Heidelberg

Heidelberg, 23.Aug.

Auf halbem Wege von Weinheim hieher schimmerte die Strahlenburg uns im Schein der dem Untergang sich neigenden Sonne so herrlich entgegen, daß wir, um in ihre Nähe zu gelangen, den kleinen Umweg über das uralte, an ihrem Fuß sich hinschmiegende Schriesheim gern nicht achteten. Keine Ruine rings umher glänzt, einem verklärten Geiste dahin gezwungener alter Zeiten so ähnlich, als diese, besonders wenn abends die letzten Sonnenstrahlen das weiße Gestein in Rosengluth färben. Alsdann erblickt man die Burg meilenweit im flachen Lande, wie einen laufenden Stern, und gewiß verdankt sie dieser, sie vor allen andern auszeichnenden Lage den schönen Namen der Strahlenburg, welchen die Erbauer ihr gaben. Die Burg liegt ganz frei auf einem nicht sehr hohen Weinberge. Höhere Felsen bilden den Hintergrund der reizenden Landschaft, auf welcher große, sonderbar geformte Granitmassen zwischen dicht belaubten Bäumen emporsteigen. Schriesheim ist ein sehr alter Ort voll Leben und Thätigkeit; mehrere Mühlen, einige Fabriken und ein nahes Bergwerk, in welchem Vitriol und Alaun gegraben werden, beschäftigen die Einwohner und geben ihnen Unterhalt. Ziemlich lange sahen wir uns in der engen, etwas schmutzigen Straße vergebens nach einem Führer zur Burg um, bis ein freundlicher Färber uns seine dunkelblaue Hand bot und uns recht sorgsam den steilen, von Reben beschatteten Fußweg hinauf leitete.


Da standen wir vor den schönen Trümmern der einst prächtigen Burg, staunten ihre Thürme an und wandelten zwischen den Mauern umher, bei denen der Aberglaube noch bis diese Stunde nach Schätzen gräbt, wie mehrere, frisch aufgeworfene Hügel bezeichnen.

Unser mit den Sagen seiner Gegend wohlbekannte Führer erzählte uns indessen recht einfach und treuherzig, wie der Kaiser Friedrich mit dem rothen Bart diese Burg vor vierhundert Jahren in einer Nacht eroberte und verbrannte und gefangene Ritter binden und im Kanzelbach ertränken ließ. Schaudernd blickte seitwärts enge, vom Kanzelbach durchrauschte Thal, und verglich die wilde Vorzeit mit der friedlichen Gegenwart.

Wo damals die Ritter gemordet wurden, da stehen jetzt eine Reihe ewig klappernder Mühlen, die der silberklare, einst blutgefärbte Bach treibt. Dicht daran sah ich fleißige Men schen den Schooß der Erde durchwühlen, um verborgene Schätze ans Tageslicht zu fördern, über welche unsre Vorältern achtlos hin-gingen. Vor mir lag die angebaute Ebne, ich übersah viele Dörfer und Städte, weit über Mannheim hinaus, und dachte, welche Schrecken in jener verhängnißvollen Nacht der grausend schöne Anblick der brennenden Burg unter die Einwohner des flachen Landes verbreitet haben mag. Die Flammen müssen hier fürchterlich gewüthet haben, dennoch konnten sie diese aus Granitmassen für eine Ewigkeit zusammen gethürmten Mauern nicht zerstören; der langsamern aber mächtigern Gewalt der Zeit wurde vieles später zum Raube, doch stehen noch Türme und Gewölbe ihr trotzend, da, umklammert von den starken Armen des hier üppig gedeihenden riesengroßen Epheus.

Ganz in der Nähe fand man römische Gräber und Spuren alter Bäder. Dies brachte wahrscheinlich das Volk auf die Idee des Schatzgrabens im Bezirk der Burg.

Von Schriesheim gelangten wir bald nach Handschuchsheim, einem gar freundlichen Ort, in dessen mit Reben umrankten ländlichen Häusern mehrere Einwohner von Heidelberg den Sommer über wohnen. Nun bog der Wagen bei Neuenheim um eine Ecke; es war der letzte Schritt, mit welchem wir die Bergstraße hinter uns ließen. Vor uns lag eine neue schöne Welt; der breite schimmernde Neckar und seyn entzückendes Thal; die schöne, .mit Statuen geschmückte Brücke, die sich über ihn wölbt; am entgegengesetzten Ufer Heidelberg, dicht am Strome einen weiten Halbzirkel bildend, über den sich die prächtigen Ruinen des Schlosses hoch erheben, und hinter diesem höhere waldgekrönte Felsen, deren dunkles Grün den Grund des ßen Gemäldes bildet.

Hätte die Bergstraße auch keinen andern Zauber, als diesen großen überraschenden Anblick, hier, wo sie endet, er allein würde die ganze Reise reichlich belohnen. Daher eilen Sie, mein Freund, damit Sie unsre freundliche Erde nicht verlassen, ohne ihn genossen zu haben.



Heidelberg, 9. Sept.

Kaum weiß ich Worte zu finden, um Ihnen, lieber Freund, zu sagen, wie so ganz über meine Erwartung wohl es mir hier gefällt, wie groß und herrlich die Natur um mich ist, wie freundlich und heiter die Stadt. Sonst spotteten Sie oft über meinen Mangel an Ortsinn, wenn ich mich in den Straßen nirgend zurecht zu finden wußte; aber kommen Sie nur zu uns nach Heidelberg, ich will Sie herumführen trotz dem besten Lohnbedienten, denn hier weiß ich überall Bescheid, so gut wie in meinem eignen Zimmer. Indessen muß ich Ihnen doch gestehen, daß Heidelberg eigentlich nur aus einer einzigen breiten schönen Straße besteht, die sich wohl eine halbe Stunde lang hinziehe längs dem Ufer des Neckars, am Fuße hoher Felsen, welche hier von beiden Seiten des Stromes das Thal beschränken. Ein inneres Thor mitten in dieser Straße trennt die Vorstadt von der eigentlichen Stadt, ohne daß übrigens ein bedeutender Unterschied zwischen beiden bemerkbar wäre. Einige große, von schönen Gebäuden umgebene Plätze schließen sich an diese Straße an, und viele, zum Teil etwas düstre enge Queerstraßen gehen zu beiden Seiten von ihr aus. Fast alle Häuser sind massiv und haben ein recht stattlich-bürgerliches Ansehen. Einige tragen Spuren eines hohen Alterthums, besonders eins, vor dem ich immer einige Minuten betrachtend verweilen muß, wenn ich auch noch so ermüdet vom Spaziergange zurückkomme. Es ward wahrscheinlich im sechzehnten Jahrhundert gleichzeitig mit dem östlichen Flügel des Schlosses erbaut, und war einst der Wohnsitz der edlen Familie von Sickingen; jetzt bewohnt es ein Kaufmann. Die reiche Fasade schmücken noch von oben bis unten Säulen und Nischen, mit allerlei Bildhauerarbeit verziert, und zwischen ihnen schauen die Büsten vieler alten Ritter und Damen gar wunderbar und ernst auf die neue Generazion herab.

Weiter aber lasse ich mich nun auf keine topographische Beschreibung der Stadt und ihrer merkwürdigen Gebäude ein. Wollen Sie mehr davon wissen, so verweise ich Sie an Frau von Chezy und Herrn Aloys Schreiber, denn beide haben alles erschöpft, was davon zu sagen ist. Hingegen von Heidelbergs Umgegend möchte ich Ihnen recht viel schreiben; sie gehöret zu den anmuthigstem und zugleich erhabensten in Deutschland. Die ganze reiche Rhein-Ebne, in welcher Mannheim liegt, breitet sich vor uns aus, so wie wir aus dem Mannheimer Thor treten, welches das westliche Ende der Stadt begränzt; der Neckar eilt durch sie hin, dem Rheine zu; die Gebirge am Rhein schließen die blaue Ferne und seitwärts die des Odenwaldes an der Bergstraße, mit ihren alten Burgen und dem über alle emporragenden Melibocus. In der Stadt und am andern Ende des Thales hingegen umringen uns hohe schön geformte Felsen, zwischen welchen breit und silbern der Neckar hinwogt. Reben bekleiden die Berge bis zu einer gewissen Höhe; über diese erheben sich, wie an der Bergstraße, dunkle Kastanien-Haine, fast bis zu dem mit Wald und Busch gekrönten Gipfel hinauf. Wo die größere Breite des Thales es irgend erlaubt, blinken freundliche Dörfer und einzelne Wohnhäuser aus Reben und reichen Obstgärten hervor, und ziehen sich am Abhange der Berge oder durch enge Felsenschlüfte hin. Dicht über der Stadt, auf einer mäßigen Höhe, am Fuße eines hohen, mit dunkelm Grün gekleideten Felsen thront über all' diesem Reichthum die prächtige Schloßruine. Ich werde nicht müde, sie anzuschauen, denn immer bietet sie im Wechsel der Tageszeit oder des Wetters einen neuen herrlichen Anblick, abends und morgens, im Nebel und im Sonnenschein, oder wenn vom Winde schnell vorüber gejagte Wolken mit leicht hineilenden Schlagschatten sie überziehen. Ueberhaupt gewährt der Kampf der aus dem Strom aufsteigenden Nebel mit den Sonnenstrahlen zwischen den mit dunkelm, saftigen Grün bekleideten hohen Felsen ein ganz wunderbares Schauspiel. Er währt besonders morgens oft viele Stunden lang, in denen die Nebel sich in tausendfachen Gestaltungen bald hier, bald dort festhängen und einklemmen. Leider aber tragen sie nur zu oft den Sieg über die Sonne davon, und fallen dann in unbarmherzigen Regenströmen nieder.

Die Ruine des Heidelberger Schlosses gleicht in der Nähe mehr der einer von lauter Königen ehemals bewohnten Stadt, als der, eines einzigen Palastes. So groß ist ihr Umfang, so in der Bauart von einander verschieden sind die vielen einzelnen Gebäude, aus denen sie zusammengesetzt ist und welche im Lauf mehrerer Jahrhunderte hier nach und nach entstanden. Oft genug ward diese berühmte Ruine bis ins kleinste Detail beschrieben, aber es geht mit diesen Beschreibungen wie mit allen, welche es wagen, wahrhaft große Gegenstände umfassen zu wollen; sie befleißigen sich der ängstlichsten Genauigkeit, ohne je den mächtigen Eindruck des Ganzen wiedergeben zu können. Besser gelingt dies dem Zeichner, auch betrete ich nie den Bezirk des Schlosses, ohne mehrere Künstler oben zu finden, die sich mit Kopi-ren einzelner Theile desselben emsig beschäftigen. Seit länger als einem Jahr hat sich sogar ein Franzose im Hause des oben wohnenden Gärtners förmlich angesiedelt, und zeichnet mit unermüdetem Fleiß, so lange die Sonne am Himmel steht. Einige seiner Ansichten des Schlosses sind schon in Kupfer gestochen und was ihnen etwa an Geist abgehen möchte ersetzt die pünktlichste Treue, mit welcher alles bis auf die kleinste Verzierung eingefaßt ward.

Als ich zuerst den geräumigen Schloßhof betrat, und die mit sechzehn Bildsäulen und vielen andern Verzierungen geschmückte nördliche Fasade des Schlosses von fern erblickte, glaubte ich fast, ein noch bewohnbares prächtiges Gebäude zu sehen, und erst beim Nahertreten entdeckte ich, wie furchtbar hier vernichtende Zerstörung gehaust hat. Der noch reicher geschmückte östliche Flügel steht in ähnlichem Zustande da; im Innern desselben sind noch die Abtheilungen des Rittersaales und mehrerer großer Gemächer deutlich zu unterscheiden. Ueberbleibsel reicher Verzierungen von Bildhauerarbeit an den Thürpfosten und Fenstergesimsen von innen und außen, Säulen, Nischen, Statuen, Wappen und zum Theil emblematische Basreliefs bezeugen noch die ehemalige hier vorwaltende Pracht. Obgleich aber das Dach längst eingesunken oder weggebrannt ist, so hat dieser Theil des Schlosses doch noch ein zu neues Ansehen, um als Ruine in der Nähe vollkommen schön zu seyn. Ihm mangelt, bei aller seiner imponirenden Größe, das ehrwürdige Ansehen des Alterthums, welches nur lange an ihm vorüberziehende Jahrhunderte zu geben vermögen. Jetzt gleicht er noch zu sehr einer großen Brandstätte, an welcher man zwar bedauernd verweilt, aber ohne das Gefühl, welches zum Beispiel beim Auerbacher Schloß jeden ergreift. Doch nicht nur der Zeitraum von wenig mehr als hundert Jahren, seit welchen das Schloß zerstört ward, auch die dem Modernen sich nähernde Bauart dieses Theils desselben ist Ursache, daß er ein weniger ehrwürdiges .und pittoreskes Ansehen hat. Dem ältern, in einem frühern Styl erbauten und mit zum Theil noch stehenden herrlichen Granitsäulen geschmückten Flügel des Schlosses mangelt beides nicht, obgleich er zur nämlichen Zeit im dreißigjährigen Kriege zerstört ward. Einen unvergleichlich erhabnen Anblick aber gewährt der gesprengte Thurm an der andern Seite des Schlosses, dessen ungeheure, aus Felsenstücken zusammengesetzte Masse der Wuth der Flammen widerstand. Selbst die mächtigere Gewalt des Schießpulvers, womit damals die Franzosen diesen starken Thurm, der Erde gleich zu machen trachteten, vermochte nur einen Theil des Felsengebäudes loszureißen, der nun drohend über dem Abhang schwebt, einzig durch eigene Schwere vor dem völligen Herabsturz gesichert. Baumstarker Epheu umklammert ihn mit Riesenarmen; nirgend wächst diese Pflanze üppiger als hier, wo sie Felsen und Mauern unglaublich verschönert und mit immer grünen Kränzen schmückt. Noch ein alter prächtiger Thurm in der Nähe von diesem macht einen nicht minder malerischen Effekt, auch ist er unzählige Male gezeichnet, geätzt und besungen. Ein schönes altes Thor führt zu einer Abtheilung der das Schloß umgebenden Anlagen, in welcher er steht; sie heißt, ich weiß nicht warum, der Stickgarten. Ich bin wie auf diesen Platz hingebannt, und lasse ungern einen Tag vergehen, ohne ihn zu besuchen. Von einer kleinen, mit Linden besetzten Terrasse, welche ehemals ein Wall war, genießt man dort einer köstlichen Aussicht. Dicht unten am Wall fließt der Neckar; man übersieht die schöne Brücke und die ganze Stadt; in der Ferne blinken die mannigfalti-gen Windungen des Rheins aus der Ebne herüber, und die blauen Vogesen kränzen den weiten Horizont. Auf der Terrasse selbst steht der schöne alte Thurm, fast ganz mit Epheu überdeckt, welcher zwei daran angebrachte Nischen in Lauben verwandelt, aus denen die Bildsäulen zweier alten Pfalzgrafen drohend blicken. Der Effekt, welchen diese beiden, in Geschmack der damaligen Zeit sehr gut gearbeiteten Statuen hier machen, ist groß und wunderbar. Sie haben etwas geisterartiges, als fühlten sie noch Trauer und Zorn über die Zerstörung ihrer Fürstenwohnung, und wären bereit, sie zu rächen. Oben auf dem alten Gemäuer des Thurms grünen und blühen Pflanzen und Blumen in zwei kleinen Anlagen, die man den Lustgarten nennte Die Aussicht dort ist noch ausgebreiteter, als die unten von der Terrasse; es war ein hübscher Gedanke, hier Blumen und Sträuche zu pflanzen, die im Graus der Zerstörung üppig gedeihen und Leben aus dem Tode saugen.

Das berühmte Heidelberger Faß ist ebenfalls noch zu schauen; ich werde mich aber wohl nicht in den kalten feuchten Keller hinabwagen, in welchem es liegt. Gegen Master Whitbread's thurmhohe Porterfässer, welche ich in London sah, ist es doch ohnehin nur ein Zwerg. Auch hörte ich heute eine Schaar englischer Herren und Damen, die ich davon her-kommen sah, mit wahrem vornehmen Mitleid von dem winzigen kleinen Dinge sprechen und Altengland preisen, welches auch in dieser Hinsicht den Sieg über Deutschland davon trägt. Brummend schlich die Schloßwärterin hinter der Gesellschaft drein, die ihr für die nicht kleine Mühe des Herumführens im ganzen Schloß nur sechs Kreuzer gegeben hatte, und ich dachte daran, wie man in England den Besuch eines Schlosses mit Gold erkaufen muß.

Ueberhaupt werfen die jetzigen Engländer auf Reisen den Leuten nicht mehr die Guineen an die Köpfe, wie sonst wohl geschah; sie zeichnen sich eher auf ganz entgegengesetzte Weise aus; dafür werden auch in dieser ganzen Gegend die elegantesten Reise-kutschen an den guten Gasthöfen aus vorgeblichem Mangel an Raum abgewiesen, sobald der Wirth Britten darin spürt, und ich traute kaum meinen Sinnen, da ich dies zuerst hörte und sah. So ändern sich die Zeiten und Sitten. Vor zwanzig Jahren durfte ein Deutscher sich mit seinem Geldbeutel kaum in die Gasthöfe wagen, welche von den großmüthigen Milords besucht wurden, denn damals war jeder Engländer wenigstens ein Lord, und jetzt habe ich es wirklich erlebt, daß einer den in Heidelberg sehr billigen Preis der Wirthstafeln für seine Damen noch billiger behandeln wollte, weil diese weniger aßen als die Männer.

Ich werde es nicht müde, hier Berg und Thal an jedem heitern Tage zu durchreisen, denn der mannigfaltige Reiz, die Anmuth und Erhabenheit dieser Gegenden sind ewig neu. Heut wandelten wir zum Wolfsbrunnen, zuerst den Strom entlang, bis zu dem kleinen Dörfchen Schlierbach, wo wir durch einen Bauerngarten zu den kühlen silberklaren Quellen hinaufstiegen, die in einem dunkeln Felsengrunde reichlich sprudeln, und sich in vier terrassenartig über einander liegende fischreiche Weiher sammeln. Dunkles Gebüsch und einige Bäume verbreiten eine ewige kühle Dämmerung über diesen von der Welt abgesonderten stillen Platze Er gleicht einem, sehnsuchtsvoller Schwermuth geweihten Tempel. Ich glaube nicht, daß man auch mit dem fröhlichsten Gemüth hier lachen oder lustig seyn kann, so feierlich ist der Ort, in welchem nur das leise Murmeln der Quellen die tiefe Stille durchsäuselt. Um den obern Weiher schatteten sonst noch uralte mächtige Linden und verdichteten das heilige gründämmernde Dunkel; sie wurden unter allerlei nichtigen Vorwänden vor wenigen Jahren gefällt und werden noch immer schmerzlich beklagt. Dieser Vernichtungsgeist, der die Menschen treibt, auch das Unersetzbare zu zerstören, nur um es anders zu haben, ist eine sehr traurige Erscheinung, der man nur zu oft begegnet.

Die Sage behauptet, daß Siegfried an diesem abgelegenen stillen Orte unter Haagens meuchelmörderischem Schwerte fiel, da er im Brunnen badete. Doch widersprechen ihr viele eifrige Verehrer des Nibelungenliedes, und führen Gegengründe an, die hauptsächlich auf dem Lokal des Ortes beruhen, vorzüglich den, daß hier keine Wiese in der Nähe ist, auf welcher der Held sein Roß tummelte, ehe er ins Bad ging. Ich glaube, daß die Zeit hier wohl vieles veränderte, daß Busch, Wald und An-höhen im Lauf der Jahrhunderte recht wohl an die Stelle eines Rasenteppichs entstehen konnten, und denke hier gern an Siegfried und die Niebelungen; auch an die uralte Seherin der Germanen, Vellada, welche Chateaubriand neuerlich zu der Heldin einer Liebesgeschichte zu machen für gut hielt. Sie ward auch Jutta genannt und bewohnte die Höhe, auf der die Ruine des Schlosses jetzt steht, welche noch heutigen Tages nach ihr der Jettenbühl heißt; ein Name, der das Andenken und die Sage von der Prophetin noch immer unter dem Volke lebendig erhält. Vellada wandelte in früher Morgendämmerung von ihrem Wohnsitz zum Brunnen herab, um dort im Verborgnen heilige Gebräuche zu üben. Die Seherin, zu beschäftigt mit wichtigen künftigen Ereignissen, dachte nicht daran, Gefahren zu erforschen, welche ihr selbst drohten; unversehens traf sie daher am Brunnen eine Wölfin, welche dort ihre Jungen bewachte, und ward dem wüthenden Thiere wehrlos zur Beute. Darum wird dieser Ort noch immer der Wolfsbrunnen genannt.

Es ist hier das Land alter Sagen, lieber Freund! Sie wissen, wie ich diese liebe, wie sie mir alles um mich her beleben, daher verargen Sie es mir nicht, wenn ich ihnen zuweilen recht treuherzig etwas erzähle, was gescheutere Leute als ich geradezu für Mährchen erklären.

Der Tag war zu heiß, wir selbst zu warm vom Spaziergange geworden, um lange in dieser frischen Kühle am Brunnen zu verweilen. Wir wählten den Rückweg über die Höhe nach dem Schlosse, wahrscheinlich denselben, welcher die Prophetin ihrem Schicksal entgegenführte. Jeder Schritt gewährte uns hier eine neue Aussicht auf den tief unten fließenden Neckar und das wunderschöne Thal. So gelangten wir bald zu den weitläufigen Anlagen, welche die Ruine des Schlosses umgeben. Kunst und Natur schufen hier im schönen Verein die angenehmsten, von unzähligen ausländischen Bäumen und Sträuchen umgrünten Spaziergänge. Bald belebt sie das Flüstern einer einsamen Quelle, bald wandelt man unter hohen dichten Laubgewölben, zwischen schön geformten Felsen. An einigen Stellen treten einzelne Teile der Ruine unerwartet hervor und machen einen höchst pittoresken Effekt; oder man gelangt auch plötzlich an freie Platze, von welchen man beide vom Rhein und vom Neckar durchströmte Thäler zugleich übersieht, bis wo die Vogesen, der Donnersberg und das Haardtgebirge den Horizont schließen. Die ausgebreitete Aussicht bietet eine große, mit wilden Kastanienbäumen besetzte Terrasse, auf welcher uns diesmal der Thee erwartete, denn ein Gasthof, wo man Erfrischungen aller Art findet, gehört auch mit zu den Annehmlichkeiten dieser Spaziergänge. Hier genossen wir nun einen herrlichen Abend, sahen die Sonne sinken und den Vollmond heraufstei-gen. Nirgend, selbst nicht am Ufer des Meeres, fand ich das wechselnde Farbenspiel der Abendröthe, den Kampf des Lichts mit der Dunkelheit schöner als hier. Jeder Moment bringt neue glänzende Farben-Erscheinungen an dem weiten Horizont hervor; die aus beiden mächtigen Strömen nach einem heißen Tage aufsteigenden Dünste, in welchen die Lichtstrahlen widerscheinen, sind wohl die Ursache dieser unglaublichen Pracht. Rosig schimmernd tritt der Rhein in der Ferne hervor, und verbirgt sich wieder, um an einem andern Ort noch glänzender zu erscheinen, ohne daß das Auge allen seinen Krümmungen zu folgen vermöchte. Dicht unten funkelt glühend der Neckar im Abendroth, die nahe Ruine, die Stadt, die Brücke, alles glänzt im Purpurlicht, während die Dämmerung allmählich ihre grauen Schleier immer weiter und weiter verbreitet, bis sie endlich alles zur nächtlichen Ruhe verhüllt.,

Es wäre eine unverzeihliche Sünde, wenn wir hier einen schönen Tag ungenossen hingehen ließen; man sollte dies eigentlich nie, denn das Leben ist so kurz und gleicht überhaupt nur zu sehr diesem Sommer, an welchem ganz heitere Tage so selten erscheinen. Wir benutzten also gleich den ersten schönen Morgen, um durch das Neckarthal nach Neckargemünd zu fahren.

Je mehr ich vom Neckarthal sehe, je schöner erscheint es mir. Auf unserm Wege umschlossen uns bald prächtige Granitfelsen so enge, daß nur eben freundliche Dörfer für uns und den Strom Raum genug blieb. Weiterhin treten sie auseinander, und freundliche Dörfer spiegeln sich in der klaren Flut. Dann folgen röthliche Sandsteinbrüche, in welchen der Wiederhall das Knallen des die Steinmassen sprengenden Pulvers unzählige Mal wiederholt. Plötzlich wendet der Strom sich nach Osten, und dicht an seinem Ufer liegt Neckargemünd vor uns, von Reben und aller Anmut der reichen Vegetazion dieses Landes umgeben. Dicht daran fällt der kleine Fluß, die Elsenz, in den Neckar und bildet einen kleinen Hafen für Holzschiffe, Flöße und Nachen. Schöne hohe Berge erheben stolz ihre Häupter über dem freundlichen Städtchen; vor allen zeichnet sich der Dillsberg durch seine regelmäßige Kegelform aus, welche wahrscheinlich auf einen ausgebrannten Vulkan deutet. Man will sogar Spuren von Lava in den Steinen der uralten Ringmauern des oben liegenden Städtchens Dillsburg entdeckt haben. Das sehr alte Dillsburger Schloß und die es umgebenden hellrothen Ziegeldächer des Städtchens gewähren, von unten gesehen, einen ganz eignen Anblick; sie liegen wie ein Adlernest auf dem beträchtlich hohen Berge; nirgend zeigt sich von dieser Seite die Spur eines hinaufführenden Weges, und man begreift nicht, wie die Leute dort oben es anfangen, um mit der übrigen Welt in leidlichem Zusammenhang zu bleiben. Von der andern Seite führt freilich ein, ziemlich steiler, Weg hinauf, den wir aber nicht sehen konnten und an diesem heißen Tage auch nicht besteigen mochten, obgleich die Aussicht oben als sehr ausgebreitet und schön gepriesen wird. Wie sahen uns lieber gleich nach einem Führer und einem Nachen um, die uns an das jenseitige Ufer brachten, nachdem wir in Neckargemünd unser Mittagsessen bestellt hatten.

Unser Führer war ein wackrer alter Landmann, der seine drei Söhne gegen die Franzosen in den Krieg geschickt hatte, zwei von ihnen auf dem Siegesfelde bei Belle Alliance verlor, und doch nicht glaubte, um diesen Preis die Befreiung des Vaterlandes zu theuer erkauft zu haben. Er mußte mir von Dillsburg erzählen, das, vom Strome aus gesehen, noch schroffer und unzugänglicher auf seinem Felsen zu liegen scheint. Solche, in höchst unbequemen Stellungen angelegte Wohnungen der Menschen erregen in mir immer ein hohes Interesse, besonders wenn das Schöne und Bequeme sie so nahe begränzt, als hier. Ich möchte gern ergründen, was die Leute bewegt, dort zu bleiben, und finde immer keinen andern Grund, als die Macht der Gewohnheit. Die Bewohner von Dillsburg haben nur einen einzigen Brunnen, aus welchem täglich nur vier Eimer Wasser geschöpft werden dürfen, in welche die Honorazioren des Orts sich theilen. Die übrigen Bewohner behelfen sich mit Regenwasser, welches sie in Zisternen auffangen. Dieser Sommer muß die waschlustigen Hausfrauen von Dillsburg entzücken, und eine ächte Holländerin aus Broek oder Zaardam wäre dort oben, so ganz außer ihrem Element, gewiß das unglücklichste Geschöpf in der Welt.

Unter diesen Gesprächen und Betrachtungen waren wir über den Strom gesetzt und eine gute Strecke am andern Ufer fortgegangen, als uns eine ganz neue, höchst romantische Aussicht überraschte. Der breite Strom krümmt sich hier plötzlich nach dem Dillsberge zu und bildet einen großen Halbkreis. Uns beinahe gegenüber, am äußersten Ende diesem Kreises, sahen wir das Städtchen Neckarsteinach am Fuße mächtiger grüner Fel sen im Strome sich spiegeln und seitwärts, auf bedeutender Höhe, vier alte Burgruinen in nicht großer Entfernung von einander eine ernste Reihe bilden. Die erste und kleinste dieser Ruinen, zu welcher wir gelangten, hängt, den Einsturz drohend, beinahe über den Weg, dicht am Strom, wie ein Schwalbennest auf der Zinne eines Kirchthurms, und macht einen höchst malerischen Effekt; sie wird auch das Schwalbennest genannt. Nur ein Thurm und einiges Gemäuer entgingen der Zerstörung und werden leider vielleicht bald ihr ganz zum Raube, denn ein Steinbruch untergräbt den Fels, auf dem die Burg steht; deshalb ist auch das Hinaufsteigen zu ihr höchst beschwerlich und nicht ganz ohne Gefahr.

Zu der zweiten Ruine stiegen wir hinauf. Diese Burg ist größer und prächtiger gewesen, als die erste. Ein schöner Turm und ein großes Thor, mit einend Wappen geschmückt, stehen noch wohl erhalten neben andern Türmen und vielen alten Mauern, welche die Abteilungen eines Schloßhofes und einiger Säle errathen lassen. Hohe Birken und Fichten wurzeln auf den mächtigen Steinmassen, und schöner Epheu umzieht sie. Die Aussicht auf den Neckar und die nahen Felsen und Ruinen ist entzückend schön, die Krümmung des Stroms giebt ihm das Ansehen eines lang sich hindehnenden Sees, denn an beiden Seiten treten die Felsenufer vor, und verbergen den Ort, woher er kommt und wohin er geht. Seitwärts blickt man in das einsamwilde Schönauer Thal, das, wie eine schmale grüne Bergschlucht, sich durch die Felsen hinwindet. Mich ergriff dort oben ein wehmüthiges Gefühl. Grau und düster sah ich die ernsten Trümmer über den Weg blicken und die ewig jugendlichen Wellen mit dem Abbilde ihrer ehrwürdigen Formen spielen, welche sonst wohl im Schein .der Fackeln rothflammend blinkten, wenn diese, jetzt verödeten, Mauern vom Geräusche froher Feste wiederhallten. Ich dachte mir, wie vielleicht ein Vater vieler Söhne diese Burgen so nah an einander erbaute, um seine Kinder darin um sich her wohnen zu lassen, und wie späterhin gastlicher Verkehr die Bewohner dieses Schlosses vereinte, deren Namen jetzt niemand mehr nennt.

Die dritte Burg erhebt sich nahe über Neckarsteinach. Ein in neuerer Zeit daran gebauter Teil derselben ist bewohnt und sogar zu einem Gasthofe eingerichtet, aus dessen Saalfenstern man die ganze herrliche Gegend übersieht.

Die vierte Ruine ist sehr verfallen und besteht nur aus wenigem Gemäuer und einem sehr alten Turme, sieht noch schauerlicher und öder aus, als die andern.

In Neckarsteinach besuchte ich die halb alte, halb neue Kirche, um einige alte Grabmähler des längst erloschnen Geschlechts der Landschaden von Steinach zu sehen. Die in gar naiven, alten deutschen Knittelreimen abgefaßten Inschriften der Gräber ergötzten uns sehr, während uns die Küsterin mit der Geschichte ihrer Bewohner unterhielt. Die alten Herren von Steinach stehen noch immer in sehr schlechtem Ruf hier unter dem Volke. In ihrer dunkeln Zeit mögen sie auch wohl das damals unter dem Adel übliche Räuberhandwerk getrieben haben.

Unsere Frau Küsterin machte sie aber zu Seeräubern auf dem Rhein, und behauptete, sie hätten deshalb den Beinamen Landschaden erhalten. Mir fielen dabei die Seekönige ein, die jetzt in unsern neuesten Romanen eine so große Rolle spielen, seit Fouqué sie einführte. Uebrigens giebt diese kleine Kirche ein großes Beispiel der höchsten Toleranz. Mit Erstaunen sah ich Weihkessel und Prozessionsfahnen am Grabe eines Landschaden hängen, der, wie die Inschrift lobend verkündete, zuerst in dieser Gegend dem Papst entsagte und Luthers neue Lehre ergriff. Ich vernahm zur Erklärung, daß Lutheraner und Katholiken sich dieser Kirche gemeinschaftlich bedienen, um darin zu verschiedenen Stunden, jedes auf seine Weise, Gottesdienst zu halten.

So wie wir in Neckargemünd wieder angelangt waren, schickten wir unsern Wagen nach Heidelberg zurück, und schifften uns gegen Abend auf einem Nachen ein, um auf dem Neckar zu Hause zu fahren. Die Sonne streute ihre letzten Strahlen auf Fels und Strom; es war eine höchst angenehme Fahrt, ein Vorschmack dessen, was uns am Rhein erwartet. Jede Krümmung des Stroms, jedes Dörfchen am Ufer gewährte ein neues Bild; alles, was uns am Morgen beim Hinfahren erfreut hatte, erschien uns jetzt, vom Wasser aus, noch schöner, und ungern verließen wir nach einer guten Stunde den Kahn, es bedauernd, daß diese Freude so kurz war.

Ganz anders und doch nicht minder schön zeigt sich mir die Welt, wenn ich dem romantischen Neckarthale den Rücken wende, aus dem Mannheimer Thore trete und die reiche, vor mir liegende Ebne überschaue. Hier ladet alles zu heiterm Lebensgenuß ein, wie dort zu ernsterer Betrachtung. Ueppig, grünt und blüht Garten und Flur, und die aus Obstbäumen und Reben hervorblickenden schönen Dörfer sehen aus, als lebe man nur zur Lust darin, und müssen ihre Bewohner nicht im Schweiß ihres Angesichts das Land bauen, wie andre Erdensöhne und Töchter.

Solch ein Dorf ist auch Rohrbach, in welchem die verwittwete Markgräfin von Baden ein nicht großes, aber elegantes Landhaus besitzt, welches sie im Sommer zuweilen bewohnt. Ein klarer Bach, ein von schattendem Gehölz umgebener Teich, ländliche Aussichten auf grüne Wiesen und freundliche Dörfer geben den dazu gehörigen Gartenanlagen etwas sehr anmuthiges. Der Eintritt steht dem gebildeten Publikum offen. Wir saßen dort an einem schönen Abend sehr fröhlich am Theetisch, als wir ein allmählich aufsteigendes Gewitter bemerkten, welches plötzlich so schnell und in so drohender Gestalt sich über Heidelberg aufthürmte, daß wir eilen mußten, um vor dem völligen Ausbruch desselben die Stadt zu erreichen. Noch war über uns der Himmel blau, kein Lüftchen regte sich, aber in furchtbarer Majestät thronte die schwarzblaue Gewitternacht über dem Kreise der die Bergstraße umgebenden Felsen; am dunkelsten ruhte sie aus dem hoch über Heidelberg sich erhebenden Heiligenberg und dem darunter liegenden Schloßberg. Nie sah ich die Natur in furchtbar-erhabnerer Pracht. Der Wiederhall in den Bergen wiederholte den unaufhörlich rollenden Donner unendliche Mal, so daß kein einzelner Schlag sich unterscheiden ließ. Blaue zackige Blitze zerrissen die dunkle Wolkendecke, dann glänzte einen Moment lang die Schloßruine hervor, und versank im nächsten wieder in dem Gewitterschleier, welcher schwarz und undurchdringlich sie verhüllte. Wild aufgeregt in seinen tiefsten Tiefen, brauste der Neckar und glänzte wie dunkelblauer Stahl, obgleich der Sturm noch schwieg und kein Regentropfen fiel. Schaudernd gedachte ich jener entsetzlichen Nacht, als hier im sechzehnten Jahrhundert ein Wetterstrahl das uralte erste Schloß zerstörte, welches auf dem nämlichen Berge hoch über der jetzigen Ruine des neueren Schlosses erbaut war, und von dem keine Spur mehr übrig ist. Ein großer, mit Pulver angefüllter Turm stand damals neben dem alten Schloß; der Blitz entzündete diesen, und in einem Moment waren Turm und Schloß zerstört und die Stadt unten verwüstet und in Flammen, angezündet von den auf sie herabregnenden brennenden Balken, zerschmettert von herunterstürzenden Felsstücken. Schon ahnete mir, ein ähnliches zu erleben, als das Gewitter sich theilte. Nur ein Teil desselben entlud sich über Heidelberg, nachdem wir glücklich angelangt waren, aber so furchtbar, wie wir es uns auf dem flachen Lande nicht denken können. Die alten Felsen krachten, als ob sie zusammenstürzen wollten, und die Blitze leuchteten heller, als die strahlende Mittagssonne. In der Bergstraße hat das Gewitter noch weit ärger gewüthet, große Schloßen verwundeten Reisende und Pferde, welche eben auf freier Straße waren, und die ganze herrliche Obstärndte in Heppenheim ist zerstört.

Mit dem neulichen Aufruhr der Natur scheint der Sommer wirklich eingezogen zu sein, freilich etwas spät, doch immer besser, als gar nicht. Wir denken jetzt ernstlicher daran, unsre eigentliche Rheinreise in wenigen Tagen anzutreten, und benutzen die Zeit bis dahin, um noch alles zu sehen und zu genießen, was uns bis jetzt die nur zu häufigen Regentage verwehrten. So brachten wir denn auch einen Sonntag in Schwetzingen zu, weil an diesem Tage die Springbrunnen dort angelassen werden. Es liegt von hier so entfernt, als von Mannheim, und auch so weit, als Mannheim selbst von Heidelberg liegt.

Beide Orte kann man bequem in Zeit von zwei Stunden erreichen, und dies ist keine der geringsten Annehmlichkeiten, welche Heidelbergs Lage bietet. Diese Nähe Mannheims ist den Freunden des Theaters besonders bequem, da man bei Tage, bei Nacht und zu jeder Jahreszeit nicht die geringste Gefahr oder Unbequemlichkeit auf der trefflichen Kunststraße zu scheuen hat.

Es ist mir unbegreiflich, wie jemand auf den Einfall kommen konnte, die prächtigen großen Anlagen von Schwetzingen mitten in diese öde Sandwüste zu verlegen, da Heidelberg so ganz in der Nähe eine Gegend bietet, in welcher die Natur der verschönernden Kunst auf mehr als halbem Wege willig entgegen gekommen wäre. Aber die Fürsten lieben es, das Unmögliche zu versuchen und sowohl die Elemente, als die ewigen Gesetze der Natur zu besiegen. Zuweilen gelingt ihnen dies, und obgleich der Sieg selten des großen Aufwandes von Kraft und Geld werth ist, mit welchem er errungen ward, so erregt er doch wenigstens das Erstaunen der Menge. Hier in Schwetzingen wächst dies Erstaunen noch durch den Kontrast der traurigen Oede der Umgebung mit der reichen üppigen Vegetazion, die man im Garten zu erzwingen wußte, wozu denn freilich das warme günstige Klima nicht wenig beigetragen haben mag.

Der Garten, einer der größten in Deutschland, ist eine eigne Zusammensetzung einzelner grandioser Partien, wie le Notre in Frankreich sie schuf, und modernerer Anlagen in sogenanntem englischen Geschmack. Dieser Mangel an Einheit des Styls fällt indessen bei dem großen Umfange des Ganzen gar nicht widerwärtig auf. Auch die vielen Tempel und andre darin angebrachte Gebäude erscheinen aus demselben Grunde nicht geschmacklos und lächerlich, wie es auf einem kleineren Platz so leicht geschieht. Sie sind alle wahrhaft prächtig aus massiven Quadersteinen erbaut, einige in sehr edlem Styl, wie zum Beispiel ein Apollostempel und ein andrer, der Minerva geweiht. Eine große Moschee, die genaue Kopie eines solchen in Konstantinopel existirenden Tempels, ist wenigstens prächtig und merkwürdig. Wer sich die Mühe geben will, auf engen Wendeltreppen ihren hohen Minaret zu besteigen, den lohnt oben eine ausgebreitete Aussicht auf die Städte Speyer, Mannheim, Ladenburg und viele andre, welche in der weiten Ebne zwischen den Vogesen und dem Melibocus zerstreut liegen. Manche artige Spielerei ergötzt wenigstens für den Augenblick. Zu diesen rechne ich ein großes Vogelhaus von mährchenhaftem Ansehen, und die berühmte gemalte Aussicht auf den Rhein, welche sonst durch einen optischen Betrug alle Welt täuschte, jetzt aber zu verbleichen beginnt. Den imposantesten Effekt macht indessen der mit hohen Alleen umgebne große Platz im altfranzösischen Styl, gleich am Eingange. Ihn schmücken eine Menge von Springbrunnen, Marmorvasen und Statuen, deren es in diesem Garten unendlich viele giebt und von denen einige nicht ohne Kunstwerth sind. Auch ein sehr großes Wasserbassin, an dessen Ufer die kolossalen Statuen des Rhein- und Donau -Gottes liegen, nimmt sich recht grandios aus. Einen Tag kann man in Schwetzingen recht angenehm hinbringen, und sich obendrein müde laufen, wenn man alles sehen will, was dieser Platz enthält. Auch müde lesen kann man sich, wenn man eine detaillirte Beschreibung aller darin enthaltenen Einzelheiten lesen muß, deshalb verschone ich Sie damit, und ich hoffe, Sie danken es mir. In Summa, alles wäre hier vortrefflich und gut, wenn nur nicht die Luft von blutdürstigen Ungeheuern wimmelte, die schonungslos jedermann anfallen, und keinem erlauben, nur eine Viertelstunde im Freien auszuruhend Diese berüchtigten Rheinschnaken, deren Hauptsitz Schwetzingen ist, sind keine Mücken, kleine geflügelte Drachen sind sie, gegen welche die berühmten Mücken in Israelsdorf bei Lübeck, die ärgsten, die ich bis jetzt kannte, als sanfte harmlose Geschöpfe gepriesen zu werden verdienen.

Ich habe Ihnen nun schon so viel von Heidelbergs Umgebungen gesagt, und noch kein Wort von dem Ton der dortigen Gesellschaft. Das kommt aber daher, lieber Freund, weil man das, was man sonst in der Welt eigentlich oder uneigentlich Gesellschaft nennt, hier nicht findet. Nirgend erblickt man hier ein Streben nach Vergnügungen außer dem Hause, ausgenommen nach denen, welche die Natur reichlich in der Umgegend bietet. Man kennt oder fühlt hier nicht das Bedürfnis sich zum Spiel oder zur Konversazion in größerer Anzahl zu versammeln, daher giebt es auch keinen großen allgemeinen Vereinigungspunkt für Männer und Frauen, weder in Privathäusern, noch an einem öffentlichen Ort. Einige Konzerte und Bälle machen im Winter hievon eine geringe Ausnahme. Dennoch wird man selten mehr kenntnißreiche, gebildete, mit einem Wort mehr interessante Menschen auf einem so kleinen Punkt versammelt finden, als in Heidelberg. Aber diese interessanten Menschen sind Männer, welche den ganzen Tag ihrer ernsten Beschädigung widmen, und Frauen, die ihren Haushalt, ihre Kinder besorgen, um Abends dem ermüdeten Mann im Kreise der Seinen Erholung und Erheiterung zu bereiten. Müßigänger giebt es hier nicht, oder verirren sie sich einmal hieher, so halten sie es wenigstens nicht lange aus, und ohne diese kann doch bekanntermaßen keine Gesellschaft im gewöhnlichen Sinne des Wortes bestehen. Ausgebreitete Familienverbindungen, welche in andern Städten einigen Anlaß zu größeren Gesellschaftskreisen geben, finden hier ebenfalls nicht Statt, denn die bedeutendsten Einwohner wurden größtentheils aus andern, oft fernen Orten nach Heidelberg versetzt. Daher suchen und finden nur Gleichgesinnt einander, und bilden kleine gesellige Kreise aus drei oder vier Häusern, die ohne Zwang oder Zeremonie unter einander in freundschaftlichem Verkehr stehen, und die übrigen nur gelegentlich als entfernte Bekannte begrüßen. In diesen kleinen Kreisen befindet sich aber jeder Fremde recht wohl, der Zutritt zu ihnen erhält, und der die Qualität, nicht die Quantität berücksichtigt. Ausgezeichnete junge Leute, welche hier studiren, werden zuweilen, doch selten, zu diesen Zirkeln gezogen; übrigens treiben die Studenten ihr Wesen für sich, doch auf die wenigst störend Weise. Sie ziehen sich wunderliche Jacken an, die sie altdeutsch nennen, setzen sammtne Damenhüte auf, und nennen sie Baretts, binden sich allerlei seltsam gezackte Kragen um den nackten Hals, und wem die gütige Natur einen Schnurrbart verleiht, der läßt ihn wachsen und dankt dem Himmel dafür. So sehen diese jungen Leute denn freilich ziemlich maskenartig aus, aber sie denken damit einen gewaltigen Schritt zum ächten Deutschtum zu tun, und die Freude ist ihnen zu gönnen. Wenn sie einmal Accessisten, Kanzellisten, Kandidaten oder so etwas werden, giebt sich der Spaß von selbst.

Ich weiß, Sie wundern sich längst, daß ich Ihnen noch immer kein Wort von der Boisseréeschen Gemäldesammlung schrieb, denn Sie ahnen wohl, daß diese hauptsächlich es ist, was mich so lange hier fest hält. Da Sie aber gewiß einmal in Ihrem Leben recht liebten und vielleicht noch lieben, so wissen Sie auch, daß ein liebender den Namen der Dame, die er vor allen im Herzen trägt, immer zuletzt und so spät als möglich nennt. So schwieg ich denn auch von jenen Gemälden, eben weil sie unaufhörlich und überall mein Gemüth beschäftigten, denn ihr Anblick hatte mich in einen schwankenden Zustand von Unruhe und Ungewißheit versetzt, aus dem ich wieder zu gelangen suchen mußte, ehe ich es wagen konnte, Ihnen etwas darüber zu sagen. Eine Schülerin Fernows und Winckelmanns Verehrerin, kannte ich bis jetzt nur die Antike als die Sonne, von der das Licht der Kunst zuerst über Italien ausging; als die Quelle des Ideals, welches vor allen Raphael dem Göttlichen göttlich erschien.

Die flamändische, überhaupt die niederländische Schule war mir auf andre Weise lieb, und nie konnte ich es mit Langmuth ertragen, wenn vornehm thuende Kunstkenner sie herabsetzen wollten. Der Farbenglanz, die anpruchlose Naivetät ihrer Schöpfungen ergötzten mich; der Fleiß, die pünktliche Treue in den Darstellungen der die Meister umgebenden Natur rührten mich oft auf eigne Weise, wenn gleich die Gegenstände nicht immer die edelsten sind. Ich hing mit wahrer Liebe an diesen ehrlichen, lieben Bildern, so wie man auch gern mit einem guten getreuen Nachbar manches gemütliche Stündchen verlebt, ohne deshalb hohe Ansprüche an seinen Geist zu machen, und ahnete nicht, daß bloßes treues Kopiren der Natur zu einer noch höhern Stufe der Vollendung führen könnte, als die ich hier erreicht sah und die deshalb genügte.

Von der altdeutschen Schule kannte und ehrte ich hauptsachlich nur Albrecht Dürer und Lukas Kranach. Ihre Farben, ihr unermüdeter Fleiß erregten meine Bewunderung. Aber wenn die Frommheit, die einfache Hoheit ihrer Gedanken mich anzogen, so stießen mich die unschönen Formen oft wieder zurück. Albrecht Dürers treffliches Zeichnen konnte mich doch nicht ganz mit der Härte seiner Konture, mit der Magerkeit vieler seiner Formen versöhnen, und manche Verzerrung in Lukas Kranachs Köpfen fiel mir widerwärtig auf. Ich ehrte und fühlte, was diese großen Meister gewollt hatten, aber es betrübte mich zugleich, daß sie es bei hohem Talent und dem angestrengtesten Fleiß weder erreicht hatten, noch in ihrem, durch tausend äußere ungünstige Umstände beengten Kunstkreis je erreichen konnten. Daher hatte ich selten eine recht reine innige Freude an ihren Kunstwerken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer