Österreich/Ungarn Pressburg, Ende November 1847. [heute Batislava] (Ungarische Briefe. VII)
Nicht weil es mir an Stoff oder an Lust gefehlt hätte, habe ich Ihnen in den letzten Wochen nicht geschrieben; in der Tat gebricht es mir weder an jenem noch an dieser, und ich gedenke – mit Ihrer Einwilligung, meine Briefe auch kommendes Jahr – mindestens von Monat zu Monat – fortzusetzen, zur wahren Freude aller kernhaften Altorthodoxen, und zur herzlichen Betrübnis der modernen mystischen, archäologischen und septuagintlichen Neoorthodoxie. Dass ich meine Briefe seit einigen Wochen unterbrochen, ist einzig und allein den nationellen Festlichkeiten zuzuschreiben, welche in letzter Zeit unsere ganze Aufmerksamkeit und Teilnahme in Anspruch genommen haben. Unsere Gemeinde hat sich freilich auch bei Gelegenheit dieser nationellen Feste gewaltig kompromittiert und nach herkömmlicher Weise viel böses Blut gemacht; doch davon mögen Ihnen Andere berichten, ich mag mit dieser unseligen Erbärmlichkeit. Nichts zu tun haben. Zu meinen gewohnten Arbeiten und Studien zurückkehrend, finde ich auf meinem Schreibtische eine Menge neuer Bücher und Broschüren angehäuft, mit welchen ein menschenfreundlicher Buchhändler für meine weitere Fortbildung zu sorgen beabsichtiget. Eine der Letzteren, die ich so eben durchgeblickt, leitete meine Aufmerksamkeit auf Betrachtung eines alten Ereignisses, dessen Beleuchtung aber mit meinen früheren und meinen künftigen Briefen in viel zu innigem Zusammenhang steht, als dass ich Ihnen dieselbe vorenthalten könnte. Bekanntermaßen hat nämlich der Kaiser Julian im Jahre 363 den Tempel zu Jerusalem und den damit verbundenen Opferkultus restaurieren wollen. Aber der Himmel war diesem Unternehmen nicht günstig. Nicht nur verzehrte ein unterirdisches Feuer die Arbeiter, was ja Grund genug gewesen wäre, das begonnene Werk zu unterbrechen, welches durch den bald nachher erfolgten Tod des abtrünnigen Kaisers natürlich ganz unterblieb; sondern es sollen sich, nach den Berichten der wundergläubigen Kirchenhistoriker, außerdem noch viele außerordentliche Dinge zugetragen haben. Die Erde bebte, am Himmel fand ein leuchtendes Kreuz gezeichnet, und dasselbe glänzte auf einmal wunderbarer Weise auf den Kleidern aller Anwesenden, und derlei Erscheinungen mehr, wie Gregor von Nazianz, Sozomenus, Theodoret, Sokrates und Philostorgius ausführlich beschreiben. Ich will hier auf diesen Teil jenes Ereignisses nicht weiter eingehen und nur bemerken, dass der künftige Geschichtsschreiber der Juden auf das, was Sokrates (III, 20) von der Stellung des damaligen Bischofs zu Jerusalem, Cyrill, zu jener Katastrophe berichtet, zu achten hätte, und wonach die Hypothese des Bischofs Münter über die Entstehung des unterirdischen Feuers, welcher auch Jost (Geschichte IV, 255) beigetreten, einer abermaligen Prüfung zu unterziehen wäre. (Vergl. Schmidts Zeitschrift für Geschichte, V, 415) Was ich hervorheben will ist die von Zeitgenossen verbürgte Tatsache, dass bei der beabsichtigten Tempelrestauration des Julian auch viele Juden tätig gewesen, und dass der damalige Patriarch keine Einsprache dagegen erhoben. Wer dieser Patriarch gewesen sei, wird die größere Zahl Ihrer Leser nicht interessieren, auch will ich in der Eruierung seines Namens der sehr wünschenswerten Erörterung Rapaports nicht vorgreifen. (Wahrscheinlich war's kein Anderer als Juda III.) Interessanter, und für die Kenntnis der heutigen Parteien im Judentume wichtiger, ist die Frage: wie sich der orthodoxe Rabbinism zur Wiederherstellung des Opferdienstes in Jerusalem vor Ankunft des Messias verhalte. Ich sage: vor Ankunft des Messias; denn das nach dessen Eintreffen der Preis des Schlachtviehes und der Trauben in Syrien steigen werde, verstehet sich von selbst; und wenn den dortigen Viehhändlern, die von dem verlässlichen Jacob Emden*) angeführte Prophezeihung des Sohars, welcher zufolge in dem gegenwärtigen Jahre, d. i. 5608 nach Erschaffung der Welt, der Messias unfehlbar kommen müsse, bekannt wäre, so würden wir ohne Zweifel von bedeutenden Spekulationen in jenem Artikel zu lesen bekommen. Aber ich will von solchen Eventualitäten durchaus nicht reden; sondern mich nur an die praktische Frage halten: was hält die rabbinische Orthodoxie von dem Opferkultus in vormessianischer Zeit? Billigt sie das Betragen der jüdischen Zeitgenossen Julians, oder billigt sie es nicht –?
Die moderne Orthodoxie sagt freilich: nein! Ihr Herold Hirsch sagt (§. 624): „Als Israel als Volk Gottes auf Gottes Boden (!!) lebte, hatte dieser innere Gottesdienst neben einem Ausdruck in Wort noch den der sinnbildlichen Handlung.“ Und dieser Ausdruck wird im Laufe des Paragraphen noch zweimal wiederholt. Alles im Widerspruche mit dem Talmud, nach welchem das Opfer keine symbolische, sondern wirklich und wahrhaftig versöhnende Bedeutsamkeit hat. Nur nach dieser talmudisch unbestrittenen, und von den Pajtanim verherrlichten Theorie hat das Seufzen nach Wiederherstellung der Opfer einen Sinn. Wer jammerte nach einem Sinnbilde, das dem Worte nur als Nebensache zur Seite stand? – Hr. Hirsch ergehet sich weiter in süßlichen Phrasen und schließt mit den Worten: „Der Tempel ist gesunken, der Altar verschwunden, die Harfen der Sänger sind verklungen – aber ihr Geist ist Israels Erbschaft geworden, und durchdringt noch das Wort, das allein zum Ausdruck des inneren Gottesdienstes Gebliebene.“ – So doziert der Herr Landesrabbiner in naiver Unschuld, und ahnt nicht, dass er sich dadurch mit den „Chachomim“ in diametralen Widerspruch setze. Aber das ist eben das Bedauerliche der Neo-Orthodoxie, dass ihre eifrigsten Vertreter miserable Talmudisten sind, wovon man sich nicht nur in Nikolsburg, sondern auch in Wien und Berlin überzeugen kann. In Wahrheit ist der Opferkultus in Jerusalem auch nach Zerstörung des Tempels bis zur hadrianischen Katastrophe fortgesetzt worden, weil dessen Pflichtmäßigkeit durchaus nicht an den Bestand des Tempels gebunden ist. (Siehe die Belege bei Chajes Darke Haroa. 16, 6 ff). Im Jahre 1357 hat R. Chaim Kohen eine Reise nach Jerusalem gemacht, um den Dampf der Gemeindeopfer ritualmäßig aufsteigen zu lassen; er soll aber wegen der Echtheit der Ahroniten Skrupel bekommen haben. Unser verstorbener Rabbiner und sein Schwiegervater Akiba Eger haben diese Skrupel glücklich beseitigt; und Letzterer hat Ersteren vor mehreren Jahren aufgefordert, die Erlaubnis zu opfern bei der hohen Pforte zu erwirken. Sofer schrieb ihm, es wäre unmöglich dies durchsetzen. (Darke Haroa 22,6). Dass die Opferung und namentlich die des Pesachopfers auch in unseren Tagen vollkommen legitim sei, steht auf talmudischen Boden unerschütterlich fest. Die Orthodoxie hat also die Aufgabe, diese Angelegenheit ernstlich zu betreiben. In London und Berlin hat sie ja ihre Fürsprecher; in Wien kann der mährische Landesrabbiner wirken, und da bei solch gemeinsamer Tätigkeit der Erfolg kaum zweifelhaft ist, so können wir's ja leicht erleben, dass Rapaport, Adler und ähnliche Kohanim pontifizieren, und Andere an der Seite der 77 ihre Pessachlämmer tragen werden. Herrliches Schauspiel!
Die moderne Orthodoxie sagt freilich: nein! Ihr Herold Hirsch sagt (§. 624): „Als Israel als Volk Gottes auf Gottes Boden (!!) lebte, hatte dieser innere Gottesdienst neben einem Ausdruck in Wort noch den der sinnbildlichen Handlung.“ Und dieser Ausdruck wird im Laufe des Paragraphen noch zweimal wiederholt. Alles im Widerspruche mit dem Talmud, nach welchem das Opfer keine symbolische, sondern wirklich und wahrhaftig versöhnende Bedeutsamkeit hat. Nur nach dieser talmudisch unbestrittenen, und von den Pajtanim verherrlichten Theorie hat das Seufzen nach Wiederherstellung der Opfer einen Sinn. Wer jammerte nach einem Sinnbilde, das dem Worte nur als Nebensache zur Seite stand? – Hr. Hirsch ergehet sich weiter in süßlichen Phrasen und schließt mit den Worten: „Der Tempel ist gesunken, der Altar verschwunden, die Harfen der Sänger sind verklungen – aber ihr Geist ist Israels Erbschaft geworden, und durchdringt noch das Wort, das allein zum Ausdruck des inneren Gottesdienstes Gebliebene.“ – So doziert der Herr Landesrabbiner in naiver Unschuld, und ahnt nicht, dass er sich dadurch mit den „Chachomim“ in diametralen Widerspruch setze. Aber das ist eben das Bedauerliche der Neo-Orthodoxie, dass ihre eifrigsten Vertreter miserable Talmudisten sind, wovon man sich nicht nur in Nikolsburg, sondern auch in Wien und Berlin überzeugen kann. In Wahrheit ist der Opferkultus in Jerusalem auch nach Zerstörung des Tempels bis zur hadrianischen Katastrophe fortgesetzt worden, weil dessen Pflichtmäßigkeit durchaus nicht an den Bestand des Tempels gebunden ist. (Siehe die Belege bei Chajes Darke Haroa. 16, 6 ff). Im Jahre 1357 hat R. Chaim Kohen eine Reise nach Jerusalem gemacht, um den Dampf der Gemeindeopfer ritualmäßig aufsteigen zu lassen; er soll aber wegen der Echtheit der Ahroniten Skrupel bekommen haben. Unser verstorbener Rabbiner und sein Schwiegervater Akiba Eger haben diese Skrupel glücklich beseitigt; und Letzterer hat Ersteren vor mehreren Jahren aufgefordert, die Erlaubnis zu opfern bei der hohen Pforte zu erwirken. Sofer schrieb ihm, es wäre unmöglich dies durchsetzen. (Darke Haroa 22,6). Dass die Opferung und namentlich die des Pesachopfers auch in unseren Tagen vollkommen legitim sei, steht auf talmudischen Boden unerschütterlich fest. Die Orthodoxie hat also die Aufgabe, diese Angelegenheit ernstlich zu betreiben. In London und Berlin hat sie ja ihre Fürsprecher; in Wien kann der mährische Landesrabbiner wirken, und da bei solch gemeinsamer Tätigkeit der Erfolg kaum zweifelhaft ist, so können wir's ja leicht erleben, dass Rapaport, Adler und ähnliche Kohanim pontifizieren, und Andere an der Seite der 77 ihre Pessachlämmer tragen werden. Herrliches Schauspiel!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Allgemeine Zeitung des Judentums, 12. Jahrgang, 03. Januar 1848 - Zeitungsnachrichten