Hanau

Hanau, 10ten Jul.

Wenn mich auch nicht die Freuden des Wiedersehens alter l ang entbehrter Freunde hier auf einige Tage fesselten, ich bliebe dennoch gern, denn es gefällt mir in dieser heiteren Stadt. Alles darin hat ein freundliches, behagliches Ansehen, fern vom eitleren Prunk, aber auch von zu enger Beschränktheit. Man erblickt keine Paläste, doch viele recht hübsche bürgerliche Häuser; keine glänzende Equipagen rollen durch die Straßen, dennoch sind diese nicht öde, und obgleich man das rastlose Treiben großer Handelsstädte hier nicht findet, so herrscht doch überall emsiger, nicht ängstlicher Fleiß, und reges, wenn gleich ruhiges Leben. Die Ufer des nahe an der Stadt hinfließenden Mainstroms sind flach wie die ganze Gegend umher, nur am fernen Horizont erblickt man einen Kranz bläulich dämmernder Berge. Alles grünt und blüht ringsumher wie ein Garten, jedes Fleckchen Land wird mit Sorgfalt benutzt und .angebaut, und so gewinnt die Gegend einen mannigfaltigen ländlichen Reiz, der für höhere Schönheit gewissermaßen entschädigt, oder doch sie vermissen läßt.


Viele bedeutende Fabriken bringen Leben und Thätigkeit unter die Einwohner von Hanau, besonders wird alles, was aus Gold und Email sich hervorbringen läßt, nirgends vollendeter und geschmackvoller gearbeitet, als hier. Dabei sind die Preise dieser Fabrikate nicht übermäßig hoch, wenn man das kostbare Material und die mühsam fleißige und dennoch elegante Arbeit dabei recht in Erwägung zieht.

Unsere ersten deutschen Maler, Kupferstecher, Holzschneider früherer Zeit erstanden fast alle aus den Werkstätten der Silber- und Goldschmiede; die nahe Verwandtschaft dieser Gewerbe mit der Kunst äußere sich auch in unsern Tagen auf das erfreulichste in Hanau und erweckt ihr überall eine allgemeine Theilnahme, die mit jedem Tage lebendiger wird. Viele angesehene wohlhabende Bewohner der Stadt besitzen nicht unbedeutende Gemäldesammlungen, die sie noch immer zu schmücken und zu vergrößern streben, und deren Anblick sie mit gastlicher freundlich-greifenden Kunstfreunden gern verstauen unter der Aufsicht des Hofrath Westermayer stünde, in .einem sehr zweckmäßigen Lokal vorzüglich gut eingerichtete Zeichenschule bietet dem aufkeimenden Talent Hülfe und Aufmunterung. Sie wird von Schüler beiderlei Geschlechts häufig und fleißig besucht, sowohl von bloßen Dilettanten, als solchen, die sich ganz der Kunst widmen wollen. Alles das geht so in der Stille seinen ruhigen Gang, ohne daß man in der Welt viel Lärm davon macht; aber manche recht gut gelungene Arbeit der Zöglinge, welche ich mit Vergnügen sah, verspricht, daß das Resultat dieses stillen Wirkens einst recht erfreulich an das Licht treten wird.

Frau Westermayer, diese geschickte Künstlerin, welche die Sticknadel und den Pinsel mit gleichem Glück zu führen weiß, steht ihrem Gatten bei der Kunstbildung seiner Zöglinge aufs thätigste bei. Unter ihrem Schutz und ihrer Leitung öffneten sich mir alle Thüren zu den in Hanau verstreuten Kunstschätzen, die, auf einem Punkt vereinigt, eine ganz ansehnliche Gallerie bilden könnten. Mir aber immer der Anblick von Gemälden erfreulicher in Sälen und Zimmern, unter den Augen der Eigner, die mit Liebe sich daran ergötzen und die zum Teil von ihren Vorfahren schon gegründete Sammlung mit Sorgfalt erhalten und vermehren, weil die Kunst dabei ins wirkliche Leben verschönernd eintritt. Auch kann man sich dort Zeit nehmen, alles zu betrachten, ohne von der Menge geblendet zu werden. Die größeren Gallerien dagegen verließ ich immer fast schwindelnd, ohne ein deutliches Bild des Gesehenen mit mir zu nehmen, bis mehrere Besuche mich näher mit ihnen befreundet hatten, und ich im Stande war, mir einige Lieblinge unter den Gemälden zu wählen, zu denen ich immer wiederkehrte.

Fürchten Sie indessen nicht, eine zu genaue Beschreibung aller der Gemälde, die ich in Hanau sah und auf meiner ferneren Reise sehen werde. Nur andeuten will ich Ihnen, was mich bei einem flüchtigen Besuche hie und da besonders ansprach, damit Sie es aus suchen können, wenn Ihr Glücksstern Sie einmal in diese Gegenden führt. Zu einer gründlichen Beschreibung von Gemälden gehört öfteres Betrachten derselben, was mir die Zeit nicht erlaub, auch tiefere Kenntnis der Kunst und ihrer Geschichte, als ich zu besitzen mich rühmen darf. Das geschriebene Wort muß über dem immer weit hinter dem Zauber der Farben zurückbleiben, und über dem hat es auch mit den gelungensten schriftlichen Darstellungen von Gemälden, die wir haben, die eigene Bewandtniß, daß sie dem Verfasser immer mehr Freude machen und ihm besser gefallen, als dem, der sie lesen muß.

Zuerst brachte uns Frau Westermayer zu Leisler. Er besitzt viele sehr schöne Landschaften, zwei ganz vortreffliche Blumenstücke von de Heem und andre recht sehenswerte Gemälde, besonders Niederländer. Unter diesen zogen mich vor allen drei einzelne Porträte an; ein männliches und zwei weibliche, die in jeder Galerie einen ehrenwerten Platz finden würden. Von den Frauen ist eine wunderhübsch, die andere sieht etwas närrisch aus. Alle drei Köpfe sind vortrefflich gemalt und voll Karakter und Natur, den Namen des Meisters habe ich leider nicht erfahren. Die sowohl der Zahl, als dem Werte nach sehr bedeutende Sammlung des Herrn Kriegsraths Toussaint ist vor allen reich an Werken deutscher Maler aus der mittlern Zeit. Lukas Kranach zeigt sich hier in seiner ganzen Farbenglorie, besonders in Darstellung seines schönen Beckermädchens als Venus, neben ihr den von den Bienen verfolgten, jämmerlich weinenden Amor, der einen Honigreben in der Hand hält. Mehr als dieses zog mich ein sehr anmuthiges Gemälde von ihm an, welches Friedrich den Gütigen darstellt, wie er über eine Brücke reitet und ringsum von vielen Leuten begrüßt wird; auch ein heitres Liebesbild von Albrecht Dürer, das Porträt einer sehr schönen, reich geschmückten Frau. Das Hauptgemälde der ganzen Sammlung ist eines von Lukas von Leyden, welches aber, wie ich höre, einige Kenner einem andern Meister zuschreiben wollen. Eine Meisterhand malte es gewiß, denn es ist ein sehr vorzügliches Bild, und das genügt mir. Es stellt den Heiland vor, wie er einen todten Knaben erweckt; Ausdruck im Einzelnen und Gruppirung des Ganzen sind gleich lobenswerth. Im Vorgrunde kniet ein Mädchen in einem schönen grünen Gewande, das bei aller Verschiedenheit an die herrliche weibliche Figur in Rafaels Verklärung erinnert.

Die bis ins kleinste Detail ganz vortrefflich launig und natürlich ausgeführten Darstellungen einer Advokatenstube und der Werkstatt eines Schuhmachers, von einem unbekannten deutschen Meister, ergötzten mich sehr. Sie wissen, wie lieb solche Gemälde mir sind und wie ich mich ereifern kann, wenn vornehm thuende Kunstkenner nichts sehen wollen, als Madonnen und himmlische Heerschaaren. Das Gebiet der Kunst umfast die Welt, man sollte es so nicht beschränken.

Von Herrn Toussaint wanderten wir zu Herrn Barensfeld, einem angesehenen Weinhändler. Außer mehreren sehr guten Gemälden besitzt dieser auch noch viele andre Seltenheiten aller Art, mit großer Liebe gesammelt, besonders mechanische Kunstwerke, Uhren und dergleichen, unter denen für den Kenner und Liebhaber solcher Dinge manches recht merkwürdige Stück sich befindet. Die Liebhaberei solcher künstlichen Werke war die Freude unsrer Vorältern, jetzt erstirbt sie allmählich, mit ihr diese Kunst selbst, und es ist doch Schade darum, und gut, wenn hie und da sich jemand findet, der sie noch aufrecht erhält. Unter den Gemälden des Herrn Barensfeld befinden sich mehrere sehr schöne Landschaften, besonders vom Frankfurter Maler Schütz, den ich in Hanau zuerst kennen lernte. Er malte meistens wirkliche Gegenden, ohne Abänderung treu nach der Natur, aber geistreich und mit vorzüglichem Farbenton. Unter den übrigen Gemälden, die größtentheils aus der niederländischen Schule sind, bemerkte ich noch ein sehr gutes Nachtstück von Schalk in seiner bekannten Manier, und eine Frau, die ihr krankes Kind zu einem Quacksalber bringt, von Gerhard Douw, als vorzüglich.

Nun war ich aber auch zum Unfallen ermüdet und außer Stande, an diesem Vormittage mehr zu sehen. Hanau besitzt noch manche merkwürdige Kabinette, besonders im naturhistorischen Fach, denen ich aber vorüberging, weil ich beim Hinausgehen aus ähnlichen Sammlungen, deren ich unzählige sah, mich jedes Mal über meinen Mangel an Kenntniß in diesem Fache ärgern mußte, welches dennoch alles umfaßt, was uns zunächst umgiebt und zum eigentlichen Studium des Menschen von der Natur bestimmt ist. Morgen führt uns Frau Westermayer nach Emmerichshoff, dem Gute des bekannten Grafen Benzel-Sternau, um uns die Erlaubniß zu verschaffen, seine Gemäldesammlung zu sehen.

Nie hat mich etwas unerwarteter und freudigem überrascht, als diese Gemäldesammlung in Emmerichshoff, und sie ist mein Ideal, wie ich mir zu besitzen wünsche. Ein einfach geschmückter, aber recht zweckmäßig eingerichteter Saal vereinigt hier vielleicht nur fünf und zwanzig bis dreißig Gemälde, fast alle aus den italienischen Schulen, aber kein einziges ist darunter, an dem man nicht so recht seine innige Freude haben könnte. Obgleich alle an ihrem Standpunkt recht gut beleuchtet werden, so lassen die gastfreien Besitzer sie dennoch einzeln herunter nehmen und auf Staffeleien stellen, wo man sie dann im vorteilhaftesten Licht, von allen abgesondert, bequem betrachten und sich daran ergötzen kann. Wie sehr der Genuß dadurch erhöht wird, läßt sich nicht beschreiben.

Von allen andern nenne ich Ihnen ein Gemälde von Rafael, wahrscheinlich der erste Entwurf seiner berühmten Jardinière, denn mit wenig Abweichungen ist es ganz das nämliche Bild, wie ich es in Paris sah. Einige Nebensachen sind abgeändert; bei näherer Betrachtung entdeckt man Spuren zweier angegebener und wieder ausgelöschter Köpfe. Sonst findet man, wie dort so hier, die selbe Gruppirung, dieselbe hohe Einfalt der ganzen Anordnung, und den unaussprechlichen Liebreiz in der jugendlichen Gestalt der jungfräulichen Mutter und ihres göttlichen Kindes. Auf der das Gewand der Madonna verzierenden Stickerei läßt sich der Name Rafael Sanzio da Urbino entziffern, und alles deutet an, daß der hohe Meister hier zuerst versuchte, die ihm vorschwebenden himmlischen Gestalten auf der Leinwand fest zu halten.

Ein köstliches Bild von Leonardo da Vinci verdient neben diese Madonna gestellt zu werden. Obgleich der Gegenstand desselben an sich einer der widerwärtigsten ist, so wußte der Meister ihn dennoch mit unaussprechlicher Anmuth zu schmücken. Es stellt die Herodias mit dem Haupte des Johannes vor. Im köstlichsten Schmucke steht die eitle Schöne da, jugendlich leichtsinnig weiß sie kaum, was sie mit weggewendetem Blick in den Händen trägt; ihre ganze Seele ist schon bei dem festlichen Tanz und dem sie erwarteten Triumpf der allgemeinen Bewunderung ihrer Grazie und Schönheit.

In diese Gemälde reihen sich ein sehr heitres Bild von Andrea del Sarto, Elisabeth und Maria mit ihren beiden halb erwachsenen Knaben, und eine heilige Familie von Sasso ferrato; letzteres ist nicht ganz vollendet, aber von unbeschreiblich rührendem Ausdruck, besonders in der Gewalt des heiligen Joseph. Doch ich müßte Ihnen die ganze Sammlung, Stück vor Stück, wenigstens nennen, besonders alle die Madonnen, aus denen sie zum größten Teil besteht, um Ihnen nur einen kleinen Begriff von all dem Herrlichen zu geben, was dieser beschränkte Raum umfaßt. Nur einer schönen, höchst anmuthigen Frau in einem prächtigen rothen Sammtkleide von Holbein will ich noch erwähnen, die unter allen diesen Italienern gar nicht fremdartig dasteht.

Für mich hat diese Sammlung noch den besondern großen Vorzug, daß in ihr kein einziger widerwärtiger Gegenstand das Gefühl empört, indem er zur Bewunderung hinreißt. Von allen Märtyrergeschichten, allen bethlehemitischen Kindermorden, allen Geißelungen muß ich immer schaudernd wegblicken und kann mich nicht daran erfreuen, waren sie auch das Höchste, was je die Kunst erschuf; mein inneres Gefühl sagt mir, daß sie sich entweiht, indem sie solche Gegenstände darstellt, sie, die Hohe, uns zum Trost, nicht zur Qual, Gegebene. Hier fand ich kein einziges solches Gemälde. Nennen Sie mir nicht die Herodias; der hohe Meister wußte mit der ihm so ganz eignen Anmuth allen Widerwillen zu bannen, den sie sonst wohl einflößen könnte, und im brechenden Blick einer hier auch befindlichen sterbenden Lukrezia von Guido Reni strahlt schon der Wiederschein einer bessern Welt, indem der erstarrenden Hand der Dolch entsinkt, mit dem sie selbst dem Tode sich weihte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer