Quebec, den 21. August 1893.
Die erste Nacht im Schlafwaggon von Saratoga bis Montreal! Nach den überschwänglichen Anpreisungen der Pullman-Cars war ich eigentlich ein wenig enttäuscht, besser als unsere Einrichtungen sind sie aber jedenfalls. Bei Tage ein langer Salonwagen mit Bänken für zwei Personen zu beiden Seiten, in der Nacht ein Gang in der Mitte, rechts und links eine Reihe von zwei übereinander befindlichen Bettkasten, vor denen ein dichter Vorhang hängt. Da Männleins und Fräuleins in einem Räume sind, so muss man sich hinter seinem Vorhang an- und auskleiden, wozu eine gewisse Geschicklichkeit gehört. Auch mag es im Sommer, wir hatten kühle Witterung, oft recht warm werden, aber die Betten sind äußerst sauber, die Waggons gehen sehr ruhig, ich schlief vorzüglich. In den Pullmans gibt es auch zwei kleine Salons für Herren und Damen, die etwas teurer als die übrigen Schlafstellen sind, dann Toilettenräume; ein Neger bedient sehr aufmerksam, so ist für alles bestens gesorgt. Für die Schlafstelle zahlten wir 2 Dollars pro Kopf, für die Benutzung des Waggons von Montreal bis Quebec zusammen 2 ½ Dollars, auf diese Weise ist eine I. Klasse geschaffen, da sonst nur eine einzige Klasse bestehen würde.
Als wir den amerikanischen Boden betraten, erneuerten wir zunächst unsere Kenntnisse über die allgemeinen Verhältnisse des Landes und es wird daher gut sein, dies auch in Kanada in ähnlicher Weise zu tun, bevor wir unsere Reise fortsetzen.
Kanada, eine wenn auch mit dem Mutterlande nur lose verbundene Kolonie Englands, grenzt südlich in seiner ganzen Breite an die nördliche Grenze der Vereinigten Staaten und geht nördlich bis zum Eismeere. Da aber der nördliche Teil wertlos und unerforscht ist, so kann man sagen, dass Kanada zwischen dem 45. und 60. Grad nördlicher Breite gelegen ist. Sehen wir von der südlichen Spitze vom Ontario-See ab, so liegt die Südgrenze mit Berlin, die Nordgrenze mit Christiania auf einem Breitegrade. Die Länge des Landes beträgt von Neu-Schottland am Atlantischen Ozean bis nach Vancouver am Stillen Meere 3000 englische Meilen (4800 Kilometer). Kanada hat eine gleich große Ausdehnung wie die Vereinigten Staaten, 3.500.000 englische Quadratmeilen (170.000 deutsche Quadratmeilen). Engländer, Franzosen und Spanier beteiligten sich im 15. Jahrhundert an der Entdeckung dieses Riesenreiches, doch in Folge des rauen Klimas legte niemand großen Wert auf dasselbe. Erst 100 Jahre später nahm Frankreich durch den Gouverneur Champlain die Kolonisation in die Hand, der Quebec erbaute, eine eigene Regierung gründete und im Rücken der englischen Kolonien von Kanada bis Louisiana Forts errichtete. So entstanden zwischen beiden Staaten fortwährende Reibungen, 1757 brach der Krieg aus. Der englische General Wolfe siegte bei Quebec und 1763 im Pariser Frieden erhielten die Engländer ganz Kanada. Im Anfange dieses Jahrhunderts gab es im Osten nur zwei selbstständige Staaten: Ober- und Unter-Kanada, das heutige Quebec und Ontario, im ersteren herrschten die zurückgebliebenen Franzosen, im letzteren die Engländer. Erst 1840 wurden beide Staaten unter ein Parlament vereinigt und 1858 Ottawa zur Hauptstadt erhoben. In den westlichen Teilen, vom oberen See, wo heute die bedeutende Stadt Winnipeg liegt, bis an den Stillen Ozean, bis Vancouver und Alaska, herrschte seit 200 Jahren die Hudsonbai-Gesellschaft, die ähnlich wie die Ostindische Compagnie oder die Hansa entstanden war. Karl II. von England gab einen Besitz von 100.000 deutschen Quadratmeilen gegen einen Tribut von zwei Hirschen und zwei schwarzen Bibern, wenn immer der König den Besitz berührte, einigen englischen unternehmenden Kaufleuten zur Benützung. Durch beinahe 200 Jahre hat diese Gesellschaft wie ein Veilchen, das im Verborgenen blüht, jenes Reich ausgebeutet, indem sie zu ihrem Schutze Forts und für den Pelzhandel mit den Indianern 150 Faktoreien errichtete. Durch die Fortschritte der Kolonisation in Kanada und den westlichen Staaten der Union wurde aber die Aufmerksamkeit der Welt auf diese bisher unbekannten Regionen immer mehr gelenkt. Die Gesellschaft konnte dem Zeitstrome nicht widerstehen, so verkaufte sie 1863 ihre Privilegien an eine neue Gesellschaft und diese übergab die 100.000 deutschen Quadratmeilen für 300.000 Pfund Sterling an die kanadische Regierung. Die Gesellschaft reservierte sich nur 70.000 Acres (54 deutsche Quadratmeilen) in der Höhe ihrer Faktoreien und den fünften Teil, d. h. 20.000 englische Quadratmeilen (1.000 deutsche Quadratmeilen) des sogenannten fruchtbaren Gürtels von Kanada, an der westlichen Nordgrenze der Union, zwischen dem Winnipeg-See und dem Felsengebirge, einem Gebiet von 20.000 deutschen Quadratmeilen. Dasselbe erhielt aber erst durch die vor acht Jahren erfolgte Vollendung der Kanada-Pazifikbahn einen immer steigenden Wert; die Hudsonbai-Gesellschaft blüht mehr wie zuvor, vergrößert ihre Faktoreien, hat circa 5.000 Beamte und verkauft ihre Gründe zu steigenden Preisen. So entstanden in den letzten 30 Jahren in der Machtsphäre der kanadischen Kolonie gegen Westen neue Staatengebilde, Manitoba, Britisch-Kolumbien, die Nordwest-Territorien, ein Reich so groß wie die Vereinigten Staaten, und von dem man behauptet, dass es in Zukunft eine gleiche Menge Weizen wie diese produzieren werde. Aufgeschlossen wurden aber diese Territorien erst durch die Kanada-Pazifikbahn, welche den Atlantischen Ozean mit dem Stillen Meere verbindet, bei Quebec beginnt und mit einer Länge von 3.018 englischen Meilen (5.000 Kilometer) Vancouver erreicht. In 10 Jahren wurde dieses Riesenwerk ausgeführt, 1876 begonnen, 1886 beendet. Die Gesellschaft bekam von der Regierung ein Darlehen von 25 Millionen Dollars und große Landschenkungen. Der Staat verfolgt bei der Verwertung und Kolonisation die gleichen Prinzipien wie die Union, sie gibt jedem Staatsbürger ¼ Sektion oder 160 Acres (64 Hektar) gegen 10 Dollars Einschreibgebühr ins Eigentum; die Kanada-Pazifikbahn verlangt dagegen 2 ½ Dollars pro Acre (15 fl. 60 kr. pro Hektar), die Hudsonbai-Gesellschaft ist noch viel teurer.
Durch die Kanada-Pazifikbahn ist auch für Europa eine neue kürzere Linie nach Japan und China entstanden. Man fährt von London nach Quebec in 10 Tagen, nach Vancouver in 6 Tagen, bis Japan in 12 Tagen und von dort nach China in 5 Tagen, benötigt daher im Ganzen 33 Tage zur Reise von Europa nach China.
Kehren wir aber zu den geographischen Verhältnissen des Landes zurück. Die leicht zugängliche Küste stellt Kanada weit über Sibirien, dessen geographische Breite es teilt, nur die eigentliche Eismeerküste ist demselben ähnlich. Auch in Kanada muss man den appalachischen und cordillerischen Teil unterscheiden, denn sowohl das Alleghany als das Felsengebirge haben ihre nördliche Fortsetzung in jenes Gebiet. Von dem ersteren fallen in dasselbe nur die niedrigen nordöstlichen Ausläufer, während die Felsengebirge in Kanada gewaltige Hochketten bis zu 19.000 Fuß Höhe besitzen. Ausgedehnte Tafelländer zwischen beiden, die den größeren Teil des Landes einnehmen, haben überwiegend azoische, auch tertiäre und paläozoische Gesteinsformationen, die Kohlenformationen sind dagegen weniger als in den Vereinigten Staaten vertreten. Die Gletscherzeit hat eben im Norden mehr abgeschoben als aufgeschüttet, weite Strecken Landes sind ihrer Erdkrume beraubt, in kahle Felsengebirge verwandelt, der Moränenschutt ist mehr an den großen Seen und in den au die Union grenzenden Prärien zu finden. Die mineralischen Bodenschätze sind noch wenig ausgebeutet, aber edle Metalle in den Felsengebirgen, große Steinkohlenlager aus der Karbonformation in Neu-Schottland, aus der mesozoischen Formation in Vancouver, Salz- und Petroleumquellen in Ontario. Asbestlager in Quebec bekannt.
Kanada hat das größte Seengebiet der Welt, die fünf großen kanadischen Seen: der Obere, der Michigan-, der Huron-, der Erie- und der Ontario-See haben eine Wasserfläche von 16.000 deutschen Quadratmeilen, beinahe dreimal so groß wie Ungarn; der mehr westlich gelegene Winnipeg-See ist 440 deutsche Quadratmeilen groß. Von den Flüssen müssen in erster Linie der Lawrence, der Columbia, Mackenzie und Nelson genannt werden, die sämtlich nur dem Missisippi einen höheren Rang zugestehen. Der erstere strömt gegen Osten aus dem Ontario-See in den Atlantischen Ozean, der Columbia bei Vancouver in den Stillen Ozean, während die beiden anderen Ströme in das Eismeer fließen. Es gibt noch eine Menge andere größere Flüsse, aber es ist ein Nachteil, dass der größte Teil derselben zur Hudsonsbai und ins Eismeer gegen Norden fließen. Obgleich die Wasserscheiden keine hohen sind, so gibt es in den Flüssen doch zahlreiche Wasserfälle und Rapids, die nur durch bedeutende Regulierungen überwunden werden könnten.
Der Winter ist in Kanada sehr lang, die Vegetationsperiode eine nur kurze; schon im Süden beginnt die wärmere Jahreszeit kaum vor Mitte Mai, im Norden weit später. Kanada gehört eben zur Region des kalten Frühlings. Toronto hat im Januar bis 32 Grad Celsius Kälte, im August dagegen 37 Grad Celsius Wärme, Manitoba hat eine mittlere Sommertemperatur von 20 Grad Celsius. Die Wintertemperaturen sind im Inneren niedriger als an den Küsten und steigen namentlich gegen den Stillen Ozean. Die Niederschläge sind natürlich reichlich, im Osten gegen 900 Millimeter, in den Prärien nicht weniger und an der Westküste 630 Millimeter.
Nach Professor Sievers kann in der Hälfte des Landes Gerste, auf 30.000 deutschen Quadratmeilen Sommerweizen, aber wenig Winterweizen angebaut werden. Büffel und Pferde weiden in Manitoba den ganzen Winter im Freien, in Britisch-Columbia, näher der Küste, auch das Rindvieh.
Gegenwärtig hat Kanada erst acht Staaten oder Provinzen:
Fläche
Englische Deutsche
Quadratmeilen Quadratmeilen Einwohner
Insel Prinz Edward 2.000 100 110.000
Halbinsel Nova Scotia 21.000 1.000 450.000
New-Brunswick 27.000 1.300 320.000
Quebec 288.000 9.000 1.500.000
Ontario 180.000 8.500 2.000.000
Manitoba 122.000 6.000 80.000
Britisch-Columbia 340.000 16.000 50.000
Nordwest-Territorien 2.620.000 124.000 60.000
Summa 3.500.000 165.900 4.570.000
Die rasch zunehmende Bevölkerung hat heute vermutlich schon über 5 Millionen. Unter diesen sind noch 122.000 Indianer und 22.000 Neger. Unter der weißen Bevölkerung gehören 36 Prozent dem englisch-schottischen, 30 Prozent dem französischen, 6 Prozent dem deutschen Elemente an.
Kanada produziert noch verhältnismäßig wenig, aber es hat eine ungeheure Zukunft, während der Export der Union 1.800 Millionen Dollars erreicht, exportiert Kanada bis jetzt nur für 100 Millionen Dollars, darunter sind 46 Prozent für Getreide und tierische Produkte, 30 Prozent für Holz. Der Eingangszoll erreicht jährlich 25 Millionen Dollars. Die Staatsschulden betragen nur 200 Millionen Dollars.
Früh 3 Uhr waren wir in Montreal, es regnete in Strömen, so beschlossen wir gleich nach Quebec weiter zu fahren, das wir um 2 Uhr Nachmittags erreichten. Die Gegend zwischen beiden Städten ist wohl trostlos, ganz flach, geringer, oft sumpfiger Boden in kleinen Parzellen, die meist durch Drahtzäune getrennt sind. Schlecht bestellte und bestockte Haferfelder, die noch nicht geerntet, zuweilen noch grüner Weizen, oft Heiden und Weideflächen, auf denen meist noch mehr oder weniger Baumstöcke stehen und recht magere Kühe verschiedenster Rassen kümmerlich Nahrung finden. Die zahlreichen Farmen bestehen mit wenig Ausnahme aus einem sehr kleinen Wohnhause und einer ziemlich großen Scheuer, in der vielleicht im Winter auch das wenige Vieh untergebracht wird, beide Holzgebäude leichtester Konstruktion; das Ganze gewährt keinen angenehmen Eindruck. Auch fuhren wir durch große Waldungen; aber was für Wald! die eigentlichen Bäume, meist Fichten, sind längst verschwunden, an ihrer Stelle wuchern Birken und Erlen, zuweilen mit eingesprengten jungen Fichten. Selbst die Bevölkerung macht keinen günstigen Eindruck und steht weit hinter den hübschen und sauberen Bewohnern der Union zurück.
Die Lage von Quebec ist wunderbar, der mächtige St. Lawrence Strom wird durch schroffe hohe Bergabhänge zusammengedrängt, an dem rechten Ufer liegt Point-Levi, an dem linken Quebec mit zahlreichen öffentlichen Gebäuden und Kirchen und auf den Höhen starke Befestigungen, das Hauptfort in Quebec selbst. Die malerische Lage der beiden Städte lohnt im reichsten Maße einen Besuch derselben. Nachdem wir uns ein wenig gestärkt hatten, besahen wir zuerst die verschiedenen öffentlichen Gebäude und fuhren dann 8 englische Meilen weit zum Montmorency-Wasserfall. Ein oft sehr mächtiger Fluss stürzt von einer Höhe von 250 Fuß, d. i. 100 Fuß höher als der Niagara, zwischen steilen Felsen senkrecht in die Tiefe mit einem Getöse wie der Gasteiner Wasserfall. An dem Wege zum Montmorency-Falle lag Farm an Farm, sogenannte Marktfarmen, die Gemüse, Milch, Butter etc. nach Quebec liefern. Die Eigentümer sind ausschließlich Franzosen, die Gebäude wohl etwas besser als die früher gesehenen, aber überall war großer Mangel an Ordnung, der uns unangenehm berührte.
Kanada gehörte, wie erwähnt, bis 1763 den Franzosen, und hat sich in der Provinz Quebec noch eine beinahe ausschließlich französische Bevölkerung erhalten, die sich aber in keiner Weise auszeichnet, so steht dort auch der Ackerbau auf der niedrigsten Stufe in Kanada, woran wohl auch der mindere Boden Schuld tragen mag. Die ganze Administration wird in der Provinz Quebec französisch geführt, dennoch hat die Bevölkerung eine grauenhafte französische Aussprache; die übrigen acht Provinzen haben englische Verwaltung. Wir verließen Quebec Mittags den 21. August, besuchten aber früher noch die Zitadelle, die die ganze Stadt beherrscht und von der man eine wunderbare Aussicht genießt. Unter der Festung wird ein Riesenhotel mit 180 Zimmern von der Kanada-Pacificbahn auf der Dufferin-Terrasse erbaut, für Quebec sehr erwünscht, denn das Hotel St. Louis ist recht bescheiden. In der Befestigung führte uns ein gemeiner Artillerist herum, aber mit der Grazie eines Berliner Gardeleutnants. Mimi und Miss P. waren natürlich ganz entzückt, wieder zweierlei Tuch zu sehen; unser Artillerist reichte ihnen bei Absätzen und Treppen höflich den Arm, nahm auf Ruheplätzen an ihrer Seite Platz, die Zigarette im Munde und plauderte mit den Damen wie ein französischer Marquis, war aber für 50 Cents Trinkgeld sehr dankbar. Das Regiment ist angeworben, besteht nur aus Franzosen, hat aber einen englischen Oberst; wir sahen einen Teil desselben mit klingendem Spiele aufmarschieren und machten die Soldaten einen sehr günstigen Eindruck auf uns. Kanada hat kein eigenes stehendes Heer, aber es sollen einige englische Regimenter dort stationiert sein, zu denen auch die Besatzung, von Quebec gehört. Dann gibt es auch 40.000 Freiwillige, die nur zeitweise zu Massenübungen einberufen werden, und zur Miliz gehört jeder kanadische Bürger vom 18. bis 60. Jahre. Mimi lies mir keine Ruhe, wir mussten auch noch einen großartigen Pelzladen in Quebec besuchen, und wie das gewöhnlich so geht, auch einen Pelz kaufen. In der Ausstellung von Chicago, auch in New-York (sonst nirgends), sahen wir schönere Rauchwaren. Der Haupthandel amerikanischer Pelze ist aber in Winnipeg im Staate Manitoba, wo die Hudsonbai-Gesellschaft große Magazine hat und von den Indianern Pelze von Bibern, Bären, Dachsen, Füchsen, Mardern, Zobeln, Ottern etc. übernimmt. Die ganze Ware geht zum Verkauf nach London.
Im Pullman-Salonwagen machten meine Damen eine recht angenehme Bekanntschaft mit einem Fräulein aus Quebec und ich mit einem englischen Prediger aus St. John in Neu-Braunschweig, Mr. Brigstocke, der seit 20 Jahren in Kanada wohnt und einen Bruder als Prediger in Hamburg hat; von ihm erhielt ich so manche Aufklärungen über das Land. Alle Welt klagt über die langen, schneereichen, strengen Winter, während der Herbst immer wundervoll sein soll, wenigstens haben wir ein Prachtwetter. Um 8 Uhr Abends trafen wir in Montreal ein, nachdem wir die 9.194 Fuß lange Victoria-Brücke über den Lawrence-Strom überschritten hatten. Diese 1860 mit 12 Millionen Gulden erbaute Brücke ist ein Riesenwerk, sie hat 24 massive Pfeiler mit 330 Fuß Spannweite und ist von allen Seiten mit Wellenblech verkleidet, man glaubt durch einen Tunnel zu fahren.
Montreal ist eine sehr schöne, auf einer Insel im Lawrence-Strom gelegene Stadt mit vielen monumentalen Bauten und zahlreichen schönen Kirchen, lange nicht so lebhaft wie Boston, aber immerhin eine sehr bedeutende Handelsstadt. Bis vor kurzem war Quebec der Umschlagplatz zur See, jetzt hat Montreal den ganzen überseeischen Verkehr an sich gezogen. Bis hierher kommen die größten Seeschiffe mit 27 Fuß Tiefgang. Den Lawrence-Strom weiter aufwärts in den Ontario-See können sie wegen der bedeutenden Stromschnellen, der sogenannten Rapids, nicht dringen und die erbauten Kanäle, welche jene umgehen, haben nur 14 Fuß Wassertiefe, für Meerschiffe zu wenig. Voriges Jahr hat ein Holländer versucht, mit seinem Segelschiffe in den Ontario-See zu gelangen, ist aber übel zugerichtet worden.
Während Mimi und Miss P. die verschiedenen Kirchen besichtigten, machte ich unserem Konsul, Herrn Eduard Schulze, einen Besuch und lernte in ihm einen sehr gefälligen und unterrichteten Mann kennen, der mir über Kanada sehr interessante Mitteilungen machte. Derselbe hatte auch die Güte, mich in die großen Getreide-Elevatoren zu führen, die die Kanada-Pacificbahn hier erbaut hat. Zwei Elevatoren, in der Mitte zwei Dampfmaschinen à 220 Pferdekraft, jeder 218 Fuß lang, 25 Fuß breit und 145 Fuß hoch, in der unteren Etage 100 Abteilungen für je 5.000 bis 6.000 bushels, mithin zusammen für circa 200.000 Meterzentner, darüber die Transporteure, Verteiler und Putzmaschinen. Ein horizontales Gummiband von 3 Fuß Breite führt das Getreide direkt in die Schiffe und können stündlich 10.000 Meterzentner verladen werden. In dem Elevator sah ich drei Gattungen von Weizen:
1. Sehr schweren, wunderbaren roten Sommerweizen aus Manitoba. Der kanadische Sommerweizen aus Manitoba zeichnet sich durch seinen hohen Klebergehalt, 19,76 Prozent, aus; ungarischer hat 19,5 Prozent, der von Oregon nur 8 Prozent, von Minnesota 17,15 Prozent. In Manitoba ist auch die berühmte Riesenfarm des Major Bell mit 100 englischen Quadratmeilen Weizenland und von dort habe ich durch die Güte des Herrn Konsul Schulze in Montreal 600 Kilogramm roten Sommerweizen nach Ungarn bezogen und vor kurzer Zeit in Kapuvár angebaut;
2. bunten Winterweizen, weniger schön, und
3. weißen Winterweizen. Der erstere kostet ab Montreal gegenwärtig 6 fl. 40 kr. pro 100 Kilogramm, die beiden letzteren 5 fl. 60 kr. pro 100 Kilogramm. Die Fracht von Montreal nach Liverpool 85 kr. pro 100 Kilogramm, so dass sich der Weizen in England auf 7 fl. 25 kr. stellt.
Nachmittags fuhren wir auf den Königsberg, den man auch mit einer Seilbahn besteigen kann, und hatten von diesem eine herrliche Fernsicht. Eine wunderbare Aussicht soll auch der Turm der Notre Dame-Kirche gewähren. Meine Ladies hatten denselben am Morgen mit Hilfe eines sehr wackeligen Aufzuges erstiegen. Ein Knabe begleitete sie bis zur Spitze und fuhr mit dem Aufzuge wieder hinab. Die Damen warten und warten, es kommt kein Knabe mit dem Aufzuge zurück, die Stiege verschlossen, eine Klingel nicht vorhanden. So bringen sie eine qualvolle Stunde zu, bis sie zufällig eine Leine entdecken; sie ziehen daran und der Zauber war gelöst. Montreal mit den zahlreichen Kirchen und öffentlichen Gebäuden, alle neueren Ursprunges, meist aus Quadern erbaut, zwischen mächtigen Bäumen, rings von Wasser umgeben, ist eine der schönsten Städte, die ich gesehen. In Kanada macht sich überall der englische Einfluss geltend, alles ist so gediegen und für das öffentliche Wohlergehen, wie für die allgemeine Bildung großartig gesorgt. Auch ist es in Kanada bedeutend billiger als in den Vereinigten Staaten. Die beiden Bahnhöfe sind monumentale Prachtbauten aus Granit und rotem Sandstein, wie es in ganz Europa kaum schönere gibt. Wir sind im Windsor-Hotel für 4 Dollars wunderbar untergebracht. Dasselbe verhält sich zum Imperial-Hotel in Wien, wie dieses zur Pannonia in Oldenburg. An das amerikanische Leben sind wir bereits vollständig gewöhnt und befinden uns vortrefflich dabei. Wenn wir schon heute heimkehren müssten, niemand von uns würde die lange Seereise bereuen, so viel Herrliches haben wir in der kurzen Zeit gesehen. Morgen fahren wir über die Rapids auf dem St. Lawrence-Strom und dann nach Ontario, wo ich von der kanadischen Landwirtschaft Besseres als bisher zu sehen hoffe.
Als wir den amerikanischen Boden betraten, erneuerten wir zunächst unsere Kenntnisse über die allgemeinen Verhältnisse des Landes und es wird daher gut sein, dies auch in Kanada in ähnlicher Weise zu tun, bevor wir unsere Reise fortsetzen.
Kanada, eine wenn auch mit dem Mutterlande nur lose verbundene Kolonie Englands, grenzt südlich in seiner ganzen Breite an die nördliche Grenze der Vereinigten Staaten und geht nördlich bis zum Eismeere. Da aber der nördliche Teil wertlos und unerforscht ist, so kann man sagen, dass Kanada zwischen dem 45. und 60. Grad nördlicher Breite gelegen ist. Sehen wir von der südlichen Spitze vom Ontario-See ab, so liegt die Südgrenze mit Berlin, die Nordgrenze mit Christiania auf einem Breitegrade. Die Länge des Landes beträgt von Neu-Schottland am Atlantischen Ozean bis nach Vancouver am Stillen Meere 3000 englische Meilen (4800 Kilometer). Kanada hat eine gleich große Ausdehnung wie die Vereinigten Staaten, 3.500.000 englische Quadratmeilen (170.000 deutsche Quadratmeilen). Engländer, Franzosen und Spanier beteiligten sich im 15. Jahrhundert an der Entdeckung dieses Riesenreiches, doch in Folge des rauen Klimas legte niemand großen Wert auf dasselbe. Erst 100 Jahre später nahm Frankreich durch den Gouverneur Champlain die Kolonisation in die Hand, der Quebec erbaute, eine eigene Regierung gründete und im Rücken der englischen Kolonien von Kanada bis Louisiana Forts errichtete. So entstanden zwischen beiden Staaten fortwährende Reibungen, 1757 brach der Krieg aus. Der englische General Wolfe siegte bei Quebec und 1763 im Pariser Frieden erhielten die Engländer ganz Kanada. Im Anfange dieses Jahrhunderts gab es im Osten nur zwei selbstständige Staaten: Ober- und Unter-Kanada, das heutige Quebec und Ontario, im ersteren herrschten die zurückgebliebenen Franzosen, im letzteren die Engländer. Erst 1840 wurden beide Staaten unter ein Parlament vereinigt und 1858 Ottawa zur Hauptstadt erhoben. In den westlichen Teilen, vom oberen See, wo heute die bedeutende Stadt Winnipeg liegt, bis an den Stillen Ozean, bis Vancouver und Alaska, herrschte seit 200 Jahren die Hudsonbai-Gesellschaft, die ähnlich wie die Ostindische Compagnie oder die Hansa entstanden war. Karl II. von England gab einen Besitz von 100.000 deutschen Quadratmeilen gegen einen Tribut von zwei Hirschen und zwei schwarzen Bibern, wenn immer der König den Besitz berührte, einigen englischen unternehmenden Kaufleuten zur Benützung. Durch beinahe 200 Jahre hat diese Gesellschaft wie ein Veilchen, das im Verborgenen blüht, jenes Reich ausgebeutet, indem sie zu ihrem Schutze Forts und für den Pelzhandel mit den Indianern 150 Faktoreien errichtete. Durch die Fortschritte der Kolonisation in Kanada und den westlichen Staaten der Union wurde aber die Aufmerksamkeit der Welt auf diese bisher unbekannten Regionen immer mehr gelenkt. Die Gesellschaft konnte dem Zeitstrome nicht widerstehen, so verkaufte sie 1863 ihre Privilegien an eine neue Gesellschaft und diese übergab die 100.000 deutschen Quadratmeilen für 300.000 Pfund Sterling an die kanadische Regierung. Die Gesellschaft reservierte sich nur 70.000 Acres (54 deutsche Quadratmeilen) in der Höhe ihrer Faktoreien und den fünften Teil, d. h. 20.000 englische Quadratmeilen (1.000 deutsche Quadratmeilen) des sogenannten fruchtbaren Gürtels von Kanada, an der westlichen Nordgrenze der Union, zwischen dem Winnipeg-See und dem Felsengebirge, einem Gebiet von 20.000 deutschen Quadratmeilen. Dasselbe erhielt aber erst durch die vor acht Jahren erfolgte Vollendung der Kanada-Pazifikbahn einen immer steigenden Wert; die Hudsonbai-Gesellschaft blüht mehr wie zuvor, vergrößert ihre Faktoreien, hat circa 5.000 Beamte und verkauft ihre Gründe zu steigenden Preisen. So entstanden in den letzten 30 Jahren in der Machtsphäre der kanadischen Kolonie gegen Westen neue Staatengebilde, Manitoba, Britisch-Kolumbien, die Nordwest-Territorien, ein Reich so groß wie die Vereinigten Staaten, und von dem man behauptet, dass es in Zukunft eine gleiche Menge Weizen wie diese produzieren werde. Aufgeschlossen wurden aber diese Territorien erst durch die Kanada-Pazifikbahn, welche den Atlantischen Ozean mit dem Stillen Meere verbindet, bei Quebec beginnt und mit einer Länge von 3.018 englischen Meilen (5.000 Kilometer) Vancouver erreicht. In 10 Jahren wurde dieses Riesenwerk ausgeführt, 1876 begonnen, 1886 beendet. Die Gesellschaft bekam von der Regierung ein Darlehen von 25 Millionen Dollars und große Landschenkungen. Der Staat verfolgt bei der Verwertung und Kolonisation die gleichen Prinzipien wie die Union, sie gibt jedem Staatsbürger ¼ Sektion oder 160 Acres (64 Hektar) gegen 10 Dollars Einschreibgebühr ins Eigentum; die Kanada-Pazifikbahn verlangt dagegen 2 ½ Dollars pro Acre (15 fl. 60 kr. pro Hektar), die Hudsonbai-Gesellschaft ist noch viel teurer.
Durch die Kanada-Pazifikbahn ist auch für Europa eine neue kürzere Linie nach Japan und China entstanden. Man fährt von London nach Quebec in 10 Tagen, nach Vancouver in 6 Tagen, bis Japan in 12 Tagen und von dort nach China in 5 Tagen, benötigt daher im Ganzen 33 Tage zur Reise von Europa nach China.
Kehren wir aber zu den geographischen Verhältnissen des Landes zurück. Die leicht zugängliche Küste stellt Kanada weit über Sibirien, dessen geographische Breite es teilt, nur die eigentliche Eismeerküste ist demselben ähnlich. Auch in Kanada muss man den appalachischen und cordillerischen Teil unterscheiden, denn sowohl das Alleghany als das Felsengebirge haben ihre nördliche Fortsetzung in jenes Gebiet. Von dem ersteren fallen in dasselbe nur die niedrigen nordöstlichen Ausläufer, während die Felsengebirge in Kanada gewaltige Hochketten bis zu 19.000 Fuß Höhe besitzen. Ausgedehnte Tafelländer zwischen beiden, die den größeren Teil des Landes einnehmen, haben überwiegend azoische, auch tertiäre und paläozoische Gesteinsformationen, die Kohlenformationen sind dagegen weniger als in den Vereinigten Staaten vertreten. Die Gletscherzeit hat eben im Norden mehr abgeschoben als aufgeschüttet, weite Strecken Landes sind ihrer Erdkrume beraubt, in kahle Felsengebirge verwandelt, der Moränenschutt ist mehr an den großen Seen und in den au die Union grenzenden Prärien zu finden. Die mineralischen Bodenschätze sind noch wenig ausgebeutet, aber edle Metalle in den Felsengebirgen, große Steinkohlenlager aus der Karbonformation in Neu-Schottland, aus der mesozoischen Formation in Vancouver, Salz- und Petroleumquellen in Ontario. Asbestlager in Quebec bekannt.
Kanada hat das größte Seengebiet der Welt, die fünf großen kanadischen Seen: der Obere, der Michigan-, der Huron-, der Erie- und der Ontario-See haben eine Wasserfläche von 16.000 deutschen Quadratmeilen, beinahe dreimal so groß wie Ungarn; der mehr westlich gelegene Winnipeg-See ist 440 deutsche Quadratmeilen groß. Von den Flüssen müssen in erster Linie der Lawrence, der Columbia, Mackenzie und Nelson genannt werden, die sämtlich nur dem Missisippi einen höheren Rang zugestehen. Der erstere strömt gegen Osten aus dem Ontario-See in den Atlantischen Ozean, der Columbia bei Vancouver in den Stillen Ozean, während die beiden anderen Ströme in das Eismeer fließen. Es gibt noch eine Menge andere größere Flüsse, aber es ist ein Nachteil, dass der größte Teil derselben zur Hudsonsbai und ins Eismeer gegen Norden fließen. Obgleich die Wasserscheiden keine hohen sind, so gibt es in den Flüssen doch zahlreiche Wasserfälle und Rapids, die nur durch bedeutende Regulierungen überwunden werden könnten.
Der Winter ist in Kanada sehr lang, die Vegetationsperiode eine nur kurze; schon im Süden beginnt die wärmere Jahreszeit kaum vor Mitte Mai, im Norden weit später. Kanada gehört eben zur Region des kalten Frühlings. Toronto hat im Januar bis 32 Grad Celsius Kälte, im August dagegen 37 Grad Celsius Wärme, Manitoba hat eine mittlere Sommertemperatur von 20 Grad Celsius. Die Wintertemperaturen sind im Inneren niedriger als an den Küsten und steigen namentlich gegen den Stillen Ozean. Die Niederschläge sind natürlich reichlich, im Osten gegen 900 Millimeter, in den Prärien nicht weniger und an der Westküste 630 Millimeter.
Nach Professor Sievers kann in der Hälfte des Landes Gerste, auf 30.000 deutschen Quadratmeilen Sommerweizen, aber wenig Winterweizen angebaut werden. Büffel und Pferde weiden in Manitoba den ganzen Winter im Freien, in Britisch-Columbia, näher der Küste, auch das Rindvieh.
Gegenwärtig hat Kanada erst acht Staaten oder Provinzen:
Fläche
Englische Deutsche
Quadratmeilen Quadratmeilen Einwohner
Insel Prinz Edward 2.000 100 110.000
Halbinsel Nova Scotia 21.000 1.000 450.000
New-Brunswick 27.000 1.300 320.000
Quebec 288.000 9.000 1.500.000
Ontario 180.000 8.500 2.000.000
Manitoba 122.000 6.000 80.000
Britisch-Columbia 340.000 16.000 50.000
Nordwest-Territorien 2.620.000 124.000 60.000
Summa 3.500.000 165.900 4.570.000
Die rasch zunehmende Bevölkerung hat heute vermutlich schon über 5 Millionen. Unter diesen sind noch 122.000 Indianer und 22.000 Neger. Unter der weißen Bevölkerung gehören 36 Prozent dem englisch-schottischen, 30 Prozent dem französischen, 6 Prozent dem deutschen Elemente an.
Kanada produziert noch verhältnismäßig wenig, aber es hat eine ungeheure Zukunft, während der Export der Union 1.800 Millionen Dollars erreicht, exportiert Kanada bis jetzt nur für 100 Millionen Dollars, darunter sind 46 Prozent für Getreide und tierische Produkte, 30 Prozent für Holz. Der Eingangszoll erreicht jährlich 25 Millionen Dollars. Die Staatsschulden betragen nur 200 Millionen Dollars.
Früh 3 Uhr waren wir in Montreal, es regnete in Strömen, so beschlossen wir gleich nach Quebec weiter zu fahren, das wir um 2 Uhr Nachmittags erreichten. Die Gegend zwischen beiden Städten ist wohl trostlos, ganz flach, geringer, oft sumpfiger Boden in kleinen Parzellen, die meist durch Drahtzäune getrennt sind. Schlecht bestellte und bestockte Haferfelder, die noch nicht geerntet, zuweilen noch grüner Weizen, oft Heiden und Weideflächen, auf denen meist noch mehr oder weniger Baumstöcke stehen und recht magere Kühe verschiedenster Rassen kümmerlich Nahrung finden. Die zahlreichen Farmen bestehen mit wenig Ausnahme aus einem sehr kleinen Wohnhause und einer ziemlich großen Scheuer, in der vielleicht im Winter auch das wenige Vieh untergebracht wird, beide Holzgebäude leichtester Konstruktion; das Ganze gewährt keinen angenehmen Eindruck. Auch fuhren wir durch große Waldungen; aber was für Wald! die eigentlichen Bäume, meist Fichten, sind längst verschwunden, an ihrer Stelle wuchern Birken und Erlen, zuweilen mit eingesprengten jungen Fichten. Selbst die Bevölkerung macht keinen günstigen Eindruck und steht weit hinter den hübschen und sauberen Bewohnern der Union zurück.
Die Lage von Quebec ist wunderbar, der mächtige St. Lawrence Strom wird durch schroffe hohe Bergabhänge zusammengedrängt, an dem rechten Ufer liegt Point-Levi, an dem linken Quebec mit zahlreichen öffentlichen Gebäuden und Kirchen und auf den Höhen starke Befestigungen, das Hauptfort in Quebec selbst. Die malerische Lage der beiden Städte lohnt im reichsten Maße einen Besuch derselben. Nachdem wir uns ein wenig gestärkt hatten, besahen wir zuerst die verschiedenen öffentlichen Gebäude und fuhren dann 8 englische Meilen weit zum Montmorency-Wasserfall. Ein oft sehr mächtiger Fluss stürzt von einer Höhe von 250 Fuß, d. i. 100 Fuß höher als der Niagara, zwischen steilen Felsen senkrecht in die Tiefe mit einem Getöse wie der Gasteiner Wasserfall. An dem Wege zum Montmorency-Falle lag Farm an Farm, sogenannte Marktfarmen, die Gemüse, Milch, Butter etc. nach Quebec liefern. Die Eigentümer sind ausschließlich Franzosen, die Gebäude wohl etwas besser als die früher gesehenen, aber überall war großer Mangel an Ordnung, der uns unangenehm berührte.
Kanada gehörte, wie erwähnt, bis 1763 den Franzosen, und hat sich in der Provinz Quebec noch eine beinahe ausschließlich französische Bevölkerung erhalten, die sich aber in keiner Weise auszeichnet, so steht dort auch der Ackerbau auf der niedrigsten Stufe in Kanada, woran wohl auch der mindere Boden Schuld tragen mag. Die ganze Administration wird in der Provinz Quebec französisch geführt, dennoch hat die Bevölkerung eine grauenhafte französische Aussprache; die übrigen acht Provinzen haben englische Verwaltung. Wir verließen Quebec Mittags den 21. August, besuchten aber früher noch die Zitadelle, die die ganze Stadt beherrscht und von der man eine wunderbare Aussicht genießt. Unter der Festung wird ein Riesenhotel mit 180 Zimmern von der Kanada-Pacificbahn auf der Dufferin-Terrasse erbaut, für Quebec sehr erwünscht, denn das Hotel St. Louis ist recht bescheiden. In der Befestigung führte uns ein gemeiner Artillerist herum, aber mit der Grazie eines Berliner Gardeleutnants. Mimi und Miss P. waren natürlich ganz entzückt, wieder zweierlei Tuch zu sehen; unser Artillerist reichte ihnen bei Absätzen und Treppen höflich den Arm, nahm auf Ruheplätzen an ihrer Seite Platz, die Zigarette im Munde und plauderte mit den Damen wie ein französischer Marquis, war aber für 50 Cents Trinkgeld sehr dankbar. Das Regiment ist angeworben, besteht nur aus Franzosen, hat aber einen englischen Oberst; wir sahen einen Teil desselben mit klingendem Spiele aufmarschieren und machten die Soldaten einen sehr günstigen Eindruck auf uns. Kanada hat kein eigenes stehendes Heer, aber es sollen einige englische Regimenter dort stationiert sein, zu denen auch die Besatzung, von Quebec gehört. Dann gibt es auch 40.000 Freiwillige, die nur zeitweise zu Massenübungen einberufen werden, und zur Miliz gehört jeder kanadische Bürger vom 18. bis 60. Jahre. Mimi lies mir keine Ruhe, wir mussten auch noch einen großartigen Pelzladen in Quebec besuchen, und wie das gewöhnlich so geht, auch einen Pelz kaufen. In der Ausstellung von Chicago, auch in New-York (sonst nirgends), sahen wir schönere Rauchwaren. Der Haupthandel amerikanischer Pelze ist aber in Winnipeg im Staate Manitoba, wo die Hudsonbai-Gesellschaft große Magazine hat und von den Indianern Pelze von Bibern, Bären, Dachsen, Füchsen, Mardern, Zobeln, Ottern etc. übernimmt. Die ganze Ware geht zum Verkauf nach London.
Im Pullman-Salonwagen machten meine Damen eine recht angenehme Bekanntschaft mit einem Fräulein aus Quebec und ich mit einem englischen Prediger aus St. John in Neu-Braunschweig, Mr. Brigstocke, der seit 20 Jahren in Kanada wohnt und einen Bruder als Prediger in Hamburg hat; von ihm erhielt ich so manche Aufklärungen über das Land. Alle Welt klagt über die langen, schneereichen, strengen Winter, während der Herbst immer wundervoll sein soll, wenigstens haben wir ein Prachtwetter. Um 8 Uhr Abends trafen wir in Montreal ein, nachdem wir die 9.194 Fuß lange Victoria-Brücke über den Lawrence-Strom überschritten hatten. Diese 1860 mit 12 Millionen Gulden erbaute Brücke ist ein Riesenwerk, sie hat 24 massive Pfeiler mit 330 Fuß Spannweite und ist von allen Seiten mit Wellenblech verkleidet, man glaubt durch einen Tunnel zu fahren.
Montreal ist eine sehr schöne, auf einer Insel im Lawrence-Strom gelegene Stadt mit vielen monumentalen Bauten und zahlreichen schönen Kirchen, lange nicht so lebhaft wie Boston, aber immerhin eine sehr bedeutende Handelsstadt. Bis vor kurzem war Quebec der Umschlagplatz zur See, jetzt hat Montreal den ganzen überseeischen Verkehr an sich gezogen. Bis hierher kommen die größten Seeschiffe mit 27 Fuß Tiefgang. Den Lawrence-Strom weiter aufwärts in den Ontario-See können sie wegen der bedeutenden Stromschnellen, der sogenannten Rapids, nicht dringen und die erbauten Kanäle, welche jene umgehen, haben nur 14 Fuß Wassertiefe, für Meerschiffe zu wenig. Voriges Jahr hat ein Holländer versucht, mit seinem Segelschiffe in den Ontario-See zu gelangen, ist aber übel zugerichtet worden.
Während Mimi und Miss P. die verschiedenen Kirchen besichtigten, machte ich unserem Konsul, Herrn Eduard Schulze, einen Besuch und lernte in ihm einen sehr gefälligen und unterrichteten Mann kennen, der mir über Kanada sehr interessante Mitteilungen machte. Derselbe hatte auch die Güte, mich in die großen Getreide-Elevatoren zu führen, die die Kanada-Pacificbahn hier erbaut hat. Zwei Elevatoren, in der Mitte zwei Dampfmaschinen à 220 Pferdekraft, jeder 218 Fuß lang, 25 Fuß breit und 145 Fuß hoch, in der unteren Etage 100 Abteilungen für je 5.000 bis 6.000 bushels, mithin zusammen für circa 200.000 Meterzentner, darüber die Transporteure, Verteiler und Putzmaschinen. Ein horizontales Gummiband von 3 Fuß Breite führt das Getreide direkt in die Schiffe und können stündlich 10.000 Meterzentner verladen werden. In dem Elevator sah ich drei Gattungen von Weizen:
1. Sehr schweren, wunderbaren roten Sommerweizen aus Manitoba. Der kanadische Sommerweizen aus Manitoba zeichnet sich durch seinen hohen Klebergehalt, 19,76 Prozent, aus; ungarischer hat 19,5 Prozent, der von Oregon nur 8 Prozent, von Minnesota 17,15 Prozent. In Manitoba ist auch die berühmte Riesenfarm des Major Bell mit 100 englischen Quadratmeilen Weizenland und von dort habe ich durch die Güte des Herrn Konsul Schulze in Montreal 600 Kilogramm roten Sommerweizen nach Ungarn bezogen und vor kurzer Zeit in Kapuvár angebaut;
2. bunten Winterweizen, weniger schön, und
3. weißen Winterweizen. Der erstere kostet ab Montreal gegenwärtig 6 fl. 40 kr. pro 100 Kilogramm, die beiden letzteren 5 fl. 60 kr. pro 100 Kilogramm. Die Fracht von Montreal nach Liverpool 85 kr. pro 100 Kilogramm, so dass sich der Weizen in England auf 7 fl. 25 kr. stellt.
Nachmittags fuhren wir auf den Königsberg, den man auch mit einer Seilbahn besteigen kann, und hatten von diesem eine herrliche Fernsicht. Eine wunderbare Aussicht soll auch der Turm der Notre Dame-Kirche gewähren. Meine Ladies hatten denselben am Morgen mit Hilfe eines sehr wackeligen Aufzuges erstiegen. Ein Knabe begleitete sie bis zur Spitze und fuhr mit dem Aufzuge wieder hinab. Die Damen warten und warten, es kommt kein Knabe mit dem Aufzuge zurück, die Stiege verschlossen, eine Klingel nicht vorhanden. So bringen sie eine qualvolle Stunde zu, bis sie zufällig eine Leine entdecken; sie ziehen daran und der Zauber war gelöst. Montreal mit den zahlreichen Kirchen und öffentlichen Gebäuden, alle neueren Ursprunges, meist aus Quadern erbaut, zwischen mächtigen Bäumen, rings von Wasser umgeben, ist eine der schönsten Städte, die ich gesehen. In Kanada macht sich überall der englische Einfluss geltend, alles ist so gediegen und für das öffentliche Wohlergehen, wie für die allgemeine Bildung großartig gesorgt. Auch ist es in Kanada bedeutend billiger als in den Vereinigten Staaten. Die beiden Bahnhöfe sind monumentale Prachtbauten aus Granit und rotem Sandstein, wie es in ganz Europa kaum schönere gibt. Wir sind im Windsor-Hotel für 4 Dollars wunderbar untergebracht. Dasselbe verhält sich zum Imperial-Hotel in Wien, wie dieses zur Pannonia in Oldenburg. An das amerikanische Leben sind wir bereits vollständig gewöhnt und befinden uns vortrefflich dabei. Wenn wir schon heute heimkehren müssten, niemand von uns würde die lange Seereise bereuen, so viel Herrliches haben wir in der kurzen Zeit gesehen. Morgen fahren wir über die Rapids auf dem St. Lawrence-Strom und dann nach Ontario, wo ich von der kanadischen Landwirtschaft Besseres als bisher zu sehen hoffe.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches An Meine Lieben in der Heimat. Aus Nord-Amerika 1893.