Bildung und Kunstpflege in den Bürgerkreisen
Ehe ich von Mobiliar, Moden, Kleinkünsten spreche, welche die Anregungen der öffentlichen Kunstpflege auch im bescheidenen Heim des Bürgers widerspiegelten, möchte ich ein Streiflicht auf die geistigen Strömungen jener Zeit werfen. Auch hier gibt es mancherlei Vorurteile zu bekämpfen. Es wird dem Österreich jener Tage zum Vorwurf gemacht, dass jede geistige Bestrebung unter der Aufsicht der Jesuiten in Frömmelei und Aberglauben unterging. Aber analoge Erscheinungen finden sich in anderen Staaten und Städten, in Dresden etwa und München. Auch dort absorbierte das Interesse für künstlerische Betätigung die stärksten Kräfte; und doch bilden gerade die Reliquien der „geistlichen“ Epoche den schönsten Schmuck dieser Gegenden. Zunächst war freilich eine Teilnahme an literarischen und wissenschaftlichen Bestrebungen kaum bemerkbar. Ein Prediger, der berühmte Abraham a Santa Clara, bildete die markanteste literarische Erscheinung. Er war witzig, phantasievoll, ein Nachzügler der deutschen Volksprediger und Schwankerzähler des 16. Jahrhunderts.
Doch sollte sich das Bild rasch ändern. Mit dem Erwachen geistiger Bestrebungen im Norden wuchs auch in Wien das Interesse an Literatur und Wissenschaft, das gerade in den höchsten Kreisen stets rege war; so hatte sich bereits Prinz Eugen mit dem Plane getragen, eine Akademie der Wissenschaften zu begründen — was freilich erst viel später zur Tat wurde — und war mit dem Philosophen Leibniz in Korrespondenz gestanden. Unter Karl VI. waren Oper und Schauspiel die vornehmsten Vergnügungen; leider waren die Autoren, wie Metastasio, und die Komponisten meist Italiener. Die einzige Zeitung war damals das „Wiener Diarium“, und ihr Hauptinhalt waren die Nachrichten über Hof- und Adelskreise. Die Lebensweise des damaligen Bürgers schildert ein Wiener Historiograph in folgender drastischen Weise: ,,Nicht ein städtisches Amt, nicht das Vertrauen der Bürger, der Handwerker gab das größte Ansehen, sondern ein Dienst bei Hofe. Wer einen kaiserlichen Bereiter, einen Lakaien oder gar einen Kammerdiener zum Vetter oder Oheim hatte, galt mehr in der ganzen Nachbarschaft, angesehene Bürger drängten sich auch um den kleinsten Dienst, das kleinste Titelchen bei Hof und bei dem hohen Adel. Die Formen des höfischen Lebens drangen vergröbert und verzerrt in die bürgerlichen Kreise.“ (Guglia, Geschichte der Stadt Wien.) — Diese Zustände zeitigten gewiss eine Menge von kleinlichen Charakterzügen, die einem Moliere dankbaren Stoff gegeben hätten. Manche Wiener Komödien, auch einige Lustspiele von Kotzebue, die in Wien spielen, verspotten diese sprichwörtlich gewordenen Unsitten, die Titelsucht, Großtuerei oder Kriecherei. Aber man darf nicht vergessen, dass, wo viel Licht ist, es auch an starken Schatten nicht fehlen kann.
Es wäre ungerecht, zu übersehen, dass eben durch die Nähe eines mit bestem Willen alle Bestrebungen, Unternehmungen fördernden Hofes für die Karriere des Einzelnen manche wichtige Entscheidung ermöglicht war. Das zeigen viele aufstrebende Lebensläufe von Wiener Bürgern. Während sich in anderen Gegenden mancher tüchtige Mann vergebens bemühte, vorwärtszukommen, weil es ihm an Mitteln oder Verbindungen fehlte, war in Wien oft eine Bittschrift oder die Fürsprache eines bei Hofe einflussreichen Bekannten genügend, um künstlerische oder industrielle Ideen zum Erfolge zu führen. Schon im Jahre 1717 ermunterte ein offenes Patent des Kaisers Karl VI. zur Gründung von allerlei Manufakturen und sicherte den Unternehmern Schutz und Gunst der Regierung — was den Hofkriegsagenten Du Paquier zur Einführung der Hartporzellan-Industrie ermutigte — ; noch intensiver nahmen sich Maria Theresia und Josef II. der Arbeitenden an. Die verschiedenen Kuriositätenbücher, Häuserchroniken usw. wimmeln von solchen Anekdoten, in denen ein Mitglied des Kaiserhauses als Schutzengel oder als Deus ex machina mitten in eine verhängnisvoll scheinende Affäre tritt. Diese meist bis an den heutigen Tag im Volksmunde erhaltenen, als Unterhaltungsstoff beliebten Erzählungen (besonders über Josef II. gibt es Hunderte von Anekdoten) erinnern oft an die Märchen von Harun al Raschid und seinen Inkognito-Wanderungen.
Ich will hier, um nicht weitschweifig zu werden, nur einen typischen Fall erzählen , der für die spätere geistige und künstlerische Entwickelung wichtige Folgen hatte: den Lebenslauf eines energischen Mannes aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, der — wie man es so gern von modernen amerikanischen Milliardären erzählt — als armer Lehrbursche barfuß nach Wien kam und als hochangesehener, adliger Mann im eigenen schönen Hause, dem noch heute (Graben 27 — 29) den Namen seines Erbauers kündenden, weitläufigen Trattner-Hofe, starb. Er hat sein Emporkommen, abgesehen von der eigenen Tüchtigkeit, nur dem wiederholten tatkräftigen Eintreten der Kaiserin zu verdanken. Als er ausgelernt und in einer kleinen Offizin sich erprobt hatte, trat er kühn mit dem großen Projekt einer umfangreichen Druckerei an Maria Theresia heran; und diese gab ihm aus der Privatschatulle die geforderten 100.000 Gulden. Als nun die große deutsche Literaturepoche begann, und in rascher Aufeinanderfolge die aufsehenerregenden Werke von Geliert, von Klopstock und Lessing (diese beiden sollten sogar nach Wien berufen werden; Lessing, der von Friedrich dem Großen übersehene, wurde hier mit hohen Ehren am Hofe empfangen!), von Wieland, Herder, Goethe und Schiller erschienen, da erteilte die Kaiserin dem Buchdrucker und Verleger Trattner das Privileg, billige Nachdrucke dieser Dichtungen herauszugeben, was den verschiedenen deutschen Verlegern wohl sehr viel Ärger und Schaden bereitete, aber die Kenntnis jener Dichter und der modernen Ideen in Wien aufs lebhafteste förderte. Gewiss ein Beweis, dass man nicht aus Frömmelei das Denken verwehren wollte. Trattner wurde an diesen Nachdrucken ein reicher Mann und konnte sich bald an Stelle des abgebrannten uralten Freisinger Hofes sein für damalige Verhältnisse riesiges und luxuriöses Zinshaus bauen. — An die eine der mächtigen Karyatidenfiguren am rechtsseitigen Portal, einen Giganten, der dem Beschauer die Rückseite zukehrt, knüpft sich eine Anekdote, die für die derb-humorvolle Art der Wiener Kunstpflege charakteristisch ist. Der über alle Vorurteile sich hinwegsetzende Buchdrucker hatte sich als junger, noch wenig bemittelter Mann in ein hübsches Wiener Komtesserl verliebt, deren Eltern am Graben logierten. Das adelsstolze Fräulein hatte den Freier ,,abgeblitzt“ und dadurch tief gekränkt. Als er aber nach zehn Jahren den Ruf eines der tüchtigsten und reichsten Industriellen errang, als Günstling der Kaiserin vielfach geehrt und sogar geadelt wurde und endlich vor den Augen der Dame seinen imposanten Neubau errichten ließ, da gab das noch immer unvermählte Fräulein ihrem Herzen einen Stoß und ließ dem Herrn von Trattner mitteilen, sie wäre jetzt vielleicht nicht abgeneigt. Jetzt aber wollte er nicht mehr; und statt jeder Antwort ließ er in übermütiger Laune die Figur vor seinem Hause so aufstellen, dass sie den Fenstern der gealterten Schönen die Kehrseite zuwandte.
Se non è vero, è ben trovato. Die erfolgreichen Unternehmer fühlten sich; sie spielten selbst gern die Mäzene, wie der Großhändler Tost, dem Haydn einige Streichquartette widmete, und der später den jungen Mozart unterstützte, der Industrielle Puchberg, die reichen Seidenfabrikanten und Ärzte. Das bescheidene, stillvergnügte Mäzenatentum wurde überhaupt ein wichtiger Faktor für die Kunststadt Wien und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. Im Leben der meisten Wiener Maler, Bildhauer, Dichter und Musiker spielt so ein begeisterter Kunstfreund (manchmal ist's auch eine Freundin), der im entscheidenden Moment Barmittel, Essen, Wohnung zur Verfügung stellt und an Gesellschaftsabenden die jungen Genies einführt, eine große Rolle. — Der Hof und der Adel gingen stets mit gutem Beispiel voran. Selbst der große Sparmeister Kaiser Franz hatte seine Kunstpassionen. Herzog Albert von Sachsen-Teschen, der Gemahl der ebenso schönen wie edlen Maria Christine (Tochter Maria Theresias), legte die große, nach ihm benannte Kupferstichsammlung ,,Albertina“ an, die der berühmte, eben jetzt durch eine Gedächtnisausstellung gefeierte Held Erzherzog Karl aufs eifrigste vermehrte. Auch der kluge treuherzige Erzherzog Josef unterstützte die Künstler. Die Fürsten Liechtenstein, Kaunitz, Schwarzenberg, Eszterhazy, die Grafen Fries, Czernin und Lamberg sammelten und förderten um die Wette, wo sie nur konnten. Damals — !
Doch sollte sich das Bild rasch ändern. Mit dem Erwachen geistiger Bestrebungen im Norden wuchs auch in Wien das Interesse an Literatur und Wissenschaft, das gerade in den höchsten Kreisen stets rege war; so hatte sich bereits Prinz Eugen mit dem Plane getragen, eine Akademie der Wissenschaften zu begründen — was freilich erst viel später zur Tat wurde — und war mit dem Philosophen Leibniz in Korrespondenz gestanden. Unter Karl VI. waren Oper und Schauspiel die vornehmsten Vergnügungen; leider waren die Autoren, wie Metastasio, und die Komponisten meist Italiener. Die einzige Zeitung war damals das „Wiener Diarium“, und ihr Hauptinhalt waren die Nachrichten über Hof- und Adelskreise. Die Lebensweise des damaligen Bürgers schildert ein Wiener Historiograph in folgender drastischen Weise: ,,Nicht ein städtisches Amt, nicht das Vertrauen der Bürger, der Handwerker gab das größte Ansehen, sondern ein Dienst bei Hofe. Wer einen kaiserlichen Bereiter, einen Lakaien oder gar einen Kammerdiener zum Vetter oder Oheim hatte, galt mehr in der ganzen Nachbarschaft, angesehene Bürger drängten sich auch um den kleinsten Dienst, das kleinste Titelchen bei Hof und bei dem hohen Adel. Die Formen des höfischen Lebens drangen vergröbert und verzerrt in die bürgerlichen Kreise.“ (Guglia, Geschichte der Stadt Wien.) — Diese Zustände zeitigten gewiss eine Menge von kleinlichen Charakterzügen, die einem Moliere dankbaren Stoff gegeben hätten. Manche Wiener Komödien, auch einige Lustspiele von Kotzebue, die in Wien spielen, verspotten diese sprichwörtlich gewordenen Unsitten, die Titelsucht, Großtuerei oder Kriecherei. Aber man darf nicht vergessen, dass, wo viel Licht ist, es auch an starken Schatten nicht fehlen kann.
Es wäre ungerecht, zu übersehen, dass eben durch die Nähe eines mit bestem Willen alle Bestrebungen, Unternehmungen fördernden Hofes für die Karriere des Einzelnen manche wichtige Entscheidung ermöglicht war. Das zeigen viele aufstrebende Lebensläufe von Wiener Bürgern. Während sich in anderen Gegenden mancher tüchtige Mann vergebens bemühte, vorwärtszukommen, weil es ihm an Mitteln oder Verbindungen fehlte, war in Wien oft eine Bittschrift oder die Fürsprache eines bei Hofe einflussreichen Bekannten genügend, um künstlerische oder industrielle Ideen zum Erfolge zu führen. Schon im Jahre 1717 ermunterte ein offenes Patent des Kaisers Karl VI. zur Gründung von allerlei Manufakturen und sicherte den Unternehmern Schutz und Gunst der Regierung — was den Hofkriegsagenten Du Paquier zur Einführung der Hartporzellan-Industrie ermutigte — ; noch intensiver nahmen sich Maria Theresia und Josef II. der Arbeitenden an. Die verschiedenen Kuriositätenbücher, Häuserchroniken usw. wimmeln von solchen Anekdoten, in denen ein Mitglied des Kaiserhauses als Schutzengel oder als Deus ex machina mitten in eine verhängnisvoll scheinende Affäre tritt. Diese meist bis an den heutigen Tag im Volksmunde erhaltenen, als Unterhaltungsstoff beliebten Erzählungen (besonders über Josef II. gibt es Hunderte von Anekdoten) erinnern oft an die Märchen von Harun al Raschid und seinen Inkognito-Wanderungen.
Ich will hier, um nicht weitschweifig zu werden, nur einen typischen Fall erzählen , der für die spätere geistige und künstlerische Entwickelung wichtige Folgen hatte: den Lebenslauf eines energischen Mannes aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, der — wie man es so gern von modernen amerikanischen Milliardären erzählt — als armer Lehrbursche barfuß nach Wien kam und als hochangesehener, adliger Mann im eigenen schönen Hause, dem noch heute (Graben 27 — 29) den Namen seines Erbauers kündenden, weitläufigen Trattner-Hofe, starb. Er hat sein Emporkommen, abgesehen von der eigenen Tüchtigkeit, nur dem wiederholten tatkräftigen Eintreten der Kaiserin zu verdanken. Als er ausgelernt und in einer kleinen Offizin sich erprobt hatte, trat er kühn mit dem großen Projekt einer umfangreichen Druckerei an Maria Theresia heran; und diese gab ihm aus der Privatschatulle die geforderten 100.000 Gulden. Als nun die große deutsche Literaturepoche begann, und in rascher Aufeinanderfolge die aufsehenerregenden Werke von Geliert, von Klopstock und Lessing (diese beiden sollten sogar nach Wien berufen werden; Lessing, der von Friedrich dem Großen übersehene, wurde hier mit hohen Ehren am Hofe empfangen!), von Wieland, Herder, Goethe und Schiller erschienen, da erteilte die Kaiserin dem Buchdrucker und Verleger Trattner das Privileg, billige Nachdrucke dieser Dichtungen herauszugeben, was den verschiedenen deutschen Verlegern wohl sehr viel Ärger und Schaden bereitete, aber die Kenntnis jener Dichter und der modernen Ideen in Wien aufs lebhafteste förderte. Gewiss ein Beweis, dass man nicht aus Frömmelei das Denken verwehren wollte. Trattner wurde an diesen Nachdrucken ein reicher Mann und konnte sich bald an Stelle des abgebrannten uralten Freisinger Hofes sein für damalige Verhältnisse riesiges und luxuriöses Zinshaus bauen. — An die eine der mächtigen Karyatidenfiguren am rechtsseitigen Portal, einen Giganten, der dem Beschauer die Rückseite zukehrt, knüpft sich eine Anekdote, die für die derb-humorvolle Art der Wiener Kunstpflege charakteristisch ist. Der über alle Vorurteile sich hinwegsetzende Buchdrucker hatte sich als junger, noch wenig bemittelter Mann in ein hübsches Wiener Komtesserl verliebt, deren Eltern am Graben logierten. Das adelsstolze Fräulein hatte den Freier ,,abgeblitzt“ und dadurch tief gekränkt. Als er aber nach zehn Jahren den Ruf eines der tüchtigsten und reichsten Industriellen errang, als Günstling der Kaiserin vielfach geehrt und sogar geadelt wurde und endlich vor den Augen der Dame seinen imposanten Neubau errichten ließ, da gab das noch immer unvermählte Fräulein ihrem Herzen einen Stoß und ließ dem Herrn von Trattner mitteilen, sie wäre jetzt vielleicht nicht abgeneigt. Jetzt aber wollte er nicht mehr; und statt jeder Antwort ließ er in übermütiger Laune die Figur vor seinem Hause so aufstellen, dass sie den Fenstern der gealterten Schönen die Kehrseite zuwandte.
Se non è vero, è ben trovato. Die erfolgreichen Unternehmer fühlten sich; sie spielten selbst gern die Mäzene, wie der Großhändler Tost, dem Haydn einige Streichquartette widmete, und der später den jungen Mozart unterstützte, der Industrielle Puchberg, die reichen Seidenfabrikanten und Ärzte. Das bescheidene, stillvergnügte Mäzenatentum wurde überhaupt ein wichtiger Faktor für die Kunststadt Wien und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. Im Leben der meisten Wiener Maler, Bildhauer, Dichter und Musiker spielt so ein begeisterter Kunstfreund (manchmal ist's auch eine Freundin), der im entscheidenden Moment Barmittel, Essen, Wohnung zur Verfügung stellt und an Gesellschaftsabenden die jungen Genies einführt, eine große Rolle. — Der Hof und der Adel gingen stets mit gutem Beispiel voran. Selbst der große Sparmeister Kaiser Franz hatte seine Kunstpassionen. Herzog Albert von Sachsen-Teschen, der Gemahl der ebenso schönen wie edlen Maria Christine (Tochter Maria Theresias), legte die große, nach ihm benannte Kupferstichsammlung ,,Albertina“ an, die der berühmte, eben jetzt durch eine Gedächtnisausstellung gefeierte Held Erzherzog Karl aufs eifrigste vermehrte. Auch der kluge treuherzige Erzherzog Josef unterstützte die Künstler. Die Fürsten Liechtenstein, Kaunitz, Schwarzenberg, Eszterhazy, die Grafen Fries, Czernin und Lamberg sammelten und förderten um die Wette, wo sie nur konnten. Damals — !
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alt-Wien
H. F. Füger, Aquarell-Miniatur
Lampi d. Ä., Porträt des Bildhauers Canova
Lampi d. Ä., Porträt des Arztes Anton Rollett
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