscheinlich verschloß dies Thor den Zugang zu einem dem Odin geweihten heiligen Hain. Mich ergriffen ahnend Schauer einer gewaltigen Vorzeit, da ich hindurch schritt. Schon der Name des Odenwaldes verkündet, daß er vor allem dem Dienste Odins geweiht war; die ganze Gegend bietet noch Spuren davon, und wohin man tritt, ist altdeutscher klassischer Boden. Felsen und Steine, alte Denkmahle und Namen von Gegenden und Ortschaften, alles erinnert an die Geschichte der Niebelungen und einer großen Vorwelt, die jetzt im romantischen Dunkel einzelner Sagen verhüllt liegt. Starr und wild drängen sich die Felsen am Anfange des Birkenauer Thales zu einer engen Schlucht zusammen; die Weschnitz eilt rauschend zwischen ihnen hin, durch das Thal hindurch; oft läßt sie am Fuße der Berge kaum Raum genug für den sich längs ihrem Ufer hin-ziehenden Fahrweg, hin und wieder aber erweitert sich das Thal, und wo der Platz es erlaubt, ist auch eine Mühle hingebaut; hohe Erlen umgeben das ländliche Gebäude, und der Wiederhall verdoppelt das Rauschen des unwillig über die Räder sich stürzenden Bergstroms. Solcher Mühlen giebt es hier drei, die alle die romantische Schönheit des wilden Felsenthals erhöhen, jede auf besondre Weise und von den andern verschieden. Nächst einem Kloster wüßte ich nichts, das den Reiz einer gebirgigen Gegend mehr erhübe, als eine Mühle mit ihren brausenden Bächen, ihren immer im Schwunge sausenden Rädern, und jetzt, da die Klöster wie ,,ausge-nommene Nester“ dastehen, ist mir eine Mühle fast noch lieber, als ein solches verödetes oder gar zu einer Fabrik umgeschaffenes Kloster. Die das Thal einschließenden hohen Felsen bieten dem Naturforscher höchst merkwürdige Erscheinungen dar; mich freute ihre wunderbare Gestaltung, der frische Wald, der sie kleidet, und die rothen zackigen Felsenspitzen, die hie und da aus dem üppigen Laube hervorragen und schöne Gruppen bilden. Das Thal endet in einer ziemlich weiten Ebne, in deren Mitte das Dörfchen Birkenau und das dazu gehörende Schloß eine sehr freundliche Landschaft bilden.

An das andere Ende von Weinheim stößt das vom Grundelbach durchströmte Gorchsheimer Thal. Es ward mir als still und schattig, voll angenehmer Waldscenen beschrieben, aber weit weniger malerisch und interessant, als das Birkenauer Thal. Deshalb ging ich nicht hin. Die Welt ist zu groß, um alles darin zu sehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer