Die Schlittenschellen klingelten munter in die Nacht hinaus. Vor mir erstreckte sich das Krödereis blank in das Dunkel hinein. Hoch oben strahlten die Sterne. Die Gedanken gingen im Takt mit den Schellen, während ich im Schlitten saß. Die Hauptstadt und ihr Lärm lagen hinter mir; es ging wieder hinauf in die freien Berge. Die Tanzmusik des letzten Abends summte und hüpfte noch in den Ohren. Welcher Wechsel! Am Ufer des Krödersees unter den dunkeln Höhen blinkten freundliche Lichter aus Höfen und Hütten in die Nacht hinein. Welcher Friede ! Wie still und ruhig fließt das Leben an diesen Berglehnen dahin. In der Stadt dagegen. . .

Die Schlittenschellen klingelten munter in die Nacht hinaus. Vor mir erstreckte sich das Krödereis blank in das Dunkel hinein. Hoch oben strahlten die Sterne. Die Gedanken gingen im Takt mit den Schellen, während ich im Schlitten saß.
Die Hauptstadt und ihr Lärm lagen hinter mir; es ging wieder hinauf in die freien Berge. Die Tanzmusik des letzten Abends summte und hüpfte noch in den Ohren.
Welcher Wechsel! Am Ufer des Krödersees unter den dunkeln Höhen blinkten freundliche Lichter aus Höfen und Hütten in die Nacht hinein. Welcher Friede ! Wie still und ruhig fließt das Leben an diesen Berglehnen dahin. In der Stadt dagegen. . .

Schwapp, schwapp, das Pferd trat durch die brüchige Eiskruste. Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, fuhr schärfer zu, und flott ging es bald über Glatteis, bald über Krusteneis nach Olberg.


Am nächsten Morgen im Schlitten weiter über den Krödersee. Wie rasch sich alles verändert ! Als ich vor etwa anderthalb Wochen diesen Weg kam, herrschte hier strenger Winter, und alles war weiß. Schwer lag der Schnee im strahlenden Sonnenschein auf Wald und Busch. Jetzt aber war alles schwarz und traurig, nur hier und da vereinzelte weiße Streifen. Die Bäume standen nackt, die Dächer der Hütten waren ohne Schnee, das Eis blank und naß, die Luft dunkel und regenschwer, und die Höhen mit dem feuchten Nebeldach, wie waren sie düster und schwermütig ! Der lichte, frische Winter war verschwunden.

Das war wenig versprechend für den, der die Schneeschuhe gebrauchen wollte. . .

Doch es wird sich schon machen. Auf den Höhen liegt Schnee - , und schnell ging es das Hallingtal hinauf auf der gewölbten, blanken Straße, wo es oft recht schwer war, den Schlitten in der Mitte des Wegs zu halten, ohne in die Gräben zu geraten.

Lange Strecken konnten wir den Fluß hinauffahren; dort lag blankes Schlittschuheis. Mehr und mehr ärgerte es mich, daß ich die Schlittschuhe nicht mitgenommen hatte. Sicher hätte ich fast den ganzen Weg vom Bahnhof über den Krödersee und den Fluß hinauf bis weit hinein nach Ål laufen können. Das wäre eine lange Schlittschuhfahrt geworden. Doch - - da trat das Pferd durchs Eis - - ein Ruck in die Zügel, nach links, und wir waren geborgen. Man muß gut aufpassen. Nach dem langen Tauwetter ist das Eis mit seinen Löchern jetzt heimtückisch.

Schon begann es zu dämmern, als wir am Nachmittag Nes erreichten. Aber ich wollte noch die zwei Meilen bis Rolfshus zurücklegen und gern die steifen Glieder wieder geschmeidig machen. Deshalb nahm ich die Schneeschuhe auf die Schulter und marschierte weiter.

Es war dunkel, und der Weg war glatt und beschwerlich zu gehen. Vom Fluß her vernahm ich den Lärm des Eises, dazu Rufe und Gelächter. Schlittschuhläufer amüsierten sich offenbar gut, und auch die Dunkelheit hatte sich nicht nach Hause getrieben.

Bald kam ich an einem Gehöft vorüber – es mochte irgendeinem Beamten gehören – und hörte die gebietende Stimme einer Hausmutter ins Dunkel hinausrufen: „Na, kommen sie noch nicht ?“

Und eine Mädchenstimme antwortete im Hallingdialekt: „Nein, ich habe mich schon heiser geschrien, aber sie wollen nicht gehorchen.“

Da stand die Kindheit mit einem Male lebendig vor mir. Ja, wenn das Eis blank auf Fluß und Teich lag, war es nicht leicht, uns nach Hause zu unsern Schularbeiten zu bringen. . .

Der Freitagmorgen brachte klares Wetter und einige Grade Kälte. Von Rolfshus aufwärts lag soviel Schnee am Straßenrand, daß ich die Schneeschuhe benutzen konnte.

Ich stand vor der Entscheidung: sollte ich wieder den Weg durchs Hemsetal und über das Filefjell einschlagen ? Das war ja das Sicherste, aber auch etwas zu zahm. Nein, dann lieber durch Ål und über die Hallingberge. Das Wetter lockte. Sicher gab es im Gebirge gute Bahn, und man hat ja die Wahl zwischen drei Übergängen: über den Gjeiterücken nach Aurland hinunter, oder über Nygard nach Eidfjord in Hardanger, oder auch den längeren Weg über Vosseskavlen nach Voß hinab. Einer davon mußte doch möglich sein. . .

Nach Sundre kam ich kurz nach Mittag; ich sprach hier mit dem Posthalter, welcher Weg wohl der beste sei, doch müsse ich morgen jenseits des Gebirges sein. Das sei unmöglich, meinte er; er war bloß den Berg über Nygard nach Eidfjord gegangen; aber ich könnte Nygard heute nicht erreichen, denn bis dahin seien es fünf Meilen, ich müsse warten.

Nein, das dauerte zu lange. Dann wollte ich lieber nach Gudbrandsgard fahren, dem höchsten Gehöft des Bezirks nach Sogn und Voß zu. Bis dahin waren es vier Meilen, und von dort aus kam ich morgen wohl wenigstens bis nach Aurland in Sogn, vielleicht sogar nach Voß. Dort war aber der Posthalter nicht bekannt, und nie hatte er gehört, daß jemand im Winter diesen Weg eingeschlagen hätte. Er glaubte auch nicht, daß es ginge. Ich meinte, ich wolle es versuchen. Dann war es aber das beste, ein Pferd bis Nerål, der letzten Station im Tal, zu nehmen, um Gudbrandsgard vor Einbruch der Nacht zu erreichen und am nächsten Morgen in aller Frühe aufbrechen zu können.

Ein Pferd bekam ich, und schnell genug ging es bis Nerål über das blanke Eis der vielen Seen. Von dort mit frischem Pferd weiter nach Gudbrandsgard. Aber nun war es spät am Nachmittag geworden, und es dämmerte schon. Die Straße war gewölbt und vereist. An vielen Stellen geht es durch enge Schluchten, die Bergwand an der einen, den Abgrund und den Fluß auf der andern Seite. Man mußte vorsichtig fahren.

Diese Straße war vielleicht die, die König Sverre im 12.Jahrhundert nach seinem Marsch übers Gebirge von Voß her mit seinen Anhängern, den Birkenbeinern, gekommen war. . .

Der Weg wurde schlechter. Es war stockdunkel. Über den Bergen schien sich ein Unwetter zusammenzuziehen. Das versprach für morgen nichts Gutes.

Endlich waren wir auf dem Sundalsfjord, und in scharfem Trab ging es nach Gudbrandsgard.

Ich trat in eine große gemütliche Stube. Auf dem Herd flammte ein Scheiterhaufen harzigen Kiefernholzes. Sie hatten sich schon schlafen gelegt, waren aber gleich aufgestanden. Von den nahe der Decke angebrachten Betten sahen einige fragende Gesichter herab.

Etwas recht Gemütliches und Warmes haben diese alten Hallinghöfe, und gerade Gudbrandsgard ist einer von den echten. Wände und Dach sind schwarz von Feuer und Rauch, aber sie würden nur verlieren, wenn sie frisch gescheuert würden. Diese braunen Holzwände und dieses rauchgeschwärzte Balkendach bergen Erinnerungen.
Ich zog einen Stuhl an den Herd und streckte mich behaglich aus. Der Hund kroch dicht an das Feuer heran, starrte hinein und machte sich’s recht bequem.

Ich plauderte mit dem Bauern über die Aussichten, morgen übers Gebirge zu kommen.

„Ja, nach Aurland kommst du wohl hinüber. Im Gebirge ist jetzt gute Bahn.“

„Ich möchte am liebsten über Hallingskei und Vosseskavlen nach Voß,“ wandte ich ein.

„Das wirst du wohl nicht schaffen. Ich bin in der Gegend nicht bekannt und habe auch nicht gehört, daß einer den Weg im Winter gegangen ist. Du willst doch nicht etwa allein dorthinüber gehen ?“

„Im Herbst vorigen Jahres bin ich schon dort gegangen. Wenn ich aber einen Begleiter kriegen kann, so möchte ich gern einen guten Schneeschuhläufer haben, der die Gegend kennt.“

„Hier im Tal wirst du nicht leicht einen finden, der dich jetzt übers Gebirge nach Voß begleiten wollte. Der einzige wäre Andres Myrestöle. Er treibt Renntierzucht und Schneehuhnjagd und ist im Gebirge überall gut bekannt. Wenn er dich nicht begleiten will, so ist gewiß kein andrer aufzutreiben.“

Nach Myrstöl waren es fünf Viertelmeilen. Es lag gerade auf meinem Weg bei Strandefjord. Das beste war, am frühen Morgen aufzubrechen und dort vorzusprechen. Die Frau versprach, mich um ½ 3 Uhr zu wecken und etwas Essen bereitzuhalten.

Wie groß war meine Überraschung, als ich Rahmgrütze auf dem Frühstückstisch vorfand.

„Du mußt mit dem vorliebnehmen, was da ist,“ sagte die Frau. „Grütze hält lange vor, und dann wird man nicht durstig davon.“

Ja wahrhaftig, ich nahm vorlieb, wenn auch nicht gerade, weil ich jetzt im Winter im Gebirge den Durst fürchtete. Aber ich sollte die Richtigkeit ihres Wortes, daß Grütze auch für den Durst gut sei, noch bestätigen müssen.

Die braven Menschen ! Wie gut sie es meinten, und als ich mich verabschiedete, ermahnten sie mich dringend, vorsichtig zu fahren !

Dann ging es in die mondhelle Nacht hinaus. Die Bahn war gut, der Schnee hart. Bevor ich das Tal verließ, mußte ich mehrere Male fühlen, daß Mondschein für Schneeschuhläufer heimtückisch ist. Der Schnee leuchtete in silbernem Glanz, wo nicht Abhänge und Vertiefungen dem Mond abgewandt waren. In den wenigen zerstreuten Waldstrecken warfen die Bäume lange Schatten. Die Berglehne im Süden lag im Dunkel.

Ich sauste eine lange Anhöhe hinab. Erst durch ein Wäldchen, dann aufs offene Feld hinaus. Aber auf einmal lag der Weg wieder im Schatten. Dichtes Gebüsch stand zu beiden Seiten. Bums ! Die Schneeschuhspitzen rannten gegen einen Schneebuckel – und ich lag auf der Nase. Nun, das war nicht das einzige Mal.

Allmählich ließ ich das Tal mit den Bäumen und Büschen hinter mir. Im Westen lag die Bergweite wogend vor mir. Wohin das Auge schaute, war Schnee, Schnee, weißer, schimmernder Schnee.

Schnell ging es vorwärts. Mein Schatten tanzte neben mir her. Ich kam auf einen Bergrücken hinauf; vor mir breitete sich westwärts weit hinaus die weiße Fläche des Strandefjords, und den Hang hinunter ging es gerade auf ihn zu. Die Schneeschuhe hüpften über die Schneewehen wie über erstarrte Wogenkämme; es ging mit rasender Geschwindigkeit. – Nun war ich drunten auf dem Eise und hatte nur noch eine halbe Meile bis Myrstöl.

Bald meldete sich über der Bergreihe im Osten der Tag mit tiefstem Feuerrot, das nach und nach stärker und heller wurde. Berge und Schneeflächen empfingen einen seltsam unwirklichen blauvioletten Schein. Aber noch schien der Mond und warf lange Schatten.

Da lag auch schon Myrstöl. Ich ging um das Haus herum, um den Eingang zu finden. Es sah ganz so aus wie ein Stall. Ich klopfte, man antwortete, und ich öffnete die Tür. Ich sah in einen Raum mit Feuer auf dem offenen Herd, einige Frauen standen dort. Ein scharfer Geruch von Kühen schlug mir entgegen, und ich hörte die Tierlaute aus dem Raum nebenan und aus dem Raum unter der Diele. Ein solches Zusammenleben von Mensch und Vieh unter einem Dach hatte ich noch nie gesehen. Aber es gab Wärme, und Holz war spärlich, so tief im Gebirge.

„Guten Morgen, ist der Bauer zu Hause ?“

„Nein, er ist bei Sennhütten jenseits des Fjords. Sie sind dabei, Renntiere zu zeichnen.“

Das Glück ist ein launischer Vogel. Die Renntierherde, die sie hier halten, hatte ich nicht in Rechnung gesetzt.

„Wie weit ist es bis dahin ?“

„So eine halbe Meile Wegs wird’s wohl sein.“
Hm, bis Voß waren es wohl sieben oder acht Meilen. Da noch zwei halbe Meilen zuzulegen, war etwas viel. Ich mußte sofort weiterwandern. Aber etwas Proviant und eine Schachtel Streichhölzer hätte ich gerne mitgehabt.

„Hast du etwas Proviant für mich zum Mitnehmen ?“

„Da kann wohl Rat geschafft werden, wenn du mit dem vorliebnehmen willst, was wir haben. Aber wohin willst du denn ? Du willst doch nicht etwa jetzt allein durchs Gebirge gehen ?“

Jawohl, daran hätte ich gedacht, und die Bahn wäre im Gebirge jetzt wohl gut.

„Ja, das ist sie, und wenn du den Weg kennst, so sind es nur drei Meilen bis Aurland. Aber die Tage sind kurz, und es kann schwer werden, bis zum Abend ans Ziel zu kommen.“

Nein, diesen Berg kenne ich nicht. Ich wollte über Hallingskeid, Gröntalsee und über den Skavlen ins Rauntal hinab.

„Nein ! Hat man so was gehört, den weg jetzt zu gehen! Wo soviel Schnee im Gebirge liegt!“

Um so besser sei es, meinte ich, dann gäbe es doch gute Schneeschuhbahnen.

„Aber du kommst heute nicht hinüber, und was willst du dann tun ?“

Darüber wollte ich unterwegs nachdenken. Sehe es allzu gefährlich aus, dann könnte ich ja immer noch nach Aurland hinabfahren. Aber auf alle Fälle möchte ich etwas Proviant mitnehmen.

„Und dann könntest du mir eine Schachtel Streichhölzer geben,“ sagte ich zu dem jungen frischen Mädchen, das neben mir stand.

„Die sollst du haben,“ sagte sie und mit schelmischem Lächeln in den Augen fügte sie hinzu: „Aber dann mußt du mir auch versprechen, nicht übers Hochgebirge zu gehen.“

Das konnte ich nicht versprechen, so leid mir’s tat. Aber vorsichtig fahren wollte ich und alles gut überlegen, wenn ich auf den Gjeiterücken kam. Damit gab sie sich zufrieden, und ich erhielt die Schachtel Streichhölzer, die mit einem Stück Käse und einigen Laiben Fladenbrot in den Rucksack gestopft wurde. Dann verabschiedete ich mich und fuhr wieder auf dem Eise weiter. Der Mondschein war vor dem tage verblichen.

Ich befand mich gerade am Ende des Strandefjords und wollte eben die langen Hänge zum Gjeiterücken hinauf, der Wasserscheide zwischen Hallingtal und Aurland – da ging die Sonne auf, und ein Strahlenquell ergoß sich über die Berge.

„Was ist so klar wie das Licht, so rein wie der Morgengedanke?“

Ich zog durch das Tal, das sich gleichmäßig ansteigend aufwärts windet. Die letzten Sennhütten lagen bald hinter mir. Es ging über ein zugeschneites Gebirgswasser nach dem andern. Tief unter dem Schnee brummte der Fluß.

Dann stand ich an der Wegscheide. Nun galt es Aurland oder Vosseskavlen.

Gerade vor mir eine weite Ebene. Draußen am Rande verschwanden die Berge. Dort ging es abwärts nach Sogn zu. Auf diesem Wege konnte ich das Tal schnell erreichen. – Ich wandte mich um: weiß und lockend breitete sich die Bergweite, Gipfel an Gipfel, wie ein Lager weißer Zelte bis zum Himmelsrand, blaßrot und klar.

Weshalb den Umweg um Aurland und nicht geradeaus ? Hatte ich früher in Nebel und Regen hinübergefunden, so mußte ich doch jetzt bei klarem Wetter und guter Schneeschuhbahn wohl auch ans Ziel kommen. Ging es heute nicht, so ging es morgen, und Unterkunft konnte ich in den Sennhütten von Hallingskeid oder in der Gröntalalm finden, und im übrigen ist der trockene Schnee warm genug, wärmer als eine harte Steinplatte im Herbst, wenn man bis auf die Haut durchnäßt ist.

Ich kam zu der heuschoberähnlichen Kuppel des Såta, die auf dem Bergrücken gerade da liegt, wo die Täler von beiden Seiten zusammentreffen. Man kann sie von weither sehen, und sie ist im Sommer eine gute Wegmarke.

Dort lag in alten Zeiten zwischen zwei großen Blöcken die Hütte eines englischen Lords. Es gab viele Renntiere, und manche schöne Tiere wurden hierhergebracht, aber auch manche Saumlast Getränke aus dem Tale. Die Hütte ist vergessen, das Dach eingestürzt; nur die niedrigen Steinwände stehen noch. Doch jetzt ist alles tief unter dem Schnee begraben, und kein lebendes Wesen streift hier vorüber, außer den Renntieren.

Dort waren frische Fährten einer großen Herde. Wie sie den Schnee aufgewirbelt hat, während sie davongejagt ist, soweit das Auge reicht ! Dort verlieren sich die Fährten in einem Seitental.

Wie der Wind ging es immer bergab über den hartgefrorenen Schnee auf den kilometerlangen Abhängen. Viele Wochen lang hatte der Sturm den Schnee fest zusammengepackt. Das Tauwetter hatte eine dünne Kruste darübergelegt, und über diese war noch eine dünne Schicht losen Schnees gekommen. Eine bessere Bahn konnte sich ein Schneeschuhläufer nicht denken. Es ging fast von selbst, und ich konnte mich vom Wind, den ich im Rücken hatte, treiben lassen. Zuweilen ging’s über lange flache Seen zwischen den Bergen, dann wieder über lange Abhänge und durch jähe Schluchten.

Aber was war das dort für eine Fährte? Wölfe, drei W?lfe! Es ist der schlimmste Feind des Renntiers, und vor ihm waren sie wohl am Såta mit solcher Geschwindigkeit geflohen. Die Wölfe scheinen zuzunehmen. Voriges Jahr haben sie von der Herde zahmer Renntiere beim Strandefjord drei Stück geholt, dieses Jahr bereits fünf.

Ich hatte darauf gerechnet, daß ich um vier Uhr auf der Höhe des Vosseskavlen sein und bei Tageslicht ins Rauntal hinabkommen könnte. Brach die Dunkelheit herein, dann mochte es schwierig genug werden, sich hinabzufinden. Es war schon über zwei Uhr, und noch war ich nicht bei den Hütten von Hallingskeid. Sie lagen mitten im Tal, und ich konnte unmöglich vorübergekommen sein, ohne sie zu sehen. Gleich hinterher sollte ich ja zum Gröntalsee mit Hütte kommen und dort zum Vosseskavlen hinauf abbiegen.

Ich lief immer weiter, aber keine Hütte kam. Ich lief über einen See nach dem andern; doch da ich kein Haus sah, kam es mir nicht in den Sinn, daß einer von ihnen der Gröntalsee sein könnte. Zuletzt hatte ich ihn im Herbst bei Regenwetter gesehen. Alle Berge ringsum waren schwarz gewesen, nur Vosseskavlen im Südwesten hatte den weißen Kamm in das Nebeldach hinaufgehoben. Jetzt war alles weiß in weiß, so daß ich ihn nicht wiedererkannte. Ich mußte und wollte erst diese Hütten finden.

Es war schon nach drei Uhr – es ging stark auf vier. Die Hoffnung, noch heute hinüberzukommen, begann zu schwinden. Ich mußte sehen, die Hütten zu erreichen und dort zu übernachten. Dort war wohl vom Herbst her noch etwas Holz. Aber wo blieben sie nur ? Sollte ich Zeit und Entfernung so falsch berechnet haben ?

Das Tal wandte sich ruhig weiter abwärts, und schneller und schneller eilte ich ungeduldig vorwärts. Wieder war ich am Ende eines langen Sees. Doch halt ! Da vorn verlor ich den Grund unter den Füßen. Die Schneewächte, auf der ich stand, hing über den Abgrund, und ich sah unten keinen Grund. Hier war keine Möglichkeit, hinabzukommen. Der Fluß schäumte und brauste unten durch eine enge Schlucht, jäh fielen die Talwände ab.

War ich je zuvor hier gegangen ? Nein, ich konnte mich nicht entsinnen. Aber es mußte doch wohl so sein. Tal und Fluß gingen in dieser Richtung, und ihnen mußte ich folgen, bis ich zu den Hütten kam.

Ich fand einen Abstieg. Er war sehr steil, und es galt sich festzuhacken, den Stock in der einen, die Schneeschuhe in der andern Hand.

Endlich war ich unten am Fluß. Doch hier stürzte die Talwand so scharf zu den Wasserfällen ab, daß es schwer war, sich festzuhalten und nicht in das schwarze Wasser drunten zu fallen. Ich stieß den Stock bis zum Griff in den Schnee, und er hielt, wenn der Fuß den Grund verlor.

Da hing die Bergwand über den Fluß über. Hier mußte ich hinauf, wenn ich vorwärts wollte. Es ging mir nicht in den Kopf, daß ich jemals hier gewesen sein sollte, es konnte aber nicht anders sein; also kletterte ich hinauf. Oben hing die Schneewächte über. Ich mußte den Stock so weit innerhalb der Kante hineinstoßen, als ich nur konnte, dann die Schneeschuhe daneben – der Schnee war hart und hielt -, und dann galt es, sich hinter diesen hinaufzuschwingen. Hierauf kam der Hund, der auch hinaufgezogen werden mußte; damit war für dieses mal uns beiden geholfen.

Es kam nun wieder ein etwas flacheres Stück, und dann ging es mit rasender Geschwindigkeit nach einem neuen See hinab. Als dieser überwunden war, folgte wieder eine Schlucht, die noch schlimmer war als die erste. Nach vielem Klettern kam ich auch hier vorüber und gelangte an einen dritten See.

Nun ahnte ich aber doch allmählich ernstlich Unheil, wenn mir’s auch nicht in den Kopf wollte, daß ich verkehrt gegangen sein sollte; selbst der Anblick von Birken überzeugte mich nicht. Als ich aber am Ende des Sees einen großen Birkenwald vorfand, dann auf einer Anhöhe vor einer Schlucht von einer Tiefe von mehreren hundert Fuß stand und in den dunklen Schlund eines engen, zu beiden Seiten mit Wald bestandenen Tales hinabsah, da wurde mir klar, daß ich nach Sogn hinabgekommen war und nicht mehr weit bis Kårdal im Flomstal haben konnte. Aber das war doch nicht mein Weg, ich wollte ja über den Vosseskavlen. Also umkehren ! Ich mußte diese Nacht auf der Gröntalalm Unterschlupf suchen.

Das Schlimmste war, daß ich nun wieder die Schluchten, die ich herabgekommen war, hinauf mußte. War es aber herabgegangen, so kam ich wohl auch wieder hinauf.

Die Dunkelheit brach schon herein. Es ging gegen sechs Uhr. Bleich glitzerten die Sterne am blauen Gewölbe. Ich kletterte eine Bergwand hinauf. Der Schnee war hart und glatt; trat ich hier fehl, dann ging es direkt in den Wasserfall hinunter. Es wurde steiler und steiler; dann aber hing die Schneewächte so über, daß ich über die Kante reichen konnte. Stock und Schneeschuhe wurden fest eingerammt. Ich bekam am Rande Halt für das eine Knie, und so schnell wie möglich zog ich mich hinauf und war geborgen. Der Hund war glücklicherweise an einer andern Stelle hinaufgelangt.

Bald befand ich mich wieder auf einem langen See. Alle Schwierigkeiten waren überwunden. Jetzt galt es nur die Gröntalalm zu finden. Ich erinnerte mich, sie lag am Uferrand, gerade unter einem Felsschrofen, ich konnte sie also unmöglich verfehlen, wenn es auch dunkel war. Nur die Sterne warfen einen schwachen Schimmer über die Schneefläche.

Über alle Seen aufwärts hielt ich mich am rechten Ufer und spähte scharf aus, aber nichts anderes sah ich als Schnee und wieder Schnee und hier und da schwarzes Gestein. Ein See nach dem andern kam – eine Almhütte fand ich nicht. Es war wie verhext. Ich mußte bald wieder im Hallingtal sein.

Ich sah auf die Uhr. Ich konnte sie gerade noch erkennen, sie schien ½ 10 zu zeigen. Seit drei Uhr morgens waren wir unterwegs. Mochte es mit der Alm sein wie es wollte; wir konnten auch da, wo wir waren, ein weiches Bett finden, aber es ging ein beißender kalter Wind, und es galt, sich vor ihm zu schützen.

Wo der Wind eine hohe harte Schneewehe an einem großen Blocke zusammengetrieben hatte, grub ich mir ein Lager, zog eine Wolljacke an, das einzige Kleidungsstück, das ich im Rucksack hatte, und schlief sofort ein, den sack unter dem Kopf, den Hund zusammengerollt neben mir.

Ich erwachte. Uff, war es kalt an den Beinen ! Ich blickte empor und in die Weite. Gewiß schien bereits der Mond über den Schneeflächen dort oben. Ich konnte also ebensogut meine Fahrt fortsetzen.

Der Hund sah mich fragend an, rollte sich aber wieder zusammen. Er hatte keine Lust, so früh aufzubrechen.

Es war drei Uhr. Ich lief auf und ab und stampfte mit den Beinen. Dann wieder die Schneeschuhe angeschnallt. Ringsum leuchteten die Berge weiß im Mondschein. Die Schattenseiten lagen in düsterem Halbdunkel.

Aber wo ging der Weg ? Wer jetzt sehen könnte, was die Berggipfel da oben von ihrer Höhe aus erblickten ! Gestern abend mußte ich mich im Dunkel in ein Nebental verirrt haben; dort schien es gerade aufzuhören. Es war das beste, sich dessen zu versichern und dann auf demselben Wege, auf dem ich gekommen war, zurückzugehen. Die Spur von gestern mußte ich wiederfinden, wenn sie nicht verweht war.

Ich ging los und fand bestätigt, daß es ein Seitental war. Dann kehrte ich nach dem letzten See zurück, über den ich gekommen war. Dort waren Schneeschuhspuren. Ich sah mich um, eine Ähnlichkeit mit dem Gröntalsee, so wie ich ihn in Erinnerung hatte, war wirklich vorhanden. Die Berge schienen freilich etwas niedrig, aber dort auf der Südseite erhob sich ja genau so ein steiler Fels wie über der Gröntalalm. Wo aber waren die Häuser ? Sie waren doch nicht etwa ganz eingeschneit ?!
Am Fuße des steilen Felsens sah ich mich um. Da zeigte sich wirklich eine Erhöhung. Ich stach mit dem Schneeschuhstock hinein und stieß auf festen Boden. Ja, es war nicht unmöglich, daß da das Dach eines Hauses war. Ich mußte hier ins Gebirge hinaufsteigen, und auf jeden Fall mußte ich Umschau halten.

Ich stieg bergauf. Der Berg war steil und schwer zu gehen, und es dauerte einige Zeit, bis ich den Gipfel erreichte. Aber welcher Rundblick von dort oben ! Unter dem ruhigen Glanze des Mondes breitete sich die Bergweite nach allen Seiten wie ein erstarrtes Meer von weißen Wellen, Rücken und Tälern mit Ebenen dazwischen – und baute sich weit draußen auf in Gipfeln und Gletschern, weiter und immer weiter, und am äußersten Himmelssaume schwand alles in silbernem Schimmer. Der Schnee leuchtete, die Firne glitzerten, die Täler aber lagen im Dunkel.

Nicht weit im Osten erhob der Hallingskarv seine gewaltige Masse. Was dort im Süden blinkte, mußte der Hardangergletscher sein, dann folgte wohl der große Osefirn. Im Westen aber erhob sich steil ein hohes Gebirge mit einer ebenen Firnfläche auf dem Kamme, das mußte Vosseskavlen sein. Gerade unter mir sank der Grund in das Dunkel hinab, über mir wölbte sich der Himmel tiefblau mit Mond und Sternen.

Doch der Mondschein trügt. Es ist besser, den Tag zu erwarten und Sicherheit über den Weg zu erhalten. Unterdessen kann man sich wieder in den Schnee eingraben und einige Stunden schlafen.

Dann brach der Tag an, und es wurde so hell, daß ich deutlich sehen konnte. Dort im Westen lag wirklich Vosseskavlen, darüber mußte ich hinweg. Ich konnte also wieder hinabfahren und dann das Tal, das gerade darauflos führte, entlang gehen; aber erst mußte ich etwas frühstücken.

Die Sonne kam, ein klarer Strahl drang durch den Raum und blitzte über das Meer von Bergen. Die Gipfel erglühten. Ein wahrer Lichtstrom brach herein.

Mit rasender Geschwindigkeit ging es ins Tal hinab, dann über einen See nach dem andern zum Vosseskavlen. Nun fand ich mich wieder zurecht. Die Hallingskeidalmen und die Gröntalalm waren offenbar ganz eingeschneit.

Endlich befand ich mich auf dem obersten Gebirgssee. Rundherum stiegen die hohen Felswände auf. Überall lag schwerer Schnee; das gab einen schwierigen Aufstieg, aber diesen Weg mußte ich gehen.

Schritt für Schritt kam ich aufwärts. Oft mußte ich in der harten Schneewand Stufen treten und mich mit Stock und Schneeschuh festhacken. Das Schlimmste waren die großen Schneewächten, und deren gab es eine Menge. Da mußte ich mich am Schneeschuhstock über den Rand hinaufschwingen. Der arme Hund ! So lange es steil aufwärts ging, war er auf seinen vier Beinen im Vorteil. Hing der Schnee aber über, dann stand er ratlos da und begann zu winseln und zu heulen. Gewöhnlich fand er aber bald irgendeine Stelle, wo er hinaufkommen konnte. Sonst mußte ich mich oben auf den Bauch legen und ihn nachziehen. Ich mußte seinen Mut bewundern; am Rande eines Abgrunds konnte er die Schneewand hinauf die gewagtesten Sprünge machen; trat nur ein Fuß fehl, so mochte es eine schlimme Reise in die Tiefe geben. . .

Endlich hatte ich das Schlimmste überwunden. Puh, war das heiß! Das griff Arme und Beine an, und die Sonne briet. Ich empfand brennenden Durst, und der Schnee labte wenig. Vor Freude darüber, so weit gekommen zu sein, holte ich die Apfelsine hervor, die ich solange aufgespart hatte. Sie war gefroren und hart wie eine Kokosnuß. Ich aß sie ganz, Schale und Fleisch; mit Schnee gemischt war sie eine gute Erfrischung.

Am Rande des großen Gletschers, der sich nach dem Absturz zu vorschiebt, wurden die Schneeschuhe wieder angeschnallt, und schräg ging es die gleichmäßig ansteigende Fläche hinan.

Jetzt war ich oben. Der ebene Firn breitete sich vor mir. Im Westen blitzten in weißer Ferne die Gipfel nach Voß zu, im Süden und Südosten das Hardangergebirge mit dem Gletscher und der Osefirn, und hinter mir hoben sich die schweren Formen des Hallingskarv vom Himmelsrande ab. Unter mir sah ich den Gebirgskessel, den Bergsee und das Tal, durch das ich heraufgekommen war. Welch frohes Gefühl, die Hindernisse überwunden zu haben ! Nun gab es keine mehr; nun nur noch bergab, den ganzen weg bis Vossevangen.

Hier über diese Berge muß, nach der geschichtlichen Überlieferung, König Sverre irgendwo mit seinen Mannen, den Birkenbeinern, vor mehr als 700 Jahren (1177) im November gezogen sein, als er sich vor dem Feinde das Rauntal hinauf zurückziehen mußte.

„Da nahm König Sverre fünf Führer, die den Weg am besten kannten. Das war aber auch notwendig, denn das Wetter wurde so schlimm, wie selten geschieht. Es fiel unerhört viel Schnee. . . Sie verloren dort 120 Pferde mit goldenen Sätteln und Zäumen, allerhand Kostbarkeiten, Mäntel, Waffen und viele andere gute Dinge.“

Das alles hört sich nicht unglaubwürdig an. Für Pferde ist hier ein schlechter Weg. Schlimmer wird es, wenn es weiterhin heißt:

„Dazu kam, daß sie nicht wußten, wo sie zogen, und nicht einmal Wasser bekamen sie. Acht Tage lang genossen sie nichts anderes als Schnee. Am Tage vor Allerheiligen wurde das Wetter so schlimm, so unerhört es auch klingen mag, daß ein Mann davon den Tod fand, als das Wetter ihn niederwarf und ihm an drei Stellen das Rückgrat brach. Wenn die Böen kamen, blieb einem nichts anderes übrig, als sich in den Schnee zu werfen und die Schilde so fest wie möglich über sich zu halten.“

Das ist eine kräftige Schilderung. Aber wenig glaubhaft ist, daß Männer, und noch dazu wegkundige Männer, acht Tage lang durch dieses Gebirge gezogen sein sollen, ohne irgendwo eine bewohnte Stelle zu finden, mochte das Wetter auch noch so schlimm sein. So etwas passiert berggewohnten Leuten kaum. Schlimmer ist, daß sie, im Gebirge angekommen, angeblich kein Wasser finden konnten, anfangs November, wo es in jedem Bach rieselt. Aber es verhält sich ja so, daß, als die Saga von Abt Karl Jonsson niedergeschrieben wurde, „König Sverre selber aufpaßte und sagte, was geschrieben werden sollte“. . .

Ich ging über den Firn und stand bald auf der andern Seite, wo er in ununterbrochener glatter Fläche anderthalbtausend Fuß nach dem Kaldesee abfällt – immer schroffer und schroffer. Der Schnee war vom Winde glatt und hart zusammengepackt; hier und da gab es einige Wehen, zuweilen etwas Harscht. Es konnte schwer werden für die Schneeschuhe, die Richtung einzuhalten. Aber immerhin – es ging weiter und mit immer größerer Geschwindigkeit. Bald flog ich über Wellenkämme, bald wieder über ebenen Grund. Ich versuchte, die Geschwindigkeit durch einige Bogen zu mäßigen, doch das half wenig. Auf dem harten Schnee rutschten die Schneeschuhe nur seitwärts aus; deshalb lieber die Beine zusammen und geradeaus.

Ich erreichte das Eis, und eine weite Strecke ging es darüber hin. Nach vollendeter Fahrt zitterte ich an allen Gliedern. Ich schaute nach oben. Weit droben auf der Höhe arbeitete sich ein dunkler Punkt abwärts. Das war der Hund, der mir schleunigst nachkam.

Die Bahn wurde immer schlechter. Man merkte die Nähe des Meers. Der Schnee wurde mehr und mehr von einer glatten Eiskruste bedeckt, die für die Schneeschuhe sehr schlecht war und auch für die Hand, wenn man ihr zu nahe kam. Doch schnell ging es durch die enge Schlucht, die vom Kaldesee zur Opsetalm hinabführt, der höchstgelegenen Alm im Rauntal.

Auf einmal stand ich vor einem Abgrund. Von allen Seiten ging es schroff hinab nach dem Tale tief unter mir. Die Schneewächte rundete sich glatt vornüber, und ich fuhr zurück. Es war nicht sicher, ob sie trug. Gab es hier einen Abstieg ? Es sah schlimm aus. Aber vielleicht ging es in einer engen Schlucht, wo die Schneewächte nicht überhing; vorsichtig stieg ich Schritt für Schritt ab. . .

Nun folgten nur noch lange schöne Abhänge und schließlich die lange Lehne zur Opsetalm hinab. Da gab es eine bedenkliche Geschwindigkeit. Die Schneeschuhe rutschten auf dem gefrorenen Schnee. Ich fiel und bekam von dem Harscht einige schlimme Risse am Handgelenk.

So war ich denn im Rauntal, und auf birkenbestandenen Halden, wo die Schneehühner aufflatterten, glitt ich nach Kleivene hinab, dem höchstgelegenen Gehöfte der Gemeinde.

Wie durstig ich war! Ich glaube, Sverres Mannen konnten kaum durstiger gewesen sein. Nichts in der Welt ging jetzt über ein paar Liter süße Milch.

Ich erreichte das erste Haus. Keine Menschenseele daheim. Bis zum nächsten Gehöft waren es mehrere hundert Schritt. Das war zu weit. Ich nahm die Schneeschuhe ab, trat ins Haus und holte mir vom Milchschrank einen großen Topf süße Milch; ich trank und trank und aß etwas dazu, und auch der Hund bekam seinen Teil.

Wie ich so auf der Holzbank saß und mir gütlich tat, kam eine Schar kleiner Mädchen hereingestürzt. Wie angenagelt blieben sie stehen, als sie mich und den Hund erblickten. Eine Weile standen sie mit offenem Mund. Ich sagte Guten Tag, bekam aber keine Antwort. Dann stürmten sie davon, so rasch es ging. Ich muß schrecklich ausgesehen haben.

Nach einiger Zeit erschien eine Frau. Vorsichtig öffnete sie die Tür und kam herein, blieb aber unschlüssig stehen. Hinter ihr glotzten einige von den erschrockenen Mädchengesichtern. Ich nickte freundlich:

„Guten Tag, du mußt entschuldigen; ich habe mir von deiner Milch genommen, aber ich war so durstig und konnte nicht warten.“

„Na, Gott sei Lob und Dank, daß du ein Christenmensch bist; wir glaubten schon, du wärest ein Troll und dein Hund ein Wolf oder sonst ein Ungeheuer. Einen so großen Hund haben wir noch nie gesehen.“

Ich hatte einen rotbraunen irischen Setter mit mir.

„Du brauchst dich nicht zu fürchten, er beißt ebenso wenig wie ich.“

„Aber wie bist du hierher gekommen ?“

„Ich komme über Vosseskavlen aus dem Hallingtal.“

„Nein, hat man so etwas gehört !“. . .

Sie hatten mich weit oben in der Birkenhalde, in eine Wolke losen Schnees gehüllt, auf den Schneeschuhen kommen sehen, und dann in weitem Abstand den Hund in einer andern Schneewolke. Ich war ganz vollgeschneit und weiß gewesen. Darum hatten sie mich für einen Berggeist gehalten, der einen Wolf bei sich hatte, und da waren sie denn nach dem nächsten Gehöfte gelaufen, da nur Frauen zu Hause waren.

Es war auch weiter kein Wunder. Niemals war jemand zur Winterszeit dort durch das Tal gekommen und selten des Sommers, und einen Hund so groß wie einen gewöhnlichen Hühnerhund hatten sie noch nie gesehen.

Bald wurden wir gute Freunde, und ich bekam alles, was ich haben wollte, Milch und Essen.

Ich war müde, und eine halbe Stunde Schlaf konnte gut tun. Ich warf mich aufs Bett und schlief.

Um vier Uhr ging es weiter. Aber hier im Tal wurde es bald dunkel, und die Bahn und der Weg wurden für Schneeschuhe bei der Glätte und den Buckeln immer mehr unmöglich. Als ich Vold erreichte, hielt ich es daher für das beste, ein Pferd zu nehmen und wenn möglich die letzten zwei Meilen zu fahren.

Ich trat in eine große Stube mit Lehmboden, in der ein gewaltiges Feuer auf dem Herde knisterte. Ich wünschte Guten Abend und fragte nach einem Pferd.

„Ja, das kannst du schon haben, aber doch nicht heute abend ?“

„Doch,“ sagte ich, „ich möchte die Nacht in Vossevangen sein.“

„Nein, du, das laß bleiben, bei solcher Bahn und in solcher Dunkelheit kann man nicht nach Vangen fahren. Der Weg geht gewölbt und vereist neben dem Abgrund. Beim Sverresteig ist es am schlimmsten, dort ist es schon am Tage schlecht genug.“

Ich blieb bei meinem Entschluß. Ich wollte noch am Abend ans Ziel kommen. Konnte ich kein Pferd erhalten, so würde ich zu Fuß gehen.

Nach einiger Überredung gab der Bauer nach und sagte, er wolle es versuchen.

Endlich brachen wir auf; aber der Weg war schlecht, das war richtig, und dunkel war es auch. Wir mußten ungefähr ebensoviel gehen als fahren, aber ich war müde und darum froh, so oft ich sitzen konnte. Wir erreichten den gefürchteten Sverresteig; er war wirklich schlimm, hatten wir ihn aber überwunden, dann ging es auf ebenem Weg weiter.

Wir gingen behutsam zu Werk; der Berg war steil und führte unmittelbar neben dem Abgrund. Er war gewölbt und glatt; es war schwer, Fuß zu fassen. Ließ man den Schlitten los, so konnte man leicht abrutschen. Das Pferd aber mit seinem scharfen Beschlag stand fest auf den Beinen. Wir konnten uns an den zügeln und am Schlitten halten; so ging es Schritt für Schritt abwärts.

Endlich waren wir unten. Wir konnten aufsitzen und bald waren wir in Vossevangen. Es war schon ein Uhr nachts. Ich donnerte an die Tür. Es dauerte eine Weile, bis sie geöffnet wurde. Die kurze, dicke Gestalt des Hotelwirts stand in Unterhosen vor mir und rief verwundert: „Ach, Sie sind so spät noch unterwegs ?“

Ich sehnte mich nach einem guten Bett, das ich auch bekam. So tadellos in der vergangenen Nacht das Lager auf dem Hallinggebirge gewesen sein mochte, fand ich doch, in Fleischers Hotel in Vossevangen war es besser.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf Schneeschuhen übers Gebirge