Allgemeine Zeitung des Judentums, 11. Jahrgang, 04. Januar 1847 - Zeitungsnachrichten

Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse in Betreff von Politik, Religion, Literatur, Geschichte, Sprachkunde und Belletristik
Autor: Herausgegeben von Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabbiner. 1837 begründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1889 herausgab und redigierte., Erscheinungsjahr: 1847

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Jüdisches Leben, Schule, Lehrer, Überschwemmungen, Gesetzgeber, Volksvertreter, Gleichheit, Emanzipation,
Die Allgemeine Zeitung des Judentums, war eine deutsche jüdische Zeitung, die vom 2. Mai 1837 bis 1922 erschien. Ihr Untertitel lautete „Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse in Betreff von Politik, Religion, Literatur, Geschichte, Sprachkunde und Belletristik“. Sie erschien anfangs zweimal pro Woche, später wöchentlich. Sie wurde die erfolgreichste jüdische Zeitschrift in Deutschland.

Die AZJ wurde 1837 von Rabbiner Ludwig Philippson in Leipzig gegründet, der sie bis zu seinem Tod im Jahr 1889 herausgab. 1890 bis 1909 wurde die Zeitung von Gustav Karpeles herausgegeben, seit 1890 im Verlag von Rudolf Mosse; ein regelmäßiger Autor in diesen Jahren war Saul Raphael Landau. 1909 bis 1919 lag die Herausgeberschaft in den Händen von Ludwig Geiger, danach bei Albert Katz.
Die letzte Nummer der Zeitung erschien am 28. April 1922. Sie wurde abgelöst von der ebenfalls bei Rudolf Mosse erscheinenden CV-Zeitung des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens.
Das Internetarchiv jüdischer Periodika Compact Memory enthält den vollständigen Bestand der Zeitschrift. (Wikipedia)
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Italien.

Rom, 12. Dezember 1846. Eine große Überschwemmung der Tiber drang vorgestern tief in die Stadt, und machte die Niederungen derselben einem See gleich. Im Ghetto stieg das Wasser bis über das erste Stockwerk, und man arbeitete die ganze Nacht, um die Leute mit Booten aus den Wohnungen zu holen. Bei diesem Unglück, welches sich jährlich ein- oder mehrere Male, wenn auch nicht in dem Maße wie jetzt, wiederholt, ist es wieder aufs Tapet gebracht, die Einwohner des Ghetto (Judenstadt) nach einem Punkte des alten Roms zu versetzen, und wenn an dieser Stelle der Boden erhöht sei, stattliche Wohnhäuser zu bauen, wodurch künftigem Unglück vorgebeugt und dem Mangel an Wohnungen in diesem Stadtteil abgeholfen würde.

(Suchet im ganzen Heidentum nach, ob Ihr findet, dass die Juden ihrer Religion wegen in einem Teil einer Stadt zu wohnen gezwungen waren, in welchem jährliche Überschwemmungen Lebensgefahr, oder Verlust an Gesundheit und Eigentum unvermeidlich herbeiführten?! Aber im christlichen Rom geschieht es! Findet man einen Ausdruck hierfür? Redaktion)

                                Deutschland.

Hannover, 18. Dezember 1846. Die neuesten ständischen Aktenstücke enthalten auch einen Antrag der Kammern an die Regierung auf Verbesserung der Rechtsverhältnisse der Juden, worin es unter Anderem heißt:
„Unter den zivilrechtlichen Beschränkungen der Juden ist schon früher von den Ständen das alte reichsgesetzliche Verbot der Zessionen von Juden an Christen (Augsburger Reichsabschied von 1551 und 1579 und Reichspolizeiordnung von 1577, Tit. 20, §. 4) und die gefährliche Rückwirkung hervorgehoben, welche aus der neuerlich von den Gerichten wieder ausgesprochenen fortwährenden Anwendbarkeit dieses Verbots unverkennbar hervorgehen werde. Mag eine eigentümliche Bestimmung in der Zeit ihres Ursprungs und in damaligen einseitigen Begriffen ihre Erklärung finden, so ist doch nach geläuterten Ansichten der Gesetzgebungspolitik die fragliche Beschränkung längst als eine entschiedene Verkehrtheit so allgemein anerkannt worden; sie hat, als im gänzliche» Widerstreite mit den natürlichen Anforderungen, und Bedürfnissen des täglichen Verkehrs und Kredits so durchaus in den Hintergrund und in Nichtgebrauch kommen müssen, dass eine Wiederauffrischung derselben offenbar nach beiden Seiten hin die störendsten und verderblichsten Folgen wird äußern müssen, und dass auch nach Ansicht der Stände eine schleunige ausdrückliche Beseitigung des Verbots zu einer wahren legislativen Notwendigkeit geworden ist. Sie zweifeln auch nicht, dass die königl. Regierung diesen Gegenstand sowohl wie die übrigen Beziehungen der hier in Frage stehenden Gesetzgebung bereits einer Bearbeitung unterzogen hat, und erlauben sich darauf anzutragen, dass sie die wiederholt beantragten Gesetzvorlagen über die Beseitigung der privatrechtlichen Verschiedenheiten über Juden im Allgemeinen und insbesondere über Aufhebung des fraglichen reichsgesetzlichen Verbots noch an die gegenwärtige Ständeversammlung baldigst gelangen lassen möge. Hannover, 14. Dezember 1846. v. Hodenberg, Dr. Hartmann. Wedemeyer. Merkel."

Neubukow (Mecklenburg-Schwerin), im Dezember 1846. (Privatmitteilung) Der Umstand, dass selbst der Frühgottesdienst am Sabbat in vielen kleinen Gemeinden Mecklenburgs wegen Mangels an 10 erwachsenen Mannspersonen nicht öffentlich abgehalten werden kann, hat den nachfolgenden Erlass des israelitischen Oberrates in Schwerin an den Vorstand der hiesigen Gemeinde veranlasst:

„Auf Ihre Anfrage vom 23. September d. J. erwidern wir Ihnen, dass
      ad 1) ein öffentlicher Gottesdienst auch mit weniger als mit zehn konfirmierten Mannspersonen abgehalten werden darf, im Übrigen
      ad 2) Frauen eben so gut wie Männer zur Gemeinsamkeit und Öffentlichkeit des Gottesdienstes gehören, wie denn auch die religiöse Mündigkeit der Frauen schon durch ihre Zulassung zur Konfirmation ausgesprochen ist."

Der Abgang Holdheims wird wegen schöner Erfolge im Schul- und Synagogenwesen vielfach bedauert. Auch an dem Erlass des Schutzgeldes, das jährlich 8.000 Thlr. betrug, soll er vielen Teil haben.

                                Preußen.

Köln, 9. Dezember 1846. (Fr. J.) Die Wahl unserer neuen Stadtverordneten, welche die Gemüter in der letzten Zeit so sehr in Anspruch genommen, ist glücklich beendigt und im Allgemeinen befriedigend ausgefallen. Alle Stände, alle politischen Richtungen, ja selbst alle Konfessionen haben dazu ihr verhältnismäßiges Kontingent geliefert, was besser als die in gewissen Blättern enthaltenen einseitigen Räsonnements den richtigen Takt und gesunden Sinn unserer Bürgerschaft bekundet. Das neue Stadtverordnetenkollegium, dessen Einführung noch vor dem Jahresschlusse erwartet wird, besteht aus 24 Katholiken, 5 Evangelischen und 1 Juden, welche Zahlen dem numerischen Verhältnisse der verschiedenen Konfessionsverwandten der Stadt ziemlich entspricht. Überhaupt möchte es aber auch wohl wenige Städte geben, die in religiöser Beziehung sich einer solchen Toleranz rühmen dürfen, wie sie hier in Wahrheit herrscht. Wem als Beleg zu dieser Behauptung, das Resultat der vorgedachten Wahl nicht genügen sollte, dem mag zum Überfluss die Tatsache vorgeführt werden, dass Köln, dessen Bevölkerung (mit Ausnahme der Garnison) auf 90.000 Seelen angewachsen ist, worunter 81.000 Katholiken, 8.000 Evangelische und nahe an 1.000 Juden sich befinden, zwei Abgeordnete zum rheinischen Landtage zu stellen und hierzu zwei Evangelische auserkoren hat. Trotz allen, meist von missvergnügten Korrespondenten herrührenden gegenteiligen Nachrichten einiger Nachbarblätter herrscht hier im geselligen Verkehr das beste Einvernehmen unter den Einwohnern aller Klassen und Konfessionen, was die bunte Zusammensetzung unserer Vereine und Gesellschaften sehr deutlich beweist, deren sogar eine (das Kasino) schon seit Jahren einen Israeliten (allerdings ein sehr ehrenhafter Mann) als Direktor an ihre Spitze gestellt hat.

Breslau, 11. Dezember 1846. (Fr. J.) Unsere heutige „Schlesische Zeitung" enthält einen Bericht aus Krotoschin, im Regierungsbezirk Posen, wonach es dort bei der Wahl eines Rabbiners für die jüdische Gemeinde sehr tumultuarisch zuging. In Verbindung mit dem gebildetem Teile der dortigen Judengemeinde hatte der Landrat, der den Fortschritt auch unter den Juden zu fördern sucht, nur solche Kandidaten zur Bewerbung zulassen wollen, die neben der rabbinischen Befähigung auch akademische Bildung besäßen und überhaupt den Anforderungen der Gegenwart entsprächen. Dieser Beschluss jedoch, von der Regierung bestätigt, fand bei dem sehr zahlreichen ungebildeten und orthodoxen Teile der Judenschaft so heftigen Widerstand, dass, als am Tage der Wahl (am 7. Dezember) der Landrat erklärte, den von den Orthodoxen gewonnenen Kandidaten Krakauer (der noch orthodoxer als die Orthodoxen sich gerierte, die verworrensten Verkehrtheiten als Lehrsätze des Judentums aufstellte, und der im Abiturientenexamen Schiffbruch erlitten hatte etc.) zur Wahl nicht zulassen zu wollen, einige Hundert Wähler gegen die Ausschließung K's laut protestierten. Der ganze Vorstand jedoch hatte anderseits gegen die Zulassung des Gedachten zur Wahl protestiert. Auf jene Erklärung des Landrats, dass er die Protestation der Orthodoxen nicht berücksichtigen könne, entstand ein solches Lärmen und Toben, dass militärische Hilfe von etwa 10 Mann herbeigerufen werden musste. Das half jedoch noch Nichts; es mussten noch 20 Mann und 3 Offiziere requiriert werden, und der Landrat erklärte nun in gerechtem Zorn, dass er die Wahl durchführen werde, selbst wenn er das ganze Bataillon aufmarschieren lassen müsste. Aber der Lärm dauerte fort, und da die Vorsteher nun einsahen, dass ein großes Unglück unvermeidlich sei, so trugen sie beim Landrat um Aufhebung des Wahlgeschäfts an, was auch genehmigt wurde. Es erwartet nun jedenfalls eine strenge Untersuchung die Tumultuanten.

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. 1837 begründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1889 herausgab und redigierte.

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. 1837 begründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1889 herausgab und redigierte.

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Bonn-CastellJPG

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabiner. Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Bonn-CastellJPG