Schlangenbad

Schlangenbad, 15.Aug.

Wir sind hier kaum zwei Stunden von Schwalbach entfernt, und doch wie in einer andern Welt; so tiefe Ruhe und Stille herrscht in diesem engen grünen Tal. Ich komme mir darin vor wie ein Vogel, der sein Nest in den am dichtesten verschlungenen Zweigen einer mächtigen Linde erbaute; wohin ich blicke, sehe ich über mir Himmel, und rings um mich grüne Schatten; es ist, als ob die übrige Welt gar nicht in der Welt wäre.


Erquickt vom Bade in den kristallenen, seidenweichen, lauwarmen Wellen, gehöre ich nachher den ganzen borgen über nur mir und meinem Wollen, irre in den nahen Spaziergängen umher und gebe mir selbst Audienz, oder reite, wenn ich mich etwas weiter wagen will, irgend eine Anhöhe hinauf, von der ich den Rhein erblicken kann, denn auch hier finde ich meine nie genug zu lobenden Schwalbacher Esel wieder.

Mittags kommt die ganze Gesellschaft im Speisesaal zusammen. Im Nassauer Hof, wo wir wohnen, besteht sie jetzt aus vierzehn bis fünfzehn Personen, die zum Teil mit uns unter demselben Dache leben, zum Teil im hessischen Hofe. Häufige Besuche aus Schwalbach und Wiesbaden vergrößern oft diesen kleinen Kreis und bringen uns in unsre schöne Einsamkeit Nachricht vom Tun und Treiben der Außenwelt. Besonders kommen die Schwalbacher am Ende ihrer Kur gewöhnlich einige Male nach Schlangenbad, um den Oker wieder abzuspülen, welcher während der Badezeit dort selbst der blendendsten Blondine das Ansehen einer Zigeunerin giebt. Nach Tische und den Abend über ist wieder ein jeder sich selbst überlassen. Hier sind keine Bälle, keine Spieler, kein Salon, obgleich es an Raum dazu nicht fehlt, nicht einmal eine Badeliste kommt zu Stande. Abends supirt jedermann in seinem Zimmer. In dem dicht an den Nassauer Hof gränzenden hessischen Hof ist die Zahl der Bewohner noch kleiner, bei der nämlichen Einrichtung des Ganzen.

Sie können leicht denken, daß diese kleine Anzahl bleibender Gaste in dem großen Lokal nicht störend wird, und daß man sie kaum bemerkt, aber die, welche zu einander gehören, können einander nicht verfehlen, denn der Mittagstisch setzt alle mit einander in Rapport. Daher beklage ich mich keineswegs über Mangel an Gesellschaft. Ich habe hier schon manche angenehme Bekanntschaft gemacht .und erneuert, übrigens tut mir die Ruhe um mich her unaussprechlich wohl nach den letzten vier geräuschvollen Wochen.

Einzeln verstreute ländliche Hütten abgerechnet, sind nur zwei Gebäude in diesem von hohen waldigen Felsen eng umschloßnen Thal, der hessische und der Nassauer Hof Eine vortreffliche Kunststraße von Schwalbach hierher, und eine andre, welche nach Bibrich führt, sind die einzigen, das Tal durchschneidenden Wege, wohl nur des Bades wegen angelegt, denn eine eigentliche Heerstraße geht hier nicht durch, und nie verirrt sich der Fuß eines Wanderers in diese stille Gegend, den nicht sein Zweck gerade hieher führt. Das Tal selbst ist fast nur eine große Laube, Schatten reihen sich an Schatten, alles ist grün, wohin das Auge sieht, und prangt in der üppigsten Vegetazion.

Der hessische Hof, ein großes schloßartiges Gebäude, mit sehr großen weitläuftigen Sälen und Gallerien, gerath leider nach und nach in einen zum Untergang sich neigenden Zustand. Etwas kleiner ist der Nassauer Hof und in weniger vornehmen Styl erbaut. Ein langer, ziemlich dunkler, gewölbter Gang verbindet beide Häuser und führt auch zu den sehr geräumigen Bädern, von denen einige sogar mit Porzellan und Marmor bekleidet sind. Sie werden alle reinlich und ordentlich gehalten; das Baden wird dadurch hier eine rechte Freude, besonders wenn man dabei an Schwalbach denkt.

Nie habe ich in meinem Leben wohlfeiler gewohnt, als in Schlangenbad, wenigstens in keinem Badeorte. Jedes Zimmer hat seinen festgesetzten, unglaublich niedrigen Preis. Das Ganze wird hier für herrschaftliche Rechnung verwaltet, und alles Hausgeräth besteht aus Inventarienstücken. Man glaubt sich wenigstens um fünfzig Jahre zurück, wenn man in den hohen geräumigen Zimmern die großen alterthümlichen Stühle, die Tische mit Löwenklauen, die uralten Komoden betrachtet, die so groß sind wie ein Haus in den schottischen Hochlanden. Doch alles ist ziemlich reinlich gehalten, und die Betten, als die Hauptsache, sind vorzüglich gut. Bei alle dem haben beide Häuser etwas schauerliches, besonders der hessische Hof; dieser gleicht ganz den Spukabteien der Miß Radcliff, so uralt und grauerlich sieht er aus. In den hohen weiten Sälen, den unabsehbaren Gallerien verhallen die Tritte der einsam darin Wandelnden wie Geisterschritt, lange nachdem man sie aus dem Gesicht verlor; und oft, wenn ich spät Abends aus dem Bade komme, schauere ich unwillkürlich zusammen vor einer, von einem schwachen Licht beleuchteten weißen Gestalt, die neben einer dunkeln, tief verhüllten, durch den langen düstern Gang mir entgegen schwebt. Am Ende ist es dann eine Dame, die, wie ich, in ihren schwarzen Hantel gewickelt, sich von ihrer Kammerjungfer ins Bad geleiten läßt. Einige Terrassen und Boskette, welche zum hessischen Hofe gehören, werden ziemlich ordentlich gehalten und bieten gar freundliche trauliche Plätzchen für den kleinen geselligen Theetisch. Sie sind zwar im veralteten französischen Styl angelegt, mit geschnittnen Hecken und ähnlichen Zierrathen, aber die Natur ward hier Meister über die Kunst, überall drängt sie sich üppig hervor, und erlaubt letzterer nur für leidliche Ordnung und Reinlichkeiten zu sorgen. Die zum Nassauer Hof gehörenden sehr weitläuftigen Promenaden sind ganz verwildert. Man hofft, daß beide Häuser bald unter eine Herrschaft kommen werden, und daß alsdann mehr zur höchst nöthigen Erhaltung und Wiederherstellung des Ganzen geschehen soll. Der jetzige Zustand ist wirklich unnatürlich gespannt. Ein kleiner, zwischen beiden Gebäuden hinfließender Bach trennt die Gränzen, deren Ueberschreitung manchen Zwist unter den Inhabern beider Wirth-schaften herbeiführt, und zugleich die Unterlassung jeder Verbesserung, weil der Nutzen davon auch dem feindlichen Nachbar zu gut käme.

Für einen ländlichen Aufenthalt von ein paar Monaten wüßte ich keinen angenehmern Ort, als Schlangenbad. Man ist dort einsam und doch nicht allein. Wird man des engen romantischen Thales überdrüssig, so liegt der ganze Rheingau offen da; nach Bibrich, Ellfeld, dem Johannesberg läßt es sich bequem in wenigen Stunden fahren. Wem nach dem Geräusch der Welt verlangt, hat Schwalbach und Wiesbaden ganz in der Nähe, die dessen genug bieten. Dennoch wird es hier niemanden gefallen, der mit der Idee herkommt, einen wirklichen Badeort zu finden; die mehresten Besuchenden erklären daher den Aufenthalt in Schlangenbad für höchst langweilig, und wollen nicht begreifen, wie man es darin länger als einen halben Tag aushalten kann.

Das Wasser ist so weich, daß man es ohne Widerwillen nicht trinken mag, aber zum Baden das schönste und angenehmste in der Welt. Sehr berühmte Aerzte schreiben ihm bedeutende Heilkräfte zu, obgleich es keine Spur mineralischer Bestandteile enthalten soll.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer