Durch die Mandschurei

Jenseits des Baikalsees, der mit seinen schönen Ufern unseren Blicken erst langsam entschwindet, erreicht der sibirische Zug nach drei Stunden das breite Tal der Sselenga und beginnt allmählich zu steigen. Während der Fluß sich verengt, fahren wir über ihn auf einer fünf¬hundert Meter langen Brücke hinweg.

Bald erreichen wir Werchne-Udinsk, von wo eine Poststraße in südlicher Richtung bis an die chinesische Grenze nach Kiachta führt. Dort befindet sich der Hauptsitz des Teehandels von China nach Russland, und über diesen Punkt wird auch die neue Eisenbahnverbindung gelegt, die auf kürzerem Wege als durch die Mandschurei, nämlich durch die Wüste Gobi, nach Peking führen soll. Der sibirische Zug überschreitet mehrere Flüsse, in deren Tälern hier eine Zementfabrik und dort ein Eisenwerk auftaucht, und erreicht in einer Höhe von 1037 Metern den Rücken des Jablonowygebirges. Der Charakter der Landschaft ist wildromantisch. Zwischen kahlem, schroff aufragendem Gestein erblicken wir einen Tunnel, der mit seiner Inschrift daran erinnert, dass sich hier die Wasserscheide für den Lauf der Ströme befindet.


Die Russen haben dafür einen pathetischen Ausdruck gefunden, indem sie auf die eine Seite des Portals die Worte „Zum Stillen Ozean“ (K welikomu Okeanu) und auf der anderen die Inschrift „Zum Atlantischen Ozean“ (K atlantitscheskomu Okeanu) anbrachten. In Tschita, der Hauptstadt des Transbaikalgebietes, werden wir durch umfangreiche Maschinenwerkstätten überrascht und sehen die Leute an einem neuen, massiven Stationsgebäude arbeiten. Wir folgen zwei Stunden lang dem Lauf der Tschita, des gleichnamigen Flusses, mit seinen zahlreichen Windungen zwischen ununterbrochenen Höhenzügen.

Wiederholt stoßen wir auf militärische Abteilungen, und das Gespräch dreht sich um die Truppenmassen, die im Laufe der letzten Zeit in der Mandschurei zusammengezogen worden sind. Wir hatten kaum Zeit, alles zu beobachten, was sich nun vor unseren Augen in dieser Beziehung abspielen sollte.

Die Grenze Chinas, die bei der Station Mandschuria anfängt, hätten wir fahrplanmäßig mittags erreichen müssen. Stattdessen trafen wir aber wegen der Verspätung, die erst zur Hälfte eingeholt war, am nächsten Tage in aller Frühe dort ein. Nach unseren Uhren war es sogar erst zwei Stunden nach Mitternacht, aber sie mussten es sich gefallen lassen, dass wir den Zeiger auf dem Zifferblatt sechsmal vorwärts herumdrehten, da wir fortan nicht mehr nach Petersburger, sondern nach der Zeit von Charbin rechneten, die jener so viel Stunden vorauseilt.

Die Station, die früher Nagadan hieß, soll mit ihrem neuen Namen daran erinnern, dass sie den Anfang der chinesischen Ostbahn bildet, und die Passagiere auf die Umgestaltung aller Verkehrseinrichtungen vorbereiten, die durch den Schienenstrang der Russen hervorgerufen wird.

Beim Verlassen des Zuges erblicken wir eine weite, tote, dünn bewachsene Ebene, die von flachen Bergzügen am Horizont eingerahmt ist. Ein paar niedrige, gelb angestrichene Holzhäuser, denen ein grünes Dach aufgesetzt ist, dienen als Wartehalle, Kasse und Güterschuppen. In dem Raum, wo man nicht nur nach Wladiwostok und Dalny, sondern auch nach Moskau und sogar nach Petersburg Billetts erhält, ist alles unsagbar einfach eingerichtet, als handele es sich um eine Haltestelle auf einer Klingelbahn.

Wir sitzen wie in einem Dorf auf Bänken, an einem ungedeckten Tisch und lassen uns von einem Chinesen, dem ersten, der auf unserer Reise das Amt des Kellners ausübt, den überall gut zubereiteten Tee, leidlich frisches Brot und etwas Butter bringen, die wir wegen ihres verdächtigen Geruches kaum mit den Lippen berühren und dann vorsichtig beiseiteschieben. Der schöne Morgen lockt zu einem Dauerspaziergang zwischen dem Dutzend Schienensträngen, die hier nebeneinander laufen und daran erinnern, wie lebhaft der Verkehr sich an diesem Platz in der letzten Zeit gesteigert hat.

Ein gemütlicher Österreicher, der alles mit den Augen seines Wienertums ansieht, kann kaum Worte der Verwunderung dafür finden, dass das „Kaffeehaus“, womit er den Speisewagen im Zuge meinte, noch immer nicht geöffnet ist. Neben dem Schuppen wächst bereits ein großes, mehrstöckiges, steinernes Gebäude, das vorläufig von Gerüsten bekleidet ist, für die Verwaltung der Station aus der Erde. An der hastigen Arbeit der Kulis merkt man, dass alles schnell unter Dach und Fach gebracht werden soll.

Das Gebiet, das wir durchfahren, ist reines Steppenland. Die niedrigen Höhenzüge, die wir vorher gesehen haben, verschwinden vollständig, und es bleibt nichts anderes übrig als eine gleichmäßige, gelblich grün schimmernde, von der Sonne vertrocknete Grasfläche. Fast könnte man glauben, in einem Boot über ein ruhiges Meer zu fahren.

Aber alsbald erkennt das Auge, welche fieberhafte Tätigkeit auf der ganzen Strecke in der Mandschurei entfaltet wird, nicht nur, um den Verkehr sicher zu gestalten, sondern vor allem militärische Vorkehrungen zu treffen, die weite und ganz bestimmte Ziele verfolgen.

Alle vier oder fünf Werst bemerken wir steinerne Wachtgebäude für Soldaten, die wie auf Vorposten in einem Feldzug stehen, daneben Wirtschaftsräume, Schuppen für Pferde und Pulvermagazine, die durch ein flatterndes Fähnchen kenntlich gemacht sind. Chinesische Arbeiter, die weiter nichts als einen bunten Lappen um die Hüften geschlungen haben, sind in kurzen Zwischen räumen zu Hunderten zusammengetrieben, um die Gleise an Stellen zu befestigen, wo sich der Boden gelockert hat, und auf einzelnen Strecken neue Dämme aufzuschütten.

In Chorchonte, etwa drei Stunden hinter Mandschuria, tritt der strategische Gedanke, den man mit der Bahn durch die Mandschurei verfolgt, noch deutlicher zutage. Man hat überall, oft unter erschwerenden Umständen, artesische Brunnen bohren müssen, um den Bedarf an Wasser zu decken. Auf dieser Station hat man aber gleich zwei schwere, große, massive Türme erbaut und zwischen ihnen einen so großen Zwischenraum gelassen, dass die Lokomotiven für zwei Züge gleichzeitig Wasser nehmen können.

Die Türme sind mit Schießscharten versehen und so eingerichtet, dass sich fünfzig bis sechzig Mann in ihnen gegen feindliche Angriffe bequem verschanzen können. Man gewinnt sofort den Eindruck, dass die mandschurische Bahn viel sorgfältiger als die west- und mittelsibirische gebaut ist. Schienen, Schwellen und Dämme sind aus besserem Material angefertigt als in jenen Gegenden. Das Bild der Steppe ist durchaus nicht eintönig wegen der wechselnden und oft prächtigen Beleuchtung, die sich vom Sonnenaufgang bis zum Abend auf ihr abspielt und immer neue Bilder an uns vorbeiziehen lässt.

Das Wilde und Ursprüngliche der Gegend, das sich alle paar Stunden merklich steigert, hat sogar etwas ungemein Spannendes. Eine halbe Stunde rast ein wildes Pferd mit flatternder Mähne, so dass es den Boden kaum zu berühren und durch die Lust zu schweben scheint, an unserem Zuge einher, bis es von einem russischen Soldaten eingefangen wird. Ein Zug Kamele trabt an uns vorüber, und auf jedem von ihnen sitzt zwischen den beiden Höckern ein Mann mit roter Bluse und hohen, schwarzen Stiefeln, ein Symbol der Herrschaft, welche der russische Bär über diesen Teil von China für alle Zeiten auszuüben gedenkt.

Die Zahl der Kulis wird immer größer. Scheu und neugierig halten sie sich in der Nähe des Zuges auf, und wenn einer von den Passagieren sie in seinem photographischen Apparat einfangen will, lassen sie sich gutmütig zu einer Gruppe zusammentreiben.
Wir haben schon die zwölfte Station hinter Mandschuria hinter uns, und überall wiederholt sich das Bild rastloser Arbeit, die massive Gebäude und kleine Forts an Stelle der leicht gezimmerten Holzhäuser auf dem früheren Teil der sibirischen Bahn entstehen lässt. Noch sieht man die Höhlen, die aus der Erde geschaufelt wurden und in der ersten Zeit, als die Bahn gebaut wurde, den Kulis und Soldaten zur Wohnung dienten.

Jetzt stehen die Kosaken mit aufgepflanztem Gewehr auf den Wassertürmen, den Dächern, den Anhöhen und überall sonst, wo sich ein Aussichtspunkt findet, und beobachten jede Bewegung in der Ferne. Sie geben untereinander Signale, am Tage mit Fahnen, in der Nacht dadurch, dass sie ein mit Pech getränktes Stück Werg, das um eine Stange gewickelt ist, anzünden. Kleinere und größere Trupps von Soldaten lassen sich jeden Augenblick zusammenstellen, wenn Hilfe nottut, ein Überfall erfolgen sollte oder eine Strafexpedition beabsichtigt wird. Originell wirkt der Anblick des ersten Stationsgebäudes, das im chinesischen Stil ausgeführt ist, wovon wir später noch zahlreiche, weitere Proben bekommen sollten.

Der Verkehr steigert sich auf dieser Bahn so überraschend, dass man den Russen andere Räume zur Verfügung stellen muss als den Chinesen, deren unangenehme Ausdünstung, namentlich wenn sie in größerer Anzahl versammelt sind, auch von Leuten ohne feinere Geruchsnerven unangenehm empfunden wird.

In Irekte wird eine zweite Lokomotive vor unseren Zug gespannt, da wir die Höhe des Chingangebirges zu ersteigen haben. Die sonst so einsame Gegend wird plötzlich von Tausenden von Menschen belebt. Unter unaufhörlichem Keuchen beginnen die beiden Maschinen unseren Zug auf drei Kehrwegen auf das Chingangebirge eintausend Meter hoch hinaufzuschleppen. Das Terrain setzt sich aus Strecken voll schroff aufragenden Gesteins, das unmittelbar vor unserem Zug herabzustürzen droht, und freundlichen, breiten Tälern zusammen.

Hirten, die hinter ihren Kühen und Lämmern zu Pferde traben, Kulis, die in Erdhütten wohnen und sich mit rauchgeschwärzten Gesichtern aus Reisig unter einem Kessel Feuer machen, Arbeiter, die zwischen den stehen gebliebenen Spitzen des ausgestochenen Erdreiches wie die Katzen lagern und zu dem Zuge emporblicken, treten uns in immer dichteren Scharen vor die Augen. Dazwischen sind große Werkstätten mit rauchenden Schloten und elektrische Anlagen angebracht.

Auf der kleinen Station, die sich auf der Höhe des Gebirges befindet, und von wo wir ebenfalls in drei Kehren in südlicher Richtung abwärts gleiten, erscheint ein elegant aussehender Mann, der mit seinem geistvoll energischen Gesicht und seinem schwarzen Vollbart eine auffallende Ähnlichkeit mit meinem alten Freunde, dem Maler Wereschtschagin hat, wie er vor zwanzig Jahren aussah. Es ist der Ingenieur Botscharow, dem man den Bau eines Tunnels durch dies Gebirge anvertraut hat und der damit noch vor Anbruch des Winters fertig zu werden hofft. So bequem der Zug die Anhöhen im Sommer und bei gutem Wetter erklimmt, so beschwerlich und bedenklich mag die Fahrt bei andauernden Regengüssen oder Schneewehen sein.

Botscharow erzählt mir von den Schwierigkeiten, die er überwinden musste, weil die Arbeiten im Winter oft unterbrochen werden mussten. Er befehligt ein kleines Heer von zehntausend Beamten, russischen Arbeitern und Kulis. Der Tunnel wird die Länge von drei Kilometern haben.

Dann geht die Reise wieder über weites Steppengebiet. Die chinesischen Stationsgebäude treten dabei immer zahlreicher und charakteristischer hervor. Sie sind bei den Fenstereinfassungen und auf den ausgezackten Dächern mit allerlei Ornamenten aus dem Reich der Mitte versehen. Auf dem First sitzt meistens eine Reihe von langgeschwänzten Affen oder gierig schnappenden Drachen, die aus Eisen ausgeführt sind und sich in dieser Umgebung sehr drollig ausnehmen. Am dritten Tage nach dem Betreten der chinesischen Grenze kommen wir nach Charbin, einer großen Station, wo der Zug über eine Stunde hält. Zuerst erblicken wir einen Fluss Ssungari mit einer eisernen Brücke, über welche unser Zug hinwegrollt. Am Ufer lassen zahlreiche Anlegestellen und Güterschuppen und die auf dem Wasser kreuzenden Dampfschiffe und Segelboote die Bedeutung dieses Punktes erkennen.

Wir fahren mit dem Zug einige Minuten weiter und halten dann in Neu-Charbin, einer jener aus dem Boden gestampften Städte, wie sie die russische Regierung in der Mandschurei überall ins Leben zu rufen sucht. Hier vereinigen sich die aus Dalny einlaufenden Züge mit denen, die aus Wladiwostok kommen, und der Verkehr schwillt an diesem Punkte von Jahr zu Jahr immer mehr an.

Zunächst ist man Zeuge eines tollen Jahrmarktstreibens, das sich in und vor dem hölzernen Stationsgebäude nach allen Richtungen bis zu den Gleisen der ein- und auslaufenden Züge abspielt.

Chinesen in allen möglichen Gestalten und Jahrgängen haben sich zum Schutze gegen die Sonne halb zerrissene moderne Strohhüte auf den Kopf gesetzt oder tragen Regenschirme mit geplatztem Gloriastoff und verbogenem Gestell. Andere drängen sich im Vorraum zum Wartesaal oder liegen zwischen den aufgestapelten Ballen auf der Erde. Inmitten der schreienden und rennenden Menschenmenge stehen ein paar persische Kaufleute in unerschütterlich würdevoller Haltung, selbst dann noch, wenn ihnen ein schmutziger Köter zwischen den Beinen hindurchläuft.

Die russischen Soldaten haben Mühe, die Ordnung aufrecht zu erhalten, und reden dabei die Sprache, die von den Kulis am besten und schnellsten verstanden wird. Sie versetzen ihnen abwechselnd einen Stoß ins Genick, geben ihnen eine Ohrfeige oder bearbeiten sie rückseitig mit der flachen Klinge, ohne dass sich die Opfer dieser schnellen Justiz gekränkt fühlen. Im Speisesaal teilen etwa dreißig Menschen ihre Kohlsuppe mit einer Armee von Fliegen, die trotz allen Fuchtelns und Wedelns nicht von den Tellern zu verscheuchen sind. Auf dem Rücken unserer Freunde schreiben wir Ansichtskarten, aber die Zeitungshändlerin, die sie feilhält, ist so unglaublich dumm und verschlafen, dass uns die Zeit, in der sie ihren Kasten öffnet und ihre Vorräte zeigt, eine Ewigkeit zu sein scheint.

Kurz bevor der Zug sich wieder in Bewegung setzt, gewahren wir auch zwei chinesische Polizeibeamte in roter Jacke, denen vorn auf der Brust in russischer und chinesischer Sprache die Bedeutung ihres Amtes schriftlich bestätigt ist. An einzelnen Stationen geben uns die Chinesen richtige Schaustellungen und führen so lange gymnastische Kunststücke aus, bis wir ihnen einige Kupfermünzen zuwerfen.

Immer wieder fallen die massiven Stationsgebäude mit Steinwänden von fünfundsiebzig Zentimeter Dicke auf, die wie kleine Festungen wirken und in Verbindung mit allem stehen, was man im Kriegsfalle nötig hat. Stallungen, Werkstätten für Waffen aller Art, Wächterhäuser kann man in kurzen Zwischenräumen beobachten. Die Kasernen mit den Truppen, die in immer größerer Anzahl nach dem Osten abgeschickt werden, liegen meistens so weit von den Stationen ab, dass man sie im Zuge nicht sieht.

Offiziell machen die Russen nur auf ein Gebiet von wenigen Werst zu beiden Seiten des Geleises als ihr Eigentum Anspruch, aber wenn sie mehr Land brauchen, wird sich niemand finden, der ihnen das verwehrt. In dem Wort „Räumung der Mandschurei“ liegt in jedem Fall eine köstliche Ironie für jeden, der diese lange Reihe von Festungen und befestigten Anlagen auf der chinesischen Ostbahn von Mandschuria bis Dalny beobachtet hat. Im Laufe eines Jahres hat die ganze Strecke eine völlig veränderte Physiognomie erhalten, und nun steht sie da als eine in Waffen starrende Heerstraße.

Man kann keinen Augenblick daran zweifeln, dass die Russen die Absicht haben, sich hier für alle Ewigkeit festzusetzen. Jede Werst zeigt die fieberhaft beschleunigten Vorbereitungen für die Möglichkeit eines Krieges.

Bei der Rückkehr begegneten wir mehrfach innerhalb weniger Stunden fünf Militärzügen, von denen jeder aus einigen vierzig Waggons bestand, und die alle in östlicher Richtung an uns vorbeifuhren.

Die Gegend hinter Charbin zeigt die Mandschurei in landwirtschaftlicher Beziehung in sehr vorteilhaftem Licht. Überall erkennt man an der schwarzen Erde die fruchtbare Beschaffenheit des Bodens. Tagelang fahren wir zwischen Feldern mit Weizen, Kartoffeln und Raps einher.

Einen Tag vor Dalny taucht zur Linken Mukden, die alte Hauptstadt der Mandschu-Dynastie, vor uns auf. Man unterscheidet aus der Entfernung eine altersgraue, verfallene Mauer, die sich weit hinzieht, und auf ihr sieben oder acht Wachttürme. Die Bahn schneidet einen großen chinesischen Kirchhof mitten durch. Zu beiden Seiten des Fahrdammes erblicken wir unzählige grün bewachsene Grabhügel, einzeln oder in Gruppen. Die Hügel sind aber nicht wie bei uns langgestreckt und viereckig, sondern in der Form von Kugelabschnitten aufgeworfen, die einen kegelförmigen Aufsatz tragen und von einem niedrigen, kreisförmigen Erdring umgeben sind.

Hier und da sitzen oder stehen auf den Gräbern chinesische Männer und Frauen vor offenen Särgen, während andere auf der gewundenen Straße von der Stadt her angelaufen kommen, um den eintreffenden Passagieren ihre Waren anzubieten. Auch in Mukden gleicht das Stationsgebäude mit allem, was sich darum gruppiert, einem kleinen Fort, bei dessen Anblick man über die wahren Absichten der Russen bei der Besetzung dieses Ländergebietes keinen Augenblick im Zweifel sein kann.

Mukden
Bei Mukden.

Auf der Station entwickelt sich ein buntes, rein chinesisches Leben und Treiben, in dem die Europäer, die Gendarme, Bahnbeamte und Fahrgäste, fast verschwinden. Alte Frauen werfen sich auf die Erde und betteln um eine Gabe. Kranke strecken uns in mitleiderregender Weise ihre verkrüppelten und wunden Glieder entgegen.

Kleine, behende Burschen bieten uns Töpfe mit frischer Milch, bemalte Fächer von geringem Wert, bunte Wedel, wie man sie zum Verscheuchen der Fliegen braucht oder den Pferden auf die Köpfe steckt, Zigaretten, die aus abscheulich riechendem Bauerntabak gedreht sind, Melonen, Bilder und Photographien aller Art, weiße Mäuse, bemaltes Spielzeug und Holzschnitzereien an.

Ein paar vornehm in Seide gekleidete Mandarinenfrauen, die diesem Treiben von weitem zuschauen, merken, dass sich die Photographischen Apparate auf sie richten, wenden sich zum Ausgang des Stationsgebäudes, setzen sich in ihre Wägelchen und entschwinden dem Dunstkreis der Europäer.

Wenn der Zug sich wieder in Bewegung setzt, rollen wir über große Brückenbauten hinweg, unter denen wir sumpfiges, ausgewaschenes Terrain und einen träge hinschleichenden Flussarm erblicken. Zum Schutz der Brücke gegen räuberische Überfälle oder Versuche, sie zu sprengen, sind Kasernen angelegt, und Kosakenpatrouillen sind Tag und Nacht in Bewegung, um die Gegend zu beobachten.

Noch ein halber Tag und wir sind in Daschizjao, wo ebenfalls eine atemlose Bautätigkeit entwickelt wird. Japanische Weiber sind damit beschäftigt, auf einem Neubau, den die Station erhält, sich gegenseitig Ziegelsteine zuzuwerfen, Kulis schleppen auf Karren oder Tragbahren schwere Granitblöcke herbei. Aus der Einrichtung des Speisesaales erkennt man, dass Daschizjao ein wichtiger Punkt der Strecke sein muss. In der Tat zweigt sich hier die Bahnlinie nach Inkau ab, von wo man die Reise nach Peking fortsetzen kann.

Sie ist vorläufig mit mancherlei Umständlichkeit verbunden, weil man in der Nähe von Niutschwang zuerst den Fluss Lao-khe mit dem Dampfer befahren, und dann in Shanghai-Kuan in einem Hotel mäßigen Ranges übernachten muss. Aber man bekommt am nächsten Morgen einen interessanten Teil der chinesischen Mauer zu sehen und erreicht dann über Taku und Tientsin gegen Abend die Hauptstadt des chinesischen Reiches.

Wir verabschiedeten uns von den Gefährten, die nach Peking wollten, blieben in unserem Expresszug und erreichten am nächsten Morgen Dalny, die Endstation der sibirischen Bahn. Die vierundzwanzig Stunden Verspätung, die wir durch den Aufenthalt in Tscheljabinsk erlitten hatten, waren auf die Minute eingeholt, so dass wir die ganze Reise von Moskau nach dem Stillen Ozean anstatt in vierzehn, bereits in dreizehn Fahrtagen zurückgelegt hatten. Der russische Kriegsminister Kuropatkin, dem wir auf der Rückreise von Japan mit seinem Extrazug unterwegs begegneten, hatte dazu sogar noch einen Tag weniger gebraucht.

Man kann daraus Schlüsse ziehen, wie sehr sich die Leistungsfähigkeit der sibirischen Bahn in Bezug auf Zahl und Schnelligkeit der Züge steigern muss, wenn man für sie ein zweites Geleis herstellt, was nur eine Frage der Zeit sein kann und auf kürzeren Strecken schon jetzt tatsächlich versucht wird.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der sibirischen Bahn nach China