Zweite Fortsetzung

Nicht lange nach Schluss des eben beschriebenen Vorfalles gerieten zwei Schwäger, Amerikaner, bekannte Raufbolde von vermögender Familie, wovon Jeder mehr als einen in die Ewigkeit befördert, und namentlich einer die Kunst, einem Gegner mit dem Daumen ein Auge auszubohren, wiederholt praktiziert hatte, in Streit. Der Augenbohrer ward von seinem Schwager erstochen. Der Mörder ward in Haft gebracht und der Richter nahm Anstand, denselben gegen Kaution freizulassen. Der Vater des Mörders legte Opposition gegen die Verhandlung des Faktums vor dem Gerichte der von dem Mörder bewohnten Grafschaft ein. Angeblich, weil der Beklagte dort manche Feinde und deshalb eine nicht ganz unparteiische Jury zu fürchten habe; in Wirklichkeit aber war es darauf abgesehen, den Mörder auf dem Transporte von dem Orte seiner Haft nach dem vorgeschlagenen Gerichtsorte, einer 30 engl. Meilen entfernten Stadt, gewaltsam aus den Händen des denselben begleitenden Sherifs usw. zu befreien. Bevor jedoch der Transport des Mörders nach jener Stadt bewerkstelligt wurde, ritt am hellen Tage ein Schwager des Mörders mit acht andern Amerikanern, sämtlich mit Büchsen bewaffnet, 15 Meilen durch die Grafschaft nach dem Orte, wo der Mörder in Haft saß. In der Nacht ward das Lokal besetzt, dem Wächter Ruhe geboten, und der Mörder, von oben herab mit neun Kugeln durchbohrt, zur Erde gestreckt. So waren die Prozesskosten gespart; um die Täter zu erhaschen, hat sich die Justiz nicht im Mindesten bekümmert, obgleich jeder sie zu kennen glaubt und nennt. Nur sieht man heute. Jeden der beiderseitigen Familie, wie diejenigen Freunde, welche am Tage jener selbstmächtigen Exekution den Schwager des in Haft befindlichen Mörders begleitend gesehen wurden, niemals ohne Büchse oder sechs Schuss Pistole ausreiten.

Ich könnte ein ganzes Buch füllen mit der Erzählung solcher Handlungen, welche ich zum Teil mit angesehen habe. Indessen mögen die angeführten wohl genügen, die von Amerika so sehr gerühmte Gleichheit vor dem Gesetze, die Unbestechlichkeit der Justiz usw. zu charakterisieren und jedem Unparteiischen einen unverschleierten Blick in die dortigen Zustände zu gestatten.


Amerika ist fast in jeder Beziehung das Land der auffallendsten Extravaganzen und, wenn man in Europa sagen hört, dass die Zustände Amerikas halbbarbarische seien, so werden sicherlich Viele, bei persönlicher Anschauung der dortigen Verhältnisse zu der Meinung gelangen, dass es richtiger sein dürfte, zu sagen: Amerika ist das Land der künstlich gepflegten Barbarei.

Abgesehen davon, dass die den Richtern teils aus Furcht vor Rache aufgedrängte, teils aus Mangel an Macht, den Gesetzen überall Achtung zu verschaffen, oft zur Last fallende willkürliche Rechtsprechung dem Barbarismus keine geeigneten Schranken zu setzen vermag, kann, so lange das Geld als Hauptmatador über Eid und Moralität erhaben erachtet wird und den Sieg in fast allen Wahlschlachten davon zu tragen gewohnt ist, von einer Zügelung des Barbarismus nicht ernstlich die Rede sein. Er wird teils durch das Zusammenleben der mannigfachsten Völker und Charaktere, teils durch die ungeheure Ausdehnung der Vereinigten Staaten, das Vorhandensein unermesslicher, noch nicht bewohnten Strecken bedungen, gezeugt oder geschützt.

Wie anders soll man es sich erklären, dass, nicht von dem häufig vorkommenden gewaltsamen Stürmen und Niederbrennen katholischer Kirchen, nicht von der, von den Stufen des Rathauses in New York gepredigten Vernichtung aller Religion und deren Vertreter, durch alle zu Gebote stehenden Mittel, nicht von andern derartigen Exzessen zu sprechen, im Jahre 1854 während der Sitzung der Repräsentanten der Unions-Staaten, nicht nur ein Dutzend Duelle wegen der dortigen Äußerungen, sondern auch Faustkämpfe wegen und während der Debatte sich entspannen. Wie soll man sich die Möglichkeit zusammen reimen, dass es einem Repräsentanten einfallen könne, den Präsidenten der Union beim Verlassen des Sitzungssaales zu begrüßen, nach empfangenem höflichen Bescheide und Händedrucke ihn, den Präsidenten einzuladen, einen Schnaps mit ihm zu trinken, und weil der Präsident dankend, dies ablehnt, in seinen Wagen steigen will, der Repräsentant ans Buffet springt, ein Ei ergreift und den Präsidenten der mächtigen amerikanischen Staaten damit an den Kopf schmeißt! –

Wie soll man es sich erklären, dass im Frühjahre 1854 in New York mehrere Hundert junge Deutsche, vielfach Turner, unter Anführung des ehemals in Berlin berühmten Linden-Müller sich auf vorhergegangene Aufforderung am hellen Tage vor das Haus des hessischen Konsuls begeben, dort unter ohrenbetäubendem, sollennen Grunzen und Heulen, mit dem Hintern nach dem Konsular-Gebäude gerichtet, ihre Komplimente machen, indem sie sich alle Mühe geben, den Hintern nach ihren Begriffen gehörig sich vordrängen und präsentieren zu machen.

Wie soll man es sich erklären, wenn kurz darauf unter dem Oberbefehl desselben Führers, sich etwa 4–600 junge Deutsche zumeist den Kopf mit zwei grünen Hörnern besetzen und fackeltragend durch die Stadt ziehen, um vor dem Redaktionsgebäude der New Yorker Staats-Zeitung, nach sollennem Heulen und Pfeifen, diese Hörner abzunehmen, auf einen Haufen zu werfen und anzuzünden; dann vor das Redaktions-Gebäude eines konkurrierenden Schimpfblattes zu ziehen, um dort Hochs und Vivat's auszubringen.

Damit nun Jeder sich über diese Art des deutschen Auftretens ein Urteil selbst bilden könne, so höre man die Veranlassung zu den beiden letztgenannten Auftritten.

Ein junger Comptoirist, Deutscher, (denn die Deutschen zeichnen sich ganz besonders, sobald sie den amerikanischen Boden betreten haben, durch rücksichtslose Grobheit aus) kam auf das Büro des hessischen Konsuls und sprach letzteren mit bedecktem Haupte an. Der Konsul sagte ihm, er möge den Hut abnehmen, was der junge Deutsche jedoch trotzig verweigerte mit dem Bemerken, dass er hier in Amerika sei und den Hut nicht abzunehmen brauche. Der Konsul er widerte, er möge bedenken, dass er in seinem Konsular-Gebäude gewissermaßen auf hessischem Boden stehe und schlug, da der junge Deutsche bei seinem Trotze beharrte, diesem den Hut vom Kopfe. Der junge Mann als Turner setzte sich zur Wehr und die weitere Folge war, dass das oben beschriebene Ständchen arrangiert und ausgeführt wurde.

Die New Yorker Staatszeitung fand sich veranlasst, dieses Treiben als der deutschen Nationalität nicht recht würdig zu finden und warnte vor dergleichen Rohheiten wie überhaupt vor den krassen Ausfällen verschiedener derartigen deutschen Blätter, welche es sich zur Aufgabe gemacht zu haben schienen, durch Beschimpfung alles Dessen, was den Amerikanern durch Sitten, Gesetz und Gewohnheit heilig oder achtungswert erschien, wie durch die rohesten Drohungen und Prahlereien, wonach in kurzer Zeit Amerika durch das noble deutsche Element, dessen Vertreter diese Schimpfblätter sich nannten, regiert werden würde, den Hass der Amerikaner zu blutigen Flammen aufzustacheln. Die New Yorker Staats-Zeitung sprach schließlich die Befürchtung aus, dass ein solches Treiben die amerikanische Bevölkerung reizen und dem deutschen Elemente nur Verachtung und Verfolgung zuziehen, möglicher Weise die Wiedereinführung der Fremdengesetze zur Folge haben und die ganze Einwanderung mitleiden machen könne. Endlich äußerte die New-Yorker Staatszeitung, dass es wirklich gar sonderbar klinge, wenn jedes neu ankommende Grünhorn sofort über die Konstitutionen, den Präsidenten und die Regierung in ausgelassenster Weise schimpfe, ohne noch Zeit gehabt zu haben, sich mit den Sitten und Gesetzen des Landes betraut zu machen.

Diese wohlgemeinte Rüge war es, welche den Fackelzug der mit grünen Hörnern prangenden jungen Deutschen, welche die ganze exaltierte deutsche Presse, nicht bloß in New York, sondern auch im Westen usw., zu einer wahren Sündflut von Schimpfreden und den krassesten Ausfällen gegen die Staatszeitung veranlasste. Und heute, 1856 ist die von der Staatszeitung ausgesprochene Befürchtung, die übrigens jeder Einsichtsvolle teilen musste, um ihrem ganzen Umfange zur Wirklichkeit geworden.

Der know nothing (Nichtswisser) Orden ist wieder ins Leben getreten und hat eine nie geahnte Ausdehnung und niegehabten Einfluss in allen nördlichen und westlichen Staaten der Union erlangt. Über alles dies heult heute Niemand mehr als die exaltierten deutschen Blätter, ohne jedoch den ehrenhaften Mut zu haben, einzugestehen, dass gerade ihr Treiben diese Zustände provoziert habe.

Ströme von Blut sind in Folge dessen in den beiden letzten Jahren geflossen, Tausende haben Leben und Eigentum eingebüßt. Das sind die Früchte der willkürlichen Exzesse der volks-erretterischen deutschen Presse, der zahllosen Hetzer jugendlicher Rohheit und des Unverstandes.

Aus alledem wird ersichtlich, dass die Zustände weit entfernt sind das zu sein, was leider gar Viele, welche nur von blindem Lobe über amerikanische Verhältnisse eingenommen sind, zu glauben pflegen und sich dort ein Eldorado träumen.

Vielmehr befinden sich die amerikanischen Zustände in einer fortwährenden Entwicklungsperiode und in gar mancher Hinsicht ein treues Bild von vor und während des Mittelalters auch in Europa geherrscht habenden Zustände die mitunter amüsant auf dem Papiere zu lesen, auch der romantischen Sinn der Jugend zu kitzeln im Stande sind die aber in Wirklichkeit mitzumachen jeder gebildete, friedliebende, sittliche Mensch sich ewig unbehaglich fühlen wird.

Eine ebenso große rühmliche Verschiedenheit gegen Europa gewahrt man indessen in Amerika. Es ist dies das außerhalb der großen Städte so außerordentlich seltene Vorkommen von Hausdiebstählen und Raubanfällen. Ja, diese Sicherheit geht so weit, dass in den von großen Städte entfernt liegenden Ortschaften und Ansiedelungen gelegentlich jeder sein Haus auf Tage und Wochen verlässt, ohne im mindesten befürchten zu müssen, dass seine häuslichen Habseligkeiten, seine Fleisch- oder sonstigen Vorräte, obgleich nicht durch Schloss und Riegel gesichert, irgend entwendet würden. Tausende von Fuhrleuten und Reisenden schlafen in den süd- und südwestlichen nicht dichtbevölkerten Staaten allnächtlich unter freiem Himmel, ohne dass nur in Jahresfrist ein einziger Fall von Beraubung oder Raubanfall in einem Staate vorkommt. Zu dieser Sicherheit mag freilich der Umstand viel beitragen, dass fast Jeder bewaffnet ist, dass Jeder das Recht hat, Denjenigen, der einen Zaun übersteigt oder ohne angerufen und herein beschieden zu sein, in eine Wohnung eindringt, nieder zu schießen, wie auch ebenso wenig Federlesens mit dem zu machen, der ihn in irgend welcher Absicht anfällt.

Einen, die entsetzlichsten Verheerungen anrichtenden Feind gibt es indessen auch in Amerika. Diesem Feinde erliegen jährlich viele Tausende unter allen erdenklichen Formen; er verleitet den Amerikaner zu den entsetzlichsten Übereilungen den Deutschen zum rohesten Skandale, den Irländer zu meist zu den schauderhaftesten, alle Gefühle empörenden Verbrechen, das irische Weib zur ewigen Zanksucht und Schamlosigkeit, die irische Nation zu ihrer allgemeinen, schauerlichen Verworfenheit. Ja, dieser Feind ist es, der namentlich in den heißeren, südlichen oder in den sumpfigen westlichen Gegenden und in allen großen Städten, da all jährlich Tausende Einwanderer am Fieber sterben, der der friedliebendsten Amerikaner mit Blitzesschnelle die Pistole oder den Dolch ziehen, oder unter Freunden zum boshafteste: Necker macht. Dieser allgemeine Feind ist der Branntwein. Das eben von der Wirkung des Branntweins auf den friedliebenden Amerikaner Gesagte, mag folgender Vorfall einiger Maßen bestätigen.