Aus Russlands Vergangenheit - kulturgeschichtliche Skizzen.

Autor: Pierson, William Dr. (1833-1899), Erscheinungsjahr: 1870
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Europäisierung, Wirsamkeit der Mittel, russischer Januskopf, Herkunft und Abstammung der Russen, Kosaken, Scythen, Moskowiter, Sitten und Bräuche, Volksgeist, Ahnenbider, Griffel des Geschichtsschreibers
Vorrede.

Zwei Welten machen einander den Besitz Russlands streitig: Europa, welches sich auf die mancherlei Formen abendländischer Kultur und auf den Willen der Zaren beruft, und Asien, welches seine Ansprüche auf Geschichte, Denkart und Neigung des Volkes gründet. Dieser Kampf muss die Teilnahme aller zivilisierten Nationen erregen, weil es sich in ihm um die Sache der Bildung und der Freiheit handelt; er hat für die deutsche Nation noch ein besonderes Interesse, denn er wird auch über das Glück, vielleicht über das Dasein von hunderttausenden deutscher Menschen entscheiden.

Gleichwohl ist das rechte Verständnis dessen, was in Russland auf dem Spiele steht, nicht einmal in Deutschland ein Gemeingut aller Gebildeten. Man pflegt hier die Wirksamkeit der Mittel, mit welchen die Zaren an der Europäisierung der russischen Natur gearbeitet, zu überschätzen; man kennt eben diese Natur zu wenig. Wer sich über Russland ein richtiges Urteil bilden will, darf sich nicht damit begnügen, dessen gegenwärtige Lage und Verhältnisse zu erkunden; er muss auch wissen, wie solche haben entstehen können.

Dazu gehört indes, dass man nicht, wie die meisten Ausländer thun, sein Studium der russischen Geschichte auf die neuere Zeit, auf die Ereignisse und Zustände seit Peter dem Großen, beschränkt; denn sonst bekommt man bloß das nach Europa gekehrte Antlitz des russischen Januskopfes zu sehen. Vieles in Russland begreift sich schlechterdings nur, wenn man Herkunft und Abstammung der Russen erwägt.

Diesen ersten, so wichtigen und doch so wenig bekannten Teil der Vergangenheit jenes Volkes dem großen Publikum anschaulich und eindringlich vor Augen zu stellen ist der Zweck meines Buches. Ich habe in demselben versucht, die ganze Ahnenschaft der heutigen Russen, von den Scythen bis zu den Moskowitern, welche Peter I. vorfand, nach ihrem äußern und Innern Wesen, mit ihren Sitten und Bräuchen und ihren merkwürdigsten Erlebnissen naturgetreu und deutlich abzuschildern. Den breitesten Platz in diesen Gemälden nimmt das kulturhistorische Element ein; es ist gerade in despotisch regierten Ländern der klarste Ausdruck des Volksgeistes.

Wer von meiner Sammlung russischer Ahnenbilder mit dem Seufzer Abschied nimmt, dass doch die Menschheit so langsam zum Bessern fortschreite, der sehe sich zu seinem Tröste die liefländische Skizze an, die am Ausgange hängt, und vergleiche mit der Ungeschlachtheit der Vorfahren in seinem Geiste die feine Gesittung ihrer Enkel.

Doch so sehr es auch in der Absicht des Verfassers liegt, gewisse nützliche Kenntnisse zu verbreiten, er würde sein Werkchen als missglückt betrachten, wenn es ihm nicht zugleich gelänge, den Leser angenehm zu unterhalten. Daher hat er für die Darstellung Formen gewählt, die sonst eher der leichten Feder des Feuilletonisten als dem Griffel des Geschichtsschreibers zu entspringen pflegen. Nur glaubte er in der Vermeidung alles gelehrten Anstrichs nicht so weit gehen zu dürfen, dass die Belegstellen ganz fortblieben. Er hat die Zitate, die er für nöthig und nützlich hielt, angeführt, aber in den Anhang verwiesen. Ein solches Verzeichnis bietet auch den Vorteil, dass es die Quellen, aus denen der Verfasser schöpfte, auf einen Blick erkennen lässt.

Berlin, im Februar 1870.

Pierson.

Russisches Kaiserpaar in historischen Kostümen

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Reiterstandbild Peter I.

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Ganz privat - Teestunde am Samowar

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Russischer Geistlicher

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Pferdeschlitten

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Eine Troika

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Auf dem Weg zur Hinrichtung

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