Saratoga Springs, den 20. August 1893.

Wahrlich, die Amerikaner haben recht, den Hudson ihren Rhein zu nennen; nichts ist lieblicher und freundlicher als die Ufer dieses mächtigen Stromes von New-York bis Albany. Freilich geschichtliche Reminiszenzen, Ruinen und alte Burgen oder die wohlgepflegten Weinkulturen an den Basaltabhängen des Rheines fehlen ihm, dafür sind aber die Ufer fortwährend von Bergen begrenzt, die mit den herrlichsten Buchenwaldungen bedeckt sind und sich weit ins Land hinein ziemlich hoch, in dem Katskill-Gebirge sogar bis 4.000 Fuß erheben. Zahlreiche größere und kleinere Städte, meist mit mehreren, oft 6 bis 8 großen neuen Kirchen, Schlösser und Villen jeder Art mit Gärten, kleinen Feldern, selbst Weingärten, große Sommer-Pensionen, bedeutende industrielle Anlagen, knapp an jedem Ufer mehrgeleisige Bahnen haben sich in den Waldungen nur so viel Platz gemacht, als sie dringend bedurften, und so gewinnt das Ganze einen fast parkartigen, ungemein lieblichen Anblick. Der Fluss, breiter als die Donau oberhalb Wiens, dehnt sich wiederholt zu großen Seen aus und macht öfters so scharfe Biegungen, dass er dem Auge total verschwindet und immer neue Überraschungen bietet. Sobald wir die Salzwasserregion verlassen, wo der Fluss weiter nach oben einfriert, sind zahlreiche kolossale Eishäuser an beiden Ufern bis Albany errichtet, welche ihre Vorräte im Sommer nach New-York versenden, wo 100 Kilogramm en gros, je nach der Eisernte, 60 kr. bis 1 fl. 50 kr. kosten und im Detail mit dem doppelten Preise bezahlt werden. Der Eisverbrauch in Amerika ist aber auch unglaublich, alle Welt trinkt im Sommer nur Eiswasser, alle Früchte, Butter etc. werden mit dem schönsten Eise serviert, Morgens in den Straßen findet man auf den Türschwellen einen Eisblock, vermutlich von den Lieferanten dort deponiert, und in den großen Hotels begegnet man dem Eise auch noch an anderen Stellen, für die Gesundheit jedenfalls sehr dienlich.

An einem größeren Orte, Poughkeepsie, fuhren wir unter einer 2.000 Meter langen eisernen Eisenbahnbrücke, die 24 Meter über dem Fluss hoch und nach dem Kreuzträgersystem erbaut ist; auch die höchsten Schiffe können dieselbe bequem passieren. Der Eisenbahnverkehr an beiden Ufern ist überhaupt großartig, ich glaube so groß wie am Rhein, denn ein Zug folgt dem anderen. Außerdem sind wir sieben großen Personendampfern mit vielen Hunderten von Reisenden begegnet. Wenn man dabei an unsere Donau denkt! Sehr wenig Frachtschiffe waren zu sehen, aber man sagte mir, sie fahren meistens in der Nacht, um Morgens in New-York einzutreffen.


Wir hatten Freitag, den 18. August, in Newport das Nachtboot, wie man hier zu sagen pflegt, genommen, den Pilgrim, das größte Schiff der Welt, in dem wir jedenfalls in den früher bestellten Kabinen für 2 Dollars pro Kopf vorzüglich schliefen, und waren um 7 Uhr in New-York, um sofort das Tagboot nach Albany zu besteigen. Dahin brachte uns auch ein Ticket-Beamter, von Fräulein Müllers Schwager empfohlen, unsere Rundreisebillets. Die ganze Reise inklusive sechs Tage Verpflegung im Yellowstone-Park und der Wagen ins Yosemite-Thal kostet pro Kopf 322 Dollars. Die Columbia, welche uns von 9 Uhr Früh bis Abends 6 Uhr nach Albany brachte, ist auch ein wunderbares Schiff, wenn auch nicht so groß wie der Pilgrim, aber höchst elegant eingerichtet, schöne Salons, Restauration, Musikkapelle, gute Reisegesellschaft, das Wetter und der Hudson, es war ein herrlicher Tag. Und wenn ich dabei an eine Donaufahrt von Komorn nach Budapest denke. Dabei gibt es auf den Schiffen wie auf den Bahnen nur eine Klasse, ich gestehe aber, ich habe mich in der Gesellschaft noch niemals unbehaglich gefühlt. Alle Reisenden gut, sauber, viele natürlich auch höchst elegant gekleidet, nicht gespuckt, geraucht und nur Eiswasser oder Limonaden getrunken, das nenne ich behaglich reisen. Albany ist am linken Abhänge des Hudson sehr hübsch gelegen und wird in der Mitte von einem kolossalen Gebäude in Rohbau, dem Capitol von New-York beherrscht. Es ist von Holländern 1614 gegründet und soll dadurch noch heute sein reines Äußere erhalten haben. Wo die großen Brauereien, die man in Albany vom Schiffe aus sehen kann, eigentlich ihr Bier absetzen, ist mir unerklärlich, da alle Welt nur Eiswasser trinkt. Zwei große mächtige Eisenbahnbrücken gehen über den Hudson, in der Mitte drehbar, um die Schiffe passieren lassen zu können. In Albany mündet auch der weltbekannte Erie-Canal, der den Erie-See bei Buffalo mit dem Hudson verbindet, er ist 360 englische Meilen lang, 21 Meter breit, 2 Meter tief und hat 72 Schleusen, die 174 Meter Gefälle überwinden, kostete 45.000.000 Dollars, und verfrachtet 60 Millionen Meterzentner pro anno. Was habe ich schon alles von diesem Kanal gehört, es war daher höchst interessant für mich, ihn nun in Wirklichkeit sehen zu können. Albany ist auch der drittgrößte Holzmarkt in der Union.

Um 8 Uhr Abends waren wir in Saratoga; der Omnibus brachte uns ins Hotel, wie es überhaupt in den meisten Städten Hotelwagen an den Bahnhöfen gibt. Nur die Express-Compagnie, welche das große Gepäck, wohin man wünscht, pünktlich abliefert, ist teuer, ich muss für unsere vier Koffer und drei Plaidrollen jedesmal 1,25 Dollar, also mehr als 4 Gulden, zahlen. Auch findet man an allen Stationen gute Menschen, die uns für 50 Gents das Handgepäck tragen, und die Sage: es gebe an den amerikanischen Bahnhöfen keine Bedienung, ist wenigstens im Osten eine Fabel. Unser Hotel ist unbeschreiblich groß, eine kleine Stadt oder Riesenkaserne. Wir sind Nr. 384 und 386, aber ganz in unserer Nähe sah ich Nr. 1342; es sind nie weniger als 700 Personen im Hotel. Ein Haufen von Gästen kam mit uns an, wir wurden in einen großen Salon geführt, wo wir unsere Handtaschen ablegen durften, dann ging's in die Office, wir trugen unsere Namen in ein Riesenbuch ein, wurden von einem der Herren nach der Zahl der gewünschten Zimmer gefragt, erfuhren den Preis von 5 Dollars pro Tag und Kopf, man gab uns jedem einen Schlüssel in die Hand und von diesem Momente kümmerte sich keine Menschenseele mehr um uns. Die Aufzüge sind kleine, nette Salons, im Moment ist man im zweiten Stocke, dann eine kleine Reise durch endlose Gänge und wir sind in unserem Zimmer. Schöner Teppich, vorzügliches Bett, kaltes und warmes Wasser, einfaches Meublement und beim Fenster an einem eisernen Ringe an der Wand ein langes Seil, darüber gedruckt: „An diesem Seile lässt man sich bei Feuersgefahr auf die Erde herab." Ich hätte es so gerne ausprobiert, wagte aber nicht, darum zu bitten, die Geschichte ist nicht so gefährlich, eine zuverlässige Feder verhindert das Seil, sich schnell abzuwickeln. Hat man beide Arme durch die Schlingen gegeben, so rutscht man, vermute ich, ganz bequem bis auf den Erdboden hinab und verbrennt nicht. Es muss jedenfalls ein komischer Anblick sein, wenn so ein Mammoth-Hotel zu brennen beginnt und es öffnen sich sämtliche Fenster und aus jedem derselben lässt sich ein weibliches oder männliches Wesen in Nachttoilette zur Erde herab! Die Hallen, Salons, Speise-, Tanzsäle, Schreib-, Billard-, Spiel- und sonstigen Zimmer beschreiben zu wollen, ist unmöglich, man muss sie gesehen haben, da ist für alles aufs beste gesorgt — auch fürs Schuhputzen; mit meinem Putzer habe ich immer längere Unterhaltungen, er ist allein im Hotel und sagte mir, dass er täglich circa 60 Paar Stiefel à 10 Cents zu putzen hat und daher 6 Dollars oder 15 fl. verdient, 640 Personen von den 700 Gästen putzen sich also die Stiefel entweder selbst oder lassen sie für 5 Cents auf der Gasse putzen! Im Speisesaal können auf einmal mindestens 800 bis 900 Personen essen, wir sind mit Kost und Bedienung ganz zufrieden und delektieren uns besonders am frühen Morgen vor dem Tee an den wunderbaren eiskalten grünen Melonen. Ein schöneres Obst kann man sich nicht denken, eine Ananas kostet z. B. am Platze 25 Cents. Abends waren wir im Hotelkonzert (3 Dollars) und beim Tanze. Die Gesellschaft ist hier nicht so elegant wie in Newport und Narragansett; es wird eben jeder aufgenommen, der 5 Dollars zahlen kann, und da findet eine starke Mischung statt, elegante Toiletten gibt es aber genug.

Der Boden in hiesiger Gegend ist ein elender, gelber, lebloser Sand, die benachbarten bewaldeten Berge sind unbedeutend. Der Besuch von Saratoga ist daher nur durch die vielen, stark kohlensauren Springquellen gerechtfertigt. In der Stadt sind die einzelnen Quellen schön gefasst und von kleineren Parks umgeben, in der Umgebung hat jede ein kleines Holzhaus mit unzähligen Kisten und Flaschen, in denen das Wasser durch ganz Amerika versendet wird. Die verschiedenen Quellen, meist durch circa 200 Fuß tiefe Bohrlöcher aufgeschlossen, haben hochtönende Namen: Karlsbad, Kissingen, Vichy etc. etc., ob dieselbe Wirkung, möchte ich bezweifeln, aber jedenfalls liefern sie einen guten Ersatz für Apollinaris und Selters. Preis in den Hotels eine halbe Flasche 25 Cents.

Eine lange, wundervolle breite Ulmenallee, an dieser die großen Hotels, welche ganze Stadtviertel einnehmen, kleinere Hotels, Miethäuser in den Seitengassen, einige nette Villen, mittelmäßige Gewölbe, und Ihr habt Saratoga, das uns bedeutend weniger als Newport gefällt. Die Amerikaner meinen, es sei so wie Wiesbaden, da fehlt denn doch noch etwas. Eine Schmalspurbahn führt auf den benachbarten Mac-Gregor-Berg, wo sich ein großes Hotel mit schöner Aussicht und das Landhaus befindet, in welchem General Grant gestorben ist und das jetzt vom Staate in gutem Stande erhalten wird. In drei Stunden kehrten wir von diesem Ausflug zurück.

Es ist Sonntag, der 20. August. Die ganze Welt fährt in Equipagen oder wie wir mit der elektrischen Bahn zum Saratoga-See, zwei englische Meilen lang, von bewaldeten Hügeln umgeben, recht nett, aber leblos. Im Seehotel ging es lustig zu, ein großer Bär aus Kalifornien tanzte, mittelst eines Phonographen konnte man sich an allerlei Musik und Gesang ergötzen und in einer Bretterbude, die als Tanzsaal diente, spielte ein Neger, der nur eine Hand hatte, gleichzeitig Guitarre und Mundharmonika, während zwei Negerdamen sehr eifrig zum Ergötzen der ganzen Gesellschaft tanzten.

Wir haben Glück gehabt, gestern, Samstag, war großes Rennen, leider kein Trotter-Rennen, da die Bahn in Folge starker Regen zu saftig war. Die Bahn, eine englische Meile lang, liegt zwar auf einer Weide, aber auf dem leichten Sandboden ist die schwache Grasdecke ganz verschwunden, und es war ein solcher Schmutz, dass die Reiter, unter ihnen viele Neger, nach einem Rennen nicht wieder zu erkennen waren. Die Pferde waren alle in sehr guter Kondition; Pferdebesitzer gibt es eine Menge und auch Vollblutgestüte soll es sehr viele geben; ein Züchter, Mr. Reid, zahlte vor zwei Jahren für den Hengst A. Bleise 100.000 Dollars. Einen Totalisator habe ich nicht bemerkt, aber wetten bei den Bookmakers, das tut die feinste Dame und der letzte Ladenbursch. Für die Damen besteht eine eigene Abteilung von Bookmakers und dort geht es am tollsten zu. Das ganze Renn-Etablissement ist wunderbar, eine hohe, gedeckte Tribüne mit 100 terrassenförmigen Bänken für je 20 Personen, so dass es für 2.000 Personen Sitzplätze à 1 ½ Dollar gibt, außerdem Eintritt für 50 Cents. Unter der Tribüne sind Sattelzimmer, mehrere Restaurationen, die Bookmakers-Bureaux etc. etc., vor der Tribüne ein Pavillon für die Richter, jedenfalls bequemer als die meisten von mir gesehenen Rennplätze. Die Rennen waren gestern meistens kurz, 1.600 Meter lang, was nicht für die beste Klasse der gelaufenen Pferde spricht.