Schwalbach

Schwalbach, 16Jul. 1816.

Das Wetter war wieder wunderschön nach mehreren regnigten Tagen, der Weg vortrefflich, die angenehmste Gegend und mannigfaltige Ansichten des Mainstroms ergötzten uns auf dem kurzen Wege von Frankfurt nach Wiesbaden, bis naher an letzterm eine weite ausgebreitete Aussicht auf den Rhein uns wirklich entzückte. Da sahen wir nun zuerst den herrlichen freigekämpften Strom sich winden um seine Inseln, durch den mit Städten und Dörfern dicht besäeten fruchtbaren Rheingau.


Man wird in diesen Gegenden so schnell auf den Posten befördert, daß wir schon gegen elf Uhr in Wiesbaden eintrafen, obgleich unsre Abfahrt aus Frankfurt sich ein wenig verspätet hatte. Wir traten in der Wohnung unserer Freundinnen aus Jena ab, denn in diesem Jahr ist hier während der Badezeit an ein bequemes Absteigequartier in einem Gasthofe nicht zu denken, weil die sehr zahlreichen Brunnengäste jeden bewohnbaren Winkel längst eingenommen haben. Die Stadt ist nicht klein und vergrößert sich mit jedem Tage; überall sahen wir neue hübsche Häuser im Entstehen, alles baut, um dem dringenden Bedürfniß der mit jedem Jahr zunehmenden Zahl der Fremden abzuhelfen. Die mehresten Badegäste wohnen hier bis jetzt weder elegant. noch bequem, Ausnahmen finden sich freilich. Die Wohnungen, welche nahe an der Hauptquelle liegen, sind sehr warm, an heißen Tagen, wie dieser einer war, scheint es mir fast unmöglich, in der erstickenden feuchtwarmen Luft zu atmen, aber in der sogenannten kalten Stadt, welche von der Quelle entfernter liegt, ist die Luft besser und kühler. Jede Wohnung hat ihre eignen gemauerten Bäder, in welche das siedend-heiße Wasser durch Kanäle geführt wird, und jeder Badegast erhält mit seiner Wohnung den Schlüssel zu einem derselben, dessen er allein sich bedienen darf. Dies ist eine von Wiesbadens größten Annehmlichkeiten, die man selten in andern Bädern findet.

Da unser Aufenthalt in Wiesbaden gerade auf einen Sonntag fiel, so beschlossen wir im Kursaal zu Mittag zu essen, weil sich an diesem Tage dort beinahe die ganze Gesellschaft versammelt, und wir manche Bekannte zu finden hofften; aber das ging nicht so leicht, als wir es dachten. Wer hier an der Sonntagstafel Platz finden will, muß ihn mehrere Tage vorher bestellen und dessen Nummer sorgfältig bewahren, sonst kann er der Seligkeit nicht theilhaft werden, mit einigen hundert Personen, unter dem Geräusch einer betäubenden Tafelmusik und dem Geklapper der Aufwärter zwei Stunden lang am Tische zu sitzen. Ohne die sich aufopfernde Güte einiger Freunde, die uns ihre Plätze abtraten, wären wir auch nicht dazu gelangt. So ist es aber nur an Sonntagen, denn in der Woche essen die mehresten Brunnengäste auf ihrem Zimmer, und kommen nur an diesem Tage hervor, dessen Freuden ein Ball beschließt, zu welchem sich immer auch viele Einwohner von Mainz und der umliegenden Gegend einfinden, die dann neues Leben in die Gesellschaft bringen.

Der Kursaal ist ein so schönes imponirendes Gebäude, wie ich es noch in keinem Brunnenorte sah; eine hübsche Allee führt zu ihm hin, und sehr angenehme Spaziergänge rings um einen großen Teich schließen sich an ihn an.

Außer dem Saal, wo gespeist und getanzt wird, und in welchem mehrere hundert Personen bequem Platz finden, enthält dies Gebäude noch einige recht artig dekorirte und meublirte Zimmer zum Spiel und für kleinere Gesellschaften. Den großen Saal selbst umgiebt eine von hohen Marmorsäulen getragene Gallerie, viele glänzende Kronleuchter blitzen von der Decke herab und vervielfältigen sich in den großen Spiegeln. Die Säulen sind alle von inländischen Marmore der in der Gegend von Limburg gebrochen wird; sie würden sehr schön seyn, wenn man dahin getrachtet hätte, die Zusammensetzung der Säulenschäfte mehr zu verbergen.

Die an mehreren langen Tafeln ziemlich gut bediente Gesellschaft war sehr elegant, doch sahen wir bald deutlich, daß das Ganze unter sich wenig Verbindung hat. So ist es aber in allen Badeörtern, wo man nicht am Brunnen trinkt, der doch immer den besten Vereinigungspunkt ausmacht. Bekannte halten sich hier zu Bekannten, wie wir auch thaten, dadurch aber zerstückelt sich der große Kreis in unzählige kleine, und an allgemeine Geselligkeit, die in Brunnenorten doch zu Hause seyn sollte, ist nicht zu denken. Alles zerfällt in kleine Lotterien von alten Freunden und Landsleuten, welche zusammen die himmlische Gegend umher besuchen. Wer hier allein aus weiter Ferne ankommt, dem muß zu Mute seyn wie einem einzelnen Regentropfen im Ozean.

Die zwei Meilen von Wiesbaden nach Schwalbach sind sehr bergig. Sie führen fast immer durch einen schönen dichten Wald über die hohe Wurzel, so heißt eine Anhöhe unfern der Schaussee, zu welcher von Schwalbach aus fleißig gewallfahrtet wird. Von dieser Stelle umfaßt das Auge mit einem Blick den ganzen Rheingau bis an die Thürme von Mainz, und weiter hinaus die vom Main durchströmten Gegenden; gute Augen entdecken sogar bei hellem Wetter die Thürme von Frankfurt; es ist eine der ausgebreitetsten Aussichten im Taunus-Gebirge. Schwalbach erblickt man erst, wenn man hereinfährt, tief und steif windet sich der Weg eine beträchtliche Anhöhe hinab, in das von waldbewachsenen Bergen eng umschloßne Thal, durch welches der kleine Ort sich lang und schmal hinzieht. Mit Recht heißt er eigentlich Langenschwalbach, denn er besteht fast nur aus einer einzigen Straße, und selbst recht bedeutende Städte werden selten eine aufzuweisen haben, welche diese an Lange überträfe. Der zunächst liegenden wild-romantischen Umgegend fehlt es nicht an ländlichem Reiz, an schönen Wiesen, schattendem Wald und herrlichen Blumen; aber gleich beim ersten Schritt vermißte ich überall die sorgliche Pflege, das bescheidne nachhelfen der Gartenkunst, welche in einem nicht günstigern Klima die Gegend um Karlsbad so unaussprechlich verschönern und eigentlich erst recht genießbar machen. Auch auf diesen Bergen, in diesen schattigen Gründen könnten ohne großen Aufwand von Geld und Mühe bequeme Fußpfade angelegt werden; an schönen Bäumen fehlt es nicht, unter denen ein dem Ermüdeten höchst willkommner Ruhesitz winken könnte, nicht an lieblichen Aussichten in das Thal, bei welchen ein einfach schützendes Dach höchst willkommen wäre, um sich ihrer bequem erfreuen zu können. Aber den guten Bürgern von Schwalbach, welche hier die Herren spielen, kömmt dergleichen nicht in den Sinn. Sie vermieten ihre Wohnungen zum möglichst hohen Preis, den sie erhalten können, lassen sich den übrigen Gewinn, den ihnen die Badegäste bringen, wohl gefallen, doch um ihre Bequemlichkeit kümmern sie sich weiter nicht. Sie füllen jährlich mehrere tausend Krüge mit ihrer heilbringenden Quelle, deren Versendung ihnen viel Geld einbringt, aber die Quellen liegen in einem nassen Wiesengrunde, und bei feuchten Sommern, wie dieser, waten die Trinkenden wirklich in einem Sumpfe herum; denn selbst hier wird nicht durch wohl erhaltene Kieswege für Gesundheit gesorgt.

Auch den Wohnungen fehlt das freundlich einladende, reinliche Ansehen, welches dem Badegast in Karlsbad gleich beim Hereinfahren den Ort seinen künftigen Aufenthalts schon im voraus angenehm macht. Im Innern derselben vermißt man manche, besonders im Bade fast unentbehrliche Bequemlichkeit, denn alle sind nur mit dem notwendigsten Geräthe, und das so einfach, mitunter so altväterisch als möglich. Das Sopha, welches uns unser Wirt mit Mühe verschaffte, ist der Gegenstand des Neides aller unserer Bekannten, denn im ganzen Ort sind, deren gewiß kein Dutzend vorhanden. Dennoch fehlt es in Schwalbach nie an zahlreichem Zuspruch, und die Gewißheit desselben bewegt wahrscheinlich die Bürger, sich um Gäste wenig Mühe zu geben, da diese von selbst sich einfinden. Unsre Wohnung gehört indessen zu den bessern im Ort. Wir wohnen im Kaisersaal, dem größten und besuchtesten Gasthof, der aber außer dem Namen nichts Kaiserliches aufzuweisen hat. Doch muß ich Herrn Wiegand, dem Eigner desselben, bei dieser Gelegenheit wegen seiner aufmerksamen Gefälligkeit und auch wegen der Bil-ligkeit seiner Forderungen das ihm gebührende Lob ertheilen. Außer dem Kaisersaal sind noch mehrere Gasthöfe und eine Menge Privathäuser zur Aufnahme von Fremden bestimmt. Die Gesellschaft ist jetzt noch klein, vergrößert sich aber mit jedem Tage. Alle Wohnungen sind für die letzte Woche dieses Monats im voraus bestellt. Dann tritt die glänzendste Periode in Schwalbach ein und währt bis zur Mitte des Augustmonats. Mit dem zwanzigsten Juli beginnen die Bälle, die Spieler ziehen dann auch wie Hayfische herbei, und der beschränkte Raum des engen Thals wimmelt von fröhlich buntem Leben. Jetzt wandeln wir noch in sehr kleiner Anzahl zum Brunnen, das blaugeränderte vorschriftsmäßige Trinkglas in der Hand, und zwar gegen sieben Uhr des Morgens, weil die Sonne dies enge Thal erst spät erwärmt.

Eine ziemlich lange, mit hohen Bäumen dicht besetzte Allee führt vom Orte an bis zu der besuchtesten Quelle, die man den Weinbrunnen nennt, und dient den Trinkenden zur Promenade. Auf einer sehr schlechten hölzernen Treppe, seitwärts zu Ende der Allee, steigt man herab auf die kleine sumpfige Wiese, in deren Mitte die Quelle reichlich sprudelt, zwar mit einer Balustrade umgeben, aber ohne alle Bedachung. Zwei Männer schöpften den heilbringenden Trank, der wie Champagner braust und wirklich etwas Berauschendes hat. Die übrigen Umgebungen der Quelle sind die kunstlosesten, die man sich denken kann. Des Sumpfes, der sie umgiebt, habe ich schon ehrenvoll erwähnt; die einem verfallenen Pferdestall ähnliche hölzerne Barake, unter welcher die Brunnengäste beim Regen Schutz suchen müssen, paßt vollkommen zum übrigen. Man erzeigt dieser die Ehre, sie eine Kolonade zu nennen; sie ist so enge, daß kaum dreißig Personen darunter Raum finden, wenn sie auch ganz ruhig neben einander stehen wollen. Die verstimmte Harfe eines Juden und ein gewaltig dazu schreiendes Mädchen machen den musikalischen Teil der Morgen-Unterhaltung aus, und beide Virtuosen sind auf Uebung ihrer Kunst so erpicht, daß weder Geld noch gute Worte sie zum Schweigen zu bringen vermögen. Schmutzige Juden mit allerlei kurzer Ware verengen in großer Anzahl den beschränkten Raum der sogenannten Kolonade und haben wenigstens das Gute, daß niemand durch ihr Waarenlager sich hier wie in den Karlsbader Magazinen zu großen Ausgaben verleiten läßt, auf die er bei dem Antritt der Reise nicht rechnete.

Die zweite Quelle, der Stahlbrunnen, liegt höher, zur Seite des Ortes. Die sie umgebenden Alleen sind sonniger und besser erhalten, aber auch sehr feucht und ohne Kiesweg; eine geräumigere, etwas leidlichere Kolonnade bietet hier Schutz gegen die Witterung, kurz, alles sieht im Ganzen anständiger einem Badeorte ähnlicher aus. Sogar mit Putzsachen und andern Waaren angefüllte Laden sind unter den Säulen zu finden; auch hier glänzen freilich Karlsbads Herrlichkeiten nicht, aber man hat doch Gelegenheit, für kleine Bedürfnisse des Augen-Blicks zu sorgen, ohne erst deshalb nach Frankfurt schreiben zu müssen. Der Stahlbrunnen wird indessen weniger benutzt, als der Weinbrunnen, weil das Wasser, bei sonst völlig gleicher Wirkung, dem Magen weniger zuträglich ist.

Schwalbach. 25. Jul.

Jetzt ist hier der lustige bunte Wirrwar des Badelebens in vollem Gange. Aus allen Fenstern gucken zierliche Lockenköpfe bis unters Dach hinauf, und Säle, Straßen und Spaziergange wimmeln von Brunnengästen, denen man es ansieht, daß nicht das Bedürfniß einer Kur sie hierher führte. Die Gesellschaft besteht zwar jetzt fast aus allen europäischen Nationen, doch ist der größte Theil derselben in Frankfurt, Mainz und andern benachbarten Städten zu Hause. Böse Zungen behaupten sogar, ein alljährlicher Besuch in Schwalbach oder Wiesbaden sei ein unerläßlicher Artikel des Ehekontrakt in diesen Gegenden. In allem mögen jetzt wohl unsrer fünf bis sechs hundert hier versammelt sein, ohne die Zugabe von Bedienten und Zofen. Wir machen zusammen Lärm genug in diesem kleinen Winkel der Welt, in welchem wir eben nur Raum genug haben, uns herum zu drehen, das versichre ich Ihnen. Nur wenige von uns suchen sich zu isoliren, oder kleine abgesonderte Kotterien zu bilden. Freilich hat jeder einen Kreis, zu welchem er sich vorzugsweise hält, aber bei allen vorkommenden Gelegenheiten vereinen sich diese kleinen Kreise zu einem Ganzen, und jedes trägt gern zum allgemeinen Vergnügen sein Scherflein bei, ohne Rücksicht auf Rang und Titel. Noch nie sah ich einen Brunnenort, in welchem man sich wechselseitig mehr entgegen käme und ganz ohne alle Repräsentazion. Auch ist eigentlich gar kein Raum zum Repräsentiren vorhanden; ein Hof, der sich hierher verirrte, würde schon um ein Lokal dazu in Verlegenheit kommen, wenn er seine gewohnte Sitte mitbringen wollte. Bei der vollkommensten Gleichheit aller gebildeten Stände artet dennoch der Ton der Gesellschaft nicht aus, und nie bemerkte ich noch die kleinste auffallende Unsittlichkeit. In der Kleidung herrscht Eleganz, doch keine übertriebene Pracht. Das Leben ist nicht wohlfeil, doch auch nicht theuer zu nennen, besonders da alles sehr gut ist, was man für sein Geld erhält, Wohnung und Bäder ausgenommen. Im Grunde kann ich den oben erwähnten Artikel der Ehekontrakte nicht sehr tadeln, denn es giebt wenig Orte, wo man einige aus einem ganzen langen Jahr zur Erholung auserwählte Wochen fröhlicher und anständiger hinbringen könnte, ohne großen Aufwand von Geld.

Wie wir hier leben, ist nicht wohl anders recht anschaulich zu machen, als wenn ich Ihnen einen Tag in Schwalbach von Anfang bis zu Ende beschreibe; denn alle gleichen sich, mehr oder weniger. Gegen sieben Uhr ziehen wir sammt und sonders zum Weinbrunnen, die vielen schönen weißgekleideten Gestalten der Damen beleben, gleich so viel Hamadryaden, die dunkelgrüne Dämmerung der zu ihm führenden Allee und gewähren einen sehr anmuthigen Anblick. Doch möchte ich ihnen lieber zu wohl wattirten Überröcken und starken wasserdichten Schuhen rathen. Nirgends sind diese nöthiger, als in diesem immer kühlen und feuchten Laubgewölbe, durch welches nur selten ein Sonnenstrahl dringt. In allen Brunnen der Welt wird geschwatzt, getrunken und Bekanntschaft gemacht, aber nirgend geht alles dieses besser von Statten, als in Schwalbach; das Trinken, weil das Wasser höchst angenehm schmeckt, das Plaudern und schnell mit einander Bekanntwerden, weil das durchaus unwürdige Lokal gewaltsam an einander drängt und uns alle als Leidens-Brüder und Schwestern vereinigt. Der Mensch ist nie geselliger und anschließender, als bei einem Unglück, welches alle gleich trifft, das haben wir bei Plünderung und anderer Kriegesnot zur Genüge erfahren; daher schreibe ich einen großen Teil der Leichtigkeit, mit der man hier Bekanntschaften macht, dem schlüpfrig nassen Boden am Quell und dem löcherigen Dach der schönen Kolonnade zu. Doch möchte ich nicht, daß die Ratsherren von Schwalbach etwas von dieser meiner psychologischen Bemerkung erführen, sie wären im Stande, die bretterne Bude ganz abzubrechen und uns bis an die Knie im Morast zu versenken, einzig zu mehrerer Beförderung der Geselligkeit; jetzt kommen wir doch noch mit durchnäßten Schuhen davon. Nachdem wir unsre bestimmte Zahl von Gläsern geleert haben, machen wir noch eine kleine Promenade zum Stahlbrunnen und sehen uns dann gegen neun Uhr nach dem Frühstück um, welches jeden in seiner Wohnung erwartet. Oeffentliche große Frühstücke sind hier nicht gebräuchlich, wenigstens nicht in diesem regnigten Sommer; hin und wieder etabliren sich wohl kleine Tischchen in der Alleen von der Stadt in ge ringer Entfernung von der Stadt belegnen Al-leesaal, aber gewöhnlich treibt der Regen sie bald wieder fort, und selbst an schönen Mor gen ist der Aufenthalt in der kühlen feuchten Allee nicht rathsam, besonders wenn man vom Gehen nur im mindesten warm ward.

So weit geht es gut, aber nun bricht eine böse Stunde herein, in der niemand ein freundliches Gesicht macht. Alle schelten, zanken, ärgern sich gewaltig, und die Polizei hat nicht Beine genug, um überall hinzulaufen, wo man sie verlangt, nicht Ohren genug, um alle Klagen zu hören. Es ist die Badestunde, lieber Freund, in welcher ein heilloser Dämon ganz Schwalbach zu beherrschen scheint. Niemand wird zufrieden gestellt, obgleich Treppen und Gänge von den schweren Tritten der häßlichsten Najaden in der Welt dröhnend wiederhallen.

Wirklich ist das Baden in Schwalbach das unangenehmste, und bei aller Trefflichkeit des Wassers das zweckloseste, oft schädlichste, was sich denken läßt, weil die ganze Einrichtung desselben durchaus fehlerhaft ist. Schon daß man in seinem eignen Zimmer, in einer sehr engen kleinen Wanne zu baden gezwungen ist, taugt nichts; obendrein muß man diese oft mit andern Badegästen teilen, wenn man sie nicht, mit Argusaugen bewacht, denn die vorhandene Anzahl derselben reicht nicht hin, um jeden Einzelnen damit zu versehen. Das Wasser wird von eigenen, dazu angestellten Weibern in großen Kübeln auf den Köpfen herbeigetragen. Mit lautem Geplapper stampft davon immer wenigstens ein halbes Dutzend zugleich in das meist enge Zimmer der Fremden herein, und gewährt eben keinen reizenden Anblick. Diese Weiber stehen zwar unter der Polizei, deren Diener bei jedem Ruf erscheinen, auch sonst fleißig nachfragen, wie man bedient werde, aber nie erlebte man noch, daß irgend einer der unzähligen Beschwerden der Badenden deshalb abgeholfen würde. Auch ist das Haupt der Polizei, an welches man sich vorzüglich zu wenden hat, in der Badezeit immer krank und unzugänglich, gleich den unsterblichen Göttern in ihrem Olymp. Daher erhält man sein Bad nie zur bestimmten Zeit, kann nie lange genug darin bleiben oder vor dem Ankleiden eine halbe Stunde ruhen, wenn. man bei der Mittagstafel erscheinen will, und, was noch schlimmer ist, das Wasser hat nie die gehörige Temperatur. Immer ist es entweder zu kalt oder zu heiß, und selten gelingt es, noch einen Kübel voll warmen oder kalten Wassers von den hartherzigen Najaden zu erstehen. Wer, in Privathäusern wohnend, von seinen Hausleuten das Bad bereitet erhalten kann, wird freilich etwas besser bedient, aber so glücklich sind nur wenige, und diese Privatwohnungen haben wieder andre Unannehmlichkeiten.

Doch auch dies böse Stündlein geht vorüber wie die guten. Nach ein Uhr eilt alles zu den durchaus sehr reichlich und gut besetzten Tischen. Ehre dem Ehre gebührt; in Hinsicht des Essens und Trinkens bleibt Karlsbad weit hinter Schwalbach zurück. Fast alle Gäste speisen an den öffentlichen Tischen, deren es mehrere giebt, welche alle lobenswert bestellt sind. Die vorzüglichsten sind im Alleesaal, in der Kette, in der Post und in unserm Kaisersaal zu finden. Letzterer wird für den besten gehalten. Dort essen wir gewöhnlich, hospitieren aber auch oft in den andern Sälen, wo wir Freunde und Bekannte wissen, die uns dann wieder einen Gegenbesuch an unserm Tische abstatten. Die Gesellschaft besteht jetzt im Kaisersaal gewöhnlich aus siebzig bis achtzig Personen. Der Saal erschallt von fröhlichem Gespräch, aber auch leider von recht schlechter betäubender Tafelmusik. Sie wissen, auch die beste ist mir immer zuwider, und können also denken, wie oft ich im Stillen die schlechte ins Pfefferland wünsche, besonders da man leider fast zwei Stunden bei Tische sitzt. Gegen Ende der Tafel treten die Spieler herein, unter dem Arm ihr verhängnisvolles grünes Tuch, welches sie am Ende des Saales ausbreiten. Den Vormittag gehen sie damit im Saal der Kette auf den Fang aus. Bald nach ihnen erscheint die ganze Brunnengesellschaft von allen andern Tischen, um, der hergebrachten Sitte gemäß, im Kaisersaal ihre Tasse Kaffee zu trinken, die hier weder besser noch schlechter ist, als anderswo. Diese halbe Stunde ist wirklich ergötzlich, obgleich des Gedränges oft zu viel wird; die Scene am Brunnen wiederholt sich hier trocknen Fußes und im größern Styl, Partien werden für den Abend oder den folgenden Tag verabredet, alte Bekannte begrüßt, neue angekommne bewillkommt, bis alle hinab ins Freie eilen. Die Spieler haben dabei keine sonderliche Aerndte, zwar belagern Zuschauer genug ihren Kampfplatz, aber wenig Teilnehmer, und im Ganzen werden keine bedeutenden Summen von ihnen umgesetzt.

Auf der Straße vor dem Hause finden wir nun meine neuerkornen Lieblinge, die Esel, schlecht, aber nicht recht gezäumt und gesattelt. An der Hand ihrer etwas zerlumpten Treiber erarten sie unsre Befehle, und wer nicht gern geht und Berge ersteigt, der eilt, ein solches geduldiges Tier in Beschlag zu nehmen. Die Damen sitzen auf etwas unbequemen, mit einem Fußbrett versehenen Stühlen, queer auf dem Esel, die Herren reiten wie gewöhnlich. Bald bilden sich lange prozessionenartige Züge von Reitern und Reiterinnen, umschwärmt vom rüstigern, zu Fuße gehenden Teil der Gesellschaft, und ziehen rechts und links durch das Tal und über die Berge.

Etwas burlesk sieht solch ein Zug zwar aus, das ist nicht zu leugnen, auch mußte ich bei dem Anblick zuerst recht herzlich lachen, bald aber befreundete ich mich selbst mit den lieben Tieren, die mich so bequem und sicher auf die steilsten Gipfel der Berge tragen. Wollte der Himmel, ich fände sie überall, wo es Berge giebt! In Schwalbach sind sie wirklich unentbehrlich, denn man muß bergauf, wohin man sich auch in diesem tiefen Felsenkessel wenden mag, und außer den nach Wiesbaden und Ems führenden Kunststraßen sind die Wege rings umher beinahe unfahrbar. Auf solch einem Esel trotzt man jeder Gefahr; zuweilen werden sie zwar wohl verdrießlich und wollen nicht fort, dafür weiß der Treiber aber Rath, der ohnehin immer nebenhergeht. Oft legen sie sich unterwegs ein wenig nieder, dabei ist aber weiter keine Gefahr, man kommt plötzlich auf seine eignen Füße zu stehen, man weiß nicht wie, ohne andern Schaden, als den, ausgelacht zu werden, und hat gewöhnlich noch den Trost, daß den Lachern in der nächsten Viertelstunde dasselbe widerfährt.

Mit dem sinkenden Tage finden wir uns wieder im erleuchteten Alleesaal alle zusammen. Letzterer ist ein recht artiges Gebäude, mit einem großen, nicht uneleganten Tanzsaal und mehreren Nebenzimmern; im obern Stock sind auch Wohnungen für Brunnengäste eingerichtet. Hier treffen wir nun wieder die Musik, die Spieler, und in den Nebenzimmern mehrere Tische, an welchen man nach der Karte soupieren kann. Nun wird gelacht, geplaudert, erzählt, die junge tanzlustige Welt dreht sich in ein paar Walzern herum, und so ist der Tag zwischen elf und zwölf Uhr vollbracht.

Bei Regenwetter fallen freilich die Landpartien weg, und dies geschieht in diesem Sommer leider nur zu oft. Dann kommen wir schon um sechs Uhr im Alleesaal zusammen, einzelne Gesellschaften bilden bald einen geselligen Kreis um den Teetisch, der allmählich durch später Hinzukommende sich vergrößert. Wer spielen will, findet leicht auch außer dem Gebiet des Königs Pharao eine Partie, wie er sie wünscht, und der Abend vergeht wie in jeder andern Gesellschaft.

Ein Heer dienstbarer gnomenartiger Kobolde belebt die Gegend in und um Schwalbach, dessen ich noch ehrenvoll gedenken muß, weil es immer und überall ohne großen Lohn zu jeder Hülfleistung bereit ist. Hat man auf einem Spaziergang sich verirrt, gleich ist solch ein Kobold zur Hand, um uns zurecht zu weisen; ist der Tag heiß, ungerufen erscheinen sie mit frischem Wasser in reinlichen Gläsern, oder mit einem Körbchen voll Erdbeeren, und nehmen uns Shawls und Überröcke ab, um sie hinter uns her zu tragen. Überrascht uns ein Regen, gleich eilen sie aus allen Winkeln mit recht guten seidenen Regenschirmen herbei. In allen Büschen, allen Felsspalten und Klüften, wenigstens eine Viertelmeile um Schwalbach, sind sie zu Hause, und wer irgend ein Tuch oder sonst eine kleine Habseligkeit in der abgelegensten Gegend verlor, braucht nur ein Wort zu sagen, und ganze Scharen fliegen darnach aus, und rasten nicht, bis sie das verlorne gefunden haben. Dies Gnomen - Heer übt wirklich eine Art von Allgegenwart; jeder Gesellschaft, deren Heimkehr von Landpartien sich bis zur Dämmerung verzieht, erscheint es, sobald letztere einbricht, und währe man noch eine Stunde weit vom Ort entfernt. Von weitem ist es dann wie eine lange Reihe von Irrwischen anzusehen, in der Nähe wird man aber gewahr, daß jeder eine Laterne trägt, mit der er später bis weit nach Mitternacht am Alleesaal bereit steht, uns nach Hause zu leuchten. Bei allen diesen lobenswerten Eigenschaften behält das Gnomenheer ein sehr bescheidnes Ansehen, man könnte es sogar zerlumpt nennen und für Straßenbuben zwischen fünf und zwölf Jahr alt ansehen; eben so bescheiden sind seine Ansprüche auf Belohnung treuer Dienste. Es beugt sich sogar unter die strengen Gesetze der Polizei, die jeden Einzelnen mit einer Nummer versieht, welche ihm zugleich statt des Namens dient. Auch hat die Polizei eine Art von Reihefolge beim Leuchten unter ihnen eingeführt, auf die sie selbst streng halten. Genug, sie sind in ihrer Art eben so lobenswert, als die Esel, und tragen, gleich diesen, viel zur Annehmlichkeit des Aufenthalts in Schwalbach bei.

Nun noch ein paar Worte von der Gegend um Schwalbach. Wer sich damit begnügt, dies wild-romantische Tal zu durchstreifen und hier und da eine Anhöhe zu besteigen, der wird sich nicht über Mangel an Anmut und mannigfaltigem Reiz der Umgebungen beklagen können. Anders ist es, wenn wir bei weiteren Landpartien uns ein Ziel vorsetzen, wo wir ein paar Stunden bleiben und uns erfrischen wollen. Die Wege sind böse, und nirgends in der Nahe ist ein Gasthof zur Aufnahme von Gasten bereit; man muß unter freiem Himmel biwachten und alles, was man braucht, mitbringen, wobei wieder .die Kobolde und Esel treffliche Dienste leisten. Wiesbaden und Schlangenbad sind die einzigen Orte, wo man ein gastliches .Obdach und eine gute Mahlzeit finden kann, und da die Nähe derselben einen freundschaftlichen Verkehr unter den Badegästen begünstig, so werden oft wechselsweise Besuche, hinüber und herüber abgestattet.

Von den Orten, wo wir fleißig biwachten, muß ich Adolfseck als den besuchtesten und auch anmutigsten zuerst nennen. Man geht oder reitet ein Stündchen durch ein wunderliebliches, von der Aar und vielen .Quellen durchrauschtes Thal, am Fuße schöner, grün bewachsener Felsen, bis zu den Ruinen des Schlosses, welches Adolf von Nassau hier auf einer mäßigen Anhöhe erbaute. Die malerischen Umgebungen dieser Ruine, das kleine Dörfchen am Fuß derselben, die Aar, welche hier eine Mühle treibt und einen kleinen Wasserfall bildet, geben diesem ruhigen Fleck Erde einen unbeschreiblichen ländlich-stillen Reiz. Die Sage geht, daß dies Schloß ursprünglich der Zufluchtsort treuer unglücklicher Liebe des Königs Adolf von Nassau zu einer schönen Nonne war, die er entführte, die hier mit ihm einige Jahre ganz im verborgenen glücklich lebte, und zuletzt mit ihm unterging. Ich mag an der Wahrheit dieser Sage nicht zweifeln, denn ein heimlicheres Plätzchen für zwei Menschen, die einander die Welt sind, wäre wohl nicht zu finden, und der Glaube an den liebenden König und die bis in den Tod getreue Imagina giebt ihm einen neuen romantischen Reiz. Vor allem empfehle ich Ihnen hier eine kleine, von Jelän-gerjelieber, Rosen und Epheu umrankte Fel sengrotte, mitten in einem ländlichen Garten voll duftender Blumen. Die Eigner desselben öffnen ihn gern den Fremden und sind sogar mit Teegeschirr versehen, was mir zu besondrer Freude diente. Sie wissen, ich trüge auch gern meinen Teekessel bis auf den Vesuv, wie die englischen Damen. Eine andere Nachmittags-Partie bietet der Hammer. Der Weg dorthin ist etwas weiter, als bis Adolfseck und kann .ebenfalls nur zu Fuße oder zu Esel zurückgelegt werden, denn an Fahren ist bei beiden nicht zu denken. Die Gegend ist hier anmuthig, aber Adolfseck behält doch den Vorzug.

Auch nach dem noch entferntern Hohenstein werden öftere Wallfahrten angestellt, die indeß etwas beschwerlich sind; zum Gehen ist es zu weit, zum Fahren ist der Weg einer der schlechtsten, die es geben kann, aber der Anblick der schönen großen Ruine, eines im dreißigjährigen Kriege zerstörten Schlosses, entschädigt reichlich für die Mühseligkeiten des Hingelangens. Waldumschloßne, tiefe Wiesengründe, durch welche die Aar sich windet, umgeben die Anhöhe, von welcher die brauen Thürme und Mauern der Burg gen Himmel starren, als düstere Zeugen der alten hier versunkenen Herrlichkeit. Keine Wohnung der Lebenden zeigt rings umher sich dem Blick, die wenigen benachbarten Hütten liegen tief verborgen, und das kleine Haus eines Försters im Bezirk des Schlosses selbst verschwindet ganz hinten den ehrwürdigen Trümmern und dem sie umrankenden Efeu.

Wir faßten einmal den kühnen Gedanken, oben unser Mittagsmahl zu halten. Eine große Schar zog beim schönsten Sonnenschein zu Esel und zu Wagen hinaus und freute sich im voraus auf die tausendfache lustige Noth, in die man dort oben beim Mangel an manchen Bequemlichkeiten gerathen würde. Oben tat jeder groß mit seinen mitgenommenen Vorräthen, ein langer Tisch und Sitze umher wurden aus Brettern und Klötzen mitten in dem alten Rittersaal errichtet, dem aber jetzt, wie der ganzen Burg, das Obdach fehlt. Laut jubelnd über unsre wohlgelungenen herrlichen Anstalten, saßen wir im lustigsten Verein, als plötzlich die über unsern modernen Frevel ergrimmten Burggeister dicke Regenwolken über unsre Häupter zusammen ballten, und uns alle, bis auf die Haut durchnäßt, nach Hause schickten. Diese Sündflut hatte indessen unsere gute Laune nicht mit fortgespült. Zwar nahmen wir alle die Flucht, bei welcher die Eselsreiter und Reiterinnen am übelsten daran waren, aber es gab unterwegs und zu Hause noch so manches lustige Abenteuer zu belachen, so daß die Geister in ihrer Behausung nicht sichrer vor Besuchen sind, als zuvor, trotz ihrer an uns geübten Ungastlichkeit.

Adolfseck, der Hammer, Hohenstein, Wiesbaden und Schlangenbad sind aber auch alles, was ich Ihnen von Orten nennen kann, welche nahe liegen und zu denen die Brunnengäste, der Abwechselung zu Liebe, hinziehen. Fahrten nach Ems, Ellfeld, Bibrich und andern Orten des Rheingaus sind schon kleine Reisen; man muß über Nacht ausbleiben, oder kommt doch erst nach Mitternacht zu Hause; deshalb werden sie selten unternommen.

Nun steht uns noch der Tag der heiligen Porziunkula bevor, ein Volksfest, bei dem die Einwohner von Schwalbach die größte Rolle spielen und die Brunnengäste meistens Zuschauer sind. Wer die Heilige war, konnte ich nicht recht erfahren, auch nicht, warum eigentlich an diesem Tage so viele Menschen nach Schwalbach herbeiströmen, als der Ort nur halten kann? Nach diesem Feste verschwinden die Brunnengäste, einer nach dem andern, und in der Mitte des Augusts sinkt Schwalbach fast ganz in die Einsamkeit zurück, in welcher es beinahe zehn Monate im Jahr begraben liegt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer