Byzantinische Kirchen

Sofienkirche (Aja Sofia)
[Abb. 26 — 32, Textabb. S. 3]. Der ehrwürdigste Bau auf dem Boden Konstantinopels ist die von Kaiser Justinian durch die Baumeister Anthemios von Tralles und Isidorus von Milet 532 — 537 an Stelle der konstantinischen, holzgedeckten Basilika errichtete Kirche der heiligen Weisheit.

Schon das Äußere [Abb. 26, 27, 30] mit seinen unregelmäßigen Um- und Anbauten und den vier an den Ecken errichteten Minaretts lässt auf die mannigfachen Schicksale schließen, die der Bau bis weit über die Zeit hinaus erlitt, seit der Halbmond an Stelle des Kreuzes seine Kuppel krönt. Gleichwohl lässt die Außenansicht den leitenden Baugedanken deutlich erkennen, der die Kirche noch heute als alleinstehendes Weltwunder erscheinen lässt.


Die Kuppel mit ihrer riesigen Spannweite von 32 Metern erhebt sich als beherrschendes Moment auf vier durch mächtige Bogen verbundenen Pfeilern, die in einer Achse durch halbrunde Konchen, in der andern durch massige pfeilerartige Widerlager verstrebt werden. Zwischen diesen Strebepfeilern sieht man bis zur Ansatzhöhe des Hauptbogens die Baumasse über das mittlere Kuppelquadrat heraustreten, während im oberen Teile eine in den Bogen eingezogene Fensterwand den Abschluss nach außen bildet.

Die Wirkung des Äußeren — mag man es auch von allen Verbauungen befreit denken — tritt weit gegen die des Innern zurück [Abb. 28, 29]. Hat man die beiden westlich vorgelagerten Vorhallen mit ihren riesigen Bronzetoren durchschritten, so hat man beim Eintritt durch das Hauptportal die ganze großzügige Raumentwicklung bis zum Zenit der Kuppel mit einem Blicke vor sich. Die beiden halbrunden Nischen, die in der Hauptachse an den mittleren Kuppelraum angelegt sind, und deren jede selbst wieder sich in dreifachem Halbrund erweitert, bewirken zusammen mit den zweistöckigen Arkadenfluchten, die in die seitlichen Hauptbogen eingestellt sind, eine Spannung zwischen Zentral- und Längsidee, in der sich der Raumgedanke des Orients mit dem der Mittelmeerländer als Ausdruck der geographischen und historischen Stellung von Byzanz kreuzt.

In gleichem Sinne wird das Nebeneinander von Pfeiler- und Bogenarchitektur und der hellenistischen Säulenarchitektur mit durchlaufender Horizontalgliederung wirksam. Dieser Kampf zweier Welten wird hier künstlerisch zu einer Einheit zusammengefasst, wie sie auch in den nachahmenden türkischen Moscheen bauten bei allerdings anderen Prinzipien nie so kräftig in Erscheinung trat. — Jene Einheit wird vor allem durch die Unterordnung aller Einzelglieder unter eine einheitliche auf farbig-dekorative Wirkung abzielende Idee erreicht. Denn im Gegensatz zur Kräfte symbolisierenden Tektonik der Antike werden hier selbst die aus antiker Tradition übernommenen Glieder, wie die Kapitelle [vgl. Abb. 29, 31, 32] ohne Rücksicht auf ihre tektonische Funktion verziert, der Akanthus verliert seine aufwachsende Kraft und umgibt den Kapitellkörper wie ein spitzenartiges Muster. So sind auch Wände, Pfeiler und Bogen nicht mehr als tragende Elemente aufgefasst, sondern als Flächenteile, die über und über mit untektonischen farbigen Mustern überzogen sind.

Diese Dekoration ist an den flachen unteren Teilen durch bunte Marmortäfelung und Einlegearbeiten [vgl. Abb. 32], an Bogen und Wölbungen [vgl. Abb. 31) vor allem durch Würfelmosaik aus farbigen Glasflüssen hergestellt. Die durchgehende Verwendung des Goldgrundes in letzterem, der heute durch die Übertünchung allerdings nur stellenweise zu voller Wirkung gelangt, gibt dem farbigen Bilde des Inneren seinen eigentümlichen warmen Grundton speziell gegenüber der meist kalten Wirkung der Moscheen. Die mit der Umwandlung der Kirche in eine Moschee zusammenhängenden Einbauten [vgl. Abb. 28], wie die Sultansloge links, Sängertribüne rechts, und der Mimbar [Kanzel, Abb. 32] mögen wohl das gesamte Raumbild etwas beeinträchtigen, können aber doch ebenso wenig wie die Verschiebung der Achse durch die geänderte Gebetsrichtung, die durch die schräggelegten Teppiche sichtbar wird, oder wie die großen Rundschilde mit den Namenszügen der großen Sultane den Eindruck zerstören, der durch die riesenhaften Dimensionen, die strenge Natürlichkeit der Verhältnisse und den einigenden Farbenakkord gewährleistet wird.

Den Platz um die Kirche herum benützten die Sultane mit Vorliebe als Grabstätte [s. Türben, vgl. Abb. 30, wo die Beschriftung richtig lauten muss: Aja Sophia von Südosten mit den Türben (Mausoleen) der Sultane], und sie umgaben den Bau, wie sie es bei ihren Moscheeanlagen gewohnt waren, mit anderen Zweckbauten (Schule, Armenküche, Bibliothek), die in ihrem Sinne mit Kult und Religion in engstem Zusammenhange stehen. Der bei einer Moschee nie fehlende Brunnen (Abb. 27) dürfte die Stelle des bereits in byzantinischer Zeit nach altchristlichem Brauche vorhandenen Waschbrunnens einnehmen.

Die Kirche der hlg. Sergius und Bacchus (Kütschük aja Sofia) [Abb. 35, 38].
Als ein zweiter noch erhaltener Kirchenbau Justinians, der an Größe die Sofienkirche, wie auch den zweiten Monumentalbau des Kaisers, die jetzt verschwundene Apostelkirche wohl weitaus nicht erreicht, an historischer Bedeutung diesen beiden aber kaum nachgestellt werden kann, ist die jetzt von den Türken unter dem Namen der kleinen Sofienkirche benützte Kirche der hlg. Sergius und Bacchus zu nennen. Außer dem Anbau des Minaretts und der äußeren Vorhalle hat der Bau im Äußeren wie im Inneren [Abb. 38] seine ursprüngliche Form im wesentlichen beibehalten. Innerhalb der im Viereck angeordneten Umfassungsmauern sind acht Pfeiler im Kreise eingestellt, die durch Bogen verbunden die Kuppel tragen. Zwischen den Pfeilern sind in zwei Geschossen Säulenpaare angeordnet, in den Hauptachsen in gerader Flucht, in den Diagonalen in Form von Exedren mit Halbkuppelabschluss. Das um den ganzen Raum horizontal herumgeführte Gebälk des unteren Geschosses trägt zwischen einer reichen an antike Vorbilder anschließenden Ornamentation als Fries die Monumentalinschrift des Kaisers Justinian [vgl. Abb. 38]. Die Kuppel zerfällt in sechzehn Segmente, von denen jedes zweite die Form eines geblähten Segels aufweist (auch außen sichtbar), die dazwischenliegenden sind an ihrer Basis von Fenstern durchbrochen. Mag hier auch noch vor allem in der Verwendung des geradlinigen Gebälkes und in dessen Einzel formen die Antike ihr Fortleben noch stärker geltend machen, so ist doch in der auf farbig-dekorative Wirkung abzielenden Durchführung des Details, wie in der ganzen Raumlösung wieder jene Note ausgeprägt, die der Stellung von Byzanz als dem Angelpunkte zwischen Westen und Orient entspricht. Die Wirksamkeit dieses Bautypus ist auf italienischem Boden in San Vitale von Ravenna und in der Palastkapelle Karls des Großen in Aachen zu verfolgen.

Die Irenenkirche
[Abb. 33 und 34]. Die Baugeschichte dieses Denkmals führt uns bereits in nachjustinianische Zeit. Denn wenn sie auch in der Gesamtanlage zum guten Teile die Gestalt bewahrte, die Justinian nach dem Nikaaufstande dem Neubaue gab, so lassen sich doch in Elementen, wie in dem schon deutlich ausgesprochenen Kuppeltambur, oder in den vortretenden Nebenapsiden Züge erkennen, die für die spätere byzantinische Baukunst charakteristisch wurden und deren Ursprung im Osten, vorzüglich in der christlichen Baukunst Armeniens, zu suchen ist. Umwandlungen — einer solchen ist auch der Ersatz des der Hauptkuppel vorgelagerten Tonnengewölbes durch eine elliptische Kuppel zu danken — scheinen zum Teil schon in justinianischer Zeit (nach einem Brande im Jahre 564) vorgenommen worden zu sein, die heutige Gestalt dürfte aber in der Hauptsache auf eine Wiederherstellung nach dem Erdbeben von 740 zurückgehen. Das der Vorhalle [Narthex] vorgelagerte Atrium ist — zum Teil sehr verbaut — noch erhalten und dient, wie die Kirche selbst, heute als Waffenmuseum. Die Ausstattung des Inneren [Abb. 34] hat einem gelbweißen Maueranstrich Platz gemacht, nur am Apsisbogen sind noch die Mosaikinschrift und in der Apsiswölbung noch einige Mosaikreste sichtbar. Zum ursprünglichen Bestand gehören auch die amphitheatralisch aufgebauten Sitze für den Klerus, die im Apsisrund angeordnet sind.

Ganz neue Raum- und Architekturformen setzen sich in den späteren byzantinischen Perioden durch. Den geringeren Machtmitteln entsprechend schwindet die Monumentalität der Bauten, deren Typen im wesentlichen denen der zu dieser Zeit noch christlichen orientalischen Gebiete folgen. So hat die von Kaiser Romanos I. Lekapenos im X. Jahrhundert erbaute

Kirche des Klosters Myrilaion (jetzt Bodrum Dschami)
[Abb. 36] in ihrer kreuzförmigen, zum Rechteck ergänzten Form mit der zentralen Kuppel ihre Vorbilder in Armenien. Hier, wie z. B. auch in der

Kirche Pammakaristos (jetzt Fethie Dschami)
[Abb. 37], die von Kaiser Michael VIII. Dukas (1071 — 1078) erbaut sein soll, ist auf eine dekorative Ausstattung des Äußeren durch gliedernde Bogen und Blendnischen, durch den farbigen Wechsel von Stein- und Ziegelschichten und durch die aus über Eck gestellten Ziegeln hergestellten Gesimse besonderes Gewicht gelegt. Bei der im XI. Jahrhundert von der Gemahlin des Andronikus Dukas aufgeführten

Kahrie Dschami (Abb. 40 — 44), der ehemal. Kirche des Klosters Chora,
ist diese dekorative Wirkung durch den neuen Anstrich fast ganz geschwunden. Um so mehr bietet das wiederhergestellte Innere mit seinem reichen Mosaikenschmuck ein gutes Bild von der Innenausstattung dieser Kirchen. Neben repräsentativen Darstellungen Christi [Abb. 41] und Maria, in denen sich die zeremonielle strenge Feierlichkeit orientalischer Anschauung stärker als die lebensvollere Auffassung altgriechischer Tradition durchsetzt, bieten die Szenen aus dem Christusleben eine reiche Fülle intimerer Züge, lebendiger Beobachtung und genrehafter Szenen (z. B. die erschreckten Hirten, das Bad des Kindes bei der Darstellung der Geburt Christi) [Abb. 42]. In den beiden melonenartig gerippten Kuppeln [Abb. 43] des Narthex sind Christus und Maria in den Scheitelmedaillons, die Vorfahren Christi in den einzelnen Ausschnitten dargestellt. — In der mit Fresken geschmückten Seitenkapelle sind in den die Archivolten der Zugänge schmückenden Skulpturen [Abb. 44] vorzügliche Beispiele spätbyzantinischer Plastik erhalten, in denen sich in ähnlicher Weise wie in den Mosaiken das Wiederaufleben altgriechischen Geistes in der Verwendung altbyzantinischer Ornamentmotive (Akanthus, Rankenwerk) geltend macht. Freilich sind sie schon von arabesken Zügen durchsetzt, die das Herannahen eines neuen Kulturgeistes, des islamisch-türkischen, ankündigen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alt-Konstantinopel
026. Aja Sophia 532-537 Außenansicht

026. Aja Sophia 532-537 Außenansicht

027. Aja Sophia. Vorhof mit Waschbrunnen

027. Aja Sophia. Vorhof mit Waschbrunnen

028. Aja Sophia Innenansicht gegen Osten

028. Aja Sophia Innenansicht gegen Osten

029. Aja Sophia, Blick aus dem rechten Seitenschiff.

029. Aja Sophia, Blick aus dem rechten Seitenschiff.

030. Aja Sophia, Westansicht mit Vorhallen

030. Aja Sophia, Westansicht mit Vorhallen

031. Aja Sophia, Südemphore

031. Aja Sophia, Südemphore

032. Aja Sophia, südöstliche Exedra mit Mimbar (Kanzel)

032. Aja Sophia, südöstliche Exedra mit Mimbar (Kanzel)

040. Kirche des Klosters Chora (Kahrie Dschami) Außenansicht

040. Kirche des Klosters Chora (Kahrie Dschami) Außenansicht

041. Kahrie Dschami, Christusmosaik im Narthex

041. Kahrie Dschami, Christusmosaik im Narthex

042. Kahrie Dschami Mosaik Christi Geburt

042. Kahrie Dschami Mosaik Christi Geburt

043. Kahrie Dschami, Mosaizierte Rippenkuppel des Narthex

043. Kahrie Dschami, Mosaizierte Rippenkuppel des Narthex

044. Kahrie Dschami, ornamentierte Archivolte und Fresken der Seitenkapelle

044. Kahrie Dschami, ornamentierte Archivolte und Fresken der Seitenkapelle

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