Der falsche Demetrius.

Es gibt Geschichtschreiber, welche die Gräueltaten Iwans IV. damit zu rechtfertigen suchen, dass sie ihnen die Unordnungen und Unfälle entgegenhalten, welche nach dem Tode dieses Tyrannen über Russland hereinbrachen. „Sehet!“ sprechen sie, „kaum ist der strenge Herr todt, kaum auf den harten Fürsten ein mildgesinnter gefolgt, so geht auch alles im Staate drunter und drüber. Ein frecher Günstling maßt sich die Regierung an, er lässt den letzten Spross der Ruriks morden, er schwingt sich endlich selbst auf den Thron, den er zu behaupten doch nicht das Zeug hat. Empörung folgt auf Empörung, auch die Fremden greifen zu, Moskau selber gerät in die Gewalt des Polen. So stürzt das Reich in einen Abgrund von Unglück und Schande, und die Nation möchte mit ihren Seufzern den Herrscher aus seinem Grabe wieder erwecken, der einst ihr Schrecken war.“ Dies die Philosophie gewisser russischer Hofhistoriographen.

Die Geschichte ist eben ein Arsenal, in welchem ein jeder Zutritt hat; der Narr findet hier so gut einen Säbel, wie der Weise. Aber gegen die ewigen Wahrheiten, welche in die Herzen der Menschen geschrieben sind, bleiben alle Waffen stumpf und alle Fechterkünste machtlos. Es wird nie gelingen, von Iwans Namen auch nur ein Atom der Schande zu nehmen, die auf ihm lastet.


Freilich, nach Iwan IV. kam bald die Anarchie; allein dass sie kam und dass sie so viel Elend mit sich führte, davon trug gerade die Missregierung jenes Zaren einen großen Teil der Schuld. Er hatte überall im Lande gegen die alten großen grundbesitzenden Geschlechter gewütet und ihrer viele mit Stumpf und Stiel ausgerottet; was Wunder, dass der ländlichen Bevölkerung nun der gewohnte Halt fehlte? Die angestammte Herrschaft war dahin, die neue noch nicht eingewurzelt; der Umsturz hatte viele missvergnügt, alle aber unruhig und unsicher gemacht. Ein Volk in solcher Stimmung verirrt sich leicht.

Das Unglück wollte, dass Iwan IV. einen Sohn hinterließ, dessen leibliche und geistige Schwäche beinahe bis zum Blödsinn ging; dem König Storch in der Fabel von den Fröschen war hier der König Klotz gefolgt. Ein kleiner, aufgedunsener, bleicher Mann, träge und schwankend, wenn er ging, schwerköpfig und stumpf, wenn er saß — so sah Zar Feodor I. aus. 42) Leidenschaften hatte er nicht; er tat weder Gutes noch Böses; seine ganze Zeit teilte er zwischen Schlafen und Beten. Die Regierung überließ er seinem Schwager, dem Bojaren Boris Godunow.

Dieser glückliche Emporkömmling, der Sohn eines tatarischen Hauses, hat gegen die Ruriks eine Rolle gespielt, ungefähr wie einst die fränkischen Hausmaier gegen die entarteten Merovinger. Er herrschte an Stelle des Zaren, er beseitigte dessen Erben und nachdem der Thron erledigt war, ließ er sich durch den Mund der Kirche als den Erwählten des Himmels bezeichnen.

Den Preis für diesen Beistand hatte Godunow bei Zeiten gezahlt: es war die Stiftung des russischen Patriarchats. Die griechische Kirche im Auslande, unter dem Joche der Ungläubigen schmachtend und des russischen Schutzes und Geldes bedürftig, ließ nicht ungern ihre höchste geistliche Würde dorthin übergehen, wo die Gemeinde der Rechtgläubigen frei und mächtig war. Im Jahre 1588 erschien der Patriarch von Konstantinopel, Jeremias, in Moskau und erklärte sich bereit, den Primat der gesammten Kirche nach Russland zu verlegen und ihn demjenigen Bischof abzutreten, welchen der Zar ernennen würde. Godunow lenkte Feodors Wahl auf den Metropoliten von Moskau, Hiob, einen charakterlosen Menschen, von dem er sich bei seinen Unternehmungen jeden Vorschub versprechen durfte. 43)

Am 23. Januar 1589 geschah die Einweihung des neuen Oberhirten; sie wurde mit größter Pracht in der Kirche zur Himmelfahrt Maria vorgenommen; der Zar, der Hof, alle hohen Beamten waren zugegen. Vor dem Altar stand in vollem Ornate und in der einen Hand eine brennende Kerze, in der andern ein Dankschreiben an den Zaren und die Geistlichkeit haltend, der ernannte Oberbischof. Ein Minister trat auf ihn zu, in der Hand ebenfalls eine brennende Kerze, und sprach mit feierlich erhobener Stimme: „der rechtgläubige Zar, der allgemeine Weltpatriarch und die geheiligte Kirchenversammlung erheben dich auf den bischöflichen Stuhl von Wladimir, Moskau und ganz Russland.“ Hiob antwortete: „Ich bin ein sündiger Knecht; aber wenn der Selbstherrscher, der allgemeine Weltherr Jeremias und die heilige Kirchenversammlung mich dieses hohen Amtes würdigen, so empfange ich es mit Danksagung.“ Drei Tage darauf verrichtete der neue Patriarch von Moskau, die Mitra mit dem Kreuze und die Krone auf dem Haupte, zugleich mit dem byzantinischen Patriarchen in der Kirche den heiligen Dienst, und nachdem die Liturgie beendet war, hielt ihm der Zar die Begrüssungsrede; er gebot ihm darin, sich hinfort ,,Von Gottes Gnaden und durch den Willen des Zaren Haupt der Bischöfe, Vater der Väter und Patriarch aller nördlichen Länder“ zu nennen. Zum Schluss der Feierlichkeit hielt Hiob zu Esel einen Umritt um den Kreml, dessen Mauern er dabei mit Weihwasser besprengte und mit dem Kreuze bezeichnete.

Durch eine Verfassungsurkunde wurde dann die neue Würde gesetzlich bestätigt, und durch einen Ukas allen Völkern kund getan: „da das alte Rom in das Verderben der Ketzerei geraten, das neue Rom aber, Konstantinopel, in den Händen der gottlosen Mohamedaner sich befinde, so sei nun Moskau das dritte und rechte Rom, und anstatt des von dem Geiste der Afterweisheit verfinsterten Lügenfürsten der abendländischen Kirche, der von seinen Brüdern, den Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, abgefallen, trete jetzt in deren Reihe als allgemeiner Weltbischof der Patriarch von Moskau und ganz Russland ein.“

Nachdem Boris Godunow das Haupt der Geistlichkeit für sich gewonnen, glaubte er ungescheut auch das Verbrechen in seinen Dienst nehmen zu dürfen. Feodor war kinderlos, aber nicht ohne einen Erben; er hatte noch einen Bruder, den jungen Dimitri, Sohn Iwan's IV. von dessen sechster Frau Maria. Diese Zariza lebte mit ihrem Kinde in dem Städtchen Uglitsch, der gewöhnlichen Residenz missliebiger, aber nicht mit offener Ungnade belegter Fürstlichkeiten. Maria wachte über ihren Knaben mit Mutterangst; denn sie wusste, dass ihm insgeheim nachgestellt werde. Da griff Godunow zu offener Gewalt; der Streich sollte fallen, und wäre es am hellen Tage. Die Werkzeuge fand der reiche und mächtige Mann leicht. Ein Beamter in Uglitsch, Michael Bitjägowski, dessen Sohn Daniel und sein Vetter Nikita Katschalow veranstalteten ein Komplot, in welches sie die Wärterin des Zarewitsch, Wolochowa, und deren Sohn Joseph hineinzogen. Am 15. Mai 1591 Nachmittags geschah die Tat. Die Zarin hatte sich, um Mittagsruhe zu halten, in ihr Gemach zurückgezogen. Sie schläft; der kleine Dimitri, ein Knabe von acht Jahren, sitzt neben ihr und spielt. Da öffnet sich leise die Thür, die ungetreue Wärterin blickt hinein und winkt ihm zu: „Komm mit! wir wollen auf den Hof spazieren gehn!“ Er geht vergnügt hinaus. „Da ist ja Joseph!“ ruft er draussen mit fröhlicher Stimme und reicht dem jungen Manne die Hand, während Wolochowa sich wegschleicht. Joseph fasst das Kind am Halse: „Herr! du hast ja ein neues Halsband um!“ „Nein! ein altes!“ antwortet das Kind und entblößt sich die Kehle. In demselben Augenblicke stößt jener mit dem Messer nach ihm, doch trifft der Stich nur leicht. Aber schon springen auch Daniel Bitjägowski und Nikita aus ihrem Hinterhalt hervor auf den Prinzen und töten ihn vollends. Das Opfer fällt lautlos, aber der Himmel selber spricht. Von der nahen Kathedrale läutet's Sturm, und alle Glocken in der Stadt hallen nach. Der Glöckner hatte die Tat gesehen, er ruft die Bürger dem Zarewitsch zu Hilfe. In wenigen Minuten ist der Hof umzingelt. Da sieht man den Prinzen in seinem Blute liegen, und über ihn gebeugt die jammernde Mutter. Man fragt, man hört die Namen der Mörder, man sucht. Sie werden ergriffen und zu Tode gesteinigt. Den Leichnam Dimitri's stellen die Bürger in einem Sarge in der Kathedralkirche aus; dann senden sie einen Eilboten mit dem Bericht über das Ereigniss an den Zaren nach Moskau.

Aber dort war längst allen Torwachen befohlen, jeden Eilboten zuerst vor Boris Godunow zu führen. Er nimmt die Depesche aus Uglitsch an sich, verbrennt sie und lässt statt ihrer einen andern Bericht schreiben des Inhalts: „Der Prinz litt an der fallenden Sucht, in einem solchen Anfall hat er sich, da die Zarin gerade nicht auf ihn Acht gab, die Kehle abgeschnitten.“ Dies verkündigt er dem Zaren und dem ganzen russischen Reiche als die Depesche von Uglitsch. Aber er will auch, dass jedermann von der Wahrheit dieser Botschaft überzeugt werde. Er schickt daher den Knäsen Wassilji Schuiski und einige andere seiner Gesellen, auf deren blinden Gehorsam, auf deren gewissenlose Dienstfertigkeit er sich verlassen kann, als Untersuchungs-Kommission nach Uglitsch. Diese halten mit der Zarin und deren Hausgenossen, mit der Geistlichkeit, mit allen Einwohnern der Stadt Verhör auf Verhör ab; allein niemand findet sich, der etwas anderes als die Wahrheit sagen mag. Die Uglitscher sind empört über den Frevel, den man in ihrer Mitte gewagt, den man an ihrem geliebten kleinen Prinzen verübt hat. Sie bezeugen, Männer und Weiber, Alt und Jung, einstimmig: „Der Zarewitsch ist von seinen Knechten Michael Bitjägowski und Genossen auf Befehl Boris Godunows ermordet worden.“ Doch Schuiski lässt sich dadurch nicht beirren, er diktirt die Aussagen in entsprechender Abänderung zu Protokoll, und so bringt die Kommission ein Aktenstück zu Stande, wie es Godunow haben will. Darauf erfolgt dann von Moskau das Erkenntniss: Die Zarin -Witwe wird zur Strafe ihrer Unachtsamkeit als Nonne eingekleidet und in das wüste Nikolauskloster jenseit Beelosero verbannt; die Einwohner von Uglitsch aber werden, weil sie durch Ermordung des Bitjägowski und seiner Angehörigen unschuldig Blut vergossen, auch sich öffentlich in verleumderischen Reden wider Boris Godunow vergangen haben, mit dem Tode bestraft, welches Urtheil indess auf Godunows Fürbitte der Zar dahin mildert, dass nur die Rädelsführer das Leben verlieren, die weniger Gravirten nach Sibirien geschickt werden sollen.

Damit ist nun, wie Godunow meint, die Sache abgetan. Allein die Moskauer murren gegen sein Verfahren, und er legt doch gerade auf ihre Gunst so viel Wert. Da verfällt er auf ein energisches Mittel, sie auf andere Gedanken zu bringen. Am Abend vor Pfingsten bricht plötzlich in der Stadt ein Feuer aus, es verbreitet sich mit entsetzlicher Schnelligkeit von Gasse zu Gasse, denn die Häuser sind ja fast alle von Holz. So kommen mit einem Male viele Tausende von Familien um ihre ganze Habe und liegen obdachlos und bettelnd auf den Strassen. Nun zeigt sich Boris Godunow als Moskau's rettenden Engel. Er öffnet seine Schatzkammern, die ihm der Zar gefüllt hat; er opfert sein ungeheures Vermögen, um ganze Stadtteile wieder aufzubauen und die Rubel mit vollen Händen unter die Verarmten auszustreuen. Seitdem sind die Moskauer seine eifrigen Lobredner.

Auch um die Angelegenheiten des Reiches machte er sich verdient; man sah, er war ein tätiger und kluger Regent. Und so schien es denn ganz in der Ordnung, dass man ihn, als Feodor im Jahre 1598 starb, zu dessen Nachfolger erwählte, zumal da seine Schwester, die fromme Zarin Irene, ihm gern den Thron überließ und in ein Kloster ging. Auch war der Reichstag, den er bei dem Erlöschen der Dynastie nach Moskau berufen — eine zahlreiche Versammlung von Knäsen, Bojaren, Geistlichen, Beamten und Provinzialdeputirten — ganz einstimmig in der Wahl. Doch glaubte Boris, selbst unter diesen Umständen noch eine Komödie aufführen zu müssen. Er lehnte die Krone ab; er habe einmal sich fest verschworen, er wolle niemals Zar sein. Klerus, Adel und Volk lagen in der Kirche auf den Knieen und flehten zu Gott, dass er den starren Sinn des Reichsverwesers erweiche; zwei Tage lang dauerte das Beten, aber Boris blieb hart wie ein Felsen. Da fasste der Patriarch Hiob mit allen Erzbischöfen und Bischöfen den Beschluss: „Wenn sich unser Herrscher Boris über uns erbarmt, so entbinden wir ihn seines Schwures, nicht Zar von Russland sein zu wollen; erbarmt er sich nicht, so tun wir ihn in den Kirchenbann, verlassen die wundertätigen Heiligenbilder, untersagen Gottesdienst und Gesang in den heiligen Tempeln und geben das Volk der Verzweiflung, das Reich aber dem Verderben preis, und der Urheber des Elends mag es am Tage des jüngsten Gerichts vor Gott verantworten!“ Hierauf stellte sich Hiob an die Spitze einer großen Prozession; voran ward das wladimirsche Bild der Mutter Gottes getragen; hinter dem Klerus folgten der Bojarenrath, der Hof, die Soldaten, Beamten und die städtischen Abgeordneten, zuletzt die Einwohner von Moskau — dieser ungeheure Zug marschirte nach dem Nowodewitschikloster, in welchem sich der Unerbittliche befand. Hier angelangt ließ der Patriarch die Heiligenbilder und Kreuze in die Zellen tragen und sprach zu Boris: „Siehe! du harter Mann! diesen Zug hat die Mutter Gottes unternommen, auf dass du dich schämest und in dich gehest!“ Dann schlugen er und alle Bischöfe und Großen vor Boris die Stirn zur Erde, und zugleich fiel die ganze Menschenmasse in den Zellen, innerhalb der Ringmauern und außerhalb des Klosters mit entsetzlichem Jammergeschrei auf die Kniee: „Boris soll unser Zar sein! Boris unser Vater!“ Es war ein allgemeines Geheul und Weinen; wer aber keine Träne erzeugen konnte, der machte sich die Augen wenigstens mit Speichel nass. Da endlich ergab sich Boris in das Unabänderliche und rief mit zerknirschtem Herzen: „Herr! geheiliget sei dein Wille! leite mich auf der rechten Bahn und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte!“ „Amen! Amen!“ antwortete jubelnd die Versammlung.

Nachdem der neue Zar die gewöhnlichen Feierlichkeiten der Krönung und Huldigung hatte vornehmen lassen, wollte er der Nation noch in ganz besonderer Weise, was sie an ihm gewonnen, recht zum Verständnis bringen. Hiob musste ein neues Kirchengebet für den Zaren aufsetzen und bekannt machen, und Zar und Patriarch befahlen, es solle in ganz Russland in allen Häusern bei den Mittags- und Abendmahlzeiten gelesen werden. Demnach betete jetzt jeder rechtgläubige Russe täglich ein paar Mal „für Seelenheil und leibliches Wohlergehen des Großfürsten Boris, des Dieners Gottes, des von dem Höchsten erkorenen und erhobenen Zaren, des Selbstherrschers über das ganze östliche und nördliche Land; für die Zarin und ihre Kinder; für die Wohlfahrt und Ruhe des Vaterlandes und der Kirche unter dem Zepter des einzigen christlichen Herrschers in der Welt; auf dass alle übrigen Herrscher sich vor ihm beugen und als Sklaven ihm dienen, seinen Namen verherrlichend von Meeren zu Meeren und bis ans Ende des Weltalls; auf dass die Russen gerührten Herzens immerdar Gott preisen für einen solchen Monarchen, dessen Geist ein Abgrund der Weisheit, dessen Herz von Liebe und Langmut erfüllt ist; auf dass alle Länder vor dem Schwerte der Russen erzittern, das russische Land aber immer wachse und zunehme; auf dass die jungen blühenden Zweige des Hauses Boris emporschießen und durch den Segen des Himmels Russland ununterbrochen beschatten von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

Aber der Himmel erhörte diese Gebete keineswegs. Vielmehr tat er Zeichen und Wunder, welche das Volk mit Angst und Grauen erfüllten und jedermann überzeugten, Gott billige die Wahl nicht, welche die freigelassene Nation getroffen. Frühlingsregen, die zehn Wochen anhielten, Fröste mitten im Sommer, Misswachs aller Orten und in Folge davon drei Jahre lang, von 1601 bis 1604, die fürchterlichste Hungersnot, welche unermessliches Elend verbreitete und alle Bande der Gesellschaft lockerte — das waren die Strafgerichte des Himmels! Vergebens erschöpfte der Zar alle seine Kassen und Vorratshäuser; er gab täglich eine halbe Million Denga (14000 Thaler) hin, aber auf jeden, den er speiste, kamen hundert, welche verhungerten. Am entsetzlichsten wütete der Hunger in den Provinzen; die Großen entließen ihre Sklaven, weil sie dieselben nicht mehr ernähren konnten oder mochten; von den kleineren Wirtschaften gingen viele Tausende ganz ein, und das Land bedeckte sich mit Schwärmen von brot- und herrenlosen Bauern, welche sehr bald aus Bettlern Räuber wurden. Schien doch die Natur, die Erde selber sich zu empören und das Ende der Welt gekommen! Und mit Recht, denn auch die uralte Dynastie, die siebenhundert Jahre über Russland gewaltet und die heilige Kirche gestiftet, war ja zu Ende! Und auf ihrem Throne saß ihr Mörder! Wo ist Rettung vor dem Zorne des gerechten Gottes?

So seufzt und stöhnt das unglückliche Volk. Da, mitten in seine Verzweiflung trifft, wie ein Evangelium vom Himmel, die Kunde: „die alte Zarschaft ist nicht dahin, sie lebt noch, sie kommt wieder! Dimitri Iwans Sohn ist nicht tot, er hat sich vor seinen Feinden gerettet. Seht! er erscheint, um sein Volk zu erlösen und die Gnade des Himmels zurückzubringen!“ —

Es ist von Jesuitenköpfen manche feinere, manche glücklichere Schwindelei ersonnen worden; aber an Großartigkeit des Unternehmens überragt die Leistung des falschen Demetrius wohl alles andere, womit sich die Gesellschaft Jesu im Fache des politischen Humbugs versucht hat. Denn hier handelte es sich nicht um diesen oder jenen deutschen Kleinstaat, selbst nicht einmal um irgend einen abendländischen Königsthron; hier war eine ganze Menschheit in Roms Schafstall einzufangen: es galt Russland und damit die griechische Kirche zu erobern!

Der Ort, wo das Stück beginnt, ist der Hof des Fürsten Adam Wischnewetzki in dem volhynischen Städtchen Gaschtscha; die Zeit der Winter von 1603 zu 1604. Den Prolog spricht der Beichtvater des Fürsten, ein Jesuit. Er hält an seiner Hand einen jungen Menschen, welcher seit kurzem im Dienste des Fürsten steht. „Dieser Jüngling,“ so spricht der Pater zu den polnischen Herrschaften und Hofleuten, „dieser Jüngling hier das ist der totgeglaubte Dimitri, der Zarewitsch von Moskau! Ein treuer Arzt entzog ihn den Verrätern in Uglitsch, sie töteten statt seiner einen Knaben, der ihm sehr ähnlich war. Hier sind die Beweise!“ Er überreichte ein Dokument und ein mit Edelsteinen besetztes Kreuz.

Die folgende Scene spielt in Krakau bei dem päpstlichen Nuntius, Monsignore Rangoni. Sie ist geschäftlicher Art. Prinz Dimitri stellt eine Urkunde aus, worin er sich verpflichtet, zur katholischen Kirche überzutreten und auch seine Untertanen katholisch zu machen. Dagegen verspricht der Nuntius, in Polen, in Rom, in ganz Europa für Dimitri's Echtheit einzustehen.

Die beiden Alliirten begeben sich dann zum Könige. Sigismund ist ein Wasa, und er rühmt sich einer doppelten Krone, von Polen und von Schweden. Er ist daher sonst ein gar stolzer Herr; doch nachdem ihm der Nuntius in einer geheimen Unterredung den Stand der Dinge erklärt hat, da umarmt er den so wunderbar geretteten Prinzen und spricht gerührt: ,,Gott helfe Euch, Fürst Dimitri von Moskau! Wir erkennen in Euch den Sohn Iwans und bestimmen Euch zum Beweise Unserer Liebe jährlich die Summe von 40,000 Gulden. Als wahrem Freunde der Republik Polen steht es Euch frei, Euch der Hilfe Unserer Großen zu bedienen.“

Sigismund hat eigentlich mit dem Zaren Boris vor kurzem einen zwanzigjährigen Waffenstillstand abgeschlossen; aber er ist durch die Jesuiten belehrt worden, dass er nichtsdestoweniger seinen Vasallen sehr wohl befehlen dürfe, für Dimitri gegen Boris zu kämpfen; er selbst bleibe ja neutral.

Hierauf kehrt Dimitri in das Krakauer Jesuitenkollegium zurück und schwört daselbst in bester Form den griechischen Glauben ab und den römischen sich an. Er ist nämlich in der Tat ein Russe, freilich nicht ein Rurik, sondern nur ein ehemaliger Mönch Namens Jurii Otrepjew aus Galitsch in der Provinz Kostroma. Nachdem er also katholisch geworden, reist er, begleitet von zwei Jesuitenpatern, nach Galizien an den Hof des Magnaten Mnischek, auf dessen Gütern sich bereits der raubsüchtige polnische Adel zu dem Zuge nach Moskau sammelt.

Mnischek hat eine junge schöne Tochter, Marina. Er beschließt des künftigen Zaren Schwiegervater zu werden, und das ehrgeizige Fräulein billigt diesen Plan. Natürlich darf auch das polnische Reich, welches ja die Auslagen an Geld und Kriegern hergibt, nicht leer ausgehen. Allen diesen Ansprüchen wird Dimitri gerecht, indem er kontraktlich verheißt, Marina zu heiraten, ihr Nowgorod und Pskow, ihrem Vater Smolensk zu schenken und an Polen gewisse Grenzgebiete abzutreten. Die ganze Bande bricht dann, im Oktober 1604, über die Grenze in Russland ein.

Wie aus weiter Ferne von allen Seiten hurtig die Geier da sind, wenn irgendwo ein Aas fällt, so schoss jetzt auf die gewitterte Beute das gesammte Raubgesindel Osteuropas herbei; allen voran die wilden Grenzer am Dnepr und Don, die Kosaken. Zar Dimitri war ihre Losung, Plündern ihr Zweck. Dennoch jauchzte das russische Volk dem Betrüger überall, wo er erschien, wie seinem Heilande zu. Ein Knäs nach dem andern ging zu ihm über, und aus jeder Stadt, der er sich näherte, kamen ihm Abgeordnete mit Salz undBrot und reichen Geschenken entgegen, um ihm als Iwans Sohn zu huldigen. Es half nichts, dass Boris Bekanntmachungen erliess, in denen er aufs klarste darthat, der Prätendent sei der entlaufene Mönch Otrepjew und könne gar nicht Prinz Dimitri sein, weil dieser längst im Grabe ruhe. Unmöglich war's, drum eben glaubenswert! Auch die Gefahr, die man lief, an Dimitri's und seiner Raubscharen Seite gegen die geordneten Truppen Godunows zu kämpfen, schreckte den Russen nicht. Denn es werden ja alle diejenigen, welche auf Befehl des Zaren sterben, sogleich selig, wie Märtyrer, die für den wahren Glauben gestorben sind.44) Zuletzt schien gar ein Gottesurteil für Dimitri zu entscheiden; denn ein jäher Tod raffte im April 1605 seinen Gegner hin, und Moskau selber öffnete ihm die Thore.

Godunows Familie wurde von dem Sieger echt mongolisch behandelt; die Frau und den Sohn ließ er umbringen, die Tochter machte er zu seiner Konkubine.45) Am 20. Juni hielt er seinen Einzug in die Hauptstadt mit allem Pomp und Gepränge, den das schaulustige asiatische Volk liebt. Man übersah die sonst so anstößige ausländische Tracht seiner polnischen Kriegsleute; man freute sich des jungen Zaren, der auf einem wunderschönen Zelter ritt und dessen Kleider von unzähligen Perlen und Juwelen strahlten; allein den Halskragen an Dimitri's Rock schätzten die Kundigen auf 150.000 Dukaten. In allen Straßen und Gassen, die der Zar durchritt, fielen die Moskowiter vor ihm auf die Erde und riefen voll Entzücken: „Gott erhalte dich, Herr, gesund! Der dich bisher wunderbar erhalten, der bewahre dich ferner auf allen deinen Wegen! Ty prawo solnze! Du bist die rechte Sonne, die in Russland scheint!“

Am 29. Juni, dem Tage Petri und Pauli, fand in der Marienkirche seine feierliche Krönung statt. Dimitri hütete sich wohl, jetzt schon zu verraten, wie es mit seinem Bekenntnis stand; er verlangte alle die Zeremonien, unter denen man die Großfürsten gekrönt zu sehen gewohnt war. Es ging dabei folgendermaßen her:

Zuerst betritt der Patriarch von Moskau, an der Spitze der Klerisei, die Kirche. Hier ist eine mit Teppichen geschmückte Tribüne errichtet, zu welcher drei Stufen hinaufführen; oben stehen drei Stühle, belegt mit Goldstoff. Zwei dieser Stühle sind leer; auf dem einen wird der neue Großfürst Platz nehmen, vor den zweiten stellt sich der Patriarch. Auf dem dritten Stuhl liegt die Zarenmütze, neben ihr der Zarenrock, ein prachtvolles, kostbares Gewand, welches einst Großf?rst Dimitri Monomach im tatarischen Kriege zu Kaffa erbeutete und für ewige Zeiten zur Krönung der Großfürsten verordnete. Auf dieser Tribüne und am Fuße derselben gruppiert sich je nach ihrem Range die hohe Prälatenschaft; den Hintergrund der Kirche erfüllt die übrige Geistlichkeit.

Jetzt erscheint der Zar mit den Bojaren am Eingang, und ein grüßender Hymnus schallt ihm entgegen. Der Gesang hört auf, nachdem der Zar und die vornehmsten Würdenträger oben auf der Tribüne angelangt sind. Nun erhebt der Patriarch sein Messbuch und liest ein Gebet vor, in welchem er Gott, Sankt Nikolaus und die andern Schutzheiligen anruft, dass sie dieser Krönung wollen beiwohnen. Hierauf treten der oberste Reichsrath und der Zar einen Schritt näher, und jener tut in einer kurzen Anrede dem Patriarchen den Wunsch der Nation kund, dass er diesen Fürsten, den sie zu ihrem Herrn angenommen, einsegnen und krönen möge. „Es geschehe also!“ antwortet der Patriarch, nimmt den Zaren bei der Hand, setzt ihn auf den Zarenstuhl und hält ihm ein Kruzifix segnend an die Stirn. Dann winkt er einem der Metropoliten, und dieser liest das Einsegnungsgebet her: ,,Herr unser Gott! König über alle Könige! Der du einst durch deinen Propheten Samuel deinen Knecht David erwählet und zu einem Könige über dein Volk Israel gesalbet hast; erhöre jetzt unser Gebet, das wir Unwürdige vor dich bringen, und siehe aus der heiligen Höhe nieder auf diesen deinen getreuen Knecht, der hier auf dem Stuhle sitzet, und den du erhöhet hast zu einem Könige über dein Volk. Salbe ihn mit dem Oel der Freude! schütze ihn mit deiner Kraft! setze auf sein Haupt eine Krone geschmückt mit Edelsteinen! verleihe ihm langes Leben und gib ihm in die Hand einen königlichen Zepter! setze ihn auf den Stuhl der Gerechtigkeit und mache ihm alle Völker der Barbaren untertan! Lass sein Herz und Sinn allezeit beständig sein in deiner Furcht, dass er sein Lebenlang deinen Geboten gehorche! Lass alle Ketzereien und Irrtümer fern von ihm sein! Unterrichte ihn, dass er schütze und erhalte alles, was die heilige griechische Kirche befiehlt und haben will! Richte dein Volk mit deiner Gerechtigkeit und erzeige den Armen Gnade, auf dass sie mögen zum ewigen Leben gelangen!“

„Dein ist das Reich!“ fällt nun der Patriarch mit heller Stimme ein. „Die Macht ist dein und die Herrlichkeit! und sei mit dir Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist!“

Hierauf nehmen zwei Bischöfe die Zarenmütze und den Zarenrock vom Stuhle, ein Bojar legt dem Zaren den Rock an, und der Patriarch spricht dazu wieder seinen Segen. Dann lässt sich dieser die Zarenmütze reichen, übergibt sie zweien Bojaren mit dem Befehl, sie dem Zaren aufzusetzen und segnet zum dritten Male: „Im Namen Gottes des Vaters, Gottes des Sohnes und Gottes des heiligen Geistes!“ Endlich ruft er noch alle andern Geistlichen, soviele ihrer in der Kirche sind, auf, dass sie herzutreten und den Großfürsten mit der Hand segnen. Nachdem dies geschehen ist, setzen sich der Patriarch und der Zar auf ihre Stühle, und die Priester stimmen die Litanei an: ,,Gospodi pomilui! Herr erbarme dich unser!“, in welcher der Name des Großfürsten immer wiederkehrt. Dann geht ein Metropolit zum Altar und spricht: „Gott erhalte unsern Zaren und Großfürsten über alle Reussen, welchen Gott liebt und uns gegeben hat, bei guter Gesundheit und langem Leben!“ Diesen Wunsch wiederholen Alle, Popen und Laien, und alles Volk in und außer der Kirche mit großem Jubelgeschrei. Darauf drängen sich alle heran, um vor dem Zaren die Stirn auf die Erde zu schlagen und ihm die Hände zu küssen. Zum Schluss ermahnt ihn der Patriarch: „Dieweil er nun nach Gottes Vorsehung von des Reichs weltlichen und geistlichen Ständen zum Großfürsten über alle Reussen verordnet und gekrönt, und ihm die wichtige Regierung anvertrauet worden, dass er dabei wolle Gott lieben, nach seinen Gesetzen wandeln und nach denselbigen die Gerechtigkeit handhaben und die wahre griechische Religion schützen und fortpflanzen helfen!“

Abermals gesegnet, verlässt jetzt der Zar diese Kirche und begibt sich, während seine Diener Geld unter das Volk ausstreuen, in die Kirche des Erzengels Michael. Von da geht der Zug in die Kirche des heiligen Nikolaus, und dann erst ist die religiöse Feierlichkeit zu Ende, und das Krönungsmahl im Kreml kann anfangen. —

So saß denn der arme Bojarensohn aus Galitsch, der verlaufene Mönch auf dem uralten erhabenen Thron der Ruriks. Kaum zwei Jahre war es her, da diente er noch als Lakai bei einem polnischen Edelmann; jetzt lag ein halber Erdteil zu seinen Füßen. Er selbst und was ihm näher ging, so mancher unter seinen katholischen Helfershelfern wusste: dies ist der Vagabund Jurii Otrepjew. Aber die Welt bekannte ihn als Dimitri Iwanowitsch, grüßte ihn willig mit dem Titel, der in seiner ganzen Länge jedem Russenherzen so teuer war, als „den großen Herrn Zaren und Großfürsten, des ganzen Reussenlandes Selbstherrscher zu Moskau, Wladimir, Nowgorod, Zaren zu Astrachan, Kasan, Sibirien, Herrn zu Pleskow und Großfürsten zu Twer, Jugoria, Perm, Wiatka, Bolgaria u. s. w. Herrn und Großfürsten zu Nowgorod im Niederland, zu Tschernigow, Rjäsan, Rostow, Jaroslaw, Beelosero, Udoria, Obdoria, Kondinia, und der ganzen Nordseite Gebieter, auch Herrn des Iberischen Landes, der Grusinschen Zaren und des Kabardinschen Landes, der Tscherkessen und Gorischen Fürsten und vieler anderen östlichen, westlichen und nördlichen Herrschaften und Länder, Otzitschen Deditschen (von vielen Ahnen her) Erben, Herrn und Herrscher.“

Um etwa noch Zweifelnde von seiner Echtheit zu überzeugen, ließ Otrepjew seine vorgebliche Mutter, die Zarin Maria, unter großen Ehren nach Moskau kommen. Sie war es gern zufrieden, ihr trauriges Exil mit dem Kreml zu vertauschen und als Mutter des regierenden Großfürsten zu gelten. Die große Liebe, welche die beiden einander bezeigten, war denn auch in der Tat für viele Zuschauer ein Beweis, dass sie Iwans Sohn vor sich hatten. Die Ausländer und alle, die von der neuen Regierung Vorteil zogen, bedurften solcher Zeugnisse nicht einmal. Einige Deutsche im Solde des Zaren hatten noch Skrupel, sie befragten insgeheim den Minister Basmanow: „Nun es ist wahr, Dimitri ist nicht Iwans Sohn,“ antwortete Basmanow. „Aber was wollt ihr? Ihr habt einen Vater an ihm, es geht euch gut in Russland. Betet also zugleich mit uns für seine Erhaltung, denn er ist einmal unser Landesherr, und wir können keinen bessern finden.“

Es kam alles darauf an, ob das russische Volk den Glauben, dem es so rasch beigefallen, auch festhalten werde; und eine Zeitlang schien es hiezu geneigt. Ueberall in Moskau, wo er sich zeigte, wurde der junge Großfürst mit Jubel begrüßt; man lobte sein männliches Auftreten, die Klugheit seiner Rede, die Gewandtheit, die er in allen ritterlichen Übungen bewies.

Aber wie ist das? Russische Zaren wohnen doch wie unsichtbare Gottheiten in den innersten Gemächern ihres Palastes! Sie sind außer ihren nächsten Angehörigen und Dienern einem jeden, den sie nicht gerufen, unzugänglich. Einheimische und Fremde werden durch zahlreiche Wachen, die in und um den Kreml gelagert sind, selbst von den Innern Höfen abgehalten. Personen gar, welche Degen oder andere Waffen tragen, weist man schon in beträchthcher Entfernung zurück. Vor der Tafel lassen sich die Zaren mit dem Kreuze segnen und mit Weihwasser besprengen, und wenn sie aus einem Zimmer in das andere gehen wollen, so müssen sie von zwei Knäsen begleitet und beim Arme geführt, ja fast getragen werden.46)

Allein dieser Dimitri beobachtet von alledem nichts! Er schleicht sich heimlich aus seinen Gemächern, läuft bald hier, bald dort ohne Begleitung im Schlosse umher, nimmt zum Besuche an, wer nur kommen will — ja noch mehr: er hält nach Tische nicht Mittagsschlaf, und er isst Kalbfleisch, was nur die Heiden tun! Beim heiligen Nikolaus, das kann kein rechter Moskowiter, kein echter Zarensohn sein! 47)

Dimitri merkte, was in den Köpfen der Russen vorging; er verstärkte daher seine polnischen und deutschen Leibwachen. Doch dies erhöhte nur den Missmut des Volkes. Nun ließ er sich gar noch eine Frau aus Polen kommen! er verachtete also seine eigene Nation, wich ab von dem ehrwürdigen und heilsamen Brauch der Ruriks, sich aus den Landestöchtern eine Zarin zu erwählen.

Die Vermählung geschah am 8. Mai 1606, und Dimitri gab ein neues Ägerniss, indem er nach der Trauung die Großfürstin krönen ließ. Denn bisher hatte noch keine Zarin die Ehre der Krönung genossen. Marina ihrerseits schien recht absichtlich die Vorurteile der Russen herauszufordern. Sie ging in polnischer Tracht einher, fährte polnische Küche ein, besuchte nach der Hochzeit nicht die Badestube, kurz sie nahm die russischen Sitten nicht an; auch zeigte sie sich durchaus nicht Willens sich griechisch taufen zu lassen. Ihr polnisches Gefolge, welches zahlreich im Kreml und in der Stadt herumschwärmte, trug nicht weniger dazu bei, die Moskauer zu erbittern; denn die Fremden benahmen sich übermütig und spielten die Herren gegen das Volk. Der Knäs Wassilji Schuiski war das Haupt der Missvergnügten, und es bedurfte nur geringer Vorbereitungen, um, was alle wollten, ins Werk zu setzen. Neun Tage nach Dimitri's Hochzeit war es mit seiner Herrlichkeit zu Ende, hatte ihn Moskau gerichtet.

Noch schläft er sorglos in seinem Prachtbett im Kreml und neben ihm in allen ihren Reizen Marina; um Zar und Zarin lagert noch die tiefste Ruhe. Aber draußen, vor der Festung, hallt aus der scheidenden Nacht von der Stadt her ein dumpfer ungewisser Laut; es ist morgens drei Uhr des siebzehnten Mai, und die Verschwörung klopft an die Tür der Kathedrale. Der Glöckner gehorcht auf dies Zeichen; plötzlich heult gell vom Turme herab das Sturmgeläut. Im selben Moment heulen viel hundert Glockenstimmen von den andern Kirchen herab; sie rufen alle Rechtgläubigen zum Kampf wider die Ketzer auf, wider die Feinde des Vaterlandes. Da setzen sich aus allen Gassen die Züge der Verschworenen, Knäse und Bojaren, Popen und Bürger und zahlreiche vom Lande hereinbefohlene Leibeigene, nach dem Kreml in Bewegung. Da sieht man alle Arten von Waffen, Musketen und Säbel, Hellebarden und Spieße, am häufigsten doch die altnationale Keule. Bald ist das Schloss von den wütenden Massen umringt und erfüllt. Otrepjew will sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten, aber unten fällt der Pöbel über ihn her, und der Imperator invictissimus, wie er sich zu schreiben pflegte, ist im Handumdrehen in Stücke zerrissen. Sein männliches Gefolge im Kreml wird gleichfalls ermordet. Die jüngeren Hofdamen werden geschändet; nur Marina selbst, die der alten Hofmeisterin unter den weiten Rock gekrochen ist, bleibt unentdeckt. Dann kommt die Reihe an die Polen in den Stadtquartieren. Viele versteckten sich im bloßen Hemde wie sie aus ihren Betten gesprungen waren, unter den Dächern oder in den Kellern; aber überall zog man sie hervor und schlug sie tot. Über sechs Stunden lang, bis gegen 10 Uhr Vormittags, dauerte das Gemetzel. „Man hörte nichts als Sturmläuten, Schießen, Schlagen und Rennen. Die Moskowiter schrieen fortwährend: „Sseki, sseki, blädini deeti! schlagt tot, schlagt todt die Schufte!“ Da war bei den Russen kein Erbarmen gegen die Polen, es galt kein Bitten und Flehen, kein Zusagen und Verheißen. Auch viele feine Studiosi, deutsche Juweliere und Kaufleute aus Augsburg, die groß Geld und Gut bei sich gehabt, mussten mit dem Leben büßen. Die Ausländer verloren, die Einwohner gewannen. Mancher kahle Schelm trug zur Ausbeute sammetne und seidene Kleider, Zobel- und Fuchspelze, goldene Ketten, Teppiche, Gold und Silber in sein Haus, dergleichen er und seine Vorfahren nimmer gehabt hatten.“

Mit Mühe rettete Schuiski die Zarin Marina und die andern vornehmsten Polen, von denen er sich ein hohes Lösegeld versprach, vor der Wut des Volkes und brachte sie in sichern Gewahrsam. Otrepjew's Leichnam wurde auf dem Markte öffentlich verbrannt. So endete der letzte Akt dieses großen Dramas. —

Aber das Stück hatte noch einige Nachspiele. Die Jesuiten und Polen, die es in Scene gesetzt, gaben ihre Sache noch keineswegs verloren. Das Moskauer Blutbad hatte die Stimmung der russischen Nation nicht ernüchtert, vielmehr die Gemüter aufs äußerste verwirrt; besonders im Südwesten des Reiches dauerten die Unordnungen der Bauern, so wie die Einfälle der Kosaken fort. Man wollte dort von Schuiski, den die Moskauer nach Ermordung Dimitri's zum Zaren ausgerufen, nichts wissen und verlangte einen echten Zaren oder nahm doch solches zum Vorwande der Anarchie.

Im Frühling 1608 glückte es den Verwandten Marina's endlich, einen Menschen ausfindig zu machen, der im Äußern viel Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Otrepjew hatte und ihm an Verschmitztheit und Ehrgeiz glich. Es war ein Schulmeister Namens Iwan, ein geborner Moskauer, aber durch langen Aufenthalt zu Slowa in Weissrussland auch mit der polnischen Sprache und Sitte ganz vertraut. Diesen staffierten sie als Fürsten aus und brachten ihn unter starkem Zulauf beutegieriger Polen und Russen nach Sewerien, dem Hauptsitz des Aufstandes. Hier wurde er mit Freuden als Zar Dimitri, der sich glücklich aus Moskau gerettet habe, anerkannt, und ganz Russland teilte sich nun zwischen ihm und Schuiski. Keiner von den beiden konnte des andern Herr werden. Schuiski behauptete sich in Moskau, Dimitri II. in einem festen Lager zu Tuschino, zwei Meilen von der Hauptstadt. Hier ernährte er seine Banden durch Plünderungszüge, die er nach allen Seiten hin veranstaltete, daher der „Dieb von Tuschino“ genannt. Einmal brachten seine Streifscharen einen wichtigen, hochwillkommenen Fang ein: den Magnaten Mnischek und seine Tochter Marina, welche Schuiski, nachdem sie ihm Frieden zugeschworen, ihrer Haft entlassen und auf den Weg nach Polen geschickt hatte. Das war ein rührendes Wiedersehen! mit Tränen der Freude und der Wehmut lagen sie einander in den Armen, der durch so viele Wunder errettete Zarewitsch und die treue Gattin, das schwergeprüfte hohe Liebespaar nach so langer Trennung nun wieder vereinigt. Welches Auge konnte bei solchem Anblick trocken bleiben!

Anderthalb Jahre hielt sich der Dieb von Tuschino in seinem Lager. Aber da es ihm nicht gelang, das große Troizkische (Dreifaltigkeits-) Kloster, welches wie eine Zitadelle die Straße nach Moskau sperrte, zu erobern, so beschloss König Sigismund von Polen, den Betrüger fallen zu lassen und selbst nach der Zarenmütze zu greifen. Er befahl Dimitri zu verhaften, aber dieser entwischte seinen polnischen Verbündeten und fand neuen Anhang unter den Russen in Kaluga. Er hatte Marina zu Tuschino zurücklassen müssen, und man riet ihr, nach Polen zu ihrem Vater zurückzukehren. Allein sie wollte Zarin bleiben. In Mannstracht, Hosen und Rock von rotem Sammet und nach polnischem Schnitt, dazu gestiefelt und gespornt, die viereckige Mütze auf dem Kopf, an der Seite den Säbel, die Flinte in der Hand, so schwang sie sich auf ihr schnelles Ross und sprengte, geleitet von hundert Deutschen und Kosaken, davon nach Kaluga zu ihrem Gemahl.

Dies geschah zu Anfang des Jahres 1610 am Ende desselben waren beide Gegenzaren, Schuiski und Dimitri II., von der Bühne abgetreten; jenen hatten seine Bojaren zur Abdankung genötigt, diesen erschoss auf der Jagd ein Tatar, der von ihm beleidigt worden. Und nun näherte sich Russlands Unglück seinem Ende. Der Patriarch von Moskau rief alle Gläubigen zu den Waffen, und überall stand das Volk gegen die Polen auf, welche im Namen Sigismund's Moskau besetzt hatten. Zum Führer der allgemeinen Erhebung warf sich ein einfacher Bürger, der Fleischer Kosma Minin aus Nischni-Nowgorod, auf. Er nannte sich den „erwählten Mann des ganzen moskowitischen Reiches“ und es gelang ihm, erst seine Mitbürger, dann die Mannschaften der nächstgelegenen Städte und Landschaften zu einem großen, doch geordneten Aufgebot zu vereinigen, welches im August 1612 die Stadt Moskau, im Oktober auch den Kreml eroberte. 48)

So war Russland befreit, durch sein Volk, nicht durch seine Großen, und dieses Verhältniss machte sich denn auch bei der Wahl des neuen Zaren geltend. Denn die Reichsversammlung, die nun im Februar 1613 zu Moskau zusammentrat, erwählte keinen Knäsen oder großen Bojaren, sondern den Sohn des Metropoliten Phüaret von Rostow, den jungen Michael Romanow. Ihn empfahl hauptsächlich seine Verwandtschaft mit dem ausgestorbenen Herrscherhause. Denn sein Vater Philaret war ein Vetter weiland Zar Feodor's I. Doch wirkte für ihn auch das hohe Ansehen, in welchem dieser Prälat bei dem Volke stand.

Die Dynastie der Romanows, die einzige in Europa, welche von einem Geistlichen abstammte, hat anderthalb Jahrhunderte über Russland geherrscht, von 1613 bis 1762. Ihr Aufkommen war ein harter Schlag für die Jesuiten und die übrigen Mächte der Finsterniss, ein so harter beinahe, wie es ihr Ende, der Tod der Kaiserin Elisabeth, gewesen ist.

Denn alle Aussichten einen Katholiken in den Zarenstuhl hineinzuschwärzen waren nun dahin. Zwar versuchte Marina noch einmal das Unmögliche. Sie hatte nach Dimitri's II. Tode einen Sohn geboren, den sie zum Zaren Dimitri III. ausrief. Zum Vormund und Statthalter desselben ernannte sie den Kosakenführer Saruzki, welchen sie heirathete. Allein der Wahn der Russen war erschöpft, und Saruzki nur ein Räuberhauptmann gewöhnhchen Schlages. Nachdem er sich eine Zeitlang im Astrachan'schen herumgetrieben, flüchtete er mit den Seinen vor den Strelitzen des neuen Großfürsten über das kaspische Meer. Doch als er am Jaik landete, fiel er seinen Verfolgern in die Hände, und nun hatte Marina ihre Rolle auf immer ausgespielt.

Im Juni 1614 beschäftigte sich Moskau zum letzten Male mit dem falschen Demetrius. Es war ein trauriges Schauspiel: auf der Richtstätte hinter dem Kreml sah man einen Pfahl errichtet und einen Galgen; an dem Pfahle steckte der Körper Saruzki's, an dem Galgen hing ein Kind. Und über den Platz her fuhr ein Wagen mit einem schmucklosen Sarge; darin lag die Mutter dieses Kindes, die man im Gefängniss erdrosselt hatte, Marina.