Brief XII. Nowo Senaky, den 08.09.

Am 05.09. präzise 5 Uhr fuhren wir aus Bagdad ab. Selbst in dieser frühen Morgenstunde war die Luft warm; es hatte in der zweiten Hälfte der Nacht stark geregnet und ein dicker Nebel verhüllte jetzt Alles.

Die Chaussee führt in schnurgerader Linie etwa 15 Werst weit durch den Wald, in welchem unser Kutscher am Abend vorher so sehr gefürchtet hatte Räubern zu begegnen. Er erzählte uns, dass ein Kaufmann den ganzen Wald für 10.000 Rub. gekauft habe. Die gute Ordnung, in welcher dieser Wald gehalten wird, im Gegensatz zur Misswirtschaft, die wir eben in den Bergen gesehen, ist ein Beweis dafür dass gesicherter Privatbesitz und die Möglichkeit das Holz zu verwerten die erfolgreichen Mittel sind, die Wälder zu erhalten. Dagegen vermögen die strengen Gesetze, welche das Fällen der Zedern auf dem Ural, zum Sammeln der Zedernüsse, verbieten sollen, es nicht zu hindern, dass zehntausende von Pud Zedernüsse alljährlich dem russischen Volk als Naschwerk dienen, welche niemals in anderer Weise gepflückt werden, als dass der Baum dazu umgehauen wird.


Ich habe nirgends so reine Eichenbestände gesehen als in diesem Walde; aber ähnlich wie in den Bergen stehen die starken Bäume sehr weit von einander und ist der Boden mit undurchdringlich dichtem Unterholz, auf lange Strecken oft ebenfalls ausschließlich Eichen, bedeckt. Nur selten kamen Buchen vor und dann gewöhnlich ebenfalls in reinem Bestand, große Gruppen bildend. Darauf folgten Felder, meist riesig hoher Mais, mitunter imeretinische Hirse, den Mais an Höhe noch übertreffend, ihm auch sonst zum verwechseln ähnlich, nur ist der Stiel weit dünner und gleicht mehr dem Schilf. Noch eine andere Art Hirse war häufig, hier Komija genannt, aber mit der Pdanze, die ich in den tschetschenzischen Bergen angebaut gesehen habe und die hier als Gras allenthalben wächst, nicht zu verwechseln. Die Komija-Hirse wächst etwa so hoch wie Weizen; die Früchte bilden einen einzigen fußlangen Kolben, der, wie ein weicher Wollenquast umgebogen, hinunterhängt. Für gewöhnlich sollen hier die Felder zwei Ernten jährlich geben, erst Weizen und darauf Mais.

Menschliche Wohnungen waren häufig und meist zu kleinen Dörfern gruppiert. Gegen 8 Uhr langten wir in Kutais an. Wir gingen gleich zu Herrn von Hagemeister. Am Ende der Straße, in welcher sein Haus liegt, sah ich Jemanden mit raschen Schritten gehen.

“Das muss Hagemeister sein” sagte ich, “kein eingeborener Städter wird so schnell gehen.”

Er war es auch wirklich. Er machte uns gleich einen Plan für den Tag und Hess uns, als seine Geschäfte ihn abriefen, von seinem Sekretär begleiten.

Von einem Berge aus, auf dem eine alte Klosterruine stand, übersieht man gut die ganze recht kultivierte Gegend; zwischen Feldern stehen allenthalben einzelne Bäume, es sind Wallnuss-Feigen- und namentlich Maulbeerbäume. Was die Stadt anbetrifft, so habe ich niemals so viel defekte Dächer und zerfallene Schornsteine beisammen gesehen wie hier. Wir fahren auch zum Hause, welches in 2 Monaten für S. M. den Kaiser erbaut wurde, als er, ich glaube 1863, hier war; im Jahre 73 hat er dasselbe Haus wieder bewohnt. Die feucht-warme Luft und die fast täglichen Regen vertragen sich schlecht mit dem Styl des slawischen Holzschnitzwerks; fast Alles ist schon abgefallen, und die Veranda, welche um das ganze Haus läuft, ist, obgleich gestützt, nicht mehr betretbar. Durch die zerschlagenen Fensterscheiben sieht man den abfallenden Bewurf der Lagen und Wände. Vor dem Hause soll ein sehr schöner Lorbeerbaum gestanden haben, der aber ausgegangen ist, und auf der anderen Seite des Hauses, am Fluss, eine prachtvolle Eiche, unter der Seine Majestät oft gesessen hat; ein besonders starkes Hochwasser hat aber ein großes Stück des Ufers mit der Eiche weggerissen.

Wir besuchten auch einen Garten, der früher eine Baumschule gewesen ist, namentlich aber den Zweck hatte, Weingärtner zu bilden. Er kostete der Regierung sehr viel, aber scheint den Erwartungen durchaus nicht entsprochen zu haben; man entzog der Verwaltung das Geld; darauf übernahm die Stadt diesen Garten, doch scheint jetzt offenbar wenig oder gar nichts mehr für ihn zu geschehen.

Man zeigte mir einen Baum, Selkwa, dessen Holz besonders fest sein soll. Die Blätter sind klein, aber gleichen sonst denen der Buche, im Wuchs gleicht der Baum auffallend unserer Weisseller. Man erkennt ihn leicht daran, dass er, wie Platanen, die Rinde abwirft, nur in weit geringerem Grade. Die junge Rinde ist an den Stellen, wo die alte abgesprungen, von grell gelber Farbe. Das Holz ist, wenn es trocken ist, rötlich, an Mahagoni erinnernd; ein poliertes Bett aus diesem Holz sah aber grau-gelb wie schlecht gebeiztes Eschenholz aus. Wir fuhren auch zum Kloster Galati; der Weg erwies sich aber als unfahrbar und wir mussten zu Fuß hinaufsteigen; ein etwas warmes Unternehmen während der Mittagshitze.

Thielmann sagt in den vortrefflichen Schilderungen seiner Streifzüge, die Aussicht von der Terrasse des Klosters sei die schönste des Kaukasus.

De gustibus non disputandum est.

In der Schatzkammer wurden uns einige mit kleinen Perlen benähte Mützen und Schärpen gezeigt; dann machten wir uns wieder auf den Heimweg. Unser Kutscher regalierte uns mit dem Rest seines Frühstücks, gerösteten halbreifen Maiskolben und Wein aus, wie man behauptete, wilden Trauben. Dass die Trauben ohne jegliche Pflege ihre Früchte tragen müssen, ist jedenfalls richtig. Der Wein war sehr trinkbar und bedeutend besser als der, welchen man in den Schenken der Bourgogne, als du vin ordinaire, au litre verkauft. Wir hatten einen recht tiefen Fluss zu passieren. Ein Transport Steinkohlen auf Büffelkarren kam eben vorüber, die Büffel wurden ausgespannt und stürzten mit einem Sturm in den Fluss. Ich habe den Ausdruck gemächlichen Behagens niemals in einem so hohen Grade bei Tieren zu sehen Gelegenheit gehabt. Erst eben im holpernden Galopp, lagen die 50 oder 60 riesigen Tiere jetzt fast regungslos im Wasser; von einigen sah man nichts, als die weit geöffneten Nüstern über die Oberfläche hervorragen, andere bewegten langsam den Kopf und schoben Wellen des kühlenden Elements über Körperteile, die unter die Oberfläche zu versenken, ihnen nicht gelingen wollte. Die nasse, glänzende, fast gänzlich unbehaarte Haut, und die langsamen Bewegungen dieser ohnehin plumpen Körper gaben dem Bilde, ich möchte fast sagen, etwas Vorsündflutliches. Als die Nilpferde einst in unseren Flüssen, der Kühlung bedürftig, badeten, mag es ähnlich ausgesehen haben.

Ich habe den Büffelwagen noch nicht beschrieben; es ist das primitivste Räderfuhrwerk, das ich kenne; die beiden großen Räder sind meist massiv aus Planken gezimmert, aber wenn sie auch Speichen haben, drehen sie sich nicht um die Achse, sondern wie bei dem Eisenbahnwaggon sitzen sie beide fest aufgekeilt an der Achse und die Achse dreht sich zwischen einem unabgehauenen Aststummel und einem davor eingeschlagenen Zapfen der Fiemern, die vorn zu einer Joch-Deichsel zusammenlaufen. Das Gequiek soll ohrenzerreißend sein. Und damit werden Steinkohlen gefahren! Ich will hoffen die Zeit noch zu erleben, dass die Büffel im Waggon sitzen und die Steinkohlen sie ziehen.

Zu Mittag speisten wir bei Herrn von Hagemeister. Er hatte die Aufmerksamkeit, uns lauter einheimische Gerichte vorzusetzen: Frischen Kaviar aus der Kura, Tomatensuppe, Reis mit gesottenem Huhn, Erdäpfel, topinambours, mit Käse gebacken, wie ein livländisches Kartoffelpfannchen, sehr zu empfehlen, Truthahn mit Kirschensalat etc. Zum Dessert Trauben, so süss und würzig, wie ich sie noch niemals gegessen, dazu Imeretiner Wein, der uns vortrefflich schmeckte und vor dem Kachetiner den Vorzug hat, nicht so schwer zu sein.

Am 06.11. begleitete ich meinen lieben Reisegefährten M. . . zum Bahnhof. Er musste schon nach Hause eilen und nahm den kürzesten Weg zurück über Tiflis.

Für die 8 Tage, die ich noch hier verbringen will, hat mir Herr von Hagemeister die Marschroute entworfen; ich werde einen Ausflug nach Sugdidi machen und dann über Osurgeti und Nikolaewskaja nach Poti gehen, von wo am Dienstag das Dampfschiff in die Krim geht, das mich mitnehmen soll. Wenn mir das „Keine Pferde!“ nur nicht einen Strich durch die Rechnung macht! Nachdem M. abgereist war, überbrachte ich dem Fürsten Zeretelli mein Empfehlungsschreiben. Er war so liebenswürdig, nicht weniger als 9 Empfehlungsbriefe für mich zu schreiben; ich nahm sie mit vielem Dank an, denn ich habe es schon erfahren, dass man hier im Lande ohne Protektion, als einfacher Privatmann, vollkommen verloren ist.

Diese Familie Zeretelli will von Genueser Geschlechtern stammen, aus der Zeit als die colchische Ebene mit dieser Metropole des Handels in regem Verkehr stand und den Weg ins innere Asien für ganz Europa bildete.

Um 6 Uhr ging mein Zug ab; wie alle Abend, gewitterte es heftig; Blitze zuckten in allen Richtungen, während der Regen erst in der Nacht folgte. Ich schlief auf der. Poststation des Dorfes Nowo-Senaki, in einem Zimmer von 1 3/4 Faden Länge und 1 1/2 Faden Breite mit drei anderen Reisenden zusammen, bei nur einem Holzdivan als einzigem Möbel, welches der Zuerstangekommene einnahm, während wir auf der Diele lagen. Das Fenster blieb die ganze Nacht hindurch offen; dennoch sank mein Thermometer nicht unter 19 ½° Reaumur. Um 6 Uhr Morgens, im frischen Morgenwinde bei Nebel draußen frei aufgehängt, zeigte er 17° Reaumur.

Diese lauliche, feuchtwarme Morgenluft atmet sich mit besonderem Behagen.

Die Diligence ist vor der Tür.

Nach Sugdidi!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus Petersburg nach Poti