Im sechzehnten Jahrhundert.

Seit die Russen Christen geworden, haben sie den Angriff eines fremden Volkes auf Konstantinopel stets beinahe wie einen Stich ins eigene Fleisch empfunden. So war ihre Betrübnis groß, als diese Stadt im Jahre 1204 in die Gewalt der französischen und italienischen Kreuzfahrer fiel. Ein alter russischer Chronist bezeichnet den Eindruck, den das Ereigniss machte, in seiner naiven Weise mit den Worten: „die Russen weinten, und die Kreuzfahrer lachten.“ Und so hat auch die Eroberung des griechischen Reiches durch die Türken keine der fremden Nationen mit tieferer Trauer erfüllt, als die russische. Gleichwohl war der Fall von Byzanz in einer Hinsicht für Russland von großem Nutzen. Es holte bis dahin alle seine höhere Kultur von den Gestaden des Bosporus; aber die byzantinische Zivilisation war in vielen Stücken krank und faul. Jetzt musste sich Russland nach andern Lehrmeistern umthun: es fand sie besonders in Deutschland, und die geistige Nahrung und Förderung, die es von dort erhielt, war bei weitem gesunder und heilsamer.

Schon Iwan III. bezog aus Deutschland Handwerker und Künstler; unter seinem Nachfolger Wassilji IV. (1505 — 1534) nahm diese Einwanderung beträchtlich zu. Den deutschen Kaisern war jetzt an der Freundschaft Russlands bereits viel gelegen; sie hätten ihm gern über Polen hinweg, das beiden Teilen im Wege war, die Hand gereicht, und sie spannen mit Moskau Unterhandlungen an, die dort bereitwillig aufgenommen wurden. So kamen an Wassilji's Hof öfters deutsche Gesandtschaften und in deren Gefolge deutsche Lehrmeister aller Art. Denn in Wien wusste man, dass die Gunst des moskowitischen Großfürsten am meisten durch zwei Dinge zu gewinnen war, wenn man ihn Kaiser — russisch Zar 23) — anredete, und wenn man ihm geschickte Arbeiter mitbrachte; keins von beiden Mitteln wurde verabsäumt. Mit Hilfe der Fremden trat denn nun auch manches Neue und Nützliche ins Leben, besonders wenn die Vorteile recht greifbar waren, wie bei der Verbesserung des Geldwesens, die im Jahre 1538 geschah und hauptsächlich in der Regulierung des Münzfußes und in der Einführung einer neuen Münze, der Kopeken, bestand. Den Namen erhielten diese Geldstücke von dem Bilde, welches sie zeigten; dasselbe stellte den Großfürsten zu Pferde dar, aber nicht, wie bisher, mit dem Schwerte, sondern mit einer Lanze, auf russisch Kobja, in der Hand. Übrigens zahlte selbst die Regierung noch lange Zeit auch mit dem feinen Pelzwerk, welches vordem das übliche Tauschmittel gewesen war. Noch im Jahre 1594 wurde eine Subsidie, welche der Zar dem Wiener Hofe gewährte, nicht baar, sondern in 40,000 Zobeln entrichtet. Die Metallschätze des Ural, die heute allein an Gold jährlich drei Millionen Dukaten liefern, waren damals noch sehr wenig ausgebeutet.


Noch unter Wassilji IV. wurden in Russland die ersten regelmäßigen Postanstalten eingeführt, und die Fremden konnten nicht genug rühmen, wie billig und schnell man von Nowgorod nach Moskau fahre, die achtzig Meilen in zwei und siebzig Stunden und für einen Preis von kaum zwei Dukaten! Und wie zuvorkommend waren überall die Postmeister! Verlangte der Reisende zwei Pferde, so wurden ihm vier oder sechs vorgeführt; wünschte er acht, so bot man ihm bis sechzehn an. Man konnte freilich kaum zu viele vorspannen; denn die Wege selbst waren fürchterlich. In vielen andern Dingen trat der Widerspruch zwischen dem eingeführten Neuen und dem gewohnten Alten noch greller hervor. Die russische Kultur glich damals zuweilen jenem Wilden, welcher mit nichts bekleidet war als mit Manschetten und Vatermördern.

Iwan III. hatte das alte Schloss in Moskau, den Kreml, zu einem Kaiserpalast umgeschaffen; sein Sohn suchte nun auch Ton und Sitte hier den Bräuchen zu nähern, die an den europäischen Höfen herrschten. Indess wie der Name Kreml tatarisch ist — er bedeutet Festung, — so blieb auch die Sache, die er bezeichnet, im Grunde asiatisch. Nur im Zeremoniell bekam das Hofleben den Anstrich der abendländischen Zivilisation.

Kamen fremde Gesandte nach Russland, so waren die Provinzialbehörden angewiesen, ihnen die Reise zur Hauptstadt durch allerhand zeitraubende Förmlichkeiten zu verzögern, damit sie nicht früher in Moskau anlangten, als bis dort alle die Vorbereitungen, die geeignet schienen, die Größe des Zaren recht anschaulich zu machen, vollendet waren. Auch nach ihrer Ankunft in der Residenz mussten sie erst eine Weile schmachten, ehe sie die Vergünstigung erhielten, vor das Angesicht des Zaren zu treten. Wenn sie nun zur Audienz nach dem Kreml ritten, so fanden sie die Straßen überall von einer gewaltigen Menge Volkes dicht erfüllt, die großenteils gut gekleidet war. Sie bekamen hiedurch eine vorteilhafte Vorstellung von der Bevölkerung und dem Wohlstande der Stadt. Denn sie wussten nicht, dass auf Befehl des Zaren alle Edelleute, Beamte und Soldaten aus der Umgegend viele Meilen in die Runde sich zu dieser Feierlichkeit hatten hieher verfügen, und dass die Kaufleute und Handwerker in Moskau an diesem Tage hatten ihre Läden schließen müssen.

Von der Herberge, wo die Gesandten wohnten, bis zum Thronsaal, in welchem der Großfürst ihrer wartete, war ein ununterbrochenes Spalier gebildet, welches bis zum Kreml aus Bürgern und Edelleuten, im Vorhof des Palastes aus Soldaten, in der Vorhalle aus Bojaren, im Vorzimmer aus Knäsen bestand. In jedem folgenden dieser Räume wurden die Gesandten von anderen und vornehmeren Beamten bewillkommnet und weiter geleitet. Die Spalierbildenden aber grüßten weder, noch gaben sie sonst ein Lebenszeichen von sich; sie dienten nur zur Dekoration.

Vor dem Schlosshof hatten die Gesandten von ihren Pferden steigen müssen; denn nur der Zar durfte hier einreiten; bei der Audienz Ließ man sie ebenfalls die Erhabenheit des moskowitischen Herrschers über alle andern Potentaten der Welt empfinden. Als sie in den Thronsaal eintraten, standen die hier versammelten Räthe und Höflinge auf, der Zar und die Prinzen blieben sitzen. Einer der Minister sprach: „Großer Herrscher! Der Gesandte N. N. schlägt die Stirn vor dir!“ (d. h. er begrüßt dich durch Niederfallen). Dies war die Einführungsformel.

Der Zar sass auf dem Throne; an der Wand neben ihm hing das von Gold und Farben glänzende Bild seines Schutzheiligen; zu seiner Rechten lag auf einer Bank der Kolbok, die Zarenmütze, eine kegelförmige Kappe, auf deren Spitze ein goldener Knopf saß, welcher ein Kreuz von Edelsteinen trug; zur Linken lag das Posoch oder Zepter, ein goldener Stab mit kreuzförmigem Griff. Neben dem Zepter standen ein Waschbecken und zwei Wasserflaschen, über welche ein Handtuch gebreitet war.

Dem Throne gegenüber befand sich eine niedrigere Bank; dorthin hieß der Zar die Gesandten sich setzen. Nun begann die Unterredung, die ein Dollmetscher vermittelte. Als der Name des Königs, den diese Gesandtschaft vertrat, ausgesprochen wurde, erhob sich der Zar und sprach: „Ist mein Bruder, euer König, gesund?“ „Er ist gesund,“ erwiederte der Sprecher der Gesandtschaft, und der Zar setzte sich. Dann rief er die Gesandten zu sich, gab ihnen die Hand und fragte einen jeden: „Bist du gesund hergeritten?“ Nach Gebrauch erfolgte die Antwort: ,,Gott gebe dir Gesundheit viele Jahre! ich bin durch Gottes Güte und deine Gnade gesund.“ Dann befahl er ihnen sich wieder zu setzen, und sie ihrerseits dankten durch Kopfneigung allen ringsum zu ihrer Ehre stehenden Knäsen und Ministern. Diese Magnaten waren angetan mit Kleidern und Pelzen, welche von Edelsteinen und Perlen starrten, und auf ihrer Brust kreuzten sich goldene Ehrenketten; manche trugen auch am Ärmel eine goldene Schaumünze als Ehrenzeichen. Neben einem jeden lag auf seiner Bank die ellenhohe schwarze Fuchspelzmütze.

Der Zar wusch sich nun die Hände. Denn durch Berührung der Ketzer — die Gesandten waren römische Katholiken — hatte er sich nach dem Glauben seiner Kirche verunreinigt.24) Dann sagte er zu den Fremden: ,,Ihr sollt mit mir Brot und Salz essen.“ Damit war diese Vorstellung zu Ende, und es ging jetzt zur Tafel.

Die Mitte des Speisesaales nahm ein Tischchen mit Trinkgeschirr ein. Zur Seite rechts war für den Zaren und die Prinzen ein Tisch gedeckt, links ein Tisch für die Gesandtschaft, im Hintergrunde Tische für die Knäse, Hofbeamten und anderen Gäste. Dem Zaren, jedem Prinzen und jedem Gesandten war zu beiden Seiten am Tische soviel freier Raum gelassen, als man mit ausgebreiteten Armen fassen kann. Zwischen je vier Couverten stand ein Gefäß mit Essig, eins mit Salz und eins mit Pfeffer; diese Fässchen wie überhaupt alle Schüsseln und Geräte bei Tafel waren von Gold oder Silber, je nach dem Range der Speisenden. Nachdem die Gäste sämtlich ihre Plätze eingenommen, brach der Zar längliche Stückchen Brod ab und reichte sie einem Diener mit der Weisung, sie den Gesandten zu überbringen. Dies geschah, und der Diener sprach dabei: „Höre N. N. ! Der große Herrscher Wassilji, von Gottes Gnaden Zar und Herr von ganz Russland und Großfürst, erweist dir Gnade, er schickt dir Brot von seinem Tisch!“ Der Dollmetscher wiederholte die Worte des Dieners mit feierlich ernster Stimme. Die Gesandten und alle Gäste hörten es stehend an, und jene verbeugten sich dankend gegen den Zaren, dann gegen die übrige Gesellschaft. Nach Auffassung der Russen sollte das Brot die Gnade, das Salz die Liebe des Gebers bedeuten. Doch in den Augen der Fremden hatte das moskowitische Brot eine ominöse Gestalt, es war nämlich wie eine Pferdehalfter geformt, und sie dachten dabei an das Joch ewiger Knechtschaft, welches auf diesem Volke lag.

Die Mahlzeit begann mit Schnaps und zwar Kirschbranntwein. Das erste Gericht bestand in gebratenen Schwänen. Drei derselben wurden vor den Zaren gesetzt; er stach mit dem Messer hinein und wählte den besten für sich aus. Von jeder Speise musste der Truchsess vorkosten. Die Gesandten bekamen noch öfters einen Bissen vom Zarentisch zugeschickt, und jedesmal mussten sie dieselbe Zeremonie, wie bei Empfang des Brotes, durchmachen.

Man trank Malvasier und andere griechische Weine, auch Meth. Wer eine Gesundheit ausbringen wollte, trat in die Mitte des Zimmers, sprach seinen Toast, leerte den Becher und machte die Nagelprobe. Der Gast, dem man zugetrunken, musste ebenso Bescheid tun, und die Russen ließen es sich sehr angelegen sein, den fremden Gesandten auf diese Weise einen tüchtigen Rausch zu bereiten. Man tafelte bei Hofe bis spät in die Nacht hinein, und gewöhnlich kam die ganze Gesellschaft in der Tat mehr oder weniger betrunken nach Hause.

Wassilji IV. liebte die Jagd, besonders die ungefährliche, auf Hasen. Zu diesem Vergnügen pflegte er außer den vornehmsten seiner Räthe und Höflinge auch die fremden Gesandten einzuladen. Eine solche Ehre wurde unter andern dem Baron Sigismund von Herberstein zu Teil, der sich zweimal, in den Jahren 1517 und 1526, als Bevollmächtigter des deutschen Kaisers zu Moskau aufhielt. Er beschreibt die Hofjagden, denen er beiwohnte, folgendermassen: 25)

„Der Hasenpark des Großfürsten befindet sich nicht weit von der Stadt Moskau; es ist ein umhegtes, hie und da mit Buschwerk besetztes, geräumiges Feld. Eine große Menge Hasen wird hier gehalten; doch lässt der Zar, wenn er jagen will, noch eine Anzahl dieser Tiere aus seinen übrigen nicht zu weit entlegenen Tierparken hieher bringen. Als wir uns dem Befehle gemäß am Ort des Stelldicheins einfanden, war der Zar schon angelangt. Wir sprangen von den Pferden, um ihn zu begrüßen, und er zog seine Handschuhe aus und reichte uns sehr leutselig die Hand. Dann hieß er uns wieder aufsitzen und ihm folgen. Er war im Jagdcostüm; an seiner Mütze hingen vorne und hinten Kettchen, von denen lange, schmale Blätter dünnen Goldblechs sich wie Federn auf- und niederbewegten. Sein Rock war von Goldstoff und reich mit Perlen und Edelsteinen besetzt. Aus seinem Gürtel hingen nach russischer Sitte zwei längliche Messer und ein Dolch. Hinten im Gürtel stak eine eigentümliche Waffe, deren sich die Russen im Kriege zu bedienen pflegen; nämlich ein Stock, etwas länger als eine Elle, an dessen Spitze ein lederner, etwa zehn Zoll langer Riemen befestigt ist, welcher eine eiserne Keule trägt.

An der rechten Seite des Zaren ritt Scheale, der vertriebene König von Kasan, ein Tatar, wie schon sein Äusseres zeigte; denn seine Bewaffnung bestand aus zwei Köchern; der eine enthielt seinen Bogen, der andre die Pfeile. Zur Linken des Zaren ritten seine Günstlinge, zwei junge Knäse, welche ihm den Topor, das ist ein elfenbeinernes Beil, und den Schestopero, eine sechszinkige Keule, trugen.

Jedem von uns war ein Mann beigegeben worden, der einen Hund führte. Als wir nun im Park angekommen waren, sprach der Zar zu uns: „Es ist hier Sitte, dass bei der Jagd sowohl wir selbst der Zar als auch alle Männer von Rang mit eigenen Händen die Hunde leiten. Tut daher ebenso!“ Er sagte dies, weil der Russe den Hund eigentlich für ein unreines Tier hält und ihn daher nicht gern berührt. Wir erwiederten, bei uns herrsche derselbe Jagdgebrauch, und wir würden uns der Vergünstigung mit Dank bedienen.

Auf der einen Seite des Platzes standen in langer Reihe etwa hundert Treiber, von denen die eine Hälfte in Schwarz, die andere in Gelb gekleidet war. Nicht weit von ihnen hielt eine Menge von Reitern, welche verhindern sollten, dass die Hasen irgendwo durchbrächen. Zuerst ließ der Zar seinen Hund los, dann wurde dasselbe dem König Scheale und uns erlaubt. Darauf rief der Zar dem Jagdmeister zu, die allgemeine Hetze dürfe beginnen. Dieser sprengte rasch zu den übrigen Jägern, und bald erhob sich einmütiger Jagdruf und alle Hunde wurden entsandt. Es erfreute das Herz des Waidmanns, so viel und so verschiedenes Gebell zu gleicher Zeit zu hören. Der Zar hat eine ganz vortreffliche Meute; besonders die sogenannten Kurtzos, welche bloß Hasen verfolgen, sind sehr schön; sie haben dickbuschige Ruthen und Ohren. Wenn der Hase sich zeigt, so werden drei, vier, fünf, auch mehr Hunde auf ihn geschickt, und ist er gefasst, so erhebt sich ein großer Jubel, als ob man wer weiß was für ein gewaltiges Wild gefangen hätte.

In der Nähe des Zaren befindet sich allemal in irgend einem Gebüsch ein Mann, der einen Hasen im Sack hat. Wenn nun dem Zaren nicht rasch genug ein Tier in den Weg läuft, so schreit er: Hui! hui! Dann öffnet jener seinen Sack, und der Hase ist da. So geschiehts denn, dass man bei diesen Hofjagden Hasen sieht, die ganz schläfrig laufen und unter den Hunden Sprünge machen, wie Lämmer in der Herde.

Wessen Hund die meisten Tiere fängt, der hat die Ehre des Tages, und ist es ein vornehmer Mann, so klatscht der Zar selber ihm Beifall.

Im Ganzen wurden diesmal dreihundert Hasen erbeutet, wie die Zählung am Schlüsse der Jagd ergab.

Eine halbe Meile vor der Stadt steht ein hölzerner Turm. Dorthin brachen wir jetzt auf. Es waren daselbst einige Zelte errichtet, eines groß wie ein Haus für den Zaren, ein zweites für Scheale, ein drittes für uns, die andern für das Gefolge. Nachdem der Zar hier seine Kleider gewechselt, ließ er uns in sein Zelt entbieten. Er saß auf einem elfenbeinernen Stuhle zwischen dem Könige und den beiden Jünglingen; wir nahmen ihm gegenüber Platz. Nun traten Diener herein, welche mit gebogenen Knieen den Imbiss reichten, Kuchen von Koriander, Anis und Mandeln, dann Nüsse, Knackmandeln und eine ganze Pyramide von Zucker. Ebenso reichten sie die Getränke dar.

Zur Zeit meiner ersten Gesandtschaft wurde hier gefrühstückt und dabei ereignete es sich, dass ein Stück geweihtes Brot, die Russen nennen es Marienbrot, auf die Erde fiel. Der Zar und alle Gäste waren darüber aufs äußerste bestürzt, doch wagte niemand die Brocken anzurühren; ein Priester musste kommen, um das heilige Brot aufzulesen und die Stätte zu entsündigen.

Diesmal störte nichts die allgemeine Freude, und der Zar ließ uns ehrenvoll in unsere Herberge zurückgeleiten.“

Ein anderes Vergnügen am Zarenhofe bestand in der Bärenhetze. Dieselbe ging im großfürstlichen Bärenzwinger vor sich und wurde von Leuten aus dem niedrigsten Volke angestellt, die ihre Haut für geringe Bezahlung zu wagen bereit waren. Bewaffnet mit großen hölzernen Gabeln, reizten und zerrten sie die Bären, und die Sprünge, welche sie dabei machen mussten, um den zornigen Tieren zu entwischen, gereichten den Zuschauern zu nicht geringer Belustigung. Manchmal wurden jene Possenreißer doch übel zugerichtet; dann zeigten sie ihre Wunden dem Zaren, und dieser ließ sie heilen und schenkte ihnen zur Belohnung neue Kleider und einige Scheffel Getreide.

Auch die Falkenjagd war beliebt. Die Russen jagten mit ihren Kretschet oder Geierfalken besonders Schwäne und Kraniche. Diese Kretschet zeichneten sich durch Größe aus und hatten eine weiße oder eine scharlachene Farbe. Sie wurden zu vier bis sechs in einem und demselben Käfig verwahrt und hatten mancherlei Eigentümlichkeiten. So nahmen sie das Futter stets in der Reihenfolge des Alters; sie wuschen sich nicht mit Wasser, sondern rieben sich das Ungeziefer mit Sand ab; sie liebten die Kälte so sehr, dass sie immer auf Eis oder Stein zu stehen suchten.

Im Ganzen bot der Hof zu Moskau gebildeten Ausländern nur wenig Zerstreuungen, und die fremden Gesandten sahen den Tag, an welchem sie sich zur Heimreise verabschieden konnten, in der Regel ohne Bedauern anbrechen. Der Zar pflegte ihnen zu dieser letzten Audienz einen Ehrenpelz von Zobelfell zu schenken. Einen solchen bekam auch Herberstein. Mit demselben angetan trat er vor den Fürsten, und der Dollmetscher rief: „Großer Herrscher! erfüllt von deiner Gnade stößt Sigismund seine Stirn auf die Erde!“ Das hieß: „Er bedankt sich.“ Natürlich fiel es dem deutschen Freiherrn, dem Repräsentanten des Kaisers, nicht ein, sich, wie hier zu Lande üblich war, wirklich niederzuwerfen und mit der Stirn den Boden zu klopfen. Dem Ehrenkleid war eine Art von Geldgeschenk beigefügt: nämlich zweiundvierzig Zobelfelle, dreihundert Hermeline, fünfzehnhundert Eichhörnchen. Bei seiner ersten Gesandtschaft hatte Herberstein außer dem Ehrenpelz einen Schlitten, bespannt mit einem prächtigen Pferde und bedeckt mit einem weißen Bärenfell, und noch einen großen Haufen ungesalzener, an der Luft gedörrter Fische erhalten. Dieselbe Freigebigkeit zeigte der Zar gegen Herbersteins Mitgesandten, den Grafen Leonhard von Nugarola.

Die ausgedehnteste Gastfreundschaft war übrigens in allen Schichten der Nation zu Hause. Der Russe hielt sie heilig, und ihre Ausübung begründete ihm ein Verhältnis von gegenseitigen Pflichten und Rechten, für welches er ein eigenes Wort hatte: Chlebosolstwo, das ist Brotsalzschaft. Es gab keinen bitterern Vorwurf der Undankbarkeit als den Ausruf: Er hat mein Brot und Salz vergessen!

Die Tugend der Gastlichkeit hing freilich ein wenig mit zwei andern Eigenschaften zusammen, die den Russen jener Zeit ebenfalls kennzeichneten, mit der Prunkliebe und der Genussucht. Er begnügte sich gern mit einer unbequemen, schlecht möblierten Wohnung, wenn er nur prächtige Kleider und vollauf Kirschbranntwein, Meth, Bier, Wildpret, Braten und Fisch hatte. Diese guten Dinge standen übrigens — Dank der Fruchtbarkeit des Bodens — ziemlich vielen zu Gebote, und das Wohlleben wäre allgemein gewesen, wenn nicht die Trägheit, die dem Russen nicht minder eigen war, es gehindert hätte. Nur im Handel pflegte seine Tätigkeit große Gewinne abzuwerfen. Denn für diese Art des Erwerbes hat der Russe viel natürliche Anlage. Er übertrifft darin noch den Juden. Es geschah daher nicht ohne Grund, dass Peter der Große, als ihn in Holland die Israeliten baten, sie in seinem Reiche zuzulassen, ernstlich davon abriet: „Sie würden mit seinen Russen ganz gewiss schlechte Geschäfte machen und von ihnen übers Ohr gehauen werden.“

Es ist merkwürdig, dass bei aller Pfiffigkeit und Verschmitztheit der gemeine Mann in Russland sich doch oft so harmlos, sorglos und gutmüthig wie ein Kind zeigt. Aber freilich auch die Kinder pflegen ganz gute Diplomaten zu sein, denn sie fühlen sich als die Schwächeren.

Man kannte übrigens den russischen Händler nicht bloß als schlauen Geschäftsmann, sondern auch als einen abgefeimten Betrüger. Er selbst wusste dies ganz gut und er suchte daher, wenn er mit Fremden Geschäfte machen wollte, seine Nationalität zu verleugnen.

Auch der russische Beamte war in der Regel ein Spitzbube. Die hohen Würdenträger bestahlen den Staat, um Luxus zu treiben; ihre Untergebenen taten es, um nicht zu verhungern. Denn ihre Besoldung war erbärmlich. Man konnte von ihnen alles kaufen, auch das Recht, und die Bestechlichkeit eines von Armut bedrängten Richters galt fast als ein notwendiges Übel. Dem Zaren Wassilji IV. wurde einmal ein Richter angezeigt, der von beiden Parteien Geld genommen und dann für den entschieden hatte, welcher das meiste zahlte. Der Angeklagte leugnete dies nicht, meinte aber, er habe doch einem reichen und vornehmen Manne eher Glauben schenken müssen, als einem armen und gemeinen Kerle. Der Zar begnügte sich mit dieser Entschuldigung, er stieß zwar das Urteil um, bestrafte jedoch den ungerechten Richter nicht.

Eine noch weit schlimmere Landplage als die habsüchtige, käufliche Beamtenschaft war der russische Adel. Fünf Tage in der Woche musste der Bauer für seinen Herrn arbeiten, und was er am sechsten für sich erwarb, wurde ihm oft auch noch von dem Edelmann, wenn nicht von durchziehenden Soldaten, weggenommen. Er hieß bei seinen Bedrängern der Stänker (smerd) oder auch Schwarzmann. Hatte der Edelmann alle seine Schwarzen durchgebracht und besass nun keinen mehr, der ihn ernährte, so lungerte er am Hofe eines Knäsen, um irgend ein Geschenk oder ein Ämtchen zu erschnappen. Handarbeit zu tun hielt er unter seiner Würde. Dagegen hielt er es nicht für unadlig, die Schalen von Melonen, Knoblauch, Zwiebeln oder anderes Essbare, was jemand fortgeworfen, von der Erde aufzulesen und zu verzehren. Gegen Bürger und Bauern zeigte er Bettelstolz, gegen Vornehmere Speichelleckerei und gänzlichen Mangel an Galle.

Die Geistlichkeit verdiente nicht viel mehr Achtung; sie war größtenteils unwissend und sittenlos und suchte dann oft mit den plumpesten Mitteln den Schein der Heiligkeit zu retten. Der Metropolit Daniel z. B. fröhnte der Völlerei, aber vor dem Gottesdienste pflegte er sich das Antlitz mit Schwefel zu beräuchern, um eine bleiche Hungerfarbe zu erzielen. Trotz aller Vorsicht ließen sich indess nicht selten schwer betrunkene Priester auf der Straße ertappen; sie wurden dann von Polizei wegen mit einer Tracht Prügel bestraft. Sie nahmen diese Züchtigung in der Regel sehr ruhig hin, und wenn sie sich dabei über etwas beklagten, so war es, dass der Büttel und nicht, wie ihrem Stande gemäß sei, ein Bojar ihnen die Hiebe ertheilte. Der Klerus genoss überhaupt im Staate wenig Vorrechte. Ein Statthalter ließ einmal einen Popen, welcher gestohlen hatte, aufhängen, und als ihn der Metropolit deshalb beim Zaren verklagte, sprach er: „Ich habe nicht den Priester, sondern den Dieb gerichtet.“ Der Zar billigte denn auch sein Verfahren.

In andern Ländern konnte man von einem aristokratischen Typus, von besondern Eigentümlichkeiten des Körpers bei den vornehmen Ständen reden; in Polen z. B. herrschten in den adligen Familien die braunen Augen und das schwarze Haar vor, während der Bauer viel öfters blond war; in Frankreich fand das umgekehrte Verhältnisss statt. Aber in Russland sah der Edelmann in der Regel ebenso aus wie der Knecht. Im Allgemeinen waren die Moskowiter mittlerer Größe, vierschrötige untersetzte Gestalten mit kurzen Beinen und vorstehenden Bäuchen. 26) Sie hatten bläulich graue Augen und einen langen Bart. Ihre Kleidung bestand aus einem Untergewande, welches am Halse mit buntem Zeuge verziert und mit silbernen oder vergoldeten Knöpfen geschlossen war; aus einem langen faltenlosen Oberrock mit engen Ärmeln, der auf der Brust zugeknöpft wurde; aus roten kurzen Strümpfen und mit eisernen Nägeln beschlagenen Schuhen. Den Gürtel trugen sie nicht um die Taille, sondern um die Lenden und desto tiefer gebunden, je dicker der Bauch war. Das Haupt bedeckten sie mit einer kegelförmigen Mütze von Pelz oder Filz. Eine ähnliche Tracht war bei einigen Tatarenstämmen üblich; nur dass der Tatar die Nesteln des Oberrocks auf der linken Seite anbrachte, während der Russe rechts zuknöpfte.

Diese Einförmigkeit der äußeren Erscheinung passte sehr wohl für ein Volk von „so gleichartiger Denk- und Gefühlsweise.

Obschon dem Zaren gegenüber alle Russen ohne Ausnahme Sklaven waren, so wurde doch im Staate wie in der Gesellschaft auf den Unterschied des Standes das größte Gewicht gelegt. Das Zeugniss eines vornehmen Mannes hob vor dem Richter den Schwur vieler geringen Leute auf, und nur das Geld konnte mit Erfolg dem Rang entgegenwirken. Ebenso wenig galt der innere Wert im geselligen Verkehr.

Wahre Höflichkeit findet sich bei Naturvölkern und bei zivilisierten Nationen, aber niemals bei halbgebildeten. In Russland traf man statt ihrer die Kriecherei und statt des Stolzes die Hoffahrt. Gleichstehende begegneten einander unter gaunerisch zugewogenen Förmlichkeiten; denn ein jeder suchte den andern auch in den Fragen der Etikette zu übervorteilen.

Schon an den Hausthüren konnte man den kindischen Hochmut des Russen sehen; sie waren an allen, auch an den größten Häusern so niedrig, dass jeder Hineingehende sich schlechterdings bücken musste. War der Gast ins Zimmer getreten, so musste er entblößten Hauptes sich zuerst nach der Stelle begeben, wo das gemalte oder gegossene Bild des Schutzheiligen dieses Hauses sich befand. Dort machte er dreimal das Zeichen des Kreuzes vor demselben und verneigte sich, indem er betete: „Herr, erbarme dich meiner!“ Hierauf wandte er sich zu dem Wirt und begrüßte ihn mit den Worten: „Gott schenke dir Gesundheit!“ Dann reichten beide einander die Hände und gaben sich zwei Küsse, welche die Form des Kreuzes andeuten sollten. Zum Schluss folgte eine Reihe gegenseitiger Verbeugungen, wobei jeder genau aufpasste, wie tief der andere sich neigte und wie weit er den Kopf senkte. Denn keiner von beiden war gesonnen, sich auch nur um Haares Breite etwas zu vergeben. Dieselben ängstlich und misstrauisch abgemessenen Zeremonien wurden beim Abschiede beobachtet, und der Wirt geleitete seinen Gast je nach dessen Rang bis zur Haustür oder nur bis zur Treppe, aber auf keinen Fall einen Schritt weiter, als durchaus erforderlich war.

Alle Geschäfte wurden sitzend verhandelt. Auf der Strasse ging nur der Arme zu Fuß; der Bemittelte ritt, und wenn sein Weg bloß ein paar Häuser weit war, so ließ er das Pferd hinter sich hergehen — man sah doch, dass er eins hatte. In das Hoftor eines Vornehmeren einzureiten war nicht verstattet, der Besucher musste vorher absteigen.

Noch viel gespreizter benahm sich der Russe, wenn er es mit einem Ausländer zu tun hatte. Dieses barbarische Volk hielt sich allen Ernstes für das vornehmste der Welt. Es verachtete die andern Nationen als Heiden oder Ketzer und die andern Könige als kleine Leute im Vergleich zu dem Zaren. Auf Schritt und Tritt merkte hier der Fremde, dass er in Asien sei.

Denselben Eindruck machte die Stellung, welche in Russland die Frau einnahm. Das Christenthum hatte dem weiblichen Geschlechte hier zwar einige Rechte verschafft, aber die russische Rohheit hielt sich in der Praxis lieber an das Beispiel der türkischen und mongolischen Nachbarn, als an die fränkischen Moden.

Es galt für unanständig, wenn der Jüngling um das Mädchen anhielt; vielmehr war es Sache des Vaters, sich einen Schwiegersohn zu suchen. Die Heirat wurde lediglich als Geschäftssache behandelt; man kaufte seiner Tochter die Ehe, wie man ihr ein Kleid oder jedes andere Bedürfnis kaufte. Der Vater bot an: „Ich habe eine Tochter“, sprach er zu dem jungen Manne, der ihm gefiel, „und ich möchte dich zum Eidam haben.“ Darauf antwortete dieser: ,,Ich werde deinen Wunsch meinen Eltern mitteilen.“ Sind nun seine Angehörigen damit einverstanden, so kommen sie mit dem Vater des Mädchens zusammen und erörtern die Hauptsache: wieviel Mitgift wird die Braut erhalten? Von beiden Seiten wird gefeilscht, endlich ist man einig: sie erhält so und so viel Sklaven, Vieh, Gerät. Dann wird der Tag der Hochzeit anberaumt, und gewöhnlich ist die Frist kurz. Vor der Trauung bekommt der Bräutigam seine Braut nicht zu sehen, es sei denn, dass er ein hohes Reugeld für den Fall seines Rücktritts kontraktlich zugesichert hätte. Die zur Hochzeit geladenen Gäste schicken ihm Geschenke, welche er sorgfältig verzeichnet und bis zur Hochzeit verwahrt. Nach derselben wählt er aus ihnen, was er behalten will, und lässt es auf dem Markte durch Sachverständige abschätzen. Denn binnen Jahresfrist muss er den Gebern den Wert wiedererstatten. Das Übrige sendet er mit Dankesworten zurück. Von seinem künftigen Schwiegervater aber erhält er als erstes Geschenk eine Peitsche zum Zeichen, dass dieser nun seine Strafgewalt über die Tochter an ihn abtrete, und er steckt die Peitsche in seinen Gürtel, um sie fortan an seiner Linken zu tragen. Denn was dem europäischen Kavalier der Degen, das war dem Russen der Kantschu. Neben der ersten Frau durfte der Mann noch eine zweite, unter Umständen auch eine dritte Frau heiraten, nur dass die später geschlossene Ehe nicht für voll angesehen wurde. Erst wenn jemand, der schon drei Frauen besaß, noch eine vierte sich zulegen wollte, tat das Gesetz ihm Einhalt. 27) Außereheliche Verbindungen waren ihm übrigens nicht unbedingt untersagt; nur mit verheirateten Frauen durfte er sich nicht vergehen. Die Scheidung war ziemlich leicht und erfolgte in den vornehmen Ständen oft auf den bloßen Befehl des Zaren, wenn dieser irgend ein Interesse daran hatte, eine Ehe zu trennen.

Die eheliche Liebe war denn auch in der Regel nicht sehr groß. Am meisten litt dabei die Frau. Sie suchte sich die Neigung ihres Mannes zuweilen durch abergläubische Mittel zu gewinnen, z. B. dadurch, dass sie ihm Wasser, womit sie sich gewaschen, zu trinken gab. Wurde sie dabei ertappt, so traf sie eine Kirchenbuße, bestehend in sechswöchigem Fasten.

Dem Manne lag weniger an der Liebe, als an der Treue seiner Frau. Wenn er die Mittel dazu hatte, so hielt er sie in orientalischer Absperrung, ließ sie weder ausgehen, noch sonst sich den Blicken fremder Männer zeigen. Selbst in die Kirche oder in das Haus einer verwandten Familie kam sie selten, so lange sie jung war. Nur an gewissen Festtagen wurde den Frauen und Mädchen Moskaus gestattet, nach einem Lustort vor der Stadt spazieren zu gehen, wo auf einer anmutigen Wiese hohe Schaukeln errichtet waren. Dort durften sie sich der Ergötzlichkeit des Schaukelns hingeben, welche sie sehr liebten.

Sich zu küssen war auch unter Männern üblich und dann nur ein Ausdruck freundlicher Begrüßung. Liebende verstärkten den Kuss, indem der Mann seine Zunge in den Mund der Frau oder des Mädchens steckte. 28)

Von der Eifersucht, mit welcher die Moskowiter ihre Frauen bewachten, war im nördlichsten Russland, bei den Lappen gerade das Gegenteil Sitte. Langte ein Kaufmann oder sonst ein Gast in der Hütte eines Lappen an, so quartierte ihn dieser bei seiner Frau ein und ging dann seinen Jagdgeschäften nach. Fand er bei seiner Heimkehr, dass seine Frau recht munter und aufgeregt aussah, so vermutete er, dass der Gast seine Schuldigkeit getan habe, und erwies ihm alle Ehre. Machte die Frau aber ein verdrießliches, unbefriedigtes Gesicht, so jagte er den unnützen Menschen als einen unhöflichen oder untüchtigen Mann aus dem Hause.

Übrigens war es auch in Moskau mit der Tugend der Weiber nur schwach bestellt, 29) und bei den Männern überwog die Geldgier fast immer die Eifersucht. Dazu kam, dass beide Geschlechter, wenigstens unter dem geringen Volke, die nämlichen Badehäuser besuchten, und dass man überhaupt für Schamhaftigkeit sehr wenig Sinn hatte. Es machte den Russinnen Spass, wenn ein Ausländer über ihre Ungeniertheit erröt ete. In den niederen Ständen verhinderte ohnehin die Armut jenes Absperrungsverfahren.

Auch darin glich die wohlhabende Russin einer Türkin, dass sie ihre Tage mit Nichtstun verbrachte. Sie nähte, sie stickte ein wenig, um sich zu zerstreuen; aber jede wirkliche Arbeit im Hause wurde von Sklaven und Sklavinnen verrichtet. In den Haushaltungen der Armen war freilich auch dies anders; doch beschränkte wenigstens der Aberglaube auch hier die Tätigkeit des Weibes. Namentlich durften weibliche Hände kein Tier töten, es wurde sonst unrein und gehörte dann zu den verbotenen Speisen. Wollte die Frau ein Huhn oder sonst ein Tier für die Küche zubereiten, so musste sie, falls gerade kein Mann im Hause war, mit dem Tiere auf die Straße hinaustreten und irgend einen Vorübergehenden um die Gefälligkeit bitten, ihm den Hals umzudrehen oder es abzustechen.

Trost für ihre Entbehrungen suchte die Frau ebenso wie der Mann bei der Flasche. Die Trunksucht war allgemein. Die stumpfen Nerven verlangten überhaupt sehr heftige Erschütterungen, und was anderwärts als Zartheit geschätzt ward, verachtete man hier als Schwäche. Ein deutscher Schmied Namens Jordan hatte sich in Moskau niedergelassen und eine Russin geheirathet. Nach einiger Zeit sprach Frau Jordan zu ihm: ,,Warum liebst du mich nicht?“

„Ich liebe dich jal“ antwortete der Deutsche verwundert.

,,Du hast es doch noch nicht bewiesen!“ murrte die Frau.

„Welchen Beweis verlangst du denn?“

„Du hast mich noch nicht ein einziges Mal geschlagen!“

„Prügel hielt ich freilich nicht für Zeichen der Liebe,“ meinte der Schmied lächelnd. „Doch wenn dir daran liegt, so will ich auch hierin das Meine tun.“

Bei der nächsten Gelegenheit bedachte Herr Jordan seine Frau mit einer tüchtigen Tracht Schläge, und er fand, dass sie seitdem viel zärtlicher gegen ihn war. Er merkte sich dies und sobald die Zuneigung seiner Frau wieder erkalten wollte, griff er zum Stock und prügelte sie halbtot. Er beteuerte dem Baron von Herberstein, der diese Geschichte mitteilt, dass das Mittel probat sei. 30)

Auch die Knechte hielten einen Herrn, der nicht prügelte, für ein Unding. Sie arbeiteten nur, wenn sie ab und zu als Aufmunterung Hiebe bekamen. Übrigens standen selbst die vornehmsten Männer unter dem Stock und der Knute, denn sie waren eben die Sklaven des Zaren. Es wurde in der Hütte und im Palast geprügelt. Darum übte sich Hoch und Niedrig schon in der Jugend solche körperliche Schmerzen zu ertragen; denn ein dickes Fell war Goldes wert. Wie bei uns die Knaben Soldaten spielen, so spielten sie in Russland Prügelknecht, und wer die meisten Hiebe aushalten konnte, war Knäs.

Man betrachtete die Prügelstrafe als eine notwendige Äusserung der väterlichen Gewalt, nach dem Spruche der Bibel: Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und man nahm es deshalb für ein Zeichen der Gleichgültigkeit, wenn der Mann seine Frau, der Herr seine Knechte, der Zar seine Untertanen zu prügeln unterlies. Alle diese Verhältnisse waren patriarchalischer Natur.

Der Vater durfte seine Kinder auch verkaufen, und wenn der verkaufte Sohn auf irgend eine Weise wieder frei wurde, so fiel er von neuem der väterlichen Gewalt anheim, und der Vater durfte ihn abermals verkaufen. Erst nach viermaligem Verkauf verlor er sein Recht auf den Sohn.

Die Knechtschaft galt in Russland als der ordentliche Zustand der Dinge, die Freiheit schien widernatürlich. Darum mochte der Russe viel lieber Knecht sein, als sich selbst befehlen; das letztere verstand er eben nicht. Es war herkömmlich, dass reiche Leute auf dem Todbette oder in ihrem Testamente einige ihrer Sklaven lossprachen. Aber den Freigelassenen fiel es nicht im Traume ein, die Freiheit zu behalten; sie beeilten sich jemand ausfindig zu machen, der Lust und die Mittel hätte, sie zu kaufen, und für den Erlös ihrer Person betranken sie sich. Selten entlief ein Sklave; denn ein Entlaufener bekam nicht leicht einen neuen Herrn. Dagegen gebot dem Herrn die Klugheit, seine Knechte nicht allzustreng zu behandeln, weil sonst andere abgeschreckt wurden, sich oder ihre Kinder ihm zu verkaufen. Das Recht über Leben und Tod hatte allein der Zar; jede andere Strafe durfte die Herrschaft verhängen.

Von den Einflüssen, welche die abendländische Zivilisation seit Iwan III. bei Hofe zu üben begann, erhielten sich Denkart und Sitte des Volkes noch lange Zeit völlig frei; der Russe betrachtete das neuernde europäische Wesen sogar mit tiefem Misstrauen und Unbehagen. Es erregte nicht geringen Anstoß, dass Iwan III. beim Herannahen des Todes unterlassen hatte, sich dem alten Brauche gemäß als Mönch einzukleiden, und dass er in seiner weltlichen Tracht und im Lehnstuhl gestorben war. Noch mehr missfiel es der Nation, beim Ableben Wassilji's IV. sehen zu müssen, dass dessen Witwe Helene nicht, wie es für großfürstliche Witwen hergebracht war, ins Kloster ging, sondern die Regierung für ihren unmündigen Sohn übernahm und ihr Leben durch mancherlei Liebeshändel zu verschönern suchte. Sie regierte gut, aber dies gereichte ihr bei dem Volke nicht zur Entschuldigung, und so durften ein paar ehrgeizige Magnaten es wagen, sie durch Gift aus dem Wege zu räumen und sich selber der Zügel des Staates zu bemächtigen. Mit derselben Gewaltsamkeit beseitigten sie Helenens Verwandte und Günstlinge. Dann aber kehrten die neuen Machthaber gegen einander ihre Waffen, und der Hof blieb ein Tummelplatz der Ränke und der Verbrechen. Niedrige Verschlagenheit, brutale Anmaßung und kaltblütige Grausamkeit, das waren die Kräfte, welche die Spitzen der Nation zur Geltung brachten, als auf dem Zarenthron ein Kind saß.

Ein Vormund verdrängte den andern; wie ein Spielball ging der Großfürst, der junge Iwan IV., von Hand zu Hand. So wuchs er schlechterzogen und wenig beachtet auf. Aber plötzlich schoss aus diesem Knaben die Gewalt eines Charakters hervor, der ihn dann zur Geißel der russischen Aristokratie gemacht und ihm den Beinamen des Schrecklichen verschafft hat. Er war erst vierzehn Jahre alt, als er eines Tages in den Staatsrath kam und hier zum Staunen Aller eine Rede hielt, in der er sich über den Missbrauch beklagte, den man mit seiner Jugend getrieben. Dann befahl er den Straßenvögten, den bisherigen Regenten, den Fürsten Schuiski, welchen er als den Hauptschuldigen betrachtete, zu greifen, und ließ ihn so lange knuten, bis er den Geist aufgab. Der ganze Hof zitterte vor dem Strafgericht, das so unerwartet hereinbrach. Ein Bojar, Namens Buturlin, welcher der Hinrichtung Schuiski's beiwohnte, rief entsetzt aus: ,,Das wird ein schrecklicher Zar!“ er büßte dieses Wort mit dem Tode; Iwan ließ ihm durch Henkershand die Zunge abschneiden, und er verblutete sich. Nun wand sich, wohin der Blick des jungen Zaren fiel, alles vor ihm im Staube, und wenn er bisher seine Umgebung nur gehasst hatte, so lernte er jetzt auch die Menschen verachten und ihnen misstrauen. Doch die sklavische Unterwürfigkeit der Großen, welche bisher hier in unverschämtester Weise die Herren gespielt, erweichte ihn nicht; zwei Jahre lang fuhr er fort, den Schrecken zu verbreiten, indem er mit der Knute und dem Richtschwert gegen Schuldige und Unschuldige wütete.

Aber dann schien die Wildheit seiner Natur sich ausgetobt zu haben; es folgten Jahre, in denen er den Rath tugendhafter Männer hörte, mit Mäßigung herrschte und mit Weisheit verwaltete. Diese gute Zeit endete, als seine Gattin Anastasia starb (1560); denn die Zariza hatte auf sein Herz einen wohltätigen Einfluss geübt. Iwan fiel jetzt wieder allen Dämonen seiner zwiespältigen Natur zur Beute. Sein Sinn hatte stets zum Aberglauben und zum Misstrauen geneigt; jetzt fand jedes leichtfertige böse Gerücht bei ihm ein offenes Ohr, wenn es von Nachstellungen, Verrath, feindlicher Hexenkunst und andern Gefahren sprach. Er beschloss alles zu vernichten, was in Russland seiner Person oder seiner unumschränkten Fürstenmacht entgegenzutreten den Willen haben könnte. Zu diesem Zweck umgab er sich mit gewissenlosen Schergen und zerstörte auf die Einflüsterungen seiner Spione und auf eigene Einbildungen hin das Glück von vielen tausenden seiner Unterthanen. Alle Chronisten jener Zeit sind voll der Gräuel, welche Iwan verübte: „Das Blut floss im Zarenpalast wie auf den Straßen. Zwischen den dunkeln Mauern der Klöster und aus feuchten Kerkern ertönten die Seufzer unschuldiger Gefangenen.“ „Der Zar häufte Blut auf Blut; er tödtete Freunde und Feinde, Greise, Frauen, Kinder. Nero's und Caligula's Grausamkeiten kehrten hier zurück.“ Die Namen der auf Iwans Befehl Hingerichteten bilden eine grauenhaft lange Liste; es fehlt auf ihr fast keins der adligen Geschlechter, die in Russland damals vorhanden waren. 31)

Mit der Grausamkeit war die Wollust im Bunde, und die eine Leidenschaft erhielt von der andern immer neuen Antrieb. Das Werkzeug, dessen sich der Zar bei seinen Untaten bediente, war seine Leibwache, die Opritschnina, eine bewaffnete Bande vornehmer Edelleute, die an Frevelmut dem Zaren nichts nachgaben und seine Ausschweifungen mit ihm teilten. In einem Lustschloss nahe bei Moskau, in der Alexandrowa Sloboda, feierte Iwan die tollsten Orgien, welche mit scheinheiligen Übungen einer äußerlichen Frömmigkeit abwechselten; er nannte sich dort Abt, seine Spießgesellen Ordensbrüder, und er hielt darauf, dass sie zur Messe und zum Hochamt ebenso pünktlich kamen, wie zum Zechgelage und zum Mordfest.

Übrigens behandelte er die Geistlichkeit ebenso despotisch wie jeden andern Stand. Das Haupt der russischen Kirche, der Metropolit Philipp, wagte einmal in der Kirche dem Zaren seine Sünden vorzuhalten und ihn an Gottes Gericht zu erinnern. Dafür ließ ihn der Zar während eines feierlichen Hochamts vom Altar reißen, seines bischöflichen Schmuckes berauben und mit Besen aus dem Tempel jagen. Dann wurde er in den Kittel eines Bettlers gesteckt, auf eine Schleife gesetzt und so durch die Straßen geschleppt. Er musste mit jahrelangem Gefängniss und dann noch mit dem Tode die Wahrheiten büßen, die er als oberster Bischof ausgesprochen.

Dennoch suchte sich Iwan in den Ruf kirchlicher Gesinnung zu bringen. So ließ er aus Rücksicht auf die Volksstimmung die Gotteshäuser, die er den katholischen Litauern und den Lutheranern in Moskau eingeräumt, bald wieder niederreissen, und um sich als eifrigen Christen zu bewähren, jagte er die Juden aus dem Lande. Diese Maßregel sollte sogar noch für ein Zeichen der Gnade gelten; er hatte mit ihnen eigentlich Härteres vorgehabt. „Entweder wirst du ein Christ, oder ich lasse dich ersäufen!“ pflegte er sonst beim Anblick eines Juden zu sagen.

Die blinde Wut, welche den Zaren hinriss, sobald man seinen Zorn oder Argwohn nur im geringsten reizte, war auch seinen nächsten Angehörigen verderblich. Noch sechsmal verheiratete er sich, zuweilen auf dem Wege der Brautschau, wobei er dann die übrigen jungen Damen seiner vorübergehenden Lust zu opfern und nachher mit einem Stück Geldes oder auch ohne solche Entschädigung zu entlassen pflegte. 32) Die neue Gemahlin aber verstieß er bald wieder, wenn sie nicht ein früher Tod von den Leiden an der Seite eines solchen Scheusals erlöste. Unter seinen Söhnen war der älteste, Iwan, des Vaters Abbild und Liebling. Doch als der Jüngling einmal es sich herausnahm, eine eigene Meinung mit Lebhaftigkeit zu vertreten, da brauste der Jähzorn in dem alten Zaren auf, er schrie: „Du willst mir Vorschriften machen, mir, deinem Vater und Herrn?“ und zugleich hieb er mit seinem Keulenstock auf den Sohn ein, dass dieser tödtlich verwundet zu Boden sank. Nun kehrte die Besinnung dem Vater wieder, und sein Jammer war groß. So erfüllte sich, was er einst wie in Vorahnung dem Fürsten Kurbski geschrieben, welcher mit einigen andern Großen vor dem Wüterich aus Russland geflohen war und von Polen aus einen Absagebrief an ihn gerichtet hatte, wie die Aufschrift lautete: „An den einst herrlichen, hochberühmten Zaren, jetzt aber durch Bosheit und höllische Sünden im Herzen verfinsterten Tyrannen Iwan von Moskau.“ Ein treuer Sklave wagte es den Brief zu überbringen. Iwan bohrte ihm, während er die Botschaft entgegennahm, seinen spitzigen Stab in den Fuß, was jener ohne zu zucken litt. Ebenso standhaft duldete er dann Tortur und Tod für seinen Herrn. Den Brief beantwortete Iwan durch ein langes Schreiben, in welchem er alle Schuld ablehnt: „Das Gift der Natter ist auf deinen Lippen,“ heißt es darin, „und deine Worte sind scharf und todbringend wie Pfeile. Ich bin kein Tyrann, ich herrsche aber wie der Kaiser Augustus über den Erdkreis und teile als Alleinherrscher meine Gewalt mit keinem andern Sterblichen. Ich verderbe weder die Starken in Israel, noch röte ich die Tempel mit dem Blute der Erschlagenen. Ich bestrafe nur Verräter und ich würde auch, wie Constantin der Große, meinen eigenen Sohn nicht verschonen, wenn ich ihn schuldig fände.“ 33)

Wahr an Iwans Gegenrede ist nur soviel, dass die Verbrechen, mit denen er sich besudelte, die Ausschweifungen, mit denen er zugleich seinen Lüsten zu fröhnen und die Stimme seines Gewissens zu übertäuben suchte, ihn nicht gehindert haben, den Staat in leidlicher Ordnung zu halten. Aber das Erhebliche, was zu Russlands Wohl unter seiner Herrschaft geschehen ist, fällt eben in die Zeit, wo er sich von Andern, von Männern wie Kurbski leiten Ließ — so die Verbesserung der Wehrkraft, insbesondere die Errichtung eines mit Feuergewehr bewaffneten Inifanteriecorps, der Strelitzen d. i. Schützen, dann die Eroberung Astrachans, ferner die Einfuhrung einer Art von Geschwornengerichten — oder es kommt auf fremde Rechnung, wie die Eroberung Sibiriens durch den Kosakenhetman Timofejew Jermak.

Auch der Aufschwung, den der russische Handel unter Iwan IV. nahm, ist nicht das Verdienst dieses Zaren. Letzterer beschädigte sogar den großen Verkehr; denn im Jahre 1570 brach er Nowgorods letzte Lebenskraft, ließ dort 15.000 Bürger als Landesverräter niedermetzeln. Wenn gleichwohl der Handel Russlands im Ganzen große Fortschritte machte, so war dies dem Auslande zu danken. Es sandte nämlich im Jahre 1553 die englische Regierung eine Expedition unter Kapitän Chancellor in das nördliche Eismeer mit dem Auftrag, hier wo möglich einen Weg nach Indien zu entdecken, und mit Briefen an alle Beherrscher des unbekannten Nordens und Ostens versehen. 34) Chancellor lief in die Dwinamündung ein und schickte seine Papiere nach Moskau. Der Zar ergriff natürlich gern diese Gelegenheit, mit dem westlichen Europa über See in Verbindung zu treten. Er überhäufte die Ankömmlinge mit Ehren und Geschenken und eröffnete durch sie den Kaufleuten der City so lockende Aussichten, dass in London sofort eine englisch-russische Handelsgesellschaft gebildet wurde. Es entspann sich zwischen den beiden Ländern auf der Straße über das Eismeer bald ein überaus lebhafter Waarenverkehr. Die Engländer brachten Tücher und Zucker und holten dafür die mannigfachen und wertvollen Produkte des weiten Zarenreiches. Da bot Großrussland sein Getreide, Wachs, Honig, Talg, Häute, Theer und Flachs, der Ural seine edlen Steine, Marienglas und Salz, Sibirien sein Pelzwerk und fossiles Elfenbein; von der Wolga herauf kamen Fische und Kaviar, und Nowgorod, das noch nicht verwüstet war, beschaffte Perlen und Geierfalken. 35) Kein Wunder, wenn die kluge Königin Elisabeth von England auf das eifrigste die Korrespondenz mit dem moskowitischen Zaren pflog. Sie richtete an den schrecklichen Iwan die schmeichelhaftesten Briefe, so dass dieser ihre Zärtlichkeiten zuletzt auf seine Person bezog und der jungfräulichen Königin seine Hand antrug. 36) Indess Elisabeth hatte im verbindlichen Ablehnen solcher Anerbietungen bereits eine ungemeine Gewandtheit. Auffallend war dem Zaren, dass auch die Lady Hastings, der er dann die gleiche Ehre antat, es ablehnte, seinen Thron mit ihm zu teilen; er meinte, Heinrich VIII. habe doch die englischen Damen weniger blöde gefunden.

Übrigens hatte Iwan bei seiner Freundschaft für die Engländer noch etwas anderes im Auge. Seine rege Phantasie malte ihm aus, was ihm sein böses Gewissen zuweilen vorstellte, dass die russische Nation einmal Sprünge, wie ein scheu gewordenes Pferd machen, dass der Reiter herunterfallen könne. Es ist wahr, er hatte unter seinem Volke alles, was Selbständigkeit des Denkens und Wollens verriet, niedergemacht; er hatte insbesondere mit dem alten Adel gründlich aufgeräumt, unzählige große Grundbesitzer waren getötet oder ins Elend gestoßen und ihre Güter an Iwans Knechte vergeben worden. Doch eine Schranke ist auch in Russland der Despotie des Selbstherrschers gesteckt — die Palastrevolution; oder, wie später ein Russe selbst es ausgedrückt hat: La tyrannie temperée par l’assassinat c'est la Magna Charte des Russes.

Damals kam hiezu noch die Gefahr vor den Polen, die immer bereit waren, die Missvergnügten in einem Nachbarstaate zu unterstützen.

Kurz Iwan dachte für den schlimmsten Fall an ein behagliches Asyl in England. Es versteht sich von selbst, dass Elisabeth sich sehr gern erbötig zeigte, auf Verlangen einen so erlauchten und reichen Gast bei sich aufzunehmen.

Allein die grausamen Herrscher sind es nicht, gegen die man in Russland revoltirt hat. Iwan IV. ist nicht im Exil, noch durch die Hand eines Empörers, sondern in seinem Kreml gestorben, an einer Krankheit, die er sich durch seine sinnlichen Ausschweifungen zugezogen. Seine letzten Tage waren, wie sein ganzes Leben, geteilt zwischen Gott und dem Teufel, doch so, dass der Teufel bei weitem das meiste bekam. Der Zar hatte im März 1584, durch einen Kometen erschreckt, aus seinem ganzen Reiche die berühmtesten Sterndeuter und Ärzte und außerdem von Lappland einige erfahrene Hexenmeister, im Ganzen ihrer sechzig, nach Moskau bringen lassen; sie sollten ihm den Ausgang seiner Krankheit verkünden. Sie prophezeiten ihm den Tod bis zum achtzehnten des Monats. Dafür verhieß er ihnen den Scheiterhaufen. Aber seine Krankheit nahm rasch zu, und in demselben Grade stieg seine Bußfertigkeit. Doch nachdem er sein Haus bestellt und wie er glaubte, sich mit dem Himmel versöhnt hatte, suchte er eine letzte Freude in dem Anblick der Reichtümer, die er in seiner Schatzkammer aufgehäuft. Hier unter seinen Geldsäcken und Juwelen fand ihn seine Schwiegertochter, die fromme Zarewna Irene, welche kam, um den Sterbenden auf die Tröstungen der Religion zu verweisen. Aber Iwan antwortete mit so handgreiflichen Liebkosungen, dass sie schleunigst die Flucht ergriff. 27) So brach der gefürchtete achtzehnte März heran. Der Kranke fühlte sich leichter und ließ sich statt der Mönchskutte seinen goldbrokatenen Schlafrock anziehen. Er meinte, seinen biedern Leichnam verstehe er doch besser als die sechzig gelehrten Herren. Er befahl, das Brettspiel zu bringen; da, wie er die Steine aufsetzte, fiel er lautlos um; er war todt.

Russische Historiographen haben die Untaten Iwans des Schrecklichen für Maßregeln der Politik ausgeben wollen; aber sie gehören vielmehr zur Sittengeschichte Russlands. Man kann die Gesinnung und Denkweise jenes Volkes nicht besser darstellen, als indem man erzählt, was es sich alles gefallen Ließ. Der Herr erregt hier unsern Abscheu, der Knecht unsern Ekel.

Ein deutscher Diplomat am Zarenhofe, ein sehr feiner Beobachter, schrieb kurz vor der Zeit, als Iwan IV. den Thron bestieg, die Bemerkung nieder: „Ungewiss ist es, ob die große Barbarei des russischen Volkes die Fürsten hier zu Tyrannen macht, oder ob durch die Tyrannei der Fürsten dieses Volk so ungeschlacht, roh und barbarisch geworden ist.“38) Für den Historiker ist die Sache nicht so zweifelhaft. Er wird das Urteil jenes Philosophen bestätigen müssen, welcher behauptet, dass die Völker allemal die Regierung verdienen, die sie gerade haben. Des Reizes der Neuheit entbehrt zwar dieser Gedanke, und er mag manchem simpel erscheinen. Allein es ist das Vorrecht der Wahrheit, dass sie nicht immer geistreich zu sein braucht.

Doch ist damit freilich der Gegenstand nicht ganz erschöpft. Wenn unsere Augen länger auf dem Nachtstück verweilen, welches jenen Zaren und sein Volk darstellt, so beschleicht uns nach den Empfindungen des Absehens und des Ekels noch ein drittes Gefühl, welches nicht so leicht zu benennen ist. Ich möchte es der Bangigkeit vergleichen, welche der stiere Blick des Wahnsinns zu erregen pflegt.

Zwar ein Höfling, dem der Zar bei Tafel zum Spass ein Ohr abschneidet, und der sich demüthig lächelnd für den gnädigen Scherz bedankt, 39) das ist kein Schauspiel, welches erschüttert. Dieser Schnörkel in dem Bilde Moskowiens wirkt eher komisch. Aber es gibt hier auch sehr ernsthafte Ausdrücke des Sklavensinns. Ein Gesandter Iwans des Schrecklichen, der Knäs Sugorski, erkrankte auf einer Reise im Jahre 1576 zu Tukkum. Der Herzog von Kurland erkundigte sich durch einen Kammerherrn täglich nach dem Befinden des vornehmen Gastes und erhielt jedesmal die Antwort: „An meinem Leben liegt nichts, wenn nur der Zar gesund ist.“ Als ihm eines Tages der Kurländer darauf erwiderte: „Aber wie ist es möglich, einem solchen Ungeheuer so ergeben zu sein?“ da sagte der Russe: „Vor kurzem ließ der Zar einen Bojaren um nichtiger Ursachen willen spießen. Der Unglückliche lebte noch folgenden Tages an seinem Pfahle, sein Weib und seine Kinder wehklagten neben ihm; er aber wiederholte unter den qualvollsten Schmerzen fortwährend die Worte: „Gott helfe dem Zaren! Gott gebe dem Zaren Glück und Heil!“ Sieh, so hängen wir mit gleicher Treue an dem strengen, wie an dem gnädigen Herrn. Das ist alter russischer Brauch. Gott segne den Zaren!“ 40) Und Sugorski war sonst ein verständiger Mann! Aber wir sehen, das Knechttum war bei dieser Nation bereits zur fixen Idee geworden. Denn wie jener Bojar, so dachten mit sehr wenigen Ausnahmen alle Moskowiter. Der fanatische Knechtssinn gehörte zum Wesen dieses Volkes. Es erblickte in dem Zaren seinen politischen Gott und in der Despotie sein Staatsrecht; die Knechtschaft war ihm heilig und es rühmte sich ihrer. Daher konnte der Zar wie ein Dalai Lama herrschen, unbeschränkt über die Geistlichkeit und über die Laien. Erkundigte sich ein Ausländer nach der moskowitischen Verfassung, so erhielt er überall in Russland eine und dieselbe Antwort: „Des Zaren Wort ist Gottes Stimme, des Zaren Wille ist Gottes Wille. Was er befiehlt, das geschieht und es gibt dagegen keinen Widerspruch. Er tue oder lasse, alles ist recht und gerecht wie in den Werken der Gottheit. Denn der Selbstherrscher ist nur der Vollstrecker des göttlichen Willens, wie schon sein Titel besagt: Gottes Schlüsselträger und Kammerherr.“ 41) Kurz, sich gegen die Misshandlungen des Zaren aufzulehnen, dieser Gedanke war dem russischen Volke gerade so unmöglich, als Empörung wider Gott, wenn er Hagel oder Pest sandte.

Denselben Geist unerschütterlicher Anhänglichkeit an den Herrscher und blinden unbedingten Gehorsams gegen dessen Gebote haben die Russen auch in den folgenden Jahrhunderten bewährt. Und selbst heute noch sind die Formeln „Gott und der Zar wollen es“, „Gott und der Zar wissen es“ in der russischen Sprache nicht veraltet, sondern voll Leben und Kraft. Denn „Gott und der Zar“ das ist wenigstens für den gemeinen Mann dort noch immer die Summe aller Gründe; einen Unterschied zwischen den beiden Gewalten macht er kaum, er glaubt an beide mit gleicher Inbrunst; doch hält er eher noch den Zaren für den Mächtigeren.

Unter den Gebildeten haben sich manche von den alten Traditionen des politischen Aberglaubens losgemacht; aber wie es scheint, die meisten wollen noch immer den Despotismus, wenn nicht eines einzelnen Menschen, so doch der Nation. Ohne Scheu vor dem Rückfall in die Barbarei, welcher sie zutreiben, klatschen sie jenen Fanatikern Beifall, die im Namen des „heiligen Russlands“ die Knechtung ihrer deutschen Mitwohner verlangen. Statt zu hegen und zu pflegen, was noch an Freiheit des Geistes, an Selbständigkeit des Lebens, an Menschenwürde in den nichtrussischen Teilen des Reiches vorhanden ist, hassen sie es, weil es sich nicht gutwillig moskomsiren lässt.