Beginn der Reise in Weimar

Den 8ten Juli 1816.

Endlich hat der Sturm ausgetobt, der jahrelang die halbe Welt verwüstete, der jede Aussicht in die Zukunft so verdunkelte, daß fast niemand Muth behielt, nur den Gedanken eines Plans für die nächsten Tage zu wagen. Die Zeiten sind vorüber, wo wir in unseren Häusern jede Stunde bereit seyn mußten, übermüthige Feinde als Gebieter zu empfangen und zu bewirthen. Auch die großen lebensreiche Tage des ersten Gefühls wieder errungener Selbständigkeit sind an uns vorüber gegangen, in denen wir oft, vor unserem eigenen Glück erschreckend, uns fragten, ob alles das Glorreiche, was wir erlebten, wirklich oder ein schöner Traum sey. Die gern geübte Pflicht, unsere Befreier in unseren Häusern gastlich zu empfangen, wird nicht mehr von uns gefordert; sie zogen vorüber, der lieben Heimath zu, und wir ruhen uns aus von Freude und Leid.


Sie, lieber Freund! wissen am besten, mit welcher Gewißheit ich immer auf diese Tage der Ruhe hoffte, wie ich beinahe eigensinnig den Glauben an sie fest hielt und in den trübsten Zeiten, die wir erlebten, nie Ihren und meiner übrigen Freunde trostlosen Gegengründen weichen wollte; obgleich ich Ihren politischen Einsichten nichts entgegenzustellen hatte, als mein inneres Gefühl, und die feste Ueberzeugung, daß alles Irdische sinken muß, wenn es den höchsten Gipfel erreicht hat, und der Uebermut das Rad des Glücks nur in schnellern Umschwung bringt, durch den er seinen eignen Fall beschleunigt.

So wie man kranken Kindern von künftigen Lustfahrten vorerzählt, so beschwichtigte ich mich oft selbst in bösen Stunden mit Plänen zu einer Reise an den Rhein, sobald dieser wieder zwischen deutschen Ufern frei hinströmen würde. Die Spötter, zu denen Sie auch gehörten, lachten mich damit aus und hatten in ihrer Art nicht Unrecht, aber mein Glaube hat nun doch am Ende zu Aller Glück gesiegt, und Sie, zur Strafe für Ihren Unglauben, müssen es sich gefallen lassen, schwarz auf weiß nur zu lesen, was mich in der schönsten Wirklichkeit erfreut.

Freilich hatte es diesen Frühling den Anschein, als habe sich die Natur gegen meinen Reiseplan verschworen. Unaufhörlich strömender Regen machte die Straßen unwegsam, die Flüsse traten aus ihren Betten, und große Ueberschwemmungen drohten überall dem Reisenden Gefahr. Ich harrte indeß, geduldig hoffend, in Weimar aus, bis mit den ersten Tagen des Juli auch dieser Sturm ausgetobt zu haben schien und ich vernünftiger Weise den Weg antreten konnte. Dieser war weit weniger böse, als ich erwartet hatte, selbst die letzte Meile vor Erfurt legten wir glücklich zurück, ohne umzuwerfen. Dennoch hatten in diesen Gegenden Ueberschwemmungen gar arg gewütet; ein Postillion erzählte uns, daß man erst vor wenigen Tagen die letzten Schweine von den Weidenbäumen herunter geholt hatte, auf welchen die lieben Thiere, vom Wasser gehoben, gelandet waren, um dort das Sinken desselben und ihre Rettung mehrere Tage lang mit großem Geschrei als zuwarten. Der Anblick eines solche Früchte tragenden Baums muß einzig gewesen sein ? leider erblickten wir keinen mehr.

Rastlos eilten wir durch die uns wohlbekannten Städte, Erfurt, Gotha und Eisenach hindurch, um mit Aufgang der Sonne den uns als höchst gefährlich beschriebenen Weg von Eisenach bis Vach anzutreten. Eines der romantisch-schönsten, schattigsten Thäler des Thüringerwaldes empfing uns dicht hinter Eisenach; die Sonne funkelte so hell vom reinen blauen Himmel, wie wir es in diesem Jahr noch nicht gesehen hatten; fröhliches Leben durchsummte den glänzend-grünen Wald. Nirgends war eine Spur von Gefahr zu erblicken, und meine Reisegefährtin sang mit all den tausend Vögeln lustig um die Wette, die emsig hin und her flogen und ihren kleinen Haushalt beschickten, bis wir den beträchtlich hohen Berg erreichten, dessen Namen das Andenken der frommen Landgräfin von Thüringen, der heiligen Elisabeth, zurückruft. Sicher und bequem führte uns eine breite eben vollendete Chaussee hinauf, im Schatten von Buchen und Eichen, die vielleicht damals schon keimten, als die Heilige in diesen Gegenden wie ein tröstender Engel waltete. Die alte Wartburg begrüßten wir mehrere Male auf diesem Wege, sie leuchtete von ihren Felsen zu uns herüber durch die Oeffnungen des dichten Laubgewölbes, das uns umgab; ein Wald-Thal trennte uns von ihr, die Wipfel der darin wurzelnden mächtigen Bäume säuselten tief unter uns, bewegt vom milden Hauch des Himmeln und verbargen uns freundlich den steilen Abgrund an dessen Rand wir sicher fuhren. Suchen Sie diesen Punkt zwischen Eisenach und Berka an der Werra auf, so bald Sie können, es ist einer der schönsten dieser an mannigfaltiger Schönheit so reichen Gegend.

Ohne allen Unfall erreichten wir Vach, obgleich in dieser niedrigen Gegend die Wasser fürchterlich gehaust haben und Wiesen und Gärten noch überschwemmt dastehen. Jetzt hatten wir den Thüringerwald im Rücken, diese Scheidewand zwischen Weimar und dem südlichen Deutschland. Der Unterschied des Klimas ward uns hier schon bemerkbar, und immer bemerkbarer mit jedem Schritt. Wärmere Lüfte umwehten uns, und überall bot man uns reife Erdbeeren von seltner Größe, wahrend sie in Weimar kaum zu röthen begannen. Freundlich und schnell wurden wir an den Posthäusern in der nämlichen Viertelstunde weiter gefördert, in der wir anlangten, und so erreichten wir Fulda noch früh genug, um uns beim Licht des Tages ein paar Stunden darin umzusehen.

Die heitre reinliche Stadt gefiel uns gar wohl, es herrscht eine behagliche Ruhe in ihr, die Einwohner haben alle ein wohlthätiges und freundliches Ansehen, und alles erinnerte uns daran, daß dieser Ort lange vom Krumstabe beherrscht ward, unter dem es sich, dem alten Sprichwort zu Folge, so gut wohnen ließ. Einige Straßen sind enge und altväterisch gebaut, aber der Schloßplatz mit der berühmten schönen Domkirche und dem großen, wirklich fürstlichen Schloß könnte eine Zierde der noch so bedeutenden Stadt sein, und macht einen wirklich imposanten Effekt. Wir irrten noch ein wenig in dem zu einem deutlichen Spaziergang benutzten recht hübschen Schloßgarten umher und begaben uns darauf zur Ruhe in dem Gasthof zum Stern, einem der besten und billigsten in Deutschland.

Am andern frühen Morgen ergötzten wir uns noch an der von der Fulda durchströmten höchst lieblichen Umgegend der Stadt und eilten dann weiter, durch ein fruchtbares, mitunter malerisch-schönes Land. Die um Weimar höchst seltnen hohen Wallnußbäume, unter deren Schatten die Kunststraße hinläuft, verkündeten uns schon die Nähe des Rheins, der mit ihren Früchten um Weihnachten die ganze Kinderwelt in Sachsen und weiter hin beglückt, wie sie schön vergoldet zwischen den Lichtern der Christbäume funkeln. Bei Gelnhausen an den Ufern der Rinz gewinnt die Gegend einen eignen ernsten Charakter, und die uralte Stadt selbst hat ein wundersames, fast märchenhaftes Ansehen. Bewundernd schauten wir schon aus der Ferne die beiden Thürme der sehr alten auf einer Anhöhe erbauten Kirche, von denen der eine in merklich schiefer Richtung sich gegen den andern neigt, ob unter der bleiernen Hand der Zeit, oder weil der Baumeister ein Kunststück wie das bei Erbauung des Thurms von Pisa machen wollte weiß ich nichts. Doch schien letzteres mir wahrscheinlich. Leider regnete es bei unserer Ankunft wieder so, daß wir den Wagen nicht verlassen konnten. Wir mußten uns mit dem begnügen, was wir beim Durchfahren von den Trümmern alter Herrlichkeit erblicken konnten, So sahen wir nur von weitem die Ruinen eines vormals prächtigen, im neugriechischen Stil erbauten Klosters, und die eines ungeheuren Pallastes aus der Zeit Friedrichs des Rotbarts. Uralte Mauern, mit Efeu bedeckte graue Thürme, zwischen denen die neuen Häuser wunderlich dastehen, gaben dem ganzen Ort ein düsteres räthselhaftes Ansehen, und die alte Sage, daß die Liebe des Kaisers zu dem wunderschönen Fräulein Gela ihm Namen und Entstehen gab, versetzte uns vollends ins wilde romantische Land, in welchem sich die Fantasie so gern ergeht. Gegen Abend ereichten wir Hanau noch bei ziemlich guter Zeit.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer