Alt-Wiener Spezialitäten: die Porzellan-Manufaktur, Miniaturen, Silhouetten, Stiche etc.

Neben den uneigennützigen Mäzenen sind auch die Kunsthändler zu nennen, die — wenn auch aus Geschäftsinteresse — den Künstlern Verdienst gaben. Sie treten in Wien schon sehr früh auf und spielen besonders als Verleger von Stichen, von illustrierten Flugblättern, von allerhand Stadtansichten und Karten im Wiener Kunstleben eine besonders große Rolle. Die Maler schossen in der üppigen Atmosphäre zu Dutzenden auf; und da nicht alle ihre Bilder verkaufen oder Porträtaufträge erhalten konnten, so wendeten sich viele — als Vorläufer der heutigen Illustratoren und Witzblattzeichner — dem Publikationswesen zu. So haben, um nur die bekannteren Namen zu nennen, Jakob Alt, Höger, Thomas Ender für die Firma Artaria Landschaften gestochen und koloriert; Schwind und Kriehuber, vielleicht auch Pettenkofen arbeiteten anfangs für Trentsensky. Für das Verständnis von Alt-Wien und seiner Kunstentwicklung sind diese Blätter, vor allem die ausgezeichneten, auch im Auslande geschätzten Schütz-Ziegler sehen Ansichten, dann die köstlichen Aktualitäten von Hieronymus Löschenkohl, (von dem in Kap. 2 des II. Teiles noch ausführlich die Rede ist; siehe auch seinen köstlichen Silhouetten-Stich) ferner die vielen bei Artaria, Paterno, Trentsensky, Cappi, Stöckel und Mollo erschienenen ,,Kaufrufe“, Volksszenen, Krönungsbilder, Veduten und ,,Bilderbogen“ oder ,,Manderlbogen“, ebenso wie später die lithographierten Arbeiten, die Porträts von Kriehuber, Prinzhofer, Stöber, die vielen Landschaftsbilder, die Schabblätter der Schmutzer (1733—1811), Pichler (geb. Bozen 1766, gest. 1807), die Kupferstiche von Molitor (1759—1812), Josef Fischer (1796—1722), Mößmer (1880—1845), David Weiß (1775—1846), Karl Heinrich Rahl (1779— 1893, der Vater des Freskomalers), Laurenz Janscha 1746 — 1812) usw. von der größten Wichtigkeit. Dem großen Publikum sind sie wohl weniger bekannt, aber die Viennensia-Sammler, deren es hier mehrere namhafte gibt, schätzen diesen Kunstzweig besonders, und auch auf auswärtigen Auktionen, namentlich in London, erzielen die guten Arbeiten, z. B. die von Schütz und Ziegler, ziemlich hohe Preise. Es wird später noch an mehreren Stellen von diesem noch zu wenig bekannten Alt-Wiener Kunstzweige die Rede sein müssen.

Diejenigen Alt-Wiener Spezialitäten, welche gerade in der letzten Zeit wieder besondere Beachtung gefunden haben, sind die Porzellanerzeugung und die Miniaturmalerei. Die erstere hat ihren Ursprung, wie schon erwähnt, in der von Karl VI. begünstigten Unternehmung du Paquiers, der zuerst den in Meißen mit Erfolg experimentierenden Emailleur und Vergolder Hunger herbeiholte, dann — nachdem er 1718 das Privilegium erhalten und in dem Kaufmann Peter einen Finanzmann akquiriert — den Werkmeister Stölzel gleichfalls aus Meißen wegfischte. Dafür ist der biedere Herold, der als erster die Chinoiserien auf Porzellan malte, 1720 heimlich nach Meißen durchgebrannt. Die 1904 abgehaltene Alt-Wiener Porzellanausstellung führte in reicher, wenn auch nicht lückenloser Auswahl die großartige Entwicklung dieses fürs 18. Jahrhundert und seinen Geschmack so charakteristischen Kunstgewerbezweiges vor, und ein umfangreiches Spezialwerk mit vielen Illustrationen hat die Ergebnisse festgehalten. — Die Einführung des ,,deutschen“ Blumenschmucks, des sog. ,,Laub- und Bandlwerks“, kennzeichnet die erste Blüteepoche. Die sorgfältige und geschmackvolle Behandlung des Dekors wie die Feinheit der Pate zeichnen diese Erzeugnisse aus und stellen sie neben die besten Arbeiten der Meißner Manufaktur. 1744 ging die Fabrik in den Besitz des Staates über. ,,In den Formen beginnt das Muschelwerk, das plastische Rocaillemotiv, oft in Purpur und Gold gehöht, zu dominieren, figurales Beiwerk an Vasen, Terrinen, Uhren wird häufiger, das Flachrelief tritt als bezeichnendes Element zur Malerei hinzu. Im malerischen Dekor werden die zierlichen Veduten, Seeufer, Hafen- und Parklandschaften mit ihren winzig kleinen Figürchen von Meißen übernommen, ebenso die Reitergefechte und Jagden. Watteaufiguren, Typen und Szenen aus dem bürgerlichen und bäurischen Leben, sowie Kinderfiguren bilden beliebte Schmuckmotive.“ (Folnesics.)


Die weitere Ausbildung erfolgt im Sinne des Naturalismus. Einen besonderen Aufschwung nahm die Fabrik unter Josef Wolf (seit 1758) besonders in der figuralen Plastik; während des Siebenjährigen Krieges gewann sie der Meißener manchen Vorsprung ab. (Vergleiche die zierliche, charakteristische Gruppe auf der Abbildung) — Technische Verbesserungen zur Erzielung einer schönen weißen, bei größter Leichtigkeit doch kräftigen Masse, zunehmender Reichtum bereiten die Sorgenthalsche Glanzperiode vor. Dieser Direktor war von ehrlichem Kunsteifer beseelt. Die herrlichen leuchtenden Farben in der Bemalung (Leithners Kobaltblau, die braunen und violetten Lüsterfarben), Hochgolddekor, die reizvollen Muster, die allmählich den Charakter des Louis XVI. und Empire annehmen, machen die Service aus dieser Zeit zu hochgeschätzten Kleinodien. Und die figuralen Arbeiten rangieren durch Eleganz der Modellierung, Anmut der Gruppenbildung, Charakteristik der Bewegungen und des Ausdrucks als wirklich hervorragende Kunstwerke. Unter den Malern der Fabrik findet man gegen Ende des Jahrhunderts berühmte Namen, wie Moriz Michael Daffinier, Lorenz Herr, Josef Nigg, unter den Bildhauern Beyer (seit 1767) und Grassi. Noch am Anfange des 19. Jahrhunderts, in der Biedermeierepoche, stehen die Leistungen der Fabrik auf der Höhe; besonders in den mit allerhand Ansichten und Allegorien bemalten Tassen offenbart sich der intime, schwärmerische Geist dieser Zeit in sympathischer Weise, während der klassizistische Charakter der figuralen Arbeiten diesem zierlichen Material weniger entspricht, als etwa der Bronze. An den Biskuit-Porträtbüsten, in denen namentlich der Bildhauer Elias Hütter (bis ca. 1850) exzellierte, können wir wenig Gefallen finden. Und 1863 bereitete ein Parlamentsbeschluss der ruhmreichen Manufaktur ein jähes Ende.

Wenn in der Porzellankunst das Alt-Wien mächtige Rivalen an Meißen, Nymphenburg, Sèvres, Wedgewood usw. besaß, so entwickelte sich die Miniaturmalerei hier gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre zu einer an malerischer Feinheit, Schwung, Geschmack und Popularität unerreichten Spezialkunst. Die Vorgeschichte dieses Kunstzweiges, der ja auch in Italien und Deutschland, namentlich aber in England und Frankreich wundervolle Blüten trieb, kann man über die niederländischen Porträtisten auf die Zeitgenossen Holbeins, Fouquets usw., ja bis auf die Buchminiaturisten des Mittelalters und des Orients zurückverfolgen. Für die Wiener Kunst ist wichtig, dass hier zuerst die Liebhaberei aus den reichen Adelskreisen in das Bürgertum, in die Familie sich verbreitete. Die Übung im Zeichnen und Malen, welche bald zur höheren Bildung ebenso notwendig erschien, wie die häusliche Musikpflege, die Beherrschung eines Musikinstruments, die vielen Anregungen, welche von der Akademie einerseits, von der Porzellanmalerei andererseits ausgingen, beförderten diesen Zweig einer charmanten Kleinkunst, und als die Mode aufkam, statt mit Ölfarbe auf Metall, in einer Aquarelltechnik mit eigenen leuchtenden Farben auf dünne Elfenbeinblättchen die Porträte zu malen, da hatte die Miniatur-Porträtkunst bald eine Popularität erreicht, die man erst heute richtig übersehen und abschätzen kann; denn trotzdem heute Dutzende von enragierten Sammlern mit schwärmerischem Eifer und namhaften Geldmitteln schon viele Hunderte solcher Bildchen in ihren Kollektionen vereinigt haben, findet sich doch von Tag zu Tag wieder irgendein noch unbekanntes hübsches Stück. Fast alle Alt-Wiener Maler, selbst Waldmüller, Gauermann, Ender, Decker haben neben dem großen Porträt auch die Miniatur gepflegt, und als vor mehreren Jahren eine geschickt arrangierte Ausstellung einen Überblick über das Beste (soweit es damals schon bekannt war) gab, da war des Staunens und Entzückens über all den Geschmack, die Kunstfertigkeit und Lieblichkeit kein Ende. — Von den Hauptmeistern der Miniaturmalerei soll später noch die Rede sein, weil die Blütezeit in eine nachfolgende Periode fällt.

Man darf sich also das Heim des Wiener Bürgers gegen Ende des 18. Jahrhunderts als ein hübsch möbliertes, in vereinfachtem, den praktischen englischen Formen angepasstem Barock gehaltenes vorstellen, mit Bildern und Stichen an den Wänden, allerhand Teppichen, Stickereien und sonstigem Zierat. Auf Kommoden und in Vitrinen standen die schönen Service und figuralen Stücke der Porzellanmanufaktur; der Jahresumsatz der Fabrik belief sich 1783 auf 100.000 fl., von denen 20.000 fl. auf das gesamte Ausland entfallen, was auf die überaus große Nachfrage im Inland und speziell in Wien rückschließen lässt.

Auch die hübsche Mode der Porträt-Silhouette, die nach französischem Vorbild in England und besonders im rheinischen Deutschland aufkam, fand hier bald Eingang; der verdienstvolle Direktor des Brünner Gewerbemuseums, Julius Leisching, hat eine lehrreiche Ausstellung veranstaltet und die Ergebnisse in einer Publikation niedergelegt. Weniger sichere Anhaltspunkte über die Leistungen jener Epoche hat die im Österreich. Museum abgehaltene Gold- und Silberschmiedeausstellung geboten; es ist eben wenig von den gewiss vortrefflichen Arbeiten auf diesem Gebiete erhalten geblieben, da in den folgenden Tagen der Kriegsnot vieles weggeschleppt oder eingeschmolzen wurde. Auch bei der Aufhebung von Klöstern ist vieles in Verlust geraten. Doch zeigen die erhaltenen Stücke, sowohl die Kirchengeräte, wie die Tafelstücke, Reiseservice, Toilettegarnituren, gediegene Arbeit und geschmackvolle Formen. Eine reiche Ausbildung erfuhr weiter durch die vielfache Verwendung von eisernen Portalen, Gartentoren, Baikonen, Emblemen usw. die Schmiedekunst, die an Vollendung mit der französischer Meister wetteifert.

Endlich wäre von den künstlerischen Leistungen auf dem Gebiete der Textilkunst zu sprechen, wie sie auf der Maria-Theresia-Paramentenausstellung (Mai 1904) im prächtigen, 1773 durch Johann Bergl ausgemalten Augustinersaal auch dem größeren Publikum bekannt wurden. Besonders die Kaiserin Maria Theresia, die, wie die meisten Habsburger, starke künstlerische Begabung besaß, nahm sich dieses — für weibliche Kunstfertigkeit weiten Spielraum lassenden — Gebietes eifrig an. 1749 wurde die Einfuhr fremder Seidenstoffe untersagt; die Kaiserin selbst trug, wie Savarys ,,Dictionnaire du commerce“ berichtet, fast nur einheimische Stoffe. Die reichsten, mit Gold und Silber durchwirkten Stoffe wurden hergestellt. Die Wiener Stickerei hob Ch. G. de Saint-Aubin in dem Werke ,,L'art du brodeur“ 1770 als besonders hochstehend hervor. Seiden-, Flachstich, Stramin- und Goldstickerei, Verwendung von abschattierten Passementerie-Schnürchen, Applikationen usw. wurden eifrig geübt, wobei die hohe Frau selbst als Vorbild leuchtete, und die Motive zeigen durchweg eine selbständige, schöpferische Fortbildung der im Barock und Louis XVI. gebotenen Formen.

Von der Elfenbein- und Meerschaumschnitzerei war schon früher die Rede, ebenso von den kunstvollen, mit reicher Schnitzerei und Bronzen geschmückten Arbeiten der Tischler. Eine in letzter Zeit von Museen und Sammlern viel beachtete Alt-Wiener Spezialität bilden auch die meist sehr geschmackvoll ausgestatteten Neujahrskarten, die mit Stichen, Zeichnungen, aufgeklebten Blumenmustern geziert, oft Kunstwert besitzen. — Auch auf Visitkarten, allerhand mit Glas und Rahmen versehene Souvenirs, wurde viel künstlerische Begabung und Eifer verwendet. — So ist auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens eine in friedlichem Eifer erreichte Kultur zu konstatieren, die üppige künstlerische Blüten zeitigte und in der nachfolgenden Epoche trotz ungünstiger politischer Ereignisse und bedrohlicher sozialer Krisen, trotz Kriegsnot und empfindlicher Einbuße an Macht und Vermögen, doch unter dem Einfluss der von allen Seiten eindringenden neuen Ideen aufs intensivste weiterwirkte.

Die Größe und Bedeutung der im 1. Teil unseres Buches geschilderten Alt-Wiener Kunstblüte (von 1700 bis etwa um 1790) ist noch lange nicht nach Gebühr gewürdigt. Wer sie richtig verstehen und sich an ihr erfreuen will, muss seine Studien an Ort und Stelle vornehmen. Der monumentale Charakter der österreichischen Barockkunst kann weder durch vereinzelte Museums- und Ausstellungsobjekte (Gemälde, Statuetten, Porzellangeräte z. B.) noch durch photographische Wiedergabe auch nur andeutungsweise vorgeführt werden. Die Wahl des Bauplatzes, das Mitsprechen des landschaftlichen Elements, die Größenabmessungen, die Silhouettenwirkung lassen sich nur vor dem Original begreifen und würdigen. Und gar die Qualitäten der zur Ausschmückung verwendeten Fresken, der Decken- und Wandgemälde, der Plastiken, Stukkaturen, Bronzen, Stickereien, sind nur im Zusammenhange mit dem stilistisch einheitlichen Gesamtwerk zu erkennen. — Immerhin darf man hoffen, durch ein illustriertes Werk, wie das vorliegende, zu eingehendem Studium anzuregen und einiges zum Verständnis beizutragen.

Leichteres Spiel hat der Schilderer bei der folgenden Biedermeierzeit, die ja viel breitere Kreise mit ihrem eigenartigen Kunstempfinden anregte, auch der Denkungsweise unserer Zeit literarisch und künstlerisch viel näher steht und sich deshalb gerade jetzt größter Popularität erfreut. Die weltbekannten Namen von Grillparzer, Raimund, Lenau, von Mozart, Beethoven, Schubert, von Waldmüller, Daffinger, Danhauser, Schwind, von Burgtheater-Koryphäen, Walzerkönigen und Tanzgöttinnen kennzeichnen eine ganz einzigartige Epoche, in der geistige Vertiefung, Schwärmerei, Naturliebe, Verehrung der Frauenschönheit sich zu einem so geschlossenen, reizvollen Zeitbild vereinigen, wie sie der Historiker in der Flucht der Jahrhunderte nur selten aufzuzeigen vermag.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alt-Wien
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