Darmstadt

Darmstadt, 16.August.

Ein höchst angenehmer Weg führt durch mein liebes Schlangenbader Thal nach Bibrich. Eine Stunde lang wanden wir uns zwischen schönen waldbewachsenen Felsen hindurch, dann traten wir aus dem Thal hervor und der mächtige Rhein und seine wunderschönen Ufer lagen plötzlich vor uns, in überraschender Herrlichkeit. In einiger Entfernung der Johannisberg, näher Bibrich mit seinem großen modernen Schloß, weiter hin die Thürme von Mainz, die sich aus der grünlichen Fluth zu erheben scheinen: die lange Schiffbrücke sieht von hier wie eine durch den Strom gezogene Linie aus. Unzählige Ortschaften und einzelne Wohnungen blinken rings umher aus Rebenlaub und schattenden Bäumen hervor. Froh jubelnd über den Anblick, fuhren wir in Bibrich ein. Recht herzlich wünschten wir Sie und unsre übrigen Freunde an diesem schönen Tage um unsern Frühstücktisch in dem dicht am Rhein erbauten Gasthof versammelt. Die Lage Bibrichs ist unbeschreiblich schön, uns erschien sie um so reizender, da wir jetzt mehrere Wochen in engen Felsenthälern lebten, die uns von ihren Bergen zwar weite Aussichten gewährten, aber dort lag doch alles in zu weiter Ferne vor uns; wir sahen es von oben wie im Vogelfluge, und selbst die schönste Aussicht erhält, so gesehen, etwas Landkartenähnliches. Hier konnten wir fast erreichen, was wir dort von fern erblickten und die ganze Gegend schien uns in dieser Nähe noch tausendmal schöner, als wir es auf jenen Bergen geahnet hatten.


Der das Schloß umgebende Garten hat sehr reizende Parthien. Bald wandelten wir dicht am Ufer des lebensreichen Stroms, bald gewahrten uns schattige Baumgange einzelne Blicke auf ihn und seine Umgebung; dann wanden wir uns wieder durch schlängelnde Fußsteige zwischen Blumen und blühendem Gesträuch. Hohe Bogengänge, dicht bezogen mit Aprikosen, Pfirsichen und Reben, welche selbst in diesem ungünstigen Sommer üppig wachsen, versetzten mich ganz in den glücklichen, immer blühenden Süden, den ich nimmer vergessen kann. Das ansehnliche, recht schöne Schloß sahen wir nur von außen, und freuten uns der herrlichen Aussicht von der davor liegenden Terrasse. Der Eintritt in das innere desselben ist mit einiger Schwierigkeit verbunden, es gehört eine besondre Erlaubniß dazu, die wir weder hatten noch zu erhalten wußten. Ich freute mich heimlich über dieses Hinderniß, denn der Besuch eines Schlosses an diesem seltnen schönen Tage schien nur gar nicht wünschenswert; und dennoch hätte ich es im entgegengesetzten Falle sehen müssen, um die Pflicht eines rechtlichen Reisenden zu üben, die ihn verbindet, alles in Augenschein zu nehmen, was ihm in den Weg kommt. Eine Pflicht, der ich mich aber gern dann und wann entziehe, obgleich mit einem gewissen stillen Gefühl des Unrechts, trotz dem, daß meine beste Ueberzeugung mir sagt, daß man durch allzuvieles Sehen nur sich und Andere verwirrt.

Zu Mittage waren wir in Mainz und fuhren bald darauf weiter, einen sandigen öden Weg bis Darmstadt. Mainz kennen zu lernen, erspare ich mir auf die Zeit, wenn ich von dort den Rhein herunter schiffen werde.

Darmstadt hatte ich mir immer sehr alterthümlich, auch wohl etwas düster und winklig gedacht. Die schöne Lindenallee, durch die unser Weg in der Nähe der Stadt uns führte, paßte schon gar nicht zu dieser meiner vorgefaßten Meinung. Zu beiden Seiten derselben erblickte ich elegante Landhäuser mitten in schönen Gartenanlagen, und Schaaren wohlgekleideter Spaziergänger begegneten uns, jetzt fuhren wir in Darmstadt ein und fanden mit Erstaunen eine neue freundliche Stadt, fast noch im Entstehen begriffen, schöne große Häuser, breite, mit bequemen Fußpfaden eingefaßte Straßen, große Gasthöfe im elegantesten Styl, und überall Spuren eines heitern genußfrohen Lebens.

Ich habe nun den Ort näher kennen gelernt. Der neuere Teil desselben prangt mit mehreren schönen Straßen, zierlichen und großen Gebäuden und einigen recht ansehnlichen öffentlichen Plätzen, unter denen der Luisen- Platz sich besonders auszeichnet. Dieser bildet ein regelmäßiges, von stattlichen Gebäuden umgebnes Achteck, zu welchem vier der schönsten Straßen führen. Man spricht noch viel von großen Plänen zur Verschönerung, sowohl des Luisenplatzes, als der ganzen Stadt, von schön verzierten Brunnen, die man anlegen will, von einem neuen Schauspielhause, das erbaut werden soll. Wirklich sehe ich überall noch viele neue Häuser im Werden, und fährt man fort zu bauen, wie es in den letzten zwanzig Jahren geschah, so wird Darmstadt in den nächsten zwanzig Jahren eine der schönsten Städte Deutschlands. Raum genug dazu gewährt die sehr große Anlage der Neustadt. Dem weitläuftigen alterthümlichen Schloß sieht man es an, daß es nach und nach unter mehreren Fürsten entstand, denn alle Teile desselben passen in der Bauart nicht zu einander, doch hat es ein imponirendes fürstliches Ansehen. Es scheidet die neue Stadt von der alten, indem es zwischen beiden liegt; letztere gleicht mehr dem Darmstadt, das ich mir gedacht hatte, doch sieht sie im Ganzen nicht unfreundlich aus.

Der an das Schloß sich anschließende große Garten steht aller Welt offen. Hohe weitschattende Bäume, wohl angelegte Lustgänge, und ein großer malerisch umgebner Teich machen ihn reich an mannigfaltiger Schönheit. Mich freuten besonders die vielen ausländischen Bäume, Gesträuche und Blumen, die darin grünen und blühen, als wären sie zu Hause. Schönere Trauerweiden, als hier am Wasser stehen, sah ich nie. Ein kleiner düstrer Hain, mitten in dem freudigsten Leben der Natur, umfriedet den mit Epheu bedeckten Hügel, unter dem die Mutter des jetzigen Großherzogs ruht; dunkle Tarusbäume und Tannen beschatten die einfach schöne Urne von weißem karrarischen Marmor, welche die heilige Stätte schmückt.

Es lebt sich gar gut und froh im Kreise der freundlichen gebildeten Einwohner von Darmstadt, und auch in den niedern Klassen sieht man viel angenehme heitre Gestalten und überall ein freundlich höfliches Betragen. Die Umgegend von Darmstadt ist flach, hin und wieder sandig, aber anmuthig durch eine reiche Vegetazion und fleißigen Anbau. Den Horizont kränzen die Gebirge des Odenwaldes, des Taunus und der ferne Donnersberg. An angenehmen Spaziergängen fehlt es der Gegend nicht, auch nicht an anständigen Erholungsorten zum Ausruhen in freundlicher Geselligkeit. Unter diesen zeichnet der nur eine halbe Stunde entfernte Karlshof sich vor allen aus. Ein schöner Garten im neuen Geschmack steht dort dem gebildeten Publikum offen; er gehört zu der sehr elegant gebauten und eingerichteten Villa des Freiherrn von Borkhausen. Nicht weit davon f indet man einen recht anständigen Gasthof. Die Fasanerie, ein kleines Gehölz von herrlicher Buchen, bietet ebenfalls ganz in der Nähe seine erquickenden Schatten; kein Wunder daher, daß die Darmstädter diesen Ort zum Lieblingsziel ihrer Spaziergänge wählen. Auch findet man an jedem heitern Tage gesellige Kreise, sowohl vor der Thüre des Gasthofs bei Karlshof, als vor dem Forsthause mitten im Holze. Das Leben wird hier schon recht leicht und fröhlich betrieben, wie überall, wo Reben gedeihen. Auf allen Tischen, im Schatten der Lauben und Bäume blinkt goldener Wein; fröhliche Gesichter jedes Ranges und Geschlechts sind um ihn versammelt, und keine Frau, kein Mädchen, selbst aus den höheren Ständen, weiset ihn zimperlich von sich weg. In dieser ganzen Gegend bietet man nach einem ermüdenden Spaziergange den Damen ein Glas Wein, wie bei uns ein Glas Milch oder Limonade. Dies ist hier allgemeine Sitte und kommt freilich den Fremden zuerst etwas wunderbar vor doch bald gewöhnen sie sich daran so gut wie die Einheimischen, und es bekommt ihnen recht wohl.

Daß ich das Darmstädter Theater nicht zu besuchen versäumte, glauben Sie wohl ohne meine Versicherung. Zingarellis Oper, Romeo und Julie, war .die erste Vorstellung, der ich beiwohnen konnte. Vor mehreren Jahren hatte ich sie in Wien gesehen. Crescentinis Zauberton, sein bis zum innersten Gemüth wie Geisterhauch tönendes ,,Ombra adorata“ rissen mich damals hin; die italienische Sprache und das Rezitativ thaten das Ihrige dazu, mir meinen Shakespeare in dieser Verkleidung unkenntlich zu machen, und so vergaß ich meinen gerechten Zorn über die Entwürdigung eines seiner vollendetsten Meisterwerke. Hier aber sollte ich in deutscher Sprache die Parodie der hohen ernsten Tragödie halb singen, halb sprechen hören; dies schien mir unerträglich, und doch mochte ich keine Gelegenheit vorüber gehen lassen, die mir hochgepriesene Darmstädter Oper kennen zu lernen.

Ziemlich mißmuthig und sehr wenig erwartend, machte ich mich also auf den Weg zum Theater. Ich war sogar im Innern fest entschlossen, in meiner verdrüßlichen Stimmung zu bleiben und mich durch nicht aus ihr bringen zu lassen. Sie kennen ja auch wohl diese Unart, die jedem mehr oder weniger anhängt. Doch schon der Weg erheiterte mich wider meinen Willen, denn das Schauspielhaus liegt im Schloßgarten, und schöne Schattengänge führen dazu hin. Für einen Ort, wie Darmstadt, ist es recht ansehnlich und geräumig, auch bequem und zweckmäßig eingerichtet. Das Innere desselben, sehr elegant, grau mit Gold dekorirt, müßte bei besserer Erleuchtung einen glänzenden Effekt machen. Aber dies Halbdunkel, in welchem die Zuschauer sich befinden, ist der Fehler aller deutschen Schauspielhäuser. Man glaubt die Beleuchtung der Bühne dadurch zu heben, und bedenkt nicht, daß man diese auch nur besser zu erleuchten brauchte, so würde die größere Helle des Saals ihr keinen Abbruch thun. Den Beweis davon giebt jedes englische Theater von einiger Bedeutung. Der Anblick des mit Zuschauern erfüllten Hauses ist ein Vergnügen, um welches man uns nicht bringen sollte; unsre Geduld in den oft so unendlich langen Zwischenakten verdient diese kleine Belohnung mit Recht.

Sobald der Hof seine Loge im Hintergrunde des Schauspielhauses betrat, begann die Symphonie wie mit einem einzigen Bogenstrich, und verscheuchte vollends jede Spur des vorigen Unmuths aus meinen Gemüth. Sie sowohl, als die ganze Oper ward von dem sehr starken Orchester mit einer Präzision, einem Ausdruck durchgeführt, welche den größten Opertheatern Ehre machen würden. Die Sängerinnen ließen auch wenig zu wünschen übrig; Frau Fischer hat eine reine schöne Stimme; die Dame, welche den Romeo sang, ist freilich kein Crescentini, und seit dieser verstummte, sollte eigentlich das „Ombra adorata“ niemand singen, aber es mißlang ihr doch nicht. Weniger löbliches kann ich von den Sängern sagen, desto mehr von den sehr stark besetzten Chören, auf deren Vervollkommnung immerwährend viel gewendet wird. In der Scene, wo Julie anscheinend stirbt, füllte sich das ganze Theater mit zu Hülfe eilenden Mädchen; eine solche Armee von Kammerfrauen hat schwerlich eine Kaiserin. Nach Statisten-Art standen alle unteilnehmend da, nur auf ihren Gesang bedacht. Die schönen Kinder hätten doch recht liebliche, der Handlung anpassende Gruppen bilden können, und thäten es auch wohl gern, wenn ihnen nur jemand dazu Anleitung geben wollte. Auch kam es mir als ein Uebelstand vor, daß alle noch in der Ballkleidung waren, in der sie beim Anfang des Stücks als zum Feste geladne Damen figurirt hatten. Die Dekorationen verdienen ebenfalls gelobt zu werden, besonders das Grab der Kapulets und das Boskett, in welchem Tebaldo den Tod findet. Dies sah aus, als ob man eine der schönsten Partien des Parks hatte hineintreten heißen.

Gern hätte ich die quälende Schlußscene entbehrt, in welcher die erwachte Julie ihren Geliebten noch lebend wiedersieht; diesen ganz unshakespeareschen Einfall hat indeß Garrick auf seinem Gewissen, der ihn zuerst auf die englischen Bühnen brachte. Der unaussprechlich holprige Dialog war mir in der Seele zuwider, besonders weil Shakespeare's Strahlen noch hie und da aus dem Wust hervorschimmern. Doch ging ich im Ganzen befriedigt zu Hause, mit der Ueberzeugung, daß die Darmstädter Oper unstreitig zu den bessern in Deutschland gehört und den Ruhm verdient, welcher ihr allgemein erteilt wird.

Eine Darstellung des Wettkampfs in Olympia nach Metastasio vom Freiherrn von Poiß'l bestärkte mich in diesem Glauben, obgleich Langeweile bleiern auf mir und allen übrigen ruhte. Das ganz Leblose kann kein Künstler mit der angestrengtesten Aufopferung seiner Kräfte beleben; dennoch strebten Sängerinnen und Orchester das Mögliche zu leisten, und lauter Beifall der zahlreich versammelten Zuschauer lohnte es ihnen, wie billig.

Außer diesen beiden Opern sah ich noch eine Vorstellung des Ganges zum Eisenham mer, die ich zu den gelungensten rechne, so ich kenne, obgleich das Schauspiel hier weniger gelobt wird, als die Oper. Herr Grüner, als Graf von Savern, und Herr Hölken, als Fridolin, zeichneten sich besonders vorteilhaft aus. Sonderbar ist es aber doch, daß ich hier lauter argen Versündigungen gegen die Manen unsterblicher Dichter begegnen muß; zuerst sah ich Shakespeare entwürdigt, nun vollends unsern Schiller in diesem unverzeihlichen Machwerk zerstückelt, und selbst dem guten Metastasio hatte der Uebersetzer oder Umarbeiter gar übel mitgespielt.

Im Museum und in der Gemäldegallerie ich zwei Morgen zugebracht, um wenigstens eine flüchtige Uebersicht von beiden zu erhalten. Sie stehen dem Publikum Mittwochs von zehn bis zwölf Uhr offen; bei diesen allgemeinen Besuchen wird man aber mit dem Schwarm vorwärts getrieben, sieht wenig und betrachtet nichts. Daher machte ich von dem Vorrecht der Reisenden Gebrauch und erbat mir den Zutritt an einem andern Tage. Er ward ohne Schwierigkeit gewährt; doch aus Furcht, diese Gefälligkeit zu mißbrauchen, wagte ich es nicht, eine Wiederholung derselben zu verlangen. Beide Sammlungen befinden sich im Schloß, so wie auch die bedeutende Bibliothek und das Naturalienkabinet.

Die Gemälde-Gallerie darf man nicht mit zu großer Erwartung betreten; sie entstand erst während der letzten stürmischen zwanzig Jahre, in der ungünstigsten Zeit. Wer hierauf Rücksicht nimmt, muß noch immer die Zahl und den Werth der hier aufgestellten Kunstwerke bewundern, wenn auch noch manches wünschenswerthe dabei vermißt wird. Sie füllen schon jetzt neun große Säle, und Abgüsse der vorzüglichsten Antiken nehmen einen großen Teil dieses Raumes ein. Nicht nur Statuen, Büsten und Basreliefs, auch einzelne Fragmente von bewundernswürdiger Schönheit trifft man hier treu nachgeformt an, Torsos, Köpfe, Arme und Beine, die für den Lehrling der Zeichenkunst von unschätzbarem Werth sind. Felloplastische Nachbildungen der merkwürdigsten römischen Ruinen stehen auf langen Tafeln daneben; das Coliseum, das Pantheon, die Pyramide des Zestius, neben welcher so mancher deutsche Künstler in Rom den langen Schlaf schläft, und noch viele andre merkwürdige Ueberreste jener alten wundervollen Zeit. Alle sind in Italien vortrefflich gearbeitet und ahmen aufs täuschendste Form und Farbe ihrer Urbilder nach, ein Vorzug, den die Abbildungen in Korkholz vor allen Gemälden und Zeichnungen voraus haben. Die eigentliche Größe jener alten Gebäude können sie uns freilich nicht begreiflich machen; aber dies vermag auch nicht einmal ihr Anblick, wenn andre Gegenstände nicht in der Nähe sind, um uns als Maaßstab zu dienen. Neben diesen italienischen Korkarbeiten nehmen die des geschickten Hofkonditors May aus Aschaffenburg einen ehrenvollen Platz ein. Sie stellen Ruinen alter deutscher Burgen vor, besonders aus den Gegenden am Rhein und der nahen Bergstraße.

Viele der Gemälde prangen zwar mit großen Namen berühmter Meister, besonders aus den italienischen Schulen, ohne ein Recht dazu zu haben; doch trifft man auch in allen Zimmern manches vorzügliche Kunstwerk neben mittelmäßigern, So fand ich hier eine köstliche Landschaft von Claude Lorrain, eine heilige Dorothea von Carlo Dolce, einen heiligen Petrus von Domenichino, eine Magdalena von le Brun, und ein sehr schönes weibliches Porträt von Rembrandt. Auch einige ganz vorzügliche Thierstücke von Potter und Rosa di Tivoli, ein paar schöne Pferde von Rugendas, daneben einen schönen Mondschein von van der Neer und eine Winterlandschaft von Foschi. Mehrere recht warme erfreuliche Landschaften von unserm bekannten Schönberger schmücken ebenfalls diese Säle; genug, ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Gallerie oder eine ihr ähnliche in Weimar besäßen, und manche genußreiche Stunde in ihr verleben.

Das Naturalienkabinet sahen wir nicht. Man sagt, es enthalte viel Seltnes und Merkwürdiges; die Sammlung von Vögeln und die von Versteinerungen werden von Kennern als ganz vorzüglich reich und wohlgeordnet gelobt. Durch einen Teil der großen reichen Bibliothek eilten wir auch nur hindurch, um recht bald zu den Schätzen alter und neuerer Kunst zu gelangen, welche das Museum in einer Reihe von Zimmern aufbewahrt.

So groß das Lokal eigentlich ist, so fehlt es im Museum dennoch an Raum, den großen Reichthum gehörig zu ordnen und aufzustellen, und dies erschwert gar sehr die Uebersicht desselben. In den Fensterbrüstungen, an den Seitenwinden der Schränke, an beiden Seiten der Thüren, überall sind Handzeichnungen der besten alten Meister, und alte merkwürdige Gemälde und Kupferstiche angebracht. Wer nicht auf den Einfall geräth, die Thüren zuzumachen, bemerkt vieles gar nicht. Ich verdankte diesem Einfall den Anblick einer der schönsten Federzeichnungen Albrecht Dürers, das Porträt des Erasmus von Rotterdam. Der daneben hängende, in seiner Art recht schöne Kupferstich dieses höchst vollendeten und geistreichen Kunstwerks war mir ein neuer augenscheinlicher Beweis, wie viel jede Zeichnung unter der Radirnadel verliert und verlieren muß. Die Kupferstecher, dünkt mir, sind dem Maler und Zeichner höchstens das, was der Uebersetzer dem Poeten ist. Alles, was das Gebiet der Kunst umfaßt, ist auch hier im Museum zu finden, von der frühesten Zeit bis auf die gegenwärtige. Von altdeutschen Gemälden, besonders auf Goldgrund aus der frühen Zeit, die uns Göthe als die bizantinische bezeichnet, ist ein reicher Schatz vorhanden. Die Wände bedecken Schweizerlandschaften in Gouasche von Heß gemalt, Abbildungen anderer Gegenden, Thierstücke, perspektivische Darstellungen des Innern großer Gebäude und Kirchen, unter welchen ein paar vom alten Morgenstern sich auszeichnen, viele andere zum Teil vorzügliche Gemälde, auch chinesische Landschaften und römische sowohl als florentinische Mosaik. Hier hängt auch die kolorirte Skizze, welche Rubens zuerst vor seinem berühmten jüngsten Gericht zeichnete, das jetzt mit so vielen andern herrlichen in München sich befindet. Die Idee davon schwebte mir noch dunkel vor, aus einem frühern Anschaun desselben in der damaligen Düsseldorfer Gallerie. Seufzend betrachtete ich die Menge großer Mappen nur von außen, welche eine ungeheure Anzahl seltner und schöner Kupferstiche und Handzeichnungen enthalten; dann wandte ich mich zu den vielen Schränken rings umher und zu den großen mit Kunstwerken beladenen Tafeln mitten in den Zimmern. Vasen, Urnen, Prachtgefäße aller Art, aller Zeit, stehen da aufgehäuft, aus China und Japan, ans Pompeji und Herkulanum. Majolika von seltner Schönheit, merkwürdige Becher von köstlichen Steinen, von Gold, Silber, Email und Kristall; daneben bronzen aller Art, Lampen und Kandelabers, wunderschöne Reliquienkästchen mit antiken Kameen verziert, künstliches Schnitzwerk von Holz und Elfenbein, von Bernstein und Korallen, kleine Statuen von Bronze, Alabaster und Marmor. Der Münzen und geschnittenen Steine mag ich gar nicht einmal erwähnen, so groß ist ihre Anzahl. Mir schwindelte vor der Menge merkwürdiger Gegenstände, an denen ich wie im Fluge vorübergehen mußte, und ich vermißte schmerzlich einen kundigen unterrichtenden Führer. Der aufeinander gehäufte Reichthum der mannigfaltigsten Gegenstände ist hier so groß, daß es auch bei wiederholten Besuchen unmöglich wird, sich ohne eine leitende Hand aus diesem Labyrinth von Schätzen zu finden, besonders da der Mangel an Platz eine strenge Ordnung, der Zeitfolge oder der Gegenstände nach, bis jetzt beinahe unmöglich macht. Der beste Führer wäre ein belehrendes Verzeichniß, das hier jedem Kunstfreunde höchst wünschenswerth erscheinen muß; aber das Unternehmen eines solchen ist eine mehr als herkulische unübersehbar Arbeit darum fürchte ich, daß wir es noch lange werden entbehren müssen, bis günstige Umstände Vergrößerung des Lokals herbeiführen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer