Brief XI. Korshowet Wald, den 05.09.

Die Gegend, durch welche wir fuhren, nachdem wir Borshom verlassen hatten, war wohl sehr schön, obgleich wir doch schon Großartigeres gesehen hatten. Den Wald bildeten Abies Orientalis und eine Pinusart, welche unserer Pinus silvestris, Tanne oder Kiefer, sehr gleicht. Die Nadeln an diesem Baum sind etwas länger als an unserer Tanne und liegen dichter am Aste an. In sehr eigentümlicher Weise fallen oft an dem unteren Teil des Jahrestriebes die Nadeln ab und bleiben dann nur wie ein Pinsel am Ende des Triebes in einem Büschel hängen. Andere Pinusarten, wenn ich nicht irre, z. B. die Pinus taurica, haben diese Eigentümlichkeit in noch höherem Grade. Die Endknospe ist wohl 4 mal größer, die Zapfen 1 ½ bis 2 mal größer als bei unserer Pinus silvestris. Am leichtesten wird man den Baum aber daran erkennen, dass er auf der Südseite, am unteren Teil des Stammes, zwischen der gekerbten Rinde, eine sehr lebhafte gelbbraune Farbe sehen lässt. Botanikern von Fach begegnet man hier nicht leicht; ich habe daher nicht ermitteln können, ob dieser Baum einen besonderen Namen hat oder nur als Spielart der Pinus silvestris gilt.

Unter dem Gestein waren Basalte sehr häufig; wie große Polster sieht man die Schichten treppenförmig übereinander gelagert; fast glaubt man die breitflüssige Masse noch in Bewegung zu sehen.


Überall wo sich neben unserem Wege das Tal etwas erweiterte und irgend Raum für Feldbau war, stand eine Schlossruine und neben derselben einige Hütten. Bei der Station Auwera erweitert sich das Tal bedeutend; daher liegt dort auch ein recht großes Dorf und eine riesige Ruine. Ein tunnelartiger ganz überwölbter Gang hatte zum Fluss hinuntergeführt. Ich kletterte ihn hinauf und gelangte in einen Hof, der von sehr hohen Mauern mit Schießscharten und Türmen umgeben war. Der Boden des Hofes war aber ein so abschüssiger Felsen, dass ich nicht weiter konnte. Es scheint also, dass auch in diesen großen Schlossern nicht viel auf Wohnlichkeit und Komfort, gesehen, sondern alle disponiblen Mittel zur Verteidigung aufgeboten wurden. Die Täter wurden jetzt immer breiter und aller nur einigermaßen ebene Boden war geackertes Feld. Um 1 Uhr waren wir in Achalzich: ein schmutziger Bazar, ein schmutziges Wirtshaus, in dem wir 2 Bub. 10 Kop. h Person für ein Mittagsessen zahlen mussten, das aus unzerkaubarem Fleisch, untrinkbarem Wein, unreifen Arbusen und steinharten Birnen bestand. Mein Nachbar an der Mittagstafel erbat sich die Erlaubnis, auf dem Vordersitze unserer Kalesche mitfahren zu dürfen. Es war ein am Bau der neuen Chaussee beschäftigter Ingenieur. Diese Chaussee wird von Achalzich nach Abas-Tuman führen. Der gegenwärtige Weg geht bis zur nächsten Station ausschließlich sehr steil im Zickzack bergan, so dass nur im Schritt gefahren werden kann. Oben ist eine kleine Station, wo aber nur im Sommer Pferde stehen. In einer mangelhaft überdachten Grube leben Pferde und Postknechte zusammen. Auch ein schriftkundiger alter Kerl wohnt dort, um die Nummer unserer Podoroschnaja in ein Buch einzutragen. An der Lage hängt ein Stück Fleisch, in der Ecke sieht man Spuren einer Feuerstelle; das scheint wirklich alle Lebensbedürfnisse der Leute zu befriedigen. Wir fahren jetzt auf einer 7.000 Fuß über dem Meer gelegenen Hochebene. Der Boden ist tiefer reiner Tschernosem. Unser Reisegefährte sagt uns, hier oben auf den Bergen finde man allenthalben Tschernosem, im Tal dagegen nirgends; das strömende Wasser muss ihn also dort wohl weggespült haben.

Der Höhenzug am Horizont zu unserer Linken war die frühere türkische Grenze. Die Straße ist sehr belebt; große Planwagen, mit 4 Pferden bespannt, begegnen uns in bedeutender Anzahl.

Wir fahren wieder sehr steil bergab und folgen darauf einem Flüsschen ins Gebirge hinein. Die Gegend ist sehr hübsch; steile Felsen zu beiden Seiten des Weges.

Um 5 Uhr Nachmittags sind wir in Abas Tuman, einem Badeort in spe. Die Quelle ist allerdings da: reichlich, schwefelhaltig, über 30° warm. Auf einer kleinen Ebene stehen 2 Pfosten mit der Aufschrift Basarnaja uliza; dort sollen die Privathäuser hinkommen und um die Quelle her wird Alles Park werden, ein Kursaal in der Mitte etc. Ich wünsche dem neuen Badeort bestens Glück. Wenn es nur genügend Kurgäsle gäbe!

Es gibt wohl auch jetzt schon Kurgäste, nur nicht von der rechten d. h. von der zahlenden Gattung; kranke Soldaten werden im Menge von der Regierung hergeschickt. In langen grauen Arrestantenröcken, mit einem Gurt umbunden, gehen sie langsam und allem Anscheine nach sehr gelangweilt umher; ihre blassen Gesichter bezeugen, dass sie Grund haben, Heilung zu suchen.

Unser Nachtquartier liegt 1/2 Werst weiter. Das Gebäude wird Kaserne genannt, es besteht aus 2 Zimmern mit einigen Feldbetten als Möbeln. Herr von Hagemeister hat hierher telegraphiert, damit Alles zu unserem Empfang bereit sei; das Telegramm ist aber nicht angekommen. Glücklicher Weise sind die Reitpferde, welche er uns entgegengeschickt hat, eben angekommen, und wir werden aufs Beste aufgenommen. Die Zimmer sind zwar recht feucht und kalt, aber ein loderndes Kaminfeuer macht sie bald sehr gemütlich. Tee und ein am Spieß sehr schön gebratenes Huhn schmecken ganz vortrefflich. Ich werde mir zu Hause auch einen Bratspieß für meine Küche anschaffen.

Heute Morgen standen wir um 5 Uhr auf. Es gab an den Sattelgurten, Steigbügeln etc. recht viel zu reparieren und zu ändern; um 6 Uhr waren wir aber glücklich im Sattel. Erst ging es das Tal entlang, dann bog unser Führer im spitzen Winkel nach links einen steilen Bergpfad hinauf. Immer hinauf ging es jetzt im Zickzack, zwei gute Stunden, den letzten Teil des Weges in einem undichten Nadelholzwalde: die Pinusart, welche ich bei Borshom gesehen, und Abies orientalis; sehr selten sah man auch eine andere Abies, die mir die Edel- oder Weißtanne (Abies pectinata D. C.) zu sein schien. Die Blicke von oben zurück waren herrlich: bewaldete Schluchten in allen Richtungen und je höher wir kamen, desto weiter schweifte das Auge über Bergspitzen und ganze Gebirgszüge hin.

Es hat etwas besonders Erhebendes, in so große Feme zu schauen und Berge von oben herab zu betrachten; die Entfernung, die man übersieht, begreift man nur, wenn man bedenkt, wie weit die einzelnen Bergzüge von einander liegen müssen. Hohe, spitze Kegel bildeten in blauer Ferne gegen Süden den Horizont.

Es wird hier an Stelle des Reitweges eine kleine Chaussee gebaut, die Karavanenführer benutzen aber noch oft den alten Saumpfad. Wie Ziegen sehen wir die beladenen Pferdchen über Steinblöcke klettern, und wenn es auch langsam geht, gewinnen sie doch oft vor uns, die wir in rascherem Tempo dem Wege folgen, einen bedeutenden Vorsprung. Die Passhöhe der neuen Chaussee erreicht 7.200 Fuß, aber nicht ganz die Kammhöhe des Berges.

Einem Jeden, der Sinn für Naturschönheiten hat, rate ich aber bis oben hinaufzusteigen. Nach hinten hin sehe man und nehme Abschied von den Bildern, die an Ausdehnung und Mannigfaltigkeit sich steigernd, einen bis hierher begleitet; nach vorne hin begrüße man die Schneeberge des zentralen Kaukasus, die, in ihren malerisch zackigen Formen, sich von hieraus besonders vorteilhaft präsentieren. Und dann ein Blick ins Tal, dem man sich für den Rest des Tages anvertraut! Es ist jäh wie ein Abgrund, bewaldet und dunkel; dort an der steilen Wand ist tief unten der Weg gebahnt und noch viel tiefer unten sieht man wieder die Krümmungen der kleinen Chaussee sich an den Felsen schmiegen. Nur am Seil glaubt man sich dort hinunterlassen zu können, und doch finden sich Schluchten und Grate, in die hinein und um die herum es möglich geworden, in ganz gelinder Senkung bis hinab zu gelangen.

Bevor wir weiter reiten, wird, etwa eine Werst unterhalb der Passhöhe, bei einigen kleinen Hütten Halt gemacht. Unser Führer hätte uns schon preveniert, dass wir dort ein Frühstück finden würden: ein am Spieß sehr schön gebratenes Huhn, Brot, Wein, Eier schmecken uns vortrefflich.

Unser Wirt ist der Unternehmer, welcher die Chaussee baut, ein Grieche aus Trapezunt. Die meisten seiner Arbeiter sind auch Griechen, namentlich alle Handwerker, wie Steinhauer und Maurer. Die Grusiner, sagt er, seien zu schwach zu schwerer Arbeit und wenn es anfange zu regnen, liefen sie alle davon.

Der Nadelholzwald, — Abies orientalis — durch den wir reiten, ist auf große Strecken hin ausgestorben und oft auch abgebrannt. Wie Gespenster starren die nackten Stämme ohne Rinde, welche oft dicker und höher sind, als die stärksten Grähnen (Fichten)— Abies excelsa (D. C.)— bei uns. So traurig der Anblick auch ist, freue ich mich doch über die vorteilhafte Gelegenheit zu beobachten, nach welcher Seite die Faser dieses Baumes sich windet.

Bekanntlich kommt es oft vor, namentlich im höheren Alter der Bäume, dass die äußeren Holzschichten nicht gerade wachsen, sondern gewunden sind, so dass beim Spalten des Stammes keine ebene, sondern eine gewundene Fläche entsteht. Dieses erschwert bedeutend das Bearbeiten des Holzes, und Tischler zahlen daher einen weit höheren Preis für gerade gewachsenes Holz.

Ich habe die Gründe zu erforschen gesucht, welche dieses Winden der Holzfasern veranlassen könnten, und glaubte anfänglich, die Äste des Baumes hätten das Bestreben, der Sonne in ihrem scheinbaren Gang um die Erde zu folgen; doch ist solches nicht richtig, da unsere Pinus silvestris und Abies excelsa (D. G.), welche ich vorherrschend zu beobachten Gelegenheit gehabt, sich in der entgegengesetzten Richtung winden, d. h. von links nach rechts. Nur sehr selten kommen Ausnahmen vor.

Eine Erklärung für diese Eigentümlichkeit habe ich bisher nicht auffinden können; sie steht aber in offenbarem Zusammenhang mit derselben Eigentümlichkeit bei Schlingpflanzen, welche sich auch vorherrschend nach rechts herum winden und nur in seltenen Fällen oder einzelnen Arten nach links.

Es scheint also, dass, wenn der Baum in höherem Alter schwächlich wird, die junge Holzfaser, welche sich dann bildet, nicht die Kraft besitzt, aufrecht zu wachsen, sondern sich um die inneren Schichten des Baumes windet, wie eine Schlingpflanze um einen fremden Stamm.

Die meisten der einigen tausend Bäume, Abies orientalis, welche ich hier ohne Rinde und geplatzt zu sehen Gelegenheit hatte, waren von rechts nach links gewunden. Ausnahmen waren aber sehr häufig. Meist befanden sich solche Stämme in Gruppen beisammen.

Lange blieb mir der Grund dieses allgemeinen Absterbens rätselhaft. Da sah ich einen Trupp Schindelmacher bei der Arbeit; sie spalten ihre sehr feinen und etwa einen Meter langen Schindeln oder Lubben mit großem Geschick; das Holz scheint sich zu dieser Art Verarbeitung auch ganz besonders zu eignen. Um die gerade gewachsenen Bäume von den gewundenen, welche sie nicht brauchen können, zu unterscheiden, ziehen sie allen Bäumen in Manneshöhe rund herum die Binde ab und da das Winden sich oft nur in den äußeren Holzschichten findet, während die inneren gerade gewachsen sind, so hacken sie die Bäume auch noch zur Hälfte an, was natürlich den Tod des Baumes zur Folge hat; denn zu anderem Gebrauch als zu Schindeln, scheint man bis hier hinauf nicht nach Holz zu kommen. Die einzige mögliche Art, von hier Holz ins bewohnte Tal zu schaffen, ist immer nur auf dem Packsattel des Saumpferdes.

Kommunikationsmittel und nochmals Kommunikationsmittel — das ist der Zauberstab, der aus einer Wildnis ein reiches Land macht. Namentlich hier, wo die Natur ihre Schätze stellenweise so reichlich aufgespeichert hat, während es nahezu unmöglich ist, sie an die Orte zu schaffen, wo sie gebraucht werden, kann man sich darüber klar werden, dass der Wert eines Naturprodukts nur nach seiner Verwendbarkeit bemessen werden darf. Wer das nicht tut, der kann sich hier nicht genug über die rücksichtslose Verschleuderung wundern, die mit dem Holz in den Waldregionen getrieben wird und wozu das eben angeführte Verfahren der Schindelarbeiter als gute Illustration dienen kann. In den letzten 2 Jahren scheint hier im südwestlichen Teil des Kaukasus sehr viel für die Wege getan worden zu sein. Wenn solches auch zunächst aus strategischen Gründen geschehen ist, so wird es doch jedenfalls zur Hebung des Wohlstands im Lande beitragen. Man bedenke nur den Wert der Arbeitskraft, welche jährlich erspart und zu produktiven Zwecken verwendbar wird, wenn man ein Fuder Waren auf einem Wege verführen kann, anstatt es auf dem Rücken mehrerer Lastpferde längs den alten Saumpfaden über die Berge schaffen zu müssen. Und wie viele wertvolle Produkte gehen nicht ganz nutzlos verloren, weil es die Mittel der Landesbevölkerung übersteigt, den Transport zu bewerkstelligen.

Von diesem Wege in der engen Schlucht aus gibt es keine Fernsichten mehr, dagegen wunderschöne Blicke in Seitentäler mit schäumenden Bächen im Grunde, namentlich aber, am eigenen Steigbügel vorüber, hinunter in die Schlucht. Die Bilder sind sehr mannigfaltig, — ich kann sie nicht alle beschreiben. Die Bäche sind bald weißer Schaum auf losem Steingeröll, bald eine Stromschnelle auf glatter Felsplatte oder ein Wasserfall, hier von Felsen, dort von üppiger Vegetation eingerahmt. Die neue kleine Chaussee, welche fast ganz beendigt ist, gibt einem durch die Möglichkeit bequem und gefahrlos weiter zu kommen alle Muße, die Schönheit der Natur zu gemessen.

Wer nicht Gelegenheit gehabt hat, auf solchen Pfaden, wie der hier von Serpentine zu Serpentine direkt führende alte Saumpfad es ist, zu reiten, der wird nicht glauben wollen, dass die Spuren wirklich von Pferden herrühren könnten, bis er einer kletternden Karawane selbst begegnet.

Der Nadelwald hat aufgehört; die Üppigkeit des Laubholzes übersteigt alles, was ich bisher gesehen habe. Die hohen Bäume sind meist Rotbuchen, aber immer in sehr weiten Abständen von einander; nirgends habe ich einen Bestand gesehen, der nur annähernd an die Forste Deutschlands erinnert hätte, z. B. an die sogenannten heiligen Hallen bei Tharand. Dagegen sind es hier ganz anders mächtige Stämme; einen der dicksten habe ich gemessen: er hatte in Schulterhöhe über dem Boden einen Umfang von 5 ½ Meter, gleich 18 Fuß englisch. Wie gedrechselt gerade steigen diese hellgrauen Säulen zu bedeutender Höhe hinauf; auch kräftige Rüstern sah ich und einzelne Eichen. Das Unterholz bilden vorherrschend Rhododendronbüsche, die oft in zusammenhängenden Feldern, so weit man sehen kann, die Bergwand bedecken. Ihr glänzendes dunkelgrünes Laub ist ein prachtvoller Anblick; was muss es erst sein, wenn im Frühjahr das Alles ein Blütenmeer ist! Aber in solchen Dickichten gehen zu müssen, wünsche ich keinem. Ich hatte kaum 10 Schritte zu machen, um die große Buche zu messen; die Äste oder halb kriechenden Stämme des Rhododendron und des ebenfalls häufigen Lorbeer sind 2 bis 3 Faden lang und schweben 3 bis 4 Fuß hoch in mehreren Schichten über dem Abhang; die Blätter bilden eine für das Auge undurchdringliche Decke, aber der Fuß sinkt in unberechenbare Tiefen. Fasst man mit der Hand nach dem nächsten Zweig, so sitzen einem die zurückgekrümmten Stacheln der Brombeerstaude in der Hand; man sucht auf den Ästen reitend die aufrechte Stellung und das Gleichgewicht zu erhalten und hat die Stacheln eines versteckten Rosenstrauchs in beiden Schenkeln. Dabei ist der Hang so steil, dass man niemals weiß, ob man 4 Fuß oder erst 400 Fuß unter sich festen Boden zu vermuten hat. In solche Dickichte und hinter unerklimmbare Felswände haben sich die Bergvölker vor ihren Verfolgern verkrochen, um auf einsamer Alpen weide ein kümmerliches Dasein zu fristen. Bei so vollständig gehemmtem Verkehr haben sich denn auch die zahlreichen Völker des Kaukasus Jahrhunderte hindurch unvermischt erhalten oder zu besonderen Stämmen ausbilden können. Durch die schwierigen Lebensverhältnisse und die ewigen Kämpfe untereinander ist die Lebenszähigkeit und körperliche Leistungsfähigkeit in Bezug auf Gewandtheit, Schärfe der Sinne und die damit zusammenhängende Schönheit der Gestalt so hoch entwickelt worden, dass wir, wohl von Eifersucht getrieben, wenn wir diese wohlgebildeten gelenkigen Gestalten sehen, uns selbst als von Kaukasischer Rasse abstammend, zu nennen belieben. Aber so sehr der Adel in den markierten Zügen dieser schwarzäugigen Kerle auf den ersten Blick auch hohe Bewunderung in uns erweckt, müssen sie, wie der Araber der Wüste seit langen Generationen nur im Handhaben der Waffen geübt, erst bedeutende Modifikationen erleiden, ehe sie zu schwerer Arbeit tüchtig werden.

Die dichten Wälder, in welchen wir eben reiten, waren den russischen Truppen bei der Eroberung des Landes auch die größte Schwierigkeit und trotz Kälte und Schnee wurden die meisten Expeditionen im Winter gemacht, denn im undurchdringlichen Dickicht versteckt sandten die Bergbewohner ihre wohl gezielten Kugeln auf die einzeln dem schmalen Stege folgenden Soldaten und streckten Mann auf Mann nieder, ohne dass auch nur ein einziger von ihnen gesehen werden konnte. Wie anders sind die Gefühle, mit denen es mir vergönnt ist, dieses Dickicht zu betrachten und mich an seiner Üppigkeit zu erfreuen.

Jetzt nimmt der Fluss, zu dem wir herabgestiegen waren, wieder auf längere Zeit von uns Abschied; in einem prachtvollen Wasserfall zwischen schwarzen Felsen stürzt er in die Tiefe. Hinter dem dichten Laube versteckt, mag er noch mehrere Wasserfälle bilden, denn wir steigen noch lange bergab, bevor wir ihn wieder erreichen.

Da hat ein Erdrutsch die neue Chaussee mit fortgerissen, mir wird bange auch hinabzugleiten, ich steige ab und führe mein Pferd an der Hand über den kaum fußbreiten Pfad.

Wir hatten gegen 20 Werst von der Passhöhe bis zu einem Ort zu reiten, wo ein Mittagessen für uns bereit stehen sollte. Wir glauben schon reichlich so weit geritten zu sein; unser Führer ist nachgeblieben, — wir sind vielleicht schon unbemerkt an dem Ort vorübergeritten.

Da sehe ich ganz zufällig in einiger Entfernung vom Wege hinter Bäumen etwas, was mir das Dach eines Hauses zu sein scheint; ich besinne mich, dass vor kurzem ein Steg vom Wege abbog, welcher dorthin führen könnte.

Wollen wir jedenfalls versuchen zu diesem Hause zu gelangen und nach unserem Mittagsquartier fragen.

Aber M. will nicht wieder zurück, es kostete mir viel Mühe ihn zu überreden. Aber o Freude! Das weiße Tischtuch einer gedeckten Mittagstafel leuchtet uns durch die offene Türe des zweiten Stockwerks entgegen. Sehr bald erschien Tee, darauf zwei sehr schön am Spieß gebratene Hühner; sie schmeckten vortrefflich und wurden von uns vollständig vertilgt. Am Abend ein am Spieß gebratenes Huhn, am Morgen auch ein am Spieß gebratenes Huhn, zu Mittag zwei am Spieß gebratene Hühner, und immer sehr gute. Aber wenn ich mir für meine Küche einen Bratspieß werde angeschafft haben, soll der erste Braten, der daran gebraten wird, nicht wieder ein Huhn sein.

Wir lassen unsere Pferde 2 Stunden ruhen; ich schreibe mein Tagebuch und folge für einen Augenblick M-s Beispiel, indem ich etwas schlafe. Dann geht es mit frischen Kräften vorwärts, immer bergab.

Das starke Holz im Walde wird seltener; wir sehen Arbeiter, welche viereckig behauene Stämme an langen Stricken von oben zum Wege herablassen; es mischen sich noch viele andere Baumarten in dem Walde, Kastanien mit ihren stachligen Früchten, verschiedene Arten Ahorn, Eschen etc.

Bald hört das starke Holz ganz auf: wir passieren eine Rodung. Die verkohlten Stubben stehen noch alle da. Zwischen solchen Wurzeln und bei dem unendlich abschüssigen Terrain muss das Ackern dieses Feldes selbst mit einer Hacke sehr mühselig gewesen sein; aber der Mais steht vortrefflich, über 16' hoch; die Stämme sind so dick und die Blätter so breit, wie unsere Gärtner es auf den gepflegtesten Riesenbeeten niemals erzielen.

Die Rodungen werden häufiger; auch Tabakpflanzungen kommen vor. Die Sorgfalt, mit der sie gepflegt sind, zeugt davon, dass es schon seit lange hier im Orient für die Qualität dieser Ware Kenner gibt, welche die auf die Kultur verwandte Sorgfalt zu bezahlen wissen.

Wir haben noch 22 Werst zu reiten; es ist herrlich schön, aber sie werden uns sehr lang, diese letzten 22! M. ist weit hinter mir zurückgeblieben. Die Sonne geht unter; schwere Wolken ziehen herauf; es wird stockfinster, der Weg führt wohl in einem ebeneren Tal, der Fluss liegt aber doch noch so viel tiefer, dass ein Hinabstürzen sehr schlimm wäre.

An dieser Seite des Weges darf ich also, da kein Geländer da ist, im Dunkeln nicht reiten; auf der anderen Seite gibt es Felsen, von denen Brombeerstauden und Kletterrosen herabhängen. Sie schienen mir noch eben sehr malerisch und hübsch, jetzt berührt eine in höchst unangenehmer Weise meine Wange; ich darf also auch auf der anderen Seite des Weges nicht reiten, die Dornen würden mir unvermeidlich die Augen auskratzen.

In der Mitte der kleinen Chaussee liegt aber frische Schüttung gehackter Steine; mein Pferd ist unbeschlagen, lahmt etwas und stolpert auf diesen Steinen bei jedem Schritt. Aber da hilft nichts; den Zügel möglichst stramm in der einen, die Nagaika in der andern Hand, treibe ich es so rasch wie möglich vorwärts, denn es wird offenbar gleich ein schrecklicher Platzregen sich über mich ergießen; Blitze zucken schon unaufhörlich. Ich hoffe gleich in Bagdad zu sein, wo eine Equipage uns erwartet. Aber wie werde ich erfragen, wo sie steht? Vielleicht kennt mein Pferd das Wirtshaus. Endlich schimmern kleine Lichter vom jenseitigen Ufer des Flusses herüber, aber die Häuser scheinen alle vereinzelt in großen Gärten zu liegen.

Ich reite über ein Brücke; da leuchtet ein heller Blitz auf und ich sehe, dass ich eben an einem Hause vorübergeritten bin, vor dem eine abgespannte Kalesche steht. “Ist das der Wagen, den der Staatsrat Hagemeister mir entgegengeschickt hat”? frage ich mit lauter Stimme in die Dunkelheit hinein. Aber wie soll ich die Antwort verstehen? Sie bei der Finsternis von den Lippen abzusehen, ist unmöglich. Zum Glück war die Antwort von einer unzweideutigen Handlung begleitet; ein Mensch kam diensteifrigst auf mich zu, fasste den Zügel meines Pferdes mit der Linken und den Steigbügel mit der Rechten. Es ist also offenbar ein sachverständiger Kutscher; wir verstehen uns vollkommen; ich steige ab und sage ihm an, die Pferde zu schirren, damit wir sobald der Baron M. ankommt, gleich weiter fahren könnten. Er antwortet und scheint dagegen etwas einzuwenden. “Ich bin taub, guter Freund, und höre nichts von dem, was du sagst, komme näher ans Licht, damit ich die Bewegungen deiner Lippen sehen kann, dann werde ich dich vielleicht verstehen”. Aber er hilft sich anders, mit der einen Hand fasst er sich an der Kehle und mit der andern macht er höchst energisch die Pantomime des Erdolchens. Ich musste lachen; er bemühte sich aber um so mehr abwechselnd Ausdruck und Gebärde des Erdolchenden und des Erdolchten anzunehmen.

“Meinetwegen, bleiben wir also die Nacht hier; aber um die 40 Werst bis Kutais vor dem Kaffee zurückzulegen, wollen wir um 5 Uhr Morgens ausfahren”. Nach mehr als einer halben Stunde langte M. auch glücklich an, wir berieten noch wiederholt, ob nicht doch gleich gefahren werden sollte, ließen dem Kutscher aber schließlich doch seinen Willen. Blitz auf Blitz erleuchtete das dichte Ellerngebüsch, in welchem, wie mir M. sagte, Grillen einen so merkwürdig lauten Lärm machten, dass sie den rauschenden Fluss, welcher in lauter Stromschnellen über große Felsblöcke floss, übertönten.

Die Luft war feuchtwarm und bildete einen auffallenden Kontrast gegen die trockene Hitze bei Tiflis. Der eigentümliche Sinnesreiz, welcher in jüngster Zeit dem Ozon-Gehalt der Luft zugeschrieben wird, dieses erhebende Gefühl, das man am Stärksten beim Gewitter empfindet, wenn der warme Wind einem um die Schläfen weht und die Brust sich hoch hebt, um den belebenden Odem in vollen Zügen zu. trinken. Es hielt uns noch lange auf dem Balkon und alle Müdigkeit war vergessen. Hier also ist das gelobte Land des Kaukasus: das Riontal, die alte Kolchische Ebene.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus Petersburg nach Poti